Kopernikus hat dieselbe Sonne aufgehen sehen wie alle Menschen. Nachts schien auch ihm der Mond. Eines Tages schlug er vor, was viele - wie etwa Aristarchos - schon vor ihm vorgeschlagen haben: Man möge sich einmal vorstellen, nur vorstellen, dass die Erde sich um die Sonne bewege statt umgekehrt. Er wüsste dafür einige Argumente, sagte Kopernikus, er glaube aber nicht, dass er argumentieren müsse, er glaube an Evidenz. Seine Evidenz - von Kepler erst später durch unkreisige Gesetze argumentativ gestützt - war massenfähig: nach Kopernikus sahen fast alle Menschen, dass die Sonne im Zentrum steht. Kant nannte diese Umkehrung der Sichtweise Kopernikanische Wende.
Natürlich hat Kopernikus weder die Position der Sonne noch jene der Erde verändert. Das Wesentliche an der Kopernikanischen Wende ist nicht, ob die Erde oder die Sonne im Zentrum steht, sondern dass ich fähig bin, meine Sicht darauf zu wechseln - ohne dass Erde und Sonne etwas dazu tun oder davon betroffen wären. Die Kopernikanische Wende betrifft mich, nicht die Gestirne. Und ob sie mir einfach passiert - sowie der Wetterfahne und der gelehrten Astronomie von Zeit zu Zeit passiert, dass sie in eine neue Richtung schauen - oder ob ich mich wenden und einer neuen Sicht bewusst zuwenden kann, kann ich daran prüfen, ob ich eine erneute Wendung - die Entwendung - schaffe: Mein Vorschlag lautet, man möge sich vorstellen, vorerst nur vorstellen, dass die Erde im Zentrum der Gestirne steht. Natürlich erwarte ich nach Kopernikus nicht, dass irgendein Mensch in die naive geozentrische Sicht zurückfällt, die dem offenbar einfälltigen Gelehrten Ptolemäus angelastet wird. Ich schlage vor, dass sich das ganze Universum um die Erde dreht und dass nicht nur die Struktur der Epizyklen und der Differenten aller Gestirne beachtlich komplexer ist, als sich Astronomen wie Brahe gerne vorstellten, sondern auch die Struktur des Universum selbst, das gerne sehr einfach als kugelförmig explodierender Raum um einen sogenannten Urknall angenommen wird (1)?
Der Vorteil des heliozentrischen Modells von Kopernikus scheint darin zu liegen, dass es viel einfacher ist, als das davor verwendete geozentrische Modell. Ich frage mich, ob einfache Modelle in einer komplexen Welt tatsächlich Vorteile bringen. Was gewinne ich - oder wer gewinnt was - mit dem stupend einfachen Weltbild, in welchem die Erde eine Sonne umkreist, die am Rande einer bedeutungslosen Galaxis verglüht (2)?
Jener Erde - von welcher Kopernikus sprach - ist gleichgültig, wie Kopernikus sie sah. Sie war in seinen Augen im Sinne eines naturwissenschaftlichen Gegenstandes objektiv vorhanden. Der naturwissenschaftliche Gegenstand wehrt sich nicht. Kein Stein verändert sein "Verhalten" in Abhängigkeit davon, ob wir Fall-Gesetze und Schwerkraft postulieren oder nicht. Kein Mechanismus ändert seine Funktionsweise in Abhängigkeit davon, wie wir ihn begreifen. Deshalb kann sich die Naturwissenschaft in Form der Technologie entwickeln. Die Naturwissenschafter müssen sich dabei ihrer Sicht nicht bewusst werden, sie können sich zurecht Objektivität einbilden, und darin die Objekte immer besser sehen. Ich schlage also auch hier eine Entwendung vor: Nachdem Kant allen Skeptizismus in die Form des Dinges an sich gebracht hat, herrscht die Ansicht, das jede Erkenntnis subjektiv sei. Wenn ich nun vorschlage, objektive Tatbestände anzunehmen, erwarte ich nicht, dass irgendein Mensch in die naive Sicht zurückfällt, dass es eine objektive Natur gibt, die erkennbar wäre. Ich schlage vor, dass das, was Beobachter konstruieren, Tatsachen im Sinne der naturwissenschaftlichen Objekte sind. Es scheint mir völlig sinnlos, von einer Maschine anzunehmen, das sie subjektiv funktioniert. Viel sinnvoller scheint mir, wenn ich mir bewusst mache, wo ich quasi naturwissenschaftlich von konstruierten Mechanismen spreche und wo nicht (3).
Als Galiei von jener Erde, von welcher schon Kopernikus sprach, fast hundert Jahre später sagte, dass sie sich doch bewege, ging es nur noch vordergründig darum, wie die Gestirne stehen. Im Grunde ging es um die richtige Sicht auf die Gestirne, also nicht um deren Konstellation, sondern wie diese zu für-wahr-zu-nehmen und zu beschreiben ist. Ob Sonne oder Erde im Zentrum stehen, ist seit Kopernikus die Frage durch seine gewandte Antwort bewusst machte, nicht mehr entscheidbar. Der Abschwörung leistende Galilei steht nur dafür, dass Menschen sich trotzdem entscheiden (können).
Auch Kant hat die Erde nicht um die Sonne kreisen gesehen. Dass die Erde sich um die Sonne dreht, war für ihn keine Frage der Sicht, sondern eine Frage der Einsicht, also eine Frage der praktischen Vernunft - oder jener Vernunft, die Kant praktisch schien. Kant hat praktisch gefunden, dass ganz viele Probleme verschwinden, wenn man bloss - wie Kopernikus es tat - die Perspektive wendet. Die Wende, die Kant vorgeschlagen hat, kann ich - von Flüchtigkeiten der Redaktion abgesehen - nachlesen. Kant schlug vor, nur probehalber einmal anzunehmen, dass sich die Gegenstände nach der Erkenntnis richten - statt umgekehrt. Ich würde also - wenn ich Kant verstehen würde - nicht erkennen, was Kant gemeint hat; sondern Kant hätte gemeint, was ich erkenne(n kann).
Wenn ich Kant verstehen würde, könnte er mir nichts mitteilen. Wiener sagte, dass er immer erst wisse, was er gesagt habe, nachdem er die Reaktion des Zuhörers wahrgenommen habe. Und noch später formulierte Heinz von Foerster das hermeneutische Prinzip, wonach der Empfänger den Inhalt einer Nachricht bestimmt.
Mein Vorschlag - den ich in dieser Art Kant entwende - lautet: Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Kommunikation damit besser fortkommen, dass wir annehmen, dass wir uns in der Kommunikation nicht - wie gemeinhin angenommen - gegenseitig Mitteilungen machen, sondern stattdessen nach einem für uns adäquaten Ausdruck unser selbst suchen.
Sowenig wie Kopernikus der wirklichen Erde einen neuen Platz zugewiesen hat, will ich mit meinem Vorschlag unterstellen, dass komunizierende Menschen sich neuerdings oder immer schon in irgendeiner Weise neu oder umgekehrt verhalten. Es geht also nicht darum, was wir kommunzierenderweise wirklich oder objektiv tun oder tun sollten, sondern darum, wie wir uns selbst als Kommunizierende verstehen könnten. Es geht darum, dass uns unsere Sicht auf unsere Kommunikation als eine gewählte Sicht erscheint, weil wir so oder so schauen könnten. Und nur wenn wir eine Wahl haben, können wir verantwortlich sein.
Der Einfachheit (einer Wende) halber bescheide ich mich mit zwei Sichten. Im Grunde genügen zwei Sichten, um sicher zu sein, dass der je andere eine andere Sicht haben kann - die ich im Sinne eines Dialoges (Bohm) auch haben könnte. Die eine Sicht nenne ich Paradigma der Kommunikationswissenschaften. Natürlich glaube ich nicht, dass es auch nur einen einzigen Menschen gibt, der die Sache so sieht, wie sie im Paradigma dargestellt wird. Das Paradigma als erste Sicht dient hier vielmehr dazu, eine zweite Sicht einzuführen. Und "Paradigma" nenne ich diese erste Sicht, weil ich glaube, dass der Ausdruck "Kommunikation" in sehr vielen Theorien und Argumentationen für das Senden und Empfangen von Mitteilungen steht (4).
Einfach im Sinne von notwendig ist die Annahme eines Paradigmas natürlich auch, wenn man eine Kopernikanische Wende vorschlagen will. Hätte Kopernikus bedacht, wieviele Menschen zu seiner Zeit die Erde nicht im Zentrum sahen, wäre ihm seine heliozentrische Sicht nicht als Revolution erschienen. Und hätte Kant bedacht, wieviele Menschen immer schon radikal subjektiv waren, hätte er auch in bezug auf objektive Erkenntnis keine Kopernikanische Wende vorgeschlagen (5).
Schliesslich beziehe ich mich auf die Kommunikationswissenschaften in dem Sinne, als dort auch von "Kommunikation" die Rede ist. Denn von einer Wende spreche ich nur, wo ich die gewendete Sache als solche noch erkennen kann. Das Alte neu sehen macht die Dialektik der Entwicklung aus, die in der Wende vorgeschlagen wird. (6)
Die erste physikalisch-technologische Verwendung des Ausdruckes "Kommunikation" stammt von Stephen Gray, der 1729 mit nassen Hanfschnüren elektrostatische Versuche zur Leitfähigkeit von Materialien gemacht hat. Elektrizität hatte - hundert Jahre vor Farraday - noch keinen sichtbaren Nutzen, sondern war ein physikalisches Phänomen, um dessen Verständnis man sich praktisch - also durch konstruktive Manipulation - bemühen konnte. Gray spannte seine Hanfschnur in einem Klostergarten auf. Mönche mussten diese einerseits mit Wasser nass halten und andrerseits während der Messversuche rufen, wenn die mit Bernstein erzeugte elektrische Ladung bei ihnen vorbeikam und sie zwickte. Gray stellte fest, dass und wie schnell sich Strom durch nasse Schnüre bewegt. Aber Gray entdeckte durch das Schreien der Mönche auch, dass er am Ende seiner Schnur erfahren konnte, dass am Anfang der Schnur Strom angelegt wurde. Er nannte seine Stromleitung weit voraussehend "Kommunikationsschnur" und hat so die elektrische Datenübertragung (Telegraph, Telefon, Internet, usw.) vorweggenommen, für die er sich mangels Technologie noch gar nicht interessieren konnte. Die Kommunikationsschnur ist in diesem projizierten Sinne eine Entdeckung, keine Erfindung, weil Gray eine Funktion seiner Installation entdeckte, die er so wenig beabsichtigte, wie die Oelfassproduzenten das Musikinstrument, das sich die Mitglieder einer Steelband aus Oelfässern machen (1.1).
Mit seiner funktionalen Interpretation einer "elektrischen" Hanfschnur, die - wie die Handy-Generation weiss - auch aus "Aether" bestehen kann, hat Gray eine spezifische Sicht auf ein Artefakt geworfen: er hat in seiner Schnur ein technisches "Medium" für Kommunikation "erkannt", obwohl er seine Anlage für einen ganz andern Zweck konstruierte. Seine Interpretation der Stromleitung als Medium ist zum Paradigma geworden:
Der Ausdruck "Kommunikation" hat zwei einfache quasi-etymologische Konnotationen: Einerseits die Kommune oder den Kommunismus, also "Gemeinschaft" - und andererseits den technologischen Kommunikationsprozess, also unsere von Gray entdeckten medialen Verfahren mit Signalen und Nachrichten. Der Gesichtspunkt der Kommune akzentuiert das Angleichen und Zusammenkommen, also eine Funktion der Kommunikation. Der technische Gesichtspunkt akzentuiert die Funktionsweise dieses Prozesses. Psychotherapeuten und Werbefachleute beschäftigen sich mit der Kommune, die sich Mitteilungen macht, Elektroingenieure und Neurophysiologen beschäftigen sich mit dem technischen System, das von der Kommune für die Mitteilungen verwendet wird.
Das Paradigma der Kommunikationswissenschaften - das erstaunlich gut mit dem gesunden Menschenverstand übereinstimmt - ist ein Sender-Empfänger-Modell, in welchem Informationen, Nachrichten, Botschaften oder Mitteilungen übermittelt werden. Schulz von Thun fasst das Paradigma im ersten Satz eines der erfolgreichsten Kommunikationsbüchern zusammen: "Der Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation ist schnell beschrieben. Da ist ein Sender, der etwas mitteilen möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen - wir nennen das, was er von sich gibt, seine Nachricht. Dem Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln. In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein, so dass eine Verständigung stattgefunden hat" (Schulz von Thun 1999:25).
Schulz von Thun benennt auch gleich die beiden Probleme, die er sich mit dieser Sicht einhandelt: Er spricht von zwischenmenschlicher Kommunikation und von leidlicher Verständigung. Mit "zwischenmenschlich" umschifft Schulz von Thun die Abgrenzung seines Kommunikationsbegriffes, er lässt offen, ob Tiere und Maschinen auch kommunizieren. Mit "leidlich gelingen" meint Schulz von Thun wohl "leidvoll nicht gelingend", denn sein ganzes Buch gibt Anweisungen dazu, wie man die - manipulierende - Kommunikation, die er meint, zum Gelingen bringen könnte. In dieser psychologisch-funktionalen Sicht des Paradigmas ist von der Kommune in Form einer "verstehenden Angleichung" zwischen "Sender" und "Empfänger" die Rede, nicht aber von Artefakten und deren Funktionsweise in der Signalübermittlung. Dass Menschen beim Kommunizieren ihre Körper und verschiedene Geräte wie Telefonapparate benutzen, erscheint in dieser Sicht ganz unwesentlich - oder ein rein technisches Problem.
Shannon schreibt in seiner für das Paradigma grundlegenden Mathematischen Theorie der Kommunikation, das Problem der Kommunikation bestehe darin, eine Nachricht genau zu übermitteln, semantische Aspekte der Kommunikation seien für die technischen Probleme ohne Relevanz (Shannon 1976:41). In seiner technologischen Sicht des Paradigmas ist die Rede von Kommunikation im Sinne einer Uebertragung von Signalen - die er ganz unverschämt Nachrichten nennt -, nicht aber von "verstehender Angleichung". Shannon sagt: "Information hat keine Bedeutung". Dass in der "Kommunikation" irgendwelche Menschen irgendetwas verstehen oder Bedeutungen mitteilen, erscheint in dieser Sicht ganz unwesentlich - oder ein rein psychologisch-semantisches Problem.
Im Paradigma der Kommunikationswissenschaften finden sich auf dialektische Art zwei Parteien, die Probleme lösen, mit welchen die je andere Partei scheinbar rein gar nichts zu tun hat - ausser, dass sie dieselben Ausdrücke verwendet (1.2).
Die Hyperkommunikation akzentuiert den Signal-Prozess. Dieser Prozess ist im Paradigma der Kommunikationswissenschaften unter dem metaphysischen Gesichtspunkt der Information beschrieben, unter welchem Signale als Mitteilungen oder Nachrichten gedeutet werden. Die Wende, die ich vorschlage, bezieht sich auf die Deutung des Signalprozesses innerhalb des Handlungszusammenhanges, der gemeinhin als "Kommunikation" bezeichnet wird.
Dazu beschreibe ich zunächst die artefaktischen Mittel der Kommunikation als konstruktive Tat-Sachen und lasse die Kommunikation selbst - wie Shannon - nur als funktionale Implikation dieser Werkzeuge erscheinen. Ich rekonstruiere mit diesem Verfahren den genetisch-historischen Anfang, wie er von Gray durchlaufen wurde. Ich (re-)konstruiere Artefakte und "entdecke" danach anhand dieser Artefakte, was begrifflich hinter meinem vorgängig-intuitiven Verständnis von Kommunikation steht (2.1).
Die Stromleitung von Gray ist ein Artefakt. Dass Gray seine nasse Hanfschnur als "Kommunikations"-Schnur bezeichnete, obwohl er an der elektrischen Leitfähigkeit des Materials interessiert war, betrachte ich als Genie der naiven Benennung. Solche metaphorische Benennungen werden im Nachhinein zu Erfindungen. Für Gray war die Benennung zunächst nur ein intuitiv gewählter Name für leitendes Material. Erst nachdem der Name zum Namen einer technologischen Entwicklung geworden ist, erscheint die Namensgebung als Erfindung. Die technische Intelligenz hat aus der Hanfschnur durch eigentliche Ingenieursarbeit das Internet als "Kommunikations"-Netz ent-(ausge-)wickelt. Die Kommunikationsschnur wurde also nicht nur beträchtlich verbessert, sondern qualitativ überhaupt erst auf ein Niveau gebracht, das als Kommunikationssystem verwendbar ist. Die Entstehung des Systems war aber jenseits jeder Voraussicht. Gray konnte sich den Nutzen seiner Entdeckung noch nicht einmal vorstellen, als er sie bereits vor sich hatte.
Gray wollte keine Kommunikationmaschine konstruieren, sondern ein besseres Verständnis der bereits bekannten Leitfähigkeit verschiedener Materialien entwickeln. Die Erfindung der "Datenfernübertragung" hat er unbeabsichtigt und unbewusst gemacht. Erst als die Erfindung im Prinzip (2.2) gemacht war, setzte die eigentliche Entwicklung des besseren Verständnis dieser Erfindung ein: im Internet zeigt sich ein entwickelteres Verständnis als in Gray's Hanfschnur, das Prinzip ist dasselbe geblieben. In der Kommunikationsschnur liegt das ganze potentielle Wissen über Kommunikation. Die Technologie macht explizit, was in der Schnur enthalten ist.
Natürlich beruht die technologische Entwicklung der Kommunikationsmaschinen nicht auf der naiven Benennung von Gray. Gray ist im Sinne einer gleich naiven Historie einfach der erste, von welchem nachgewiesen werden kann, dass er das Wort "Kommunikation" im Jahr 1729 in einem technischen Zusammenhang aufgeschrieben hat. Die meisten Ingenieure, die die Technologie entwickelten, haben vermutlich nie irgend etwas von Gray gehört, sondern sind ihrerseits "Entdecker" der Kommunikation. Eine Metapher, die sich im Unterschied zu Gray's Kommunikationsschnur durchgesetzt hat, bezeichnet als "kommunizierenden Röhren" ein Gefäss, das aus untereinander verbundenen, oben offenen Röhren beliebiger Formen besteht, welche Flüssigkeit "austauschen", bis sie "übereinstimmen", respektive einen "gemeinsamen" Pegel aufweisen.
Man kann über das Artefakt, das wir kommnizierende Röhren nennen, sehr verschieden sprechen. Man kann - im Sinne der metaphorischen Benennung - sagen, dass die Gefässe miteinander über ihren jeweiligen Pegelstand kommunizieren, um eine Angleichung oder eine Gemeinschaft zu erreichen. Man kann sagen, dass kommunizierende Gefässe weder Zweck und noch Gemeinschaft verfolgen und deshalb nicht kommunizieren, oder dass sie nicht kommunizieren, um etwas zu erreichen. Man kann sagen, dass sich die Flüssigkeit aufgrund physikalischer Gesetzmässigkeiten unabhängig von der Form eines Gefässes auf einem Niveau einpendelt. In all diesen Redeweisen erscheinen ganz bestimmte Sichtweisen, die offensichtlich nicht vom Phänomen selbst abhängig sind, sondern vom jeweiligen Beobachter gewählt werden. Man kann - wie es allem Anschein nach der Namensgeber tat - die kommunizierenden Gefässe unter der Gesichtspunkt der Kommunikation sehen, oder unter einem Gesichtspunkt, in welchem keine Kommunikation aufscheint. Ob dieses Phänomen mit Kommunikation zu tun hat oder nicht, wird mithin vom Beobachter an das Phänomen herangetragen. Daran, wie jemand über dieses Phänom spricht, kann man seinen Standpunkt oder seine Perspektive erkennen.
Umgekehrt kann ich mir anhand von Artefakten wie Hanfschnüren und kommunizierenden Gefässen bewusst machen, was ich an sie herantrage, um Kommunikation zu sehen. Sie reflektieren meine Projektionen.
Ich will diese primitiven Kommunikations-Mechanismen als Systeme auffassen - was natürlich auch eine Beobachterleistung ist, weil ich damit vorgefertigte System-Vorstellungen an Schnüre und Röhrengefässe herantrage, die ich in diesen Artefakten kaum je finden könnte, wenn ich sie nicht aus einer entwickelteren Technologie mitbringen würde. Durch die Systemtheorie hindurch betrachte ich die primitive, noch nicht entwickelte Technik mit dem Wissen, das ich an entwickelter Technik gewonnen habe. Die Technologie des Internets zeigt mir, was in Gray's Hanfschnur noch nicht entwickelt und noch nicht sichtbar, aber potentiell - als Implikation - bereits enthalten ist. Umgekehrt gewinne ich durch diese entwickelte Perspektive Einsicht in das objektive Wesen der primitiven Artefakte.
Systeme zeigen die zwei charakteristischen Eigenschaften, die das Paradigma der Kommunikationswissenschaften prägen: Systeme haben Eigenwerte, die sie mittels Feedback anstreben, respektive Systeme verwenden Signale um Angleichungen zu erreichen. Wenn ich etwas als System 1. Ordnung auffasse, bedeutet das mithin, dass ich den Eigenwert als Funktion des Systems bestimme und die Feedback-Signale als Mittel, mit welchen das System seinen Eigenwert anstrebt. Wenn ich meine thermostatengeregelte Heizung unter den Gesichtspunkten eines Systems betrachte, werde ich die eingestellte Raumtemperatur als Eigenwert des Systems sehen und die Signale, die vom Temperaturfühler über den Thermostaten zur Heizung fliessen, werde ich als Feedback und mithin als Teil der Funktionsweise auffassen.
Wenn ich kommunizierende Gefässe systemtheoretisch betrachte, bildet der Flüssigkeitspegel einen Sollzustand, in welchem der Pegel in allen Teilen des Systems gleich hoch ist. Entsteht eine Ist-Soll-Wert-Differenz, weil in einem Teil Flüssigkeit zugegeben oder weil das Gefäss in Schräglage gebracht wird, kompensiert das System die Störung mit einem Angleichungs-Prozess, in welchem Flüssigkeit von einem Teil des Systems in einen andern Teil fliesst. Wenn die Kommunikationsschnur von Gray auf einer Seite elektrisch geladen wird, wird das entstehende Spannungs-Ungleichgewicht ausgeglichen, indem die elektrische Ladung - die die Mönche zwickt - übertragen wird. Das System korrigiert Störungen und geht zurück ins Gleichgewicht.
Bei den kommunizierenden Gefässen passiert die Angleichung ohne explizite oder eigentliche Signale. Die Teilgefässe "wissen" um den gemeinsamen Pegel, ohne dass zuvor ein Signal gesendet wird. Es handelt sich um eine Art implizite Kommunikation, auf die ich später zurückkommen werde. Zunächst will ich mich den Signalen zuwenden und dazu die Kommunikationsschnur etwas adäquater darstellen als bisher.
Die Kommunikationsschnur ist als elektrische Leitung ein Medium, dass einen Spannungsausgleich innerhalb eines Systems ermöglicht. Die Spannungsdifferenz ist nicht primär in der Leitung, sondern zwischen den Polen, die mit der Leitung verknüpft sind. Bei Gray war auf der einen Seite eine Bernsteinkugel, die mittels Reiben an einem Fell elektrostatisch aufgeladen wurde. Auf der andern Seite der Schnur war ein nicht gut geerdeter Mönch, der keine elektrische Ladung aufwies. Die Hanfschnur ermöglichte - stromleitend -, dass die Spannungsdifferenz zwischen dem Mönch und der Kugel ausgeglichen wurde. In diesem Sinne kommunizieren Mönch und Kugel genau wie die Teile der kommunizierenden Gefässe. Der Mönch bekommt kein Signal, er bekommt die Stromdifferenz.
Erst aus der Sicht von Gray - die der Mönch mit etwas Empatie natürlich auch einnehmen kann -, wird der Stromstoss zum Signal, indem der Stromstoss einen Prozess in einem andern Energiekreis auslöst, wenn er den Mönch zum Schreien bringt. Der schreiende Mönch bezieht die Energie zum Schreien nicht aus dem Strom, sondern aus seinem Körper. Der Strom löst diesen Prozess nur aus, oder technologisch gesprochen, der Strom in der Hanfschnur steuert das Schreien des Mönchs. Signale sind steuernde Energien, sie steuern andere Energiekreise. In diesem technologischen Sinne geht es nicht darum, dass Gray das Schreien des Mönches als Zeichen für Stromübertragung interpretiert, sondern interpretationsfrei darum, dass der Mönch mit seiner eigenen Energie ruft, wenn er das Signal bekommt.
Ich nenne die Signal-Energie deshalb sekundäre Energie, das heisst, Energie, die auf einem sekundären Energiekreis fliesst, der der Steuerung eines primären Energiekreises dient (Todesco 1992:76 und 107).
Wenn ich die Wohnzimmerbeleuchtung mit einem Timer kopple, ist das Signal des Timers in diesem Sinne sekundär, weil es den Stromkreis der Lampe schliesst. Die sekundäre Energie, mit welcher ein Lichtschalter bewegt wird, macht das Licht nicht heller, sie dient nur dem Ein- und Ausschalten. Das Signal vom Thermostat zur Heizung ist zwar Energie, sie wird aber nicht zum Heizen verwendet, sondern nur zur Steuerung der Heizung (2.3). In der Technologie beschreibt das Konzept des sekundären Energiekreises Verstärker, wie wir sie in unseren Hifi- oder Telefon-Anlagen verwenden. In den Verstärkern, etwa in Lautsprechern, wird - im Prinzip - nichts verstärkt, sondern ein schwaches Signal zur Steuerung eines starken Energiekreises benutzt, der - wie im Falle des Lautsprechers - selbst wieder ein Signal darstellen kann. Darin liegt ein praktischer Sinn der manipulativen Kommunikation: anstatt dass ich meinen ganzen Körper bewege, um eine schwere Arbeit zu verrichten, bewege ich nur meine befehlenden Sprechorgane, und bewirke mit wenig eigener Energie, dass andere Sklaven ihre Körper bewegen. Im Paradigma der Kommunikationswissenschaften (etwa bei Schulz von Thun) wird diese Art von Verstärkung dialektisch subtil als Appellcharakter einer Nachricht bezeichnet.
Bateson erläutert dieses relative sekundär-Sein der Kommunikationsenergie, die er eigensinnigerweise Information nennt, einerseits mit der Redeweise „Der Unterschied, der den Unterschied macht", weil der Zustand auf einem Energiekreis den Zustand auf dem andern bestimmt, und andererseits anschaulich mit folgendem Beispiel: Wenn ich einen Hund nicht leiden kann, kann ich ihm - wenn er klein genug ist - einen Tritt versetzen, damit er sich entfernt. Dabei sind zwei Fälle unterscheidbar: Der Hund kann aufgrund meines Trittes wegfliegen. Dabei benutzt er meine Energie, um sich zu entfernen. Er kann aber auch - wenn ich etwas weniger wuchtig getreten habe - den Schwanz einziehen und sich davonschleichen. Dabei benutzt er seine eigene Energie, um sich zu entfernen. Meine Energie dient in diesem Falle der Steuerung seiner Energie, das heisst eben, sie ist kommunikativ oder Kommunikations-Energie (Bateson 1987, S. 126f).
Die konstruktiv gemeinten Ausdrücke Sender und Empfänger stehen für Konstruktionen, die Energie als Signale interpretieren. Empfänger heisst der Teil der Konstruktion, in welchem der relativ zum Signal primäre Energiekreis manipuliert wird. Beim Radio oder beim Telefon ist der Empfänger der Teil der Maschine, in welchem die elektrischen Signale zur Modulierung der Schallwellen benutzt wird. Sender heisst der Teil der Maschine, der die im Empfänger als Signale interpretierte Energie liefert. Sender und Empfänger sind strukturell gekoppelt. Der Sender muss Energie in der Form liefern, die der Empfänger interpretieren kann. Was als Sender in Frage kommt, ist deshalb durch den Empfänger bestimmt. Der Empfänger seinerseits ist strukturdeterminiert, er reagiert nur auf Signale, die zu seiner Struktur passen - und auf diese Signale reagiert er immer gemäss seinem Systemzustand (2.4).
Als Energie fliessen Signale - wie in Gray's Hanfschnur - von einem höheren Niveau, das "Quelle" heisst, zu einem tieferen Niveau, das "Senke" heisst, ganz wie das Wasser im Strom. Konstruktiv gesehen sind Quelle und Senke Zustände des technischen Sender-Empfänger-Systems, das gemeinhin "Transmitter" genannt wird. Für den Transmitter ist unerheblich und gleichgültig, was Quelle und Senke in den Augen eines Beobachters repräsentieren. Es ist einem elektrischen Gerät - im konstruktiv objektiven Sinn - gleichgültig, ob ich es mit dem Finger oder mit meiner Stimme in Betrieb setze: es reagiert nicht auf mich, sondern auf den gedrückten Schalter oder auf das Schwingen einer Menbran, also ausschliesslich auf sich selbst, respektive auf seine eigenen Zustände. Konstruktiv bezeichnet "Schallwelle" die Schwingungen der Lautsprechermembranen, nicht irgendwelche Wellen in der Luft, denn die Membrane ist Teil der Konstruktion, die schwingende Luft dagegen nicht. Der deutende Beobachter mag über diesen Unterschied hinwegsehen, weil er zu sehen meint, dass die Membran mit der Luft zusammen schwingt. Der Konstrukteur leitet seine Signale aber aus der Membrane ab, die er zuerst adäquat konstruieren muss (2.5).
In bezug auf Maschinen modelliert das Transmitter-Modell die Teile, die der Kommunikation dienen, beispielsweise den Telefonapparat, nicht aber das Kraftwerk, das den Strom zum Telefonieren liefert. In bezug auf autopoietischen Maschinen und mithin in bezug auf Menschen modelliert das Transmitter-Modell Organe, die der Kommunikation dienen, beispielsweise das Ohr mit dem Trommelfell und den entsprechenden Nerven zum Hirn, respektive die Signale, die durch diese Organe fliessen. Als autopoietischen Maschine reagiere ich auf die Zustände meiner Sinnesorgane, also beispielsweise auf die Schwingungen meines Trommelfells, nicht auf etwas, was ausserhalb meiner Sinne liegt - oder gar auf etwas, was eine Bedeutung hätte. Das Transmitter-Modell sagt nichts aus über eine Bedeutung der Signale. Vom Auge zum Hirn fliesst sekundäre Energie. Vom Hirn zum sprechenden oder deutenden "Ich" führt bekanntlich keine oder keine bekannte Verbindung. Mein "Ich" und mein "Verstehen" sind im Transmitter-Modell und mithin in der Systemtheorie im engeren Sinne nicht vorgesehen (2.6).
Wiener schreibt in seinem die Systemtheorie begründenden Buch Kybernetik: "Kybernetik beschreibt die Kommunikation im Tier und in der Maschine". Den Ausdruck "Tier" interpretiere ich in diesem Kontext als biologischen Mechanismus im Sinne einer autopoietischen Maschine, wie Maturana die Lebewesen sinnigerweise nennt. Ich focusiere mit dieser Leseweise diejenigen Aspekte, die die Menschen physikalisch-konstruktiv mit andern Lebewesen teilen, also etwa die Funktionsweise der Sinnesorgane. Und ich meine mit dieser Leseweise ausserdem, dass die Kommunikation innerhalb des Systems angesiedelt ist, wozu ich später mehr sage (2.7).
Der Empfänger kann als Interpreter gesehen werden. Im Paradigma der Kommunikationswissenschaften verweist der Ausdruck "Interpretation" auf zwei Aspekte, die den beiden Konnotationen der Kommunikation entsprechen. Wenn ich interpretiere, kann ich einen Energiefluss als Signal wahrnehmen und ich kann dieses Signal als quasi "bedeutungsvollen" Verweis auf etwas Bestimmtes wahrnehmen (2.8). In beiden Fällen kann ich mich täuschen - was konstitutiv für Interpretationen ist (2.9). Die Verteidiger von Jericho, die die Musik der Posaune als Signal der angreifenden Artillerie interpretierten, verstanden zwar die "Bedeutung" der Musik, aber nicht deren energetischen Charakter. Die Schallwellen fungierten nämlich nicht als Signale, sie wirkten unmittelbar. Sie waren keine "Zeichen" zum Angriff, sondern Griff an das Gemäuer der Stadt. Auch wenn wir mit Ultra-Schall Nierengestein zertrümmern, verwenden wir Schall als primäre Energie.
Würde Bateson anstelle seines Hundes mich treten, könnte ich - auch wenn ich gross genug wäre, dass ich durch seinen Tritt nicht wegfliegen würde - seinen Tritt als primäre Energie auffassen; nämlich als misslungener Versuch, mich fliegen zu lassen. In diesem Fall würde ich auf einen stärkeren Tritt warten, um wirklich zu fliegen, wie ich ein zweites Flugzeug nehmen würde, wenn das erste nicht vom Boden käme. Ich könnte seinen Tritt aber auch als sekundäre Energie auffassen, und mithin als Signal, das eine andere Energie steuern will. In beiden Fällen würde ich eine Interpretation leisten. Dass es sich bei dieser Energie um ein Signal handelt, ist nämlich der Energie selbst nicht anzusehen. Erst der Empfänger entscheidet, ob die Energie antreibend oder steuernd wirkt. Meine unmittelbare Interpretation würde sich also nicht auf irgendwelche (Inhalte oder Bedeutungen von) Nachrichten beziehen, sondern auf die im Tritt empfangene (Art der) Energie (2.10).
Interpretieren heisst in diesem konstruktiven Sinne, kinetische Energie als Signal und mithin als sekundäre Energie aufzufassen. Wenn Bateson statt seinen Hund zu treten, auf die Bremse seines Auto tritt, kann seine Energie konstruktiv dazu verwendet werden, die Bremszangen an den Bremsscheibe zusammenzudrücken. In diesem Falle wird seine Energie zum Bremsen verwendet (2.11). Sein Tritt auf die Bremse kann aber auch als Signal interpretiert werden. Im primitiveren Falle wird dann mit dem Bremspedal ein Servomotor gesteuert, der die Bremsernergie liefert. Der Bremser muss im Sinne der "manipulativen Kommunikation" nur noch wenig befehlende Energie aufwenden, der Servomotor leistet dann die eigentliche Bremsarbeit. Im entwickelteren Falle interprtiert der Konstrukteur des Fahrzeuges das durchgedrückte Bremspedal nicht mehr direkt als Signal zur Vollbremse, sondern als Wunsch des Autofahrers möglichst rasch anzuhalten, was heisst, dass die Räder nicht blockieren dürfen. Mit dem Bremspedal wird dabei ein Antiblockiersystem gesteuert, das seinerseits den Servomotor der Bremse so steuert, dass die Räder so stark wie möglich gebremst werden, aber nicht blockieren. Diese letztere Interpretation des durchgedrückten Bremspedals ist manchmal "falsch". Geübte Autofahrer drücken, wie man im Rallyesport deutlich beobachten kann, das Bremspedal oft nicht zum Anhalten durch, sondern weil sie die Räder wirklich blockieren wollen, da gezieltes Schleudern in den Kurven häufig mit Zeitgewinn verbunden ist (2.12).
Primitive Empfangskonstruktionen reagieren bedingungslos immer gleich, entwickeltere Empfänger berücksichtigen Bedingungen. Ein normales Bremssystem bremst die Räder unahängig von ihrer Drehzahl, ein Antiblockierbremssystem bremst nur, solange die Räder noch drehen. Im entwickelteren Fall entscheidet der Empfänger also nicht nur, ob die Energie ein Signal ist, er entscheidet auch, wie er in Abhängigkeit von zusätzlichen Bedingungen auf das Signal zu reagieren hat. Das Antiblockiersystem interpretiert aber natürlich nichts. Es ist der Konstrukteur dieses Systems, der mittels seiner Konstruktion zeigt, wie er das durchgedrückte Bremspedal des Autofahrers interpretiert.
Wenn der "Konstrukteur" seine Interpretation bei sich behält, ist er nicht vorhersehbar. Der von Bateson getretene Hund wird deshalb manchmal den Schwanz einziehen und manchmal beissen, obwohl er jedesmal denselben Tritt bekommt. Wenn der Konstrukteur seine Interpretation in einer Konstruktion veräussert, ist die Interpretation - von Defekten abgesehen - artefaktisch, als Faktum generalisiert: dasselbe Signal wird unter gleichen Bedingungen immer gleich interpretiert (2.13).
Kommunikation beruht auf Signalen. Signale sind Entitäten aus sekundärer Energie. Kommunikationsmittel nenne ich die Artefakte, mit welchen ich Signale strukturiere, übertrage und interpretiere, also Transmitter, die aus Sender, Kanal und Empfänger bestehen. Ein Transmitter ist ein Energiekanal, der auf der Senderseite so manipuliert werden kann, dass eine Signalstruktur entsteht, die zur Empfängerseite "passt". Von einem explizit entwickelten Transmitter spreche ich, wenn ich für die Begriffe Sender, Kanal und Empfänger Instanzen sehe (2.14).
Die Struktur der Kommunikationsmittel entspricht der Struktur der übertragenen Signale. Die Kommunikationsschnur von Gray hat in bezug auf die Signale nur eine implizite Struktur, weil nur elektrische Ladungen übertragen werden, die im Kommunikationsmittel selbst nichts steuern, sondern nur die Mönche zwicken, die - in meinen Augen - nicht zum artefaktischen Transmitter gehören (2.15). Im einfachsten Transmitter besteht ein Signal aus einer bestimmten Menge Energie, die während einer bestimmten Zeit auf einem sekundären Energiekreis fliesst. Die Energie wird durch einem materiellen Ein-Aus-Schalter gesteuert. Beim ursprünglichen Telegraf etwa wurde der Stromkreis mit einer einzelnen Taste geöffnet und geschlossen, was am andern Ende der Leitung entsprechende Wirkungen, etwa entsprechend rhytmische Geräusche, verursachte.
Höher entwickelte Signale sind nicht nur zeitlich, sondern auch in ihrer "Form" strukturiert.
Ich nenne die materiellen Artefakte, die intendiert durch ihre Form Signale strukturieren Zeichen. Ich stelle Zeichen her, wenn ich bestimmte Signale produzieren will. Das Signal und das Zeichen stehen dadurch in einer eindeutigen Beziehung, dass das Signal mithilfe des Zeichens produziert werden kann.
Ich unterscheide Texte und Bilder als digitale und analoge Zeichen (2.16). Technologisch lassen sich alle Zeichen auf binäre oder zweiwertige Schalter zurückführen. Relativ zu dieser Rückführung heissen die einzelnen binären Schalter Pixel, was eigentlich für Bild- oder Rasterpunkte steht. In der "digitalen" Technik (2.17) werden Zeichen ausschliesslich in dieser elementaren Form verwendet (2.18). Im Computer-Prozessor fliesst - zur Zeit - wie in Grays Hanfschnur die Energie nur über 2-stellige ein/aus-Schalter, weil in der Technik bislang nicht die Signalform, sondern die materielle Struktur des Prozessors (Schaltalgebra) entwickelt wurde. (2.19). Die Signalenergie ist auch in dieser Technik indifferent, Signale unterscheiden sich dadurch, dass sie zu verschiedenen Empfänger fliessen.
Zeichen sind in einem gewissen Sinne primäre Kommunikationsmittel, weil wir mit ihnen die Signale strukturieren. Briefe, Bücher, Zeitungen, usw. dienen zum Übertragen von Zeichenkörpern, die vor Ort benutzt werden, um Signale zu erzeugen. Bleistifte, Schreibmaschinen usw. verwenden wir, um Zeichenkörper herzustellen. Das sind in dem Sinne sekundäre Kommunikationsmittel, als sie zur Produktion und zur Uebertragung von Zeichen - nicht von Signalen - verwendet werden. In den Künsten unterscheiden wir bildende Künste von andern daran, dass sie artefaktische Zeichen produzieren, während die andern, etwa Sänger, direkt Signale erzeugen.
Wir können Interpreter konstruieren, die verschiedene Signale in einander überführen oder modulieren. Auf der Ebene der materiellen Zeichen stelle ich solche Interpreter als Tabellen dar, in welcher Zeichenkörper aus einem Alphabet Zeichenkörpern eines anderen Alphabetes zugeordnet werden. Diese Tabellen nenne ich Codes.
Zeichen sind elementar oder sie bestehen aus elementaren Zeichen. Das "T" ist - im obigen Bild sichtbar - aus einigen Pixel hergestellt. Formalsprachlich ist "T" der Name einer bestimmt angeordneten Kombination von elementaren Zeichen. Das Alphabet ist eine geordnete Liste von Zeichen, die wir als Buchstaben bezeichnen. Jeder Buchstabe ist eine bestimmte Kombinaton von Pixeln. Mit den Buchstaben konstruieren wir gemäss einer Grammatik zusammengesetzte Zeichenkörper, die wir Texte nennen. Buchstaben und Texte sind Zeichen höherer Ordnung, die aus elementaren Zeichen bestehen (2.20).
Text nenne ich jede durch eine Grammatik (Chomskygenerator) generierte Menge von Zeichenketten, unabhängig davon, wozu wir sie verwenden. Abstrakt, als Texte sind sich ein Computerprogramm und ein Liebesbrief gleich. Wer Text produziert, mag zwar einen von Menschen interpretierbaren Verweis intendieren, aber er konstruiert einen materiellen Gegenstand, also etwa eine pixelmässig geordnete Graphitkonstruktion (Zeichenkörper), die häufig auf einem Textträger, beispielsweise auf Zeitungspapier oder auf einer Karteikarte aufgetragen ist (2.21). Wo ichText als Artefakt auffasse, interessiere ich mich nicht dafür, was der Text für wen bedeuten soll. Als Artefakt fungiert Text als Menge von Schaltern, mit welcher wir die Signale, die ins Auge des geneigten Lesers kommen sollen, steuern. Natürlich gilt das auch für die dissipativen Strukturen am Computerbildschirm; die leuchtenden Zeichen sind so materiell wie Graphitkonstruktionen (2.22).
Als deutender Beobachter erlebe ich meine Um-Welt gegenständlich. Ich nehme nicht Artefakte oder Systeme wahr, sondern Gegenstände, die mir etwas bedeuten, eine Blume, einen Hammer, ein Stück Brot. Ich sehe die Bedeutungen unmittelbar. Ich sehe nicht irgendwelche Pixelmuster und Gestalt-Formen, oder gar Konstruktionen und Funktionsweisen, die ich deuten müsste, sondern immerschon Gegenstände, deren Sinn mir durch meinen jeweiligen Handlungszusammenhang gegeben ist. Ich unterstelle Sinn und Funktion schon bevor ich wahrnehme. Ich erkenne - im Unterschied zu Bateson ohne zu wissen, wie - was Menschen hergestellt haben als Kultur und was sie nicht hergestellt haben als Natur. Und ich erkenne in jedem Stück Kultur die intendierte Funktion als Bedeutung des Gegenstandes. Weil ich mich dabei auch öfters täusche, bezeichne ich diese Art von Erkennen metaphorisch als Interpretation und die so entstehende Erkenntnis als Deutung.
Da ich in der Natur - in einem tautologischen Sinn - keine Intention erkenne, kann ich Bedeutung in diesem engeren Sinne nur in der Kultur finden. Die Bedeutung der Natur sehe ich durch einen zur Kultur analog gedachten Schöpfungszusammenhang, in welchem schlichtweg alles hergestellt ist und mithin eine Bedeutung hat (2.23).
Artefakte sehe ich erst, wenn ich von der "Bedeutung" abstrahiere und nur noch das Hergestelltsein der Gegenstände in Betracht ziehe, was ich unter anderem dann mache, wenn ich an der Konstruktion und an der Funktionsweise eines Gegenstandes interessiert bin. Wenn ich in einem Artefakt primäre und sekundäre Energiekreise unterscheiden kann, bezeichne ich das Artefakt als System. Die Teile des Artefaktes, die auf Signale reagieren, bezeichne ich als Empfänger. Wenn ich meine thermostatengeregelte Heizung unter den Gesichtspunkten eines Systems betrachte, sehe ich dass Oel verbrennt wird, wodurch der Heizkörper warm wird. Ich sehe, dass der Oelbrenner mit einem Signal aus dem Themostat gesteuert wird. Ich sehe, dass dieses Signal mit einem Signal vom Thermometer gesteuert wird, und ich sehe, dass der Thermometer durch ein implizites Signal vom Heizkörper gesteuert wird, weil der Heizkörper das Thermometer beeinflusst. Jeder dieser kreiskausalen Energiekreise ist also primär und sekundär, in Abhängigkeit davon, wie ich hinschaue. Wenn ich diese Eneregieflüsse funktional als eine Heizung betrachte, weiss ich natürlich, welcher der Energieflüsse der primäre ist und welche Energieflüsse der Steuerung dienen. Eine Heizung muss Wärme produzieren, das ist ihr Sinn oder ihre Gegenstandsbedeutung (Holzkamp 1976) (2.24).
Im Handlungszusammenhang "Heizung" ist die Bedeutungen der Signale gegeben. Wenn das System konkret eine thermostatengeregelte Heizung ist, dann ist der Oelbrenner - der die primäre Energie Oel in Wärme umsetzt - Empfänger eines Signals, das vom Thermostaten gesendet wird. Der Oelbrenner brennt stärker oder schwächer in Abhängigkeit dieses Signals, deshalb sage ich, dass das Signal "Verbrennerleistung" bedeutet. Weil ich weiss, dass höhere Verbrennerleistung mehr Wärme erzeugt, sage ich auch, dass das Signal "heizen" oder "mehr Wärme" bedeutet.
Der Thermostat ist seinerseits Empfänger eines Signals, das durch den Sollwert des Themostaten gefiltert wird. Wenn der Thermostat aufgrund des empfangenen Signals die Heizung aktiviert, sage ich, das Signal bedeute "es muss geheizt werden" oder "relative Kälte der Heizkörper". Wenn der Thermostat die Heizung nicht aktiviert, sage ich, dass das Signal für ihn "nichts" bdeutet, oder es bedeute, er soll nichts tun. Wenn das Signal - für mich ! - beispielsweise 20 Grad Celsius repräsentiert, dann bedeutet das Signal für den Thermostaten mit einem Sollwert von 18 Grad "nichts", und für einen Thermostaten mit einem Sollwert von 22 Grad "heizen". Dasselbe Signal bedeutet also gegenteiliges in Abhängigkeit (des Zustandes) des Empfängers. Wenn der Theromstat überdies anhand eines Timers Tag und Nacht mit verschiedenen Sollwärmen unterscheidet, bedeutet dasselbe Signal unter den je gegebenen Bedingungen einmal "heizen" und einmal "nicht heizen". Die Funktion des Empfängers bestimmt, was das Signal bedeutet. Oder umgekehrt - im Sinne der "operationalen Semantik" -, wenn ich wissen will, was ein Signal bedeutet, muss ich schauen, was es im Empfänger bewirkt (2.25).
Ein Signal kriegt seine Bedeutung durch eine konstruierte Interpretation, respektive durch die Simulation einer konstruierten Interpretation (2.26). Weil die Struktur des Signals mittels einer analogen materiellen Struktur, die ich Zeichen nenne, erzeugt wird, sage ich verkürzt, dass der Empfänger - durch das Signal vermittelt - auf das Zeichen reagiert. Diese Vorstellung verwende ich beim Schreiben von Zeichen, weil ich mir nicht bewusst halten will, dass der Leser nicht die Zeichen, sondern die am Zeichen strukturierten Signale liest. Dann sage ich, dass das Zeichen dasselbe bedeutet, wie das am Zeichen erzeugte Signal.
Da wir als deutende Beobachter den signalstrukturierenden Gegenstand und nicht die Lichtwellen wahrnehmen, bezeichnen wir im Alltag auch die Gegenstände, etwa "Bahnsignale", die eigentlich Zeichen sind, als Signale. Umgekehrt, in derselben sprachlichen Verkürzung, erscheinen Zeichen statt Signale als steuernde Instanzen in der Kommunikation, wo jemand dem geschriebenen Text, statt den damit gesteuerten Lichtwellen Einfluss auf den Leser zuschreibt.
Wenn Bateson's Hund durch viele Tritte schon etwas auf die Stimmung seines Herrn konditioniert ist, reagiert er auf bestimmte Gesichtsausdrücke oder Worte genau gleich wie auf Tritte. In meinen Augen bedeuten die verschiedenen Signale für den Hund dasselbe, weil ich sehe, dass er gleich reagiert. Deshalb kann ich als Beobachter sagen, dass verschiedene Signalerzeuger dieselbe Bedeutung haben, oder dass der eine für den andern stehen kann. Dass es sich um verschiedene Signale handelt, ist auch für den Hund evident, die einen nimmt er mit den Augen oder Ohren war, die andern schmerzen mehr.
Signale die "bedeutungsmässig" für andere Signale stehen, heissen Symbole. Die Schallwellen, die ich als "Rose" höre und die Illusion, die ich mittels meiner Augen anhand einer wirklichen Rose erzeuge, symbolisieren sich gegenseitig so weit, wie ich als Empfänger gleich reagiere. Wenn ich mich auf einem Stadtplan orientiere, mache ich mit den Augen die Bewegungen, die ich mit meinem ganzen Körper in der Stadt machen würde. Insofern ist der Stadtplan ein Symbol für die Stadt. (2.27).
Damit ein Empfänger auf verschiedene Signale gleich reagieren kann, muss er für die Signale je eigenständige Sensoren besitzen - und diese Sensoren als solche auch wahrnehmen. Wenn eine Maschine auf "verschiedene" Signale gleich reagiert, dann handelt es sich nur in den Augen des Beobachters um verschiedene Signale, für die Maschine sind die Signale gleich. Die Bedingung für Symbole ist, dass verschiedene Signale trotz gleicher Reaktion als verschieden "erkannt" werden. Im sogenannten Multimediazeitalter werden immer mehr (Unterhaltungs-)Maschinen produziert, die auf verschiedenen Kanälen steurbar sind und deshalb als "symbolische" Maschinen bezeichnet werden. Spielzeugroboter, wie etwa der "Hund" des Elektronikkonzerns Sony (2.28), kann man in dem Sinne "dressieren" und "belehren", als man verschiedene Sensoren für Streicheln und Rufen auf teilweise äquivalente Reaktionen festlegen kann.
Von Kommunikation spreche ich, wo Signale interpretiert werden.
Diese Formulierung ist in einem gewissen Sinne tautologisch, denn Signale werden erst durch Interpretation eines "Empfängers" zu Signalen. Hier geht es darum, dass artefaktische Empfänger in dem Sinne Medien sind, als die Interpretation bei der Herstellung des Empfängers geleistet wird. Die sogenannte Mensch-Maschine-Kommunikation ist unter diesem Gesichtspunkt eine Mensch-Mensch-Kommunikation, wobei der eine Mensch mit der Maschine arbeitet, die der andere Mensch als Interpreter konstruiert hat. Nicht die Maschine, sondern deren Hersteller interpretiert.
Interpretationen stammen immer von einem Beobachter. AIs Interpreten kann ich mir nur Lebewesen vorstellen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sich eine Maschine täuscht. Interpreter sind Werkzeuge. Sie stammen deshalb von Menschen. Menschen und Tiere können aber Interpreter simulieren, was im Falle von Erfindungen antizipieren einschliesst. Ich kann mich wie ein Thermostat verhalten. Menschen machten das in gewisser Hinsicht schon immer, der Erfinder des Thermostaten hat dieser Hinsicht die artefaktische Begründung gegeben. Unter den Lebewesen gelten diejenigen als höher entwickelt, die mehr Werkzeugfunktionen simulieren können (3.0).
Ahnungslos, wie ich bezüglich der Tiere bin, vermute ich, dass sie Werkzeuge unbewusst simulieren, weil sie - soweit ich sehe - keine Werkzeuge herstellen. Wiener hat den Ausdruck "Tier" verwendet, wo er auf unbewusste Regelung im Menschen hinweisen wollte. Säuger - auch Menschen - regulieren etwa ihre Körpertemperatur zu einem grossen Teil unbewusst, sie verhalten sich wie thermostatengeregelte Heizungen, auch wenn sie nichts von Thermostaten wissen.
Ich sehe zwei Interpretationsmuster: die Mitteilung und den Ausdruck
...
Für das, was Bateson - in Uebereinstimmung mit dem Paradigma der Kommunikationswissenschaften - "Kommunikation" nennt, hat er mit dem von ihm getretenen Hund das beste Bild erfunden. Obwohl er seinen Hund in zwei - für Kommunikation entscheidend - verschiedenen Stärken tritt, will er in beiden Fällen dasselbe, er will den Hund los sein. Und natürlich gäbe es noch die ganz elegante Variante: er könnte seinen Hund mit allerhand Entschuldigungen - und impliziter Androhung eines Liebesentzugs - sprachlich bitten, wegzugehen. Auch dieser Fall wäre in Bateson's Terminologie kommunikativ, weil der Hund mit seiner eigenen Energie - vielleich depressiv statt agressiv - davon schleichen würde. Um zu verstehen, wie Bateson Kommunikation versteht, genügt es aber den Hund verschieden stark zu treten.
Als Kommunikation erscheint in Bateson's Beispiel neben dem Signalprozess und der "verstehenden Angleichung" - falls der Hund versteht -, ein im Paradigma mitgedachtes Motiv der Kommunikation, nämlich die Mitteilung. Bateson "kommuniziert" mit seinem Hund, weil er den Hund zu etwas veranlassen will (3.1). Die Kommunikation erscheint unter diesem manipulativen Gesichtspunkt als "leidlich gelungen", wenn der andere macht, was man gerne hätte - und ich halte einen Fusstritt in diesem Falle für eine überzeugende Mitteilung. Würde Bateson anstelle seines Hundes mich treten, müsste ich in der Sprache des Paradigmas - unabhängig davon, ob ich durch seinen Tritt wegfliegen würde - "entschlüsseln", was der Tritt wohl bedeuten mag, was also die Botschaft der "Nachricht" von Bateson sein könnte. Gemäss Schulz von Thun müsste ich dann erwägen, ob oder zu welchem Teil im Tritt eine Sache mitgeteilt wird, ob mit dem Tritt ein Appell verbunden ist oder die Klärung einer Beziehung vorgeschlagen wird, oder ob der Tritt Ausdruck einer Selbstoffenbarung des Tretenden ist. Auf Mitteilungen reagiert der "Empfänger" in diesem Sinne nicht mit einer Bedeutung schaffenden Handlung, sondern mit einer "rezeptiven" Deutung, was wohl die Mitteilung jenseits von ihm, quasi objektiv oder metaphysisch bedeuten könnte.
Ich weiss nicht warum, aber ich vermute, ich würde den Fusstritt richtig verstehen. Als kultivierter Besitzer einer thermostatengeregelten Heizung weiss ich natürlich auch, dass ein Thermometer die Ist-Temperatur misst und anzeigt. Diese "Bedeutung" wurde mir gemäss dem Paradigma der Kommunikationswissenschaften mitgeteilt und ich habe leidlich verstanden: Ich habe vor allem verstanden, dass ich mich wie ein Thermostat verhalten soll. Ich kann die Heizung in Abhängigkeit des Thermometers auf- oder zudrehen. Und wenn ich mich wie ein Thermostat verhalte, gebe ich dem Thermometer, respektive dem entsprechenden Signal natürlich auch dieselbe "Bedeutung", die das Signal durch den Thermostaten bekommen würde. Wenn ich teile, also ausführe, was mir mitgeteilt wird, dann ist die Bedeutung durch die Mitteilung festgelegt. Wenn man mir mitteilt, dass ich in Abhängigkeit des Thermometers die Heizung steuern soll, dann "konstruiert" man mich zum Thermostaten und gibt damit - durch mich - dem Thermometer die "Bedeutung", Wärme anzuzeigen. Mitteilen heisst in diesem spezifischen Sinn "Bedeutung" festlegen (3.2).
Im Paradigma der Kommunikationswissenschaften heisst diese Festlegung von "Bedeutung" Konvention. In der Konvention wird festgelegt, wie ein natürlicher "Empfänger" auf ein Signal reagiert. Der "Empfänger" wird - in der Sprache des Paradigmas - kultiviert: aus einen autopoietisch autonomen Naturgegenstand wird mittels Mitteilungen ein Kulturgegenstand "konstruiert", der auf ein bestimmtes Signal immer leidlich gleich reagiert und dadurch Verständnis zeigt. Bei Hunden spreche ich von Dressur, bei Kindern von Erziehung und Schule, bei jungen Männern von Militär. Heinz von Foerster nennt diesen Kultur-Prozess Trivialisierung, weil sich der kultivierte "Empfänger" wie eine triviale Maschine vorhersehbar verhält (3.3).
Wenn der im Paradigma beschriebene "Empfänger" sich an die Konvention halten würde, dann wäre er in der Tat wie eine Maschine. Meiner Erfahrung nach ist die Vorstellung eines solchen "Empfängers" trivial. Natürlich kenne auch ich beliebig viele Fälle, in welchen beispielsweise Wörter die von mir erwartete Reaktion auslösen. Ich kenne aber auch die Krise, die aus dem Nichts auftaucht und zeigt, wie alle vermutete Uebereinstimmung nur darauf beruhte, dass man nicht besser nachgefragt hatte. Und aus eben dieser Krise komme ich gesichert, dass beliebig gutes Nachfragen in guten Zeiten nichts nützt, wenn leidvoll schlechte Zeiten der Verständigung kommen. Dann nämlich war jedes Wort nochmals anders gemeint.
In schlechten Zeiten teilt der "Sender" mit, wie seine Signale zu verstehen sind. Wenn der Hund auf mehrere kommunikative Tritte in den absichtsvollen Augen des "Senders" nicht sinnvoll reagiert, bekommt er einen nicht nur kommunikativen Tritt. Konventionen sind immer durch Konventionalstrafen geschützt (3.4). Mitteilungen sind Ausdruck von Macht und mithin von mehr oder weniger gut versteckter Gewalt. Mitteilungen übersteuern den Empfänger, weil der Sender in der Mitteilung mitteilt, wie die Mitteilung zu verstehen ist. Das ist natürlich nur bei natürlichen "Empfängern" möglich, einer Maschine kann man nichts mitteilen. Wer ein Fahrzeug mit einem Antiblockierbremssystem hat, kann diesem System nicht nicht mitteilen, wie das Signal des Bremspedals interpretiert werden soll. Wer eine Theromostatenheizung hat, kann dem Thermostat nicht mitteilen, was das Signal aus dem Thermometer bedeutet. Man kann eine Maschine durch eine andere ersetzen und so das Signal anders interpretieren. Dazu muss man aber die je andere Maschine konstruieren, nicht überzeugen. Mitteilungen sind spezifische Befehle, die die Deutung der Mitteilung betreffen. Im "Befehl" ist die Ambivalenz der Konvention sichtbar. Befehl unterstellt immer die Möglichkeit der Befehsverweigerung und mithin die Auflösung der Konvention. Eine Maschine kann den Befehl nicht verweigern. Einer Maschine etwas zu befehlen wäre deshalb ziemlich idiotisch (3.5).
Der technologisch verstandene Empfänger hat keine Wahl. Der Konstrukteur des Artefaktes legt sich - in der Interpretation eines Signals - fest. Mir gefällt die Trivialität der Maschinen, ich bin froh, wenn die Räder beim Bremsen nie blockieren und das Wohnzimmer bei jedem Wetter sommerlich warm ist. Ich würde mich ärgern, wenn die Maschinen mal so und mal so "interpretieren" würden. Als Konstrukteur entscheide ich, welche Energien Signale sind und wie ich auf die Signale reagiere (3.6).
Als Konstrukteur meiner Autopoiese habe ich die Freiheit etwas als Mitteilung zu sehen. Der Empfänger entscheidet, ob ein Signal eine Mitteilung ist. Wo ich diese Wahl nicht mehr habe, herrscht Macht oder Gewalt, dort ist aber auch keine Konvention von Nöten. Wenn ich so getreten werde, dass ich wegfliege, brauche ich nicht zu verstehen, dass ich unerwünscht bin (3.7).
Wittgenstein sagt in seinem Tractatus: "Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt". "Wenn ein ethisches Gesetz der Form 'Du sollst ...' aufgestellt wird, dann ist der erste Gedanke: 'Und was dann, wenn ich es nicht tue?' Es ist aber klar, dass Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinne zu tun hat. Also muss die Frage nach den Folgen einer Handlung (die der aufgestellten Ethik zuwiderläuft) belanglos sein".
Wittgenstein - so lese ich seine Aeusserung - sagt, dass man Ethik nicht mitteilen kann - denn aussprechen kann man sie zweifelslos. Die Ethik, die er meint (3.8) , ist in der Autonomie des Subjekts begründet. Jede Mitteilung übersteuert diese Autonomie, die Mitteilung einer subjektorientierten Ethik erzeugt eine manifeste Paradoxie, indem sie von den Angesprochenen verlangt, dass man von andern nichts verlangen kann. Unter dieses Paradox fallen auch alle Varianten des von Kant lancierten ethischen Imperativs, wonach man andern nur zumuten soll, was man selbst nicht als Zumutung empfinden würde. Wenn ich den Imperativ als Mitteilung lese, dann schreibt er mir etwas vor - auch wenn ich die in ihm unterstellte Utopie des völligen Gleichsinns als Ende der Kommunikation begrüsse. Würden sich die Subjekte diesem Imperativ unterwerfen (subjectere), gäbe es niemanden mehr, der etwas besser weiss und das den andern mitteilen müsste (3.9). Wittgenstein's Auesserung kann ich auch "ethischer" interpretieren. Wenn jemand sagt "Du sollst ...", dann entbindet er den andern von jeglicher Verantwortung, das heisst er nimmt ihm seine Ethik ab (3.10). Die Mitteilung "Du sollst ..." konstruiert den Empfänger als Maschine, die als solche gerade nicht wollen und nicht verantworten kann.
Jede Paradoxie ist Folge einer Mitteilung (3.11). Paradoxien entstehen, weil der Sender in der Mitteilung mitteilen muss, wie die Mitteilung zu verstehen ist. Wenn man etwa das Alphabet einführen will, schreibt man alle Buchstaben. Dann muss man dazu sagen, dass es sich nicht um einen Text handelt, sondern um eine Liste der Textelemente. Um das zu sagen, muss man bereits über die Buchstaben verfügen, die man erst einführen will. Der Empfänger einer Mitteilung muss in einem bestimmten Zustand sein, damit er die Mitteilung auf der gemeinten Ebene interpretiert. In diesen Zustand muss er aufgrund von vorangehenden Mitteilungen gelangen, die wiederum ihrerseits einen Zustand im Empfänger voraussetzen. Man kann anstelle von einer Paradoxie auch von einer unendlichen Verschachtelung (reductio ad infinitum) sprechen, in welcher dem Empfänger auf einer Ebene mitgeteilt werden muss, wie er die andere Ebene zu lesen hat (3.12). Klassische Paradoxien, also solche, die man bewusst als Paradoxien formuliert, spielen damit, dass die Mitteilung gleichzeitig auf der Objektebene und auf der Metaebene interpretiert wird und so zu einem Widerspruch führt. Wenn ein Kreter sagt, dass alle Kreter lügen, muss der Empfänger der Mitteilung entweder zuerst die Mitteilung auf der Objektebene, also den Inhalt der Aussage für-wahr-nehmen, dann kann er danach aber dem Kreter nicht glauben, weil er dann glauben muss, dass auch dieser Kreter lügt, oder er muss zu erst die Metamitteilung wahrnehmen, dass alle Kreter lügen, dann kann er nicht glauben, dass alle Kreter lügen, weil die Metamitteilung von einem Lügner stammt. Jede Hälfte der Mitteilung übersteuert den Interpretationsmechanismus so, dass die andere Hälfte der Mitteilung nicht interpretiert werden kann (3.13).
Die im Paradigma der Kommunikationswissenschaften vorgeschlagen Lösung der Mitteilungsproblematik lautet: Man kann eine Mitteilung verstehen und gleichzeitig anderer Meinung sein. So kann man die Kreterparadoxie einfach als Paradoxie "verstehen" und gleichzeitig verstehen, dass man sie nicht verstehen kann. Wenn man das Wesen der Paradoxie verstanden hat, kann man jede Mitteilung als Paradoxie verstehen; durch Mitteilungen hindurch erscheint die ganze Welt paradox, weil man sie immer auf mehreren Ebenen verstehen muss, was aus dialektischen Gründen kaum widerspruchsfrei gelingt. Raucher beispielsweise, die vierzig Mal am Tag sinnenhaft belegen, dass sie nicht glauben, dass Rauchen der Gesundheit schadet, können paradoxerweise ohne weiteres verstehen, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Im Kommunikationsparadigma wird dem Rezipienten von Mitteilungen vorgeschlagen, Mitteilungen in Sach- und Beziehungsbotschaft aufzutrennen und je separat zu verstehen, weil es Sender gibt, die nur auf der Sachebene Recht haben wollen, und andere die nur ihren Appell durchsetzen wollen. Der reinen Anti-Raucher-Wissenschaft, die dem ist-Zustand, nicht dem soll-Zustand verpflichtet ist, ist gleichgültig, ob wir rauchen oder nicht, aber sie setzt mit allen Mitteln durch, dass wahr ist, dass Rauchen schädlich ist. Der Anti-Raucher-Polizei, die ein Rauchverbot durchsetzt, ist gleichgültig, ob Rauchen schädlich ist, deshalb dürfen wir dort nicht rauchen, aber ohne weiteres behaupten, Rauchen sei ungefährlich. Die Mitteilung, die die Zigarettenindustrie auf allen Verpackungen reproduziert, verlangt vom Empfänger nur, dass er die Mitteilung - unabhängig davon, ob er raucht - auch reproduziert. Dass die Mitteilung genau so interpretiert werden muss, ist der Mitteilung selbst nicht anzusehen. Was der Sender dieser Mitteilung will, kann man nur daran erkennen, dass der Mitteilung zu widersprechen im Unterschied zum Rauchen ziemlich hart sanktioniert wird (3.14).
Mit diesem Rezeptionsverhalten kann man alle Widersprüche innerhalb der Mitteilung auflösen, aber natürlich nicht die Mitteilung als solche, die einen immer zwingt, sich mindestens auf einer Ebene zu fügen - falls man dem Fusstritt nicht eine machtvollere Mitteilung entgegensetzen kann. Ein Signal als Mitteilung zu verstehen ist (fast) dasselbe, wie einen Hund zu treten. Mir passiert das häufig - aber nur in der Not, in welcher ich mir einbilde, die Bedeutung der Signale würden nicht durch mein Handeln entstehen.
1) Natürlich darf die Sonne auch im Zentrum bleiben. Und natürlich werde ich vorschlagen, dass jeder Mensch im Zenturm der Welt steht. Ein logisches Bild für die Nichtentscheidbarkeit des Zentrums ist die 2-dimensional gesehene Oberfläche einer Kugel. Jeder Punkt der Oberfläche hat die gleiche Berechtigung in der Mitte zu sein.
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Ich nenne hier einige Texte, in welchen Sie etwas mehr über die Voraussetzungen meiner Vorstellungen nachlesen können. Ich arbeite aber auch laufend an eigenen Texten, die Sie unter meinen Publikationen finden.
2) Etwas ausführlicher unter Die 2. Ordnung
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3) Das seit dem Idealismus herrschende Ideal von Wissenschaft hat einen raffinierten Umgang mit der dort wieder eingeführten Unterscheidung zwischen Physik (Naturwissenschaft) und Metaphysik.
Beide Gebiete zählen zur Wissenschaft, obwohl es in der Naturwissenschaft keine Selbstbezüglichkeit gibt, weil ihr Gegenstand wehrloses Objekt ist, während es in der Metaphysik nur Selbstbezüglichkeit gibt, weil dort der Beobachter immer über sich und vermeintlich seinesgleichen spricht.
Logik (und Mathematik) gehört zur Metaphysik, was sich Mathematikern wie Gödel und Russel darin zeigt, dass die Selbstbezüglichkeit nicht ohne Gewalt auszuräumen ist. Einfachere Gemüter wie ich zählen Logik zur Metaphysik, weil sie in der Natur keine Logik, oder keine andere Logik als die eigene sehen können. In der Wissenschaften, die sich mit der Natur befassen, wird schiesslich nur gerechnet, keine Logik betrieben.
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4) Ich werde später genauer sagen, was ich meine, wenn ich sage, dass ein Ausdruck für andere Ausdrücke steht. (Das Sprachspiel der Hyperkommunikation).
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5) Kant schreibt: "Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten,.. " (1966:28). Er schreibt aber nicht, wer das bisher angenommen hat.
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6) Jede Kopenikanische Wende ist auch eine Wende im Sprachgebrauch. Die "Bedeutung" aller Ausdrücke ändert sich. Die Wende kann also nur gelesen werden, wenn sie bereits geschehen ist, weil die neue Sprache nur in der neuen Sicht Sinn macht.
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1.1) Die Entdeckung ist natürlich reflexiv. Gray stellte die Mönche auf, damit sie rufen. Dann entdeckte er, dass sie rufen.
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1.2) Die dialektische Synthese erscheint als Medium. In einschlägigen Diskussionen wird immer postuliert, dass das Medium gegenüber den Mitteilungen wertfrei sei - oder aber, es wird gar behauptet, das Medium sei die Mitteilung (Mc Luhan). Manche Zeitungsverleger verstehen sich als Medium, manche ihre Zeitung, mache die Sprache, die sie in der Zeitung verwenden - und viele verstehen gar nicht, was Medium bedeuten soll.
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2.1) Ich verwende dabei ein argumentatives Verfahren (Todesco 1992:212), das ich später als Wesen meines Konstruktivismuses reflektieren werde. Die generelle Idee, dass wir mittels Mechanismen verstehen, ist auch in "Hypertext oder Was heisst Konstruktion im konstruktivistischen Diskurs?" erläutert.
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2.2) Keil-Slavik kritisiert die "Im-Prinzip-Redeweise" zurecht, wo jemand sich einbildet, er hätte das Internet im Prinzip verstanden, weil er die Hanfschnur von Gray verstanden hat. Hier ist das umgekehrte gemeint: wer das Internet verstanden hat, hat das Prinzip verstanden, das implizit auch in der Hanfschnur vorhanden ist. Verstehen heisst konstruktiv explizit machen (können). Die entwickelte Technik lässt mich die unentwickelte Technik verstehen, so wie ich in der Anatomie des Menschen den evolutionären Schlüssel zum Verständnis der Anatomie der Tiere (er)finde.
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2.3) Natürlich bestimmt die Wahl des Systems, ob ein Enregiekreis primär oder sekundär ist. Häufig steuern sich Energiekreise gegenseitig. Die Wahl des Systems ist funktional. Wenn ich die Funktion des Systems kenne, weiss ich, welche Energie primär ist und welche der Steuerung dient. Ich habe diese Technologie im Buch Technische Intelligenz ausführlich dargestellt.
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2.4) Auf der Ebene des Codes ist klar, dass wir nur in einer Sprache sprechen können, die der andere versteht. Und natürlich kann man am Telefon nichts (Sinnvolles) hören, wenn man Fax-Signale statt eines Anrufes empfängt.
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2.5) Das Trommelfell im menschlichen Ohr beispielsweise schwingt keineswegs mit den Schallwellen in der Luft, es ist so "konstruiert", dass es bei "lauten" Schallwellen eine andere Uebersetzung verwendet. Bei lauten Geräuschen spannt sich das Tommelfell, bei leisen Geräuschen entspannt es sich. Die Schwingungen werden entsprechend interpretiert. Der konstruktive Aufwand dieser Membran ist beträchtlich und nur ein technologischer Banause wird zwischen den Schwingungen des Trommelfells und den Schallwellen in der Luft keinen Unterschied machen.
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2.6) Auch wenn die Neurowissenschaftler nicht aufgeben, nach dem sogenannten Grossmutter-Neuron zu suchen. Das Grossmutter-Neuron ist eine Stelle im neuronal gedachten Hirn, die wenn sie aktiviert wird, dem jeweiligen Besitzer des Hirns dessen Grossmutter zeigt. Natürlich gilt die hier vorgetragene Vorstellung, dass es keine Leitung von Hirn zum "Ich" gibt, nur solange, bis das Grossmutter-Neuron gefunden wurde. Danach habe ich mich mit meiner Aussage lächerlich gemacht.
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2.7) "Innerhalb des Systems" bedeutet - in der Abbildung sichtbar - innerhalb des Transmitters (Sender-Empfänger-System). Quelle und Senke gehören dazu, die telefonierenden Menschen nicht. Natürlich kann man die Systemgrenzen so legen, dass die Menschen wie die Telefonapparate Bestandteile des Transmitters werden.
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2.8) Die verdoppelte Verwendung des Ausdruckes Interpreter für den Mechanismus und für die Bedeutung führt im Paradigmazu einer klassischen Paradoxie, die etwa in der Frage "Wer interpretiert das Programm, das alle Programme interpretiert?" zum Ausdruck kommt (Vgl. Todesco: Interpretation).
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2.9) Täuschen kommt von Vertauschen. Täuschen kann ich mich nur im Nachhinein. Ich täusche mich genau dann, wenn ich im Nachhinein die Zuordnungen vertauschen würde (Vgl. Maturana: Explanation and Reality).
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2.10) Heinz von Foerster spricht an verschiedenen Stellen von der undifferenzierten Kodierung im Nervensystem (u.a. 1993:56 (Wissen und Gewissen)). Damit ist gemeint, dass die Nervensignale keinen Hinweis auf die Art ihrer Verursachung enthalten.
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2.11) Zur Physik: Natürlich wird ein Fahrzeug nicht mit der Energie des Fahrzeugführers gebremst, sondern mit der Wärme, die an der Bremsscheibe erzeugt wird. In diesem - impliziten - Sinne lässt sich auch eine normale Bremsanlage kommunikativ verstehen. Hier geht es aber um explizite Konstruktionen wie das ABS.
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2.12) Im Alltag verwende ich den Ausdruck "Interpretation" meistens quasi negativ, um auszudrücken, dass "falsch" interpretiert wurde. Dabei beziehe ich mich meistens auf die Interpretation der Bedeutung, nicht auf die Interpretation der Energie.
Auf der Ebene der Bedeutungsinterpretation macht Schmidt (1987:68) einen subtilen Vorschlag: Die Literaturwissenschaft müsse auf Interpretationen verzichten, nicht aber jeder individuelle Leser. Interpretieren ist also schon erlaubt, aber es ist nicht wissenschaftlich und wird der Kunst nicht gerecht. Mehr dazu in: Hyperkommunikation: Schrift-Um-Steller statt Schriftsteller.
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2.13) Das bildet die Grundlage der konstruktiven Sprachauffassung (Operationale Semantik (Wittgenstein)). Man kann Interpretationen konstruieren, die als Maschinen "denselben Input in denselben Output verwandeln", resp. ich kann Transmitter simulieren und deshalb auf bestimmte Wörter immer gleich reagieren - wenn ich will.
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2.14) Bei kommunizierenden Röhren kann ich diese Instanzen nur unter so grosser Abstraktionskraft erkennen, dass ich nur noch metaphorisch von Signalprozessen sprechen kann. Und wenn Menschen harmonieren - resektive wie ich später erläutere, hyperkommunizieren -, statt wortreich um Vorteile zu streiten, kann ich auch keine Transmitter erkennen.
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x2.15) Die Systemgrenzen werden durch den Beobachter festgelegt. Die industrielle Produktion zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitenden zum Produktionsmechanismus gezählt werden, der dem Kapital gehört. Das System produziert als Blackbox die Ware, ob Roboter oder Arbeiter im System sind, spielt in dieser (Black)-Sicht keine Rolle.
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2.16) Flusser postuliert neben Text und Bild das Technobild, das durch Apparate erzeugt wird und in der Rezeption eine eigenständige Logik braucht. In der Hyperkommunikation ist die Rezeptionslogik unwichtig.
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2.17) Der Ausdruck "digital" hat sich für diese Technik eingebürgert, obwohl er einen ganz anderen Sachverhalt als binär oder diskret bezeichnet (ausführlich in Todesco 1992:39). Damit ist der Ausdruck auch zu einem guten Beispiel für die "Lebendigkeit" der Sprache geworden: wenn ein Ausdruck genügend oft ganz falsch verwendet wird, wird diese Verwendung des Ausdrucks richtig, wobei "richtig" hier bedeutet, dass sich Wörterbücher wie der Duden anpassen.
Die operationale Semantik, die dieses Phänomen im Kontext von Mitteilungen beschreibt, muss natürlich auf das Konzept der Metapher verzichten, weil die Bedeutung der Wörter völlig beliebig wird (ausführlich in Todesco 1992:192).
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2.18) An den sogenannten Mensch-Maschine-Schnittstellen, etwa am Computerbildschirm und auf der Tastatur, benutzen wir natürlich Zeichen aus dem je üblichen Alphabet, weil wir mit diesen Zeichen gut umgehen können.
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2.19) Eine Art Zwischending bilden analoge Rechner, die verschiedene Signale - allerdings nur analog - unterscheiden. Mit neuronale Netzwerken können wir höherentwickelte Signale wie Gestalten oder Muster verarbeiten, bislang sind wir aber mit seriellen Prozessoren weit erfolgreicher. Turing hat die Aequivalenz von seriellen und neuronalen oder parallelen Signalprozessen gezeigt: sie lassen sich gegenseitig simulieren.
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2.20) Ich schreibe hier nur über Text, weil Texte aus knapp einhundert einfachen Zeichen sehr einfach konstruiert sind. Auch mit Bildern und Zeichnungen (und auch Technobilder) strukturieren wir Signale, analoge Zeichen sind aber viel komplizerter aufgebaut.
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2.21) "„Konstruktion" heisst sowohl der Prozess, in welchem Artefakte zu einem Artefakt höherer Ordnung zusammengefügt werden, als auch das Produkt, das aus diesem Prozess hervorgegangen ist. Anschauliche Beispiele sind Konstruktionen aus Stahlträger wie etwa der Eifelturm. Die innerste Formgebung, etwa das Herstellen eines Bleches oder eines Stahlelementes, das beim Konstruieren verwendet wird, heisst nicht konstruieren. Konstruieren ist konventionellerweise mit der technischen Zeichnung verbunden, die Form der elementaren Konstruktionselemente wird auf technischen Zeichnungen impliziert. Natürlich ist auch die Form von Blechen oder von Profilen konstruktiv bestimmt, sie wird über Konstruktionszeichnungen von Blech oder Profilproduktionsmaschinen definiert (Todesco 1992, S. 197).
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2.22) "Dissipativ" heisst eine Struktur, die wie etwa die Struktur einer Kerzenflamme - oder eben Zeichenkörper am Bildschirm - nur durch Aufnahme von Energie erhalten bleibt. Graphitzeichen sind in dieser Terminologie konservative Strukturen, die sich - von Entropie ab-ge-sehen - nur unter Energiezufuhr auflösen.
Lochkarten sind ein Beispiel für konservative Textstrukturen, die ohne Trägermaterial auskommen, weil die Materialität des Textes selbst für die vorgesehene Verwendung stabil genug ist.
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2.23) Natürlich ist auch die Autopoiese eine Herstellung, nur der Schöpfer ist selbstreferentiell. Maturana nennt Lebewesen Maschinen, weil er deren Konstruktion und Funktionsweise untersucht.
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2.24) Sinn machen Systeme nur für einen ausserhalb des Systems stehenden Beobachter. Das war die zentrale Kritik der kritischen Soziologie an der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie, die dazu führte, dass der Beobachter explizit in die Systemtheorie eingeführt wurde. Jedes System 1. Ordnung beruht auf einer funktionalen Festlegung des Beobachters.
Luhmann "rettet" seine von Parson übernommene absolute (beobachterfreie) Systemtheorie, mit einer für seine Bedürfnisse angepasste Autopoiese. Seine Argumentation bleibt aber nach wie vor motiviert: die Systeme, die er behandelt, sind die etablierten Herrschaftssysteme Religion, Recht, Kunst usw.
In der Autopoiese, wie sie von Maturana vorgeschlagen wurde, ist der Beobachter explizit, was Maturana im Unterschied zu Luhmann anschlussfähig macht an die Systemtheorie 2. Ordnung, in welcher der System-Beobachter (der in der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie gar nicht vorhanden ist) zum System wird.
Die kritische Soziologie (Frankfurter Schule) war sich der Dialektik, in welcher sie argumentierte, nicht bewusst. Sie reklamierte zwar den fehlenden Beobachter, verstand sich selbst aber auch nicht als Beobachter, weshalb sie Werte und Wertfreiheit diskutierte.
Interessant wäre hier die Kritik von Haug/Holzkamp an der Frankfurterschule. Holzkamp näherte seine Position zunehmend stärker dem subjektbetonten Konstruktivismus an.
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2.25) Ich weiss, was ich gesagt habe, erst wenn ich die Reaktion des andern sehe.
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2.26) Im Konstruktivismus ist im Anschluss an Piaget von mentalen Komnstruktionen die Rede, wenn gemeint ist, dass ein Mensch eine Konstruktion simuliert. Vgl Hypertext oder Was heisst Konstruktion im konstruktivistischen Diskurs?
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2.27) Ich will hier nicht auf die Variation von Symboltypen eingehen. Zur gemeinen Vorstellung, das Symbole eindirektional sind, macht Spencer einige Anmerkungen.
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2.28) Nachdem die Tamagochi so erfolgreich verkauft wurden, setzen japanische Elektronikkonzerne - allen voran Sony - auf künftige Märkte für gut haltbare und stets folgsame Haustiere. Dabei geht es nicht - wie beim Klonen - darum, die Natur zu kopieren, sondern darum bestimmte Funktionen, die wir zur Zeit auf Naturgegenstände proijzieren, artefaktisch zu realisieren.
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3.0) Das ist natürlich eine sehr menschenzentrierte Sicht, weil ja nur die Menschen Werkzeuge herstellen.
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3.1) Flusser sagt, dass Kommunikation anti-natürlich sei (1998:247ff), weil sie dem Naturgesetz der Entropie widersprechend ein Zunahme der Ordnung erzeuge. Deshalb könne die Kommuinikation naturwissenschaftlich nicht begriffen werden. Man müsse nach dem Motiv fragen - und man werde immer Absicht finden.
Die Argumentation von Flusser ist sehr eigenwillig. Die negative Entropie belegt er mit der Kreide an der Wandtafel, also im Bereich der materiellen Zeichen, wo sie sich "naturwissenschaftlich ganz sicher" nicht zeigen lässt. Dann versteht er "Entropie" nicht als ein von Menschen geschaffenes Gesetz, also als eine Beschreibung der Natur, sondern als etwas, was in der Natur selbst ist. Die Natur muss dazu allerdings um die natürlichste Sache, nämlich um die Kommunikation gekürzt werden.
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3.2) In der Melancholie von Flusser dient das Mitteilens der Verdrängung der eigenen Sinnlosigkeit. Flusser sagt (in beharrlicher wir-Form), dass er und die Welt objektiv sinnlos seien. Weil er sich damit nicht abfinden kann ("Je ne peux pas vivre ..."), versucht er andere Menschen mitttels Mitteilungen - quasi konstruktiv - auf eine bestimmte Ordnung festzulegen, in welcher er Sinn erkennen kann (1998:259f).
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3.3) Die Unterscheidung triviale und nicht triviale Maschine sugeriert entweder, dass Lebewesen Maschinen sind (was Maturana vorschlägt) oder dass wir im artefaktischen Sinne auch nicht-triviale Maschinen konstruiere. Ich verwende den Ausdruck "Maschine" inhaltlich gebunden für Artefakte, und die sind immer trivial, wenn sie nicht gerade kaputt, also in der intendierten Funktionsweise gestört sind.
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3.4) Die Rechtschreibereform zeigts. Wer sich nicht an die unsägliche Konvention hält, schreibt falsch und wird bestraft, oder ist mächtig wie die grossen Zeitungen.
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3.5) In der antropomorphiserende Sprache der Informatiker tönt es freilich anders: Wenn Informatiker eine Maschine programmieren, teilen sie ihr mit, wie sie sich verhalten soll. Sie nennen ihre Mitteilungen sinnigerweise Anweisungen oder Befehle.
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3.6) Im Radikalen Konstruktivismus ist jeder der Konstrkuteur seiner Welt. Ich lese das so, das jeder für sich festlegt, wie er welche Signale interpretiert.
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3.7) Krieg bedeutet zunächst Aussetzung aller Konvention. Die Genfer Konvention zeigt, dass jede Konvention auch nach oben rekrusiv ist. Wer Macht hat, kann konventionieren, dass seine Konvention Konvention ist. Am Verbot von bestimmten Kriegshandlung zeigt sich die Absurdität von Mitteilungen am deutlichsten. Wieso sollte jemand, der Krieg führt, teilen, was ihm mitgeteilt wurde?
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3.8) Gesetze in der Form "Du sollst ..." gehören zur Moral nicht zur Ethik. Wittgenstein verzichtet auf diese Unterscheidung, eigentlich plädiert er für eine autonome Moral, die dem Einzelnen subjektiv gegeben ist und deshalb andern nicht vorgeschrieben, also auch nicht mitgeteilt werden kann. Ethik lässt sich demgemäss verstehen als Mitteilung über die Moral.
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3.9) Insbesondere könnte auch kaum jemand jemand andern anstellen, weil die Anstellung immer ein einseitiges Verhältnis ist. In einer von mir explizit ausgesprochenen Ethik (Walden III)
erläutere ich die Konsequenzen des von mir ethisch gemeinten Ausdrucks "Ich stellen niemanden an".
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3.10) Das gilt natürlich nur dem Wortsinn nach. Dass man die Wörter beliebig versteht, zeigen die sogenannten Ethikkommisionen, die überall erproben, welche Konventionen sie durchsetzen können. Die Mauerschützenprozesse zeigen, dass Soldaten, die auf Befehl hin geschossen haben, unter der neuen Herrschaft der Sieger zur Verantwortung gezogen werden. Umgekehrt wird der Präsident der Siegermacht auch bei eklatantem Meineid nicht zur Rechenschaft gezogen.
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3.11) Die Paradoxie erscheint später in anderer Form als Hyper-Paradoxie.
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3.12) Flusser sieht in dieser Bodenlosigkeit die letztliche Sinnlosigkeit seines Lebens, die er verdrängt, indem er - wider besseres Wissen - so tut, als ob Konventionen Sinn stiften könnten (254).
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3.13) Vgl. auch Lügen alle Kreter? Eine konstruktive Lösung der Kreter Paradoxie.
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3.14) Ein Volksschullehrer darf rauchen, so viel er will. Er darf aber keinesfalls in der Schule erzählen, dass Rauchen ungefährlich sei.
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Literatur