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Das Homonym "Medium" wird für sehr verschiedene Vorstellungen in oft sehr diffus gesehenen "Vermittlungszusammenhängen" verwendet. Ich rekonstruiere einige mir gängige Verwendungen des Ausdruckes, indem ich sie als Metaphern interpretiere. Als Ausgangspunkt der Metaphern wähle ich pseudo-etymologisch begründet den "Äther", den Aristoteles als Quintessence, also als das, was hinter allem ist, einführte. Im anschaulichsten Fall ist das Medium ein "Material", in welchem eine "Wirkung" weitergegeben wird [ ].
meine "Medien"

Medium in der Wellenträger-Metapher (Beispiel Schallwellen: Luft als Medium)
In der technologischen Perspektive der Kybernetik bezeichne ich den "Träger" eines Energieflusses als Medium. Luft ist beispielsweise das Trägermaterial, in welchem sich (Schall)Wellen fortpflanzen, was durch einen entsprechenden Empfänger wie etwa das Ohr als Übertragung von Schall interpretiert wird. Das Ohr ist am Schall interessiert, die Luft ist nur Mittel zum Zweck oder eben Medium.
Die Welle erscheint als Energiefluss, der gehörte Schall ist die Wirkung, die sich auch als Schwingung einer Membran zeigen kann. Die Äther-Energie-Vorstellung ist eine primitive Abstraktion dieses Verhältnisses.

Medium in der Kanal-Metapher (Beispiel: Telefonsignale: Leitung/Kabel als Medium)
Beim Festnetz-Telefon fliessen die Signale durch einen Kupferdraht. Das Kupfer ist also Trägermaterial der "elektrischen Wellen".Technologisch bezeichne ich den Draht als Kanal und das Kupfer als Medium der Signale. In der Metapher erscheint die Leitung anstelle des Materials der Leitung als Medium, weil die Leitung für Kanal und Material steht. Die Signale fliessen in der verkürzten Redeweise durch das Kabel statt durch das Kupfer.

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Flusser (:271) fragt: Was ist das Medium im Falle des Telefons: die Drähte oder die Sprache. Er kann sich nicht entscheiden und verwirft die Frage. Dann beantwortet er die Frage: Was ist ein Medium? Medien sind Strukturen in denen Codes funktionieren. Leider bleibt unbestimmt, was Codes sind, so dass sie in Strukturen funktionieren können.

Medium in der Metapher der elektrischen Massen-Medien (Beispiel: "Äther" als Medium für Radiosignale)
Beim Radio (das in der Entwickling der Technik das Telefon als Konzertübertragungsmittel abglöst hat) entfällt die Leitung, aber nicht das Sender- und das Empfängergerät. Das Radio ist ein Telefon ohne Kabel. Die Leitung erscheint als - gedachtes - Trägermaterial der Radiowellen, der Kanal erscheint als - gedachte - Verbindung zwischen Sender und Radiogerät. Weil überdies ein Vielzahl von Radiogeräten gespiesen werden können, wird der Kanal zum Massenkanal. In der Metapher erscheint die Menge der Kanäle als Medium. Radio heisst dabei nicht das Radioempfangsgerät, sondern die Institution, durch die die Radiosignale fliessen. Und weil sich Radio an die Massen richtet, spreche ich in dieser Metapher von einem Massen-Medium.
Die Signale fliessen in der verkürzten Redeweise durch die "massenhafte Verbindung" zwischen elektrischen Geräten, die Radio genannt wird, statt durch den Äther.

Medium in der Metapher der gedruckten Massen-Medien (Beispiel: "Zeitung" als Medium)
Das gesprochene Wort fliesst als Schallwelle durch die Luft. Das geschriebene Wort "fliesst" mit dem Brief oder mit der Zeitung zum Leser. Natürlich fliesst die Zeitung nicht, sie wird vom Postboten getragen. Die Zeitung wird durch eine Analogie zum Radio zum Medium, die darauf beruht, dass die Institutionen durch Redaktionen bestimmt sind. Massenmedien sind Massenmedien, weil sie Redaktionen haben. Der Ausdruck Massenmedium wird dabei zum Eigenname jenseits des Begriffs Medium. Aber natürlich fliesst auch bei der Zeitung ein Signal durch den Äther, der Text muss nämlich vom Zeitungspapier vor den Augen in die Auge des Lesers kommen.
In der Metapher, die eine Zeitung zum Medium macht, wird ganz viel verkürzt, was darin seinen Ausdruck findet, dass auch die Schrift als Medium bezeichnet wird.

Medium in der Schrift-Metapher
Wo von Schrift die Rede ist, ist oft Text gemeint, also Geschriebenes. Das geschriebene Wort steuert das Licht in den Augen des Lesers. Nicht der Text (etwa die Druckerschwärze der Zeitung) fliesst in die Augen des Lesers, sondern Licht. Ich sehe beim Lesen aber nicht das Licht, sondern die Buchstaben vor meinen Augen. In diesem Sinne wird die Schrift zum Medium anstelle der Lichtwellen im Äther, die durch die Schrift gesteuert werden.
Die Zeitung trägt die Schrift zum Leser, die Schrift steht als Medium für verdrängte Signale, die ins Auge fliessen.

Medium in der Sprache-Metapher
Schrift erscheint neben dem gesprochenen Wort als Repräsentant von Sprache, wodurch Sprache als Medium erscheint, wenn man hinreichend abstrakt beobachtet und sich unter Sprache nichts mehr vorstellt als gesprochene und geschrieben Worte.
In der Metapher, die Sprache zum Medium macht, wird Sprache anstelle von Schrift und anstelle des Schalls des gesprochenen Wortes gesetzt. Durch die Sprache werden die sich ausbreitenden Schallwellen und Radiosignale, die durch den Äther fliessen, als Nachricht oder Mitteilung gedeutet, wobei die Signale Symbole, also Worte repräsentieren. Und wo die Unterscheidung zwischen den Signalen und ihrer Symbolhaftigkeit aufgehoben wird, erscheint in der Metapher das Medium nicht als Signal, sondern als Symbol. Das Wort ist das Medium der Mitteilung.

Medium in der Computer-Metapher
Computer sind elektromechanische Geräte, die der Symbolproduktion dienen. Der Bildschirm fungiert wie eine Zeitung als Übertragungsmaterial von Zeichen und wird deshalb als Medium gesehen. Die Signale vom Bildschirm ins Auge des Benutzers fliessen, sind durch Signale bestimmt, die den Bildschirminhalt erzeugen. und diese Signal werden im Computer aufgrund von verhergehenden Eingaben berechnet. Der Computer vermittelt in dieser Metapher zwischen Ein- und Ausgaben und erscheint so als Medium, das von sich aus nichts beiträgt, sondern nur die Signale weiterträgt.

Medium in der Esoterik (Beispiel: Autor)
Den Ausdruck Medium verwende ich für Menschen, die zwischen Feinstofflichem und Stofflichem vermitteln. In der Esoterik wird der Überbringer als Medium (oder synonym als Kanal (Channeling)) bezeichnet.
"Autor" bedeutet ursprünglich autorisierter Stellvertreter des Schöpfers, also eine Art autorisiertes Medium, das für das Gesagte nicht eigentlich verantwortlich ist. Später oder emanzipierter schreibt der Autor selbst(bewusst), was andere wissen müssen, aber immer noch, weil er aufgrund seiner Kanäle autorisiert ist. Der Autor N. Luhmann schreibt: "Fast nichts stammt vom Autor ..."

Die Metapher wird also immer ver- oder entrückter, was dazu führt, dass so verschiedene Sachen wie Sprache, Zeitung und Luft als Medium bezeichnet werden. In den bisherigen Metaphern lässt sich - wie entrückt auch immer - der Äther noch als Träger von Wellen erkennen. Die Metapher entfaltet sich aber auch in eine andere Richtung. Nachdem erkannt ist, dass Radiowellen keinen Äther brauchen, der sie trägt, wird die Form der Radiowelle von der Radiowelle unterschieden.

Die (Äther-)Welle als Medium (Form anstelle von Materie und Energie)
Die Radiowelle wird so zum Träger ihrer eigenen Form und mithin zum Medium. Das Medium ist dabei nicht irgendeine Art von Material, sondern das Unsichtbare, nicht Wahrnehmbare, das die Form zulässt. Anstelle von Material, das die Welle zulässt, tritt die Welle, die eine Form der Welle zulässt. Das Medium übernimmt dabei den Platz von Material, das nicht gedacht werden will, weil nur die Form interessiert oder erscheint.

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H. Duerr erzählt die Geschichte der Physik wie folgt: Man wollte wissen, was Material jenseits seiner Form ist. Also zerlegte man das Material bis hin zum Atom. Das Atom war gedacht als materielles Element. Leider hat das Atom aber Teile, einen Kern und Elektronen, die nicht Atom heissen können, weil der Ausdruck für das Kleinste eben schon vergeben war. Dann aber machte die Quantenphysik ein spezielles Experiment, das zeigte, dass man nicht sinnvoll von einem "Kleinsten" sprechen kann, weil es irgendwie "verschmiert" ist also keinen scharfen Ort hat (Heisenbergs Unschärfe). Man muss nun von Wellen sprechen, aber Wellen sind eine Form. Man ist also wieder dort, wo man anfänglich weg wollte: Man wollte Materie jenseits der Form und hat nur Formen gefunden. []

Das Nichtbeobachtete als Medium (Die nicht-markierte Seite)
N. Luhmann formalisiert das Medium mittels G. Spencer-Brown's Pseudomathematik. Jede Beobachtung markiert eine Form durch eine Unterscheidung. Das, was nicht bezeichnet ist, ist zusammen mit dem, was bezeichnet ist, das Medium der Unterscheidung. Das Medium existiert nicht und trägt keinen Energiefluss. Medium bezeichnet ein durch eine Operation negativ bestimmtes Potential.
Innerhalb der Kommunikation beispielsweise wird etwas gesagt. Das Gesagte ist eine Wahl. Alles was auch gesagt werden könnte, ist das Medium des Gesagten. Hier geht es also nicht um Sprache oder Worte, sondern um das Nichtgesagte oder um die nicht markierte Seite der Form.

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“Ein Medium ist eine unbestimmte, aber bestimmbare Menge von Möglichkeiten, in ihm bestimmte Formen zu bilden. Nur die Form ist bestimmt, deswegen ist auch nur sie beobachtbar” (Baecker, S. 182).


 

siehe auch Medientheorie, Medienbrüche, Medium Platform.

Literatur, Links, Anmerkungen:

"Medium ist in diesem Sinne jeder lose gekoppelte Zusammenhang von Elementen, der für Formung verfügbar ist ( ... ). Das Medium muß (digital) eine gewisse Körnigkeit und (analog) eine gewisse Viskosität aufweisen" (Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, 1994:53)

Medien entstehen gleichzeitig mit ihren Formungen, ihre Elemente sind angewiesen auf Kopplungen (Luhmann 1994: 244"; Die Kunst der Gesellschaft 1995:167). Ein Beobachter kann dann .modaltheoretische Formulierungen verwenden«, um das Medium nachträglich von seiner konkreten Form zu trennen.

Der Unterschied zwischen Spencer Brown und Luhmann besteht hier darin, daß letzterer zusammen mit seinen Formen ein Medium entstehen läßt, das man nachträglich von ihnen tfeMen kann. Es deutet einiges. darauf hin, daß Luhmann diese Verschiedenheit darin sieht, daß Spencer Brown nur einen Beobachter zuläßt, er selbst jedoch mehrere.

So heißt es auch bei Heider, auf den Luhmann für die MediumIFormUnterscheidung zurückgreift: -Um auf etwas Anderes hinweisen zu können, muß das Zeichen diesem Anderen, dem Bezeichneten, enge zugeordnet sein. Das Zeichen muß auf etwas bestimmtes hinweisen, es darf nicht allein in der Welt stehen, es muß an Anderes gekopptlt sein, und zwar eindeutig an etwas bestimmtes Anderes. Diese Eigenschaften des Zugeordnetseins finden wir nun auch wirklich an den Mediumvorgängenc (Heider 1926: 120). Das heißt: Das Medium, das geformt wird, ist ein Bezeichnetes und der Form selbst äußerlich. Luhmanns Medi.,n sind d.,mg.,genüber -nicht etwa besond.,re Dinge, sie sind also auch nicht beobachtbar ( ... ), sondern sie lassen sich nur durch die Beobachtung von Formen erschließen. (Luhmann 1994: 181).

Noch mehr "Medien":
H. Meyer: Das wichtigste Medium im Unterricht ist der Körper des Lehrers (in: Schmitz, Handout, DGfS)
andere Mediendiskurse
Medienbaukasten-Theorie


“Medien” sind lose gekoppelte Mengen von Elementen unterschiedlicher Substanz (Materie, Geist, Leben, Sinn…), in die Dinge, Formen, Ideen, Handlungen, Institutionen eingeprägt werden können. Die Unterscheidung von Ding und Medium ersetzt Kants Unterscheidung von Vernunft und Ding an sich. Siehe Fritz Heider, Ding und Medium, Berlin 2005 [1926]; Niklas Luhmann, Erkenntnis als Konstruktion, Bern 1988."(D. Baecker)

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[F. Hoegl]
[http://homepages.uni-paderborn.de/winkler/medidef.html Medidefinitionen von Winkler]
[Dieter Mersch: Medium – Ding – Kunst (Arbeitstitel) ]
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