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umgangssprachliche Homonyme: Umgangssprachliche Verwendungen des Wortes Theorie, naive Theorie, Hypothese(nbündel), Alltagstheorie

Ich unterscheide Theorie und Theorien im Sinne von Objekt und Instanz. Theorien befassen sich normalerweise nicht mit Theorie, sondern mit der Plausibilisierung von Erklärungen.
Bekannte Theorien sind die biologische Evolutionstheorie und die physikalische Relativitätstheorie. Ausserdem gibt es sogenannte Erkenntnistheorien.

Hier behandle ich Theorie (den Begriff).
==> Mein Projekt Theorie, meine Theorie


Als Theorie bezeichne ich eine explizite Reflexion (Widerspiegelung) der Kategorien, die ich beim Beobachten von Sachverhalten verwende. Theorie ist mithin ein Resultat einer Beobachtung 2. Ordnung.
Theorie beschreibt die Anschauung (theorein), nicht das Angeschaute.

Beispiel:
Systemtheorie verwendet die Kategorie System, das heisst, dass alles, was beobachtet wird, als System beobachtet wird.
Dabei spielt keine Rolle, ob das Wort System in den beobachteten Beobachtungen verwendet wird, als Kategorie erscheint es in der Theorie.

Anmerkungen:
Jede Beobachtung 2. Ordnung ist theoretisch und beobachtet Kategorien. Von einer Theorie spreche ich aber nur, wenn hinreichend viele Kategorien so verbunden sind, dass sie eine Lehre reflektieren.
Umgangssprachlich ist gelegentlich von impliziten Theorien die Rede. Dabei wird unterstellt, dass sich Beobachtungen einer Theorie, die jemand im Kopf hat, zurechnen liessen. Darüber ist hier nichts gesagt. Hier ist mit Theorie ein Text gemeint.


 

Ein paar Erläuterungen am Fall der umgangssprachlichen Verwendung von "Theorie":

In Redeweisen wie "Theorie und Praxis" wird Theorie meistens für nicht adäquates und unvollständiges Wissen verwendet.

Als "gesunden Menschenverstand" bzeichne ich die Vorstellung, wonach ich meine Anschauung nicht reflektieren muss, weil ich die Wirklichkeit oder Tatsachen sehe.
Weltanschauung setzen anstelle von Theorie geteilte Wahrheiten.

Mit dem Ausdruck Evolutionstheorie wird sehr oft die Lehre bezeichnet, die C. Darwin zugerechnet wird. Diese Lehre beschreibt die Entstehung verschiedener Arten von Lebewesen, verkürzt, dass der Mensch vom Affen abstammt.
Diese Lehre ist keine Theorie im hier bezeichneten Sinn, sondern eine Beschreibung eines Sachverhaltes, die im Hinblick auf Kategorien beobachtet werden kann. Als Theorie bezeichne ich die Beobachtung der für die Lehre zentrale Kategorie einer Evolution. Ich würde die Theorie dann Evolution oder Evolutionstheorie nennen. Sie hätte nichts mit Lebewesen zu tun, sondern beispielsweise mit Mutation und Selektion. N. Luhmann beobachtet in seiner Evolutionstheorie - die ja keine Lebewesenarten beschreibt - die Triade "Variation, Selektion, Stabilisierung".
R. Stichweh [ ] bringt weitergehende Theorie, die bei N. Luhmann systematisch fehlt: Alle "Darvinismen" würden Elemente beschreiben, die konkurrieren und Reproduktionserfolg haben wollen. Wenn man die Elemente als Menschen begreife, werde es sozialdarwinistisch. Die entscheidende Frage sei, wie das Element gewählt werde. Die Elemente müssten beispielsweise Normen, Regeln, Kommunikationen oder Organisationen sein, dann drohe die Gefahr zum Sozialdarwinismus nicht.
Hier ist theoretisch entscheidend, dass die Wahl der Elemente als entscheidend beobachtet wird. Das ist eine Aussage der Theorie.

J. Piaget spricht von naiven Theorien, womit er Erfahrungen bezeichnet, die Erinnerungen an regelhafte Zusammenhänge, die aufgrund von Erlebnissen hypothetisch angeeignet wurden. Er meint damit also keine Theorie, sondern verallgemeinerte Anschaungen, die von Inhalten abstrahieren.
Mir ist nicht klar, wie klar die Sache für J. Piaget war (er definiert seine Wortverwendung praktisch nie.
Ein Beispiel ist das Saugen des Kleinkindes, das zunächst naiv (ursprünglich) passiert, aber vom Kind als Erfahrung verallgemeinert wird:
Wenn ich trinken will, muss ich saugen - egal woran.


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Verschiedene Anmerkungen

In der Wissenschaftstheorie (etwa beim theorielosen K. Popper) gelten oft auch auf Hypothesenbündel abgespeckte Beschreibungen als Theorien. A. Rapoport macht dazu einen präziseren Vorschlag: Theorie: Menge von theoretischen Aussagen, so dass die Fasifikation einer Aussage die ganze Menge betrifft. Beispiel: Ein defektes Rädchen in einer Maschine kann diese stoppen, nicht aber eine defekte Anzeige-Lampe. Nach Rappoport können theoretische Aussagen unter bestimmten Umständen falsifiziert werden. (Allgemeine Systemtheorie, 1988, 14)

Ingenieure entwickeln keine Theorien, sondern Methoden, weil ihre Konstruktionen nicht für etwas anderes stehen, also nicht(s) erklären sollen.

Kalküle sind keine Theorien, sondern Mechanismen: Wenn sie hergestellt sind, kann man damit rechnen, wenn sie nur beschrieben sind, dienen sie als Anweisungen beim Rechnen.

Etymologie:
Das Wort Theorie (griech 'theorein) steht für beobachten, betrachten, schauen; (theoría: das Anschauen, ''wörtlich:'' „die Schau des Göttlichen“, ''theos''; die Betrachtung oder Wahrnehmung des Schönen als moralische Kategorie) bezeichnete ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit durch reines Denken, unabhängig von ihrer Realisierung. Vermutlich deshalb wird der Begriff alltagssprachlich auch unbestimmt als Gegenteil] von Praxis benutzt.

Literatur:
J. Searle: Metapherntheorie (98ff). Ich glaube, Searle vermischt Theorie und Erklärung. Er macht einen fliessenden Übergang, der ihm kaum bewusst ist.

Zitate:

Eine interessante Variante gib N. Luhmann in „Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie“, wobei er schliesslich auch offen lässt, was er als Theorie bezeichnet: „Dieses Dilemma hat den Theoriebegriff selbst gespalten. Teils versteht man unter Theorie empirisch testbare Hypothesen über Beziehungen zwischen Daten, teils begriffliche Anstrengungen in einem weitgefassten, recht unbestimmten Sinne. Ein Mindesterfordernis ist zwar beiden Richtungen gemeinsam: Eine Theorie muss Vergleichsmöglichkeiten eröffnen. Im übrigen ist jedoch umstritten, durch welche Art von Selbsteinschränkungen man sich das Recht verdienen kann, sein Unternehmen Theorie zu nennen. Dieser Streit und diese Unsicherheit sind zugleich Wirkung und Ursache des Fehlens einer facheinheitlichen Theorie, an der man sich wie an einem Musterbeispiel, wie an einem »Paradigma« orientieren könnte. (Luhman, Soz.Systeme, 7)

und in KdG S. 440
.. von Praxis unterschieden wird, sondern von Erkenntnis auf Grund unmittelbarer Sinneseindrücke. Theorös ist, wer bei Festspielen als Gesandter zuschaut und daheim davon berichtet; oder wer aus Delphi mit einem Orakelspruch zurückkehrt. Theorie ist sozusagen Fernwissen (etwa Wissen, das Gesandte aus anderen Städten oder Ländern mitbringen und glaubwürdig bezeugen1 1 8), sinnlich vermittelte Erkenntnis dagegen Nahwissen ohne große Reichweite und ohne besondere Anforderungen an Gedächtnis und Glaubwürdigkeit der Kommunikation. Mit dieser semantischen Disposition konnte man bei der Einführung der Bezeichnung Ästhetik für Kunsttheorie'noch rechnen. Daher ging es zunächst auch nicht um die Unterscheidung von schöner Natur und schöner Kunst, sondern nur um eine gewisse Aufwertung des Erkenntniswertes einer auf Schönes gerichteten sinnlichen Wahrnehmung. Und dabei konnte es sich sowohl um den neuen Begriff von Natur als auch - um Kunstwerke handeln.
Anders als die Wortwahl vermuten lassen könnte, ist Ästhetik jedoch keine Theorie der sinnlichen Wahrnehmung, denn das hätte als Psychologie ausgeführt werden müssen. Schon bei Baumgarten und verstärkt in seiner Nachfolge bis zu Kant und darüber hinaus geht es um eine Theorie der Beurteilung sinnlicher Wahrnehmung - so wie in den zeitlich parallel laufenden Versuchen zur Neuformierung der Ethik um eine Theorie der Beurteilung moralischen Verhaltens. Damit nimmt die Ästhetik den Faden auf, den die öffentlichkeitsorientierte Kunstkritik und die Geschmackslehre der ersten ..

".. dahinter steckt eine der zentralen Theorietechniken: Hochgeneralisierung plus Rekombination (Konkretion), oder anders gesagt: die Eröffnung eines Vergleichsbereiches (einer Äquivalenzzone), durch die sich die Deutbarkeit eines Phänomens inszenieren lässt." (P. Fuchs, 17.8.08)

Goethe rügt die Sucht, mit Erscheinungen sogleich durch subjektive Wirkungen Folgerungen zu verbinden, mit den schärfsten Worten, so «Sprüche in Prosa»; Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S.375: «Es ist eine schlimme Sache, die doch manchem Beobachter begegnet, mit einer Anschauung sogleich eine Folgerung zu verknüpfen und beide für gleichgeltend zu achten», und: «Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt. Man ahnet, man sieht wohl auch, dass es nur ein Behelf ist; liebt nicht aber Leidenschaft und Parteigeist jederzeit Behelfe? Und mit Recht, da sie ihrer so sehr bedürfen.» (Ebenda S.376)

Beispiel einer Theorie-Praxis-Differenz:
„Man nennt einen Inbegriff selbst von praktischen Regeln alsdann Theorie, wenn diese Regeln, als Prinzipien, in einer gewissen Allgemeinheit gedacht werden, und dabei von einer Menge Bedingungen abstrahiert wird, die doch auf ihre Ausübung notwendig Einfluss haben. Umgekehrt heißt nicht jede Hantierung, sondern nur diejenige Bewirkung eines Zwecks Praxis, welche als die Befolgung gewisser im allgemeinen vorgestellter Prinzipien des Verfahrens gedacht wird“. (Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch, S. 127). [ ]

"... die üblichen Theorieziele des Generalisierens und Systematisierens von Vergleichen gelten dann als »spekulativ«, weil sie, so scheint es, nur unter Verzicht auf Analyse und Empirie erreichbar sind." (Luhmann, WdG, 410)

"...wenn das Ganze sich im optischen Medium der Schrift duplizieren läßt, auch als Textgattungen und als Theorien kennt. Theorien wiederum können im Medium des Wahrheitscodes zu untereinander konsistenten Wahrheiten gekoppelt werden, zu Formen also, deren Außenseite der Bereich der untereinander nicht konsistenten Unwahrheiten wäre. (Luhmann, WdG, 172)

[Principia Cybernetica Web]
THEORY
An imaginative formulation of apparent relationships or underlying principles of certain observed phenomena. It may have been verified to some extent, or it may be pure hypothesis or conjecture. (Iberall)
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