==> Crashkurs Systemtheorie, Stock and Flow
Als System Dynamics bezeichne ich eine Methodologie, die Anfang der 1960er Jahre von J. Forrester publiziert wurde. Die System Dynamics beschreibt, wie das dynamische Verhalten der in der Kybernetik beschriebenen Regelkreise auf Computern quantitativ simuliert werden kann. Populär wurden die dabei entwickelten Methoden und Werkzeuge durch den 1972 erschienen Bericht The Limits to Growth (dt.: Grenzen des Wachstums) des Club of Rome, in welchem eine Simulation des Resourcenhaushalts der Erde dargestellt wurde.
Man kann - J. Forrester tut es entschieden - zwischen System Dynamics (SD) und System Thinking (ST, Systemisches Denken) unterscheiden. Dann lassen sich verschiedenen Formalisierungen zuordnen. In der SD in engeren Sinne wird das SFD Stock-Flow-Diagramm (Flussdiagramm) verwendet, im ST das CLD Causal-Loop-Diagramm (Wirkungsdiagramm), das eine weniger strenge Form hat. Ich verwende hier eine Notation von R. Hirsig, die näher an der Kybernetik ist.
Hinweis:
Die Begriffe System und Dynamik sind intuitiv gewählt. Als System fungiert die Menge der Variablen und als Dynamik der zeitlich Verlauf der Variablenwerte, der als Prozess oder als Bewegung interpretiert wird.
Spezifische Erkenntnisse liefert die System Dynamics in bezug auf Engpässe (Flaschanhälse), Verzögerungen (Trägheit), Aufschwingen (oder spiral down) und andere Formen des Systemkollapses. Ein Beispiel: In der Absicht die Lebensbedingungen der Bevölkerung eines sogenannten Entwicklungslandes zu verbessern, wurde die Größe der Rinderherden und die Zahl der Brunnen gesteigert. Doch das wenige Gras auf den Weiden konnte die immer größer werdende Zahl an Rindern nicht ernähren und das Grundwasser floss nicht schnell genug nach, um die Wasserentnahme aufzuwiegen. Als der Regen ausblieb versiegten die Brunnen, die Weiden verfielen zu Steppen, die Rinder starben und die Bevölkerung erlitt eine schwere Hungerkatastrophe.
Oft wird von einem Stock and Flow-Verfahren (Behälter und Flüsse, auch Lager und Raten) gesprochen (siehe unten: Literatur)
Beispiel 1: Heizung Das nebenstehende Schema zeigt qualitativ, wie eine thermostatengeregelte Heizung funktioniert. Auf dem Schema ist nicht ersichtlich, wann es im Hause wie warm ist. Mit dieser Heizung kann man also ohne weiteres erfrieren, weil sie zwar regelt, es aber vielleicht ein Jahr dauert, bis die Solltemperatur erreicht wird, wenn die Aussentemperatur unter Null fällt. Ob und was ein "System" praktisch - also als Automat taugt, ist auch eine quantitative Frage. Wie die Regelung quantitativ verläuft, hängt von verschiedenen Gesetzmässigkeiten und Parametern in den einzelnen Bauteilen ab, die formal beispielsweise als Differenz, Regler und Strecke beschrieben werden. Das abgebildete Heizung braucht beispielsweise viel zu lange, um die Solltemperatur zu erreichen, wenn die Brennerleistung viel zu klein ist. Es gibt auch beliebige andere Faktoren, die eine Rolle spielen, beispielsweise wie weit die Heizung von den zu heizenden Räumen entfernt ist, wenn man etwa an einer Fernheizung angeschlossen ist. In der System Dynamics werden die Bauteile durch quanitative Formeln beschrieben. Auf diese Weise kann man Simulationen mit verschiedenen Brennerleistungen machen und so die richtige Brennerleistung berechnen. |
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Beispiel 2: Die berühmte Insel
Die Heizung ist eine triviale Maschine, das heisst, sie verändert sich nicht und reagiert deshalb immer gleich. Es gibt auch "nicht triviale Maschinen", bei welchen das Verhalten beachtlich komplexer . Auf der in der System Dynamics berühmten Inseln leben Raubtiere, die Grassfresser fressen, Grassfresser, die Gras fressen und Gäser, die mit einer bestimmten Geschwindigkeit wachsen. Die Tiere produzieren Nachwuchs und Sterben in Raten (Parameter). Man kann mit verschiedenen Beständen simuliern, wie sich die Bevölkerungen entwiclen, wenn man weiss, wieviel die einzelnen Tier fressen müssen. Typischerweise kann (bei bestimmten Parametern) der Fall sein, dass die Tiere sich sehr stark verbreiten, weil sie viel Nahrung finden. Wenn aber viele Tier vorhanden sind, reicht das Grass plötzlich nicht mehr. Dann sterben einige der Tier an Hunger. Da die sterbenden Tiere aber bis zu ihrem Tod auch fressen, nimmt die Nahrung so stark ab, dass viel mehr Tiere verhungern, als rechnerisch nötig wäre. Diese Insel heisst in der System Dynamics sozio-ökonomische Welt und kann mit allerlei Gütern wie Erdöl, Bildung, Kriminalitätsraten, Vermögenskonzentration usw. gespielt werden. Wie sich inzwischen gezeigt hat, sind die vom Club of Rom präsentlierten Prognosen gortesk weit neben unseren Erfahrungen. Vielleicht weil die Modelle noch sehr vereinfacht waren? |
Beispiel 3: Forrester-Weltmodell
Man kann die Modelle auch ziemlich kompliziert machen, weil die Computer inzwischen leistungsfähiger geworden sind. Die Kreise im Graphen repräsentieren Systemvariable, Konstanten werden durch Rhomben symbolisiert. Funktionale Zusammenhänge sind durch die Verbindungs linien dargestellt. Die Rechtecke stellen Systemvariable dar, die während eines Simulationslaufs in ein sich automatisch reskalierendes graphisches Ausgabefenster geschrieben werden. Das Fenster 'P' zum Beispiel steht für 'Population' und gibt die Weltbevölkerungszahl als Funktion der Zeit aus. 'NR' bezeichnet die natürlichen Ressourcen, und 'POL' und 'CIAF' stehen für Umweltverschmutzung und Lebensqualität. 'CI' stellt die zeitliche Dynamik der Investitionen dar. Zur Zeit erfährt auch die System-Dynamics Methode eine Renaissance durch den Forrester-Mitarbeiter Peter M. Senge, dessen Bestseller 'The Fifth Discipline - The Art and Practice of the Learning Organization' glücklicherweise gerade auf deutsch neu aufgelegt wurde (14). Senge prägte den Begriff 'Lernende Organisation' und schließt hiermit, unwissentlich -, an die Tradition der Kybernetiker wie Stafford Beer an, für die der Aspekt des Lernens in Gruppen seit Beginn im Vordergrund stand. Die heute häufig benutzte Metapher 'Das Unternehmen als Organismus', der eigene Kognitionen haben können soll, stammt aus der kybernetischen Denkrichtung und ihren Forschungsergebnissen im Kontext der Biologie. |
Die formalen Grundlagen sind unter kybernetische Simulation genauer beschrieben.
Weitere prominente Vertreter:
H. Ulrich
F. Vester, der mit Ecopolicy ein sehr gutes Beispiel für die System Dynamics konstruiert hat.
P. Senge, ein Schüler von J. Forrester, der die "lernende Organisation" propagiert hat.
Ich verstehe die System Dynamics als Inversion der Erklärung: Eigentliche Erklärungen sind Systeme, mit welchen ich die zu erklärenden Phänomene erzeugen kann. In der System Dynamics werden dagegen Systemzustände "erklärt" (vergleiche dazu die Erläuterungen in der Systemtheorie: dort vor allem Inversion
Wagner, R.: Bath Tub Dynamics und Stock Flow Thinking (wagner_sd.pdf), über
CLD Causal-Loop-Diagramm (Wirkungsdiagramm)
SD Systemdynamik (System Dynamics)
SFD Stock-Flow-Diagramm (Flussdiagramm)
ST Systemdenken, systemisches Denken (Systems Thinking)