Wenn ich von Spitalpolitik spreche, spreche ich darüber inwiefern und wie Spitäler private oder öffentliche Institutionen sind und inwiefern sie politisch oder ökonomisch geregelt werden.
Man kann sich - jenseits staatlicher und historischer Verhältnisse - leicht vorstellen, dass ein Spital wie ein Hotel oder eine Autogarage ein privater Dienstleistungsbetrieb sein könnte, der vollständig von seinen Kunden lebt und nur wenig regulatorische Auflagen erfüllen muss.
Historisch sind Spitäler aber im Normalfall Teile eines hochregulierten und subventionierten politischen Systems, das als Gesundheitssystem bezeichnet wird, obwohl es sich mit Krankheit befasst.
In vielen entwickelten Staaten werden öffentliche (und teilweise auch private) Spitäler via Krankenversicherungsgesetze (Obama-care) geregelt.
In der föderalistisch konzipierten Schweiz gibt es in Bezug auf Spitäler (wie bei vielem anderen) Bundesgesetze, die von den Kantonen in je eigenen Gesetzen umgesetzt werden. Für das Spitalwesen gibt es eine Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) vom 21. Dezember 2007. Darin werden die Kantone verpflichtet, ihre gesetzlichen Vorgaben für die Spitalplanung und die Spitalfinanzierung zu überarbeiten. So verlangt das neue KVG unter anderem, die freie Spitalwahl für grundversicherte Patientinnen und Patienten zu gewährleisten, ein Finanzierungssystem mit leistungsbezogenen Pauschalen für alle Listenspitäler einzuführen und die Spitalplanung auf den Versorgungsbedarf für Zusatzversicherte auszudehnen.
Die Umsetzung erfolgt dann auf Kantonsebene, im Kanton Zürich beispielsweise durch das Spitalplanungs- und -finanzierungsgesetz (SPFG). Weil die Spitalplanung und Spitalfinanzierung sinnvollerweise aufeinander abgestimmt erfolgen, hat der Kanton Zürich beides in einem Erlass geregelt. Das SPFG wurde vom Kantonsrat am 2. Mai 2011 verabschiedet und für dringlich erklärt. Es ist am 1. Januar 2012 (unabhängig von einem allfälligen Referendum) in Kraft getreten.
Am 5. Juli 2011 reichten Stimmberechtigte ein Referendum mit Gegenvorschlag ein. Aufgrund des Referendums kam es zu einer kantonalen Volksabstimmung über das SPFG. Diese fand am 17. Juni 2012 statt. Gemäss den Angaben des Statistischen Amts wurde das SPFG (Hauptvorlage) mit 66,7 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
In der Selbstdarstellung des Kantons tönt das so:
Das SPFG verzichtet auf planwirtschaftliche Massnahmen und Vorgaben. Es macht die nach dem KVG zwingend vorgeschriebene Bedarfsplanung und -abdeckung in klaren, nachvollziehbaren Schritten für die Spitäler sichtbar. Es definiert die Ziele, die mit der Spitalplanung verfolgt werden, und die Anforderungen, die die Leistungserbringer erfüllen müssen. Diese Regeln sichern die Versorgung der Zürcher Bevölkerung in notwendiger Qualität und zu wirtschaftlichen Bedingungen. Es setzt wettbewerbsstärkende Impulse, unterstützt die freie Spitalwahl und bezieht Privatspitäler vermehrt in die Gesamtversorgung ein.
«Modell 100/0»
Das SPFG führte per 1. Januar 2012 zu einer Bereinigung und Entflechtung der Finanzströme im Zürcher Gesundheitswesen. Mit dem Gesetz wurde das «Modell 100/0» umgesetzt. Es schuf eine klare Trennung der Versorgungsverantwortung zwischen dem Kanton und den Gemeinden: Für die Spitalversorgung ist nun ausschliesslich der Kanton verantwortlich, für die Pflegeheime und Spitex sind es ausschliesslich die Gemeinden. Entsprechend übernimmt der Kanton seit Inkrafttreten des SPFG am 1. Januar 2012 den Anteil der öffentlichen Hand an der Spitalfinanzierung zu 100 Prozent, während die Gemeinden ihrerseits die Langzeitpflege neu ohne kantonale Beteiligung finanzieren.
Die Spitäler werden unter dem SPFG zu Quasi-Unternehmen, die unter definierten Bedingungen (Spitalliste, Fallpauschalen) rentieren müssen.
Ziel der Regelung ist einerseits die richtige Anzahl Dienstleistungsangebote (zb Spitalbetten) in einer vernünftigen regionalen Verteilung zu erreichen und andrerseits einen optimalen Preis für die Dienstleistungen zu erreichen. Für beides dient ein gesteuerter Markt, in welchem den Spitälern ein Überlebens- und Wachstums-Motiv zugerechnet wird, wie wenn es sich um private Marktteilnehmer handeln würde - was eine unsinnige Voraussetzung darstellt, die aber eine gewisse Logik darin hat, dass bestehende Spitäler als Institutionen, etwa als Arbeitsgeber ein Überlebensmotiv haben, das mit dem Spitalsein nichts zu tun hat.
Die Spitäler fungieren als virtuelle Konkurrenten, die sich in einem Markt behaupten müssen. Da die Spitäler im Normalfall - also von Nischendienstleister abgesehen - immer grosse Defizite zulasten der öffentlichen Hand gemacht haben, waren die Eigentums- oder Rechtsformverhältnisse praktisch ohne Relevanz. Niemand hatte Profit davon Eigentümer eines Spitals zu sein. In dem 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat die Kantonsregierung einige Spitäler geschlossen, um das Überangebot abzubauen. Die Kriterien dafür, welche Spitäler geschlossen werden müssen, waren nicht nachvollziehbar und deshalb politisch heftig umstritten, was die Spitalschliessungen nicht nur kompliziert und teuer machte, sondern auch nicht hinreichend im Umfang. Der Kanton hat deshalb eine andere "Regelung" eingeführt.
Der politische Mechanismus zur Regelung der Spitaldichte besteht aktuell aus einer Kombination von einer Spitalliste und Fallpauschalen, die beide politisch festgelegt werden. Auf der Spitalliste bleiben Spitalabteilungen, die hinreichend viele Fälle mit hinreichendem finanziellen Aufwand bewerkstelligen können. Was hinreichend ist, wird mit Benchmarks festgelegt. Der Kanton kann dann nichts dafür, wenn ein Spital nicht mithalten kann. Die Spitäler schliessen sich selbst, wenn sie die Preise der andern nicht halten können.
Bis zur Inkrafttretung des SPFG hat sich der Kanton an den Investitionen der Spitäler beteiligt, also Geld für Spitäler ausgegeben, so wie er Geld für Strassen ausgibt. Dabei haben verschiedene Spitäler in Abhängigkeit davon, ob sie viel oder wenig ausgebaut haben, mehr oder wenig Geld bekommen. Damit die Spitäler, die jetzt in einem Fallpauschalen-Markt stehen, in Bezug auf Investitionen vergleichbare Ausgangsbedingungen haben, hat sich die Kantonsregierungen einen üblen Trick ausgedacht, der als "Verordnung über die Umwandlung von Investitionsbeiträgen an Spitäler (InUV)" erlassen wurde.
"Umwandlung von Investitionsbeiträgen an Spitäler"
Das SPFG sieht vor, dass Staatsbeiträge, die der Kanton vor Inkraftsetzen des Gesetzes zur Finanzierung von Investitionen von Listenspitälern geleistet hatte, zum Restbuchwert per 1. Januar 2012 in zins- und amortisationspflichtige Darlehen umzuwandeln sind. Dazu hat der Regierungsrat am 5. Oktober 2011 die Verordnung über die Umwandlung von Investitionsbeiträgen an Spitäler (InUV) erlassen. Sie regelt zum einen das Verfahren und zum andern die Verzinsung, Amortisation und Sicherung solcher Darlehen.
Durch diese Verordnung hat der Kanton das Geld, das er definitiv ausgegeben hat, im Nachhinein in Darlehen "umgewandelt". Die "Umwandlung" ist keine Umwandlung, sondern ein kriminelles Stück, in welchem das Geld zurückverlangt und dann als Darlehen gegeben wird. Die Spitäler hatten auf diese Weise über Nacht grosse Schulden beim Kanton.
Diese absolut unglaubliche "Umwandlung, die jenseits von jedem Rechtsverständnis liegt, hat der Kanton mit folgender Argumentation durchgesetzt. Die Spitäler würden durch die Fallpauschalen Investitionsgelder vom Kanton bekommen und könnten so die vermeintlichen Darlehen, die sie auch vom Kanton bekommen haben, dem Kanton zurückzahlen. Durch diesen Trick wollte der Kanton die ungleichen Investitionsbeiträge an verschiedene Spitäler ausgleichen. Was neben dem sehr fraglichen Ausgleich tatsächlich gemacht wurde, ist eine Kapitalisierung der Spitalanlagen, die zuvor Allmende waren und durch die "Umwandlung" plötzlich als Hypotheken gesehen werden. Ein Spitalgebäude etwa, das in keiner Art und Weise dem Kanton gehörte und vollständig bezahlt war, wird durch diese sogenannte Umwandlung im Nachhinein mit einer Hypothek belastet, für die der Kanton keinerlei Geld ausgibt. Weil in der - fiktiv ausgedachten - Buchhaltung des Spitals plötzlich eine grosse Hypothekarschuld erscheint, muss auf der andern Seite die Liegenschaft plötzlich einen entsprechenden Betrag Anlagevermögen oder eben Kapital wert sein.
Mit dieser Kantons"logik" könnte natürlich jeder, der je etwas an das Spital bezahlt hat, dieses Geld im Nachhinein als Darlehen bezeichnen. Insbesondere die Gemeinden, die erhebliche Beiträge an ein Spital bezahlt haben, könnten diese Gelder auch plötzlich als Darlehen sehen und damit die Hypotheken des Spitals entsprechend vergrössern.
Eine vermeintlich elegante Lösung kann darin gesehen werden, das Spital in eine Aktiengesellschaft "umzuwandeln". Auch diese Umwandlung ist ein übler Trick, bei welchem das Spital, das niemandem gehört, einer AG geschenkt wird. Dabei wird das Spital privatisiert, gleichgültig wer die Aktien bekommt oder sich aneignet. Auch wenn sich eine Gemeinde an einer AG beteiligt, verändert sie die AG als private Institution in keinster Weise. Die AG wird durch eine solche "Umwandlung" Eigentümer des Spitals und weist in ihrer Buchhaltung das Spital als Vermögen aus. Die Aktionäre würden in diesem Fall dieses Vermögen "einzahlen" ohne irgend etwas zu bezahlen - es sei denn, sie hätten wie der Kanton, Gelder, die früher bezahlt wurden, plötzlich zurück verlangt, um damit dann Aktien zu kaufen.
Viele Spitäler sind (oder mittlerweile waren) Zweckverbände. Im Zweckverband, so wie dieser von der Verfassung gemeint war, gibt es kein Vermögen. Natürlich kann man das Spital als Liegenschaft und dessen Einrichtungen privatisieren und so zu Eigentum machen. In unserer Geschichte haben das viele Allmenden erlebt und es ist absehbar, dass solche Aneignungen weiterhin verfolgt werden. Dass der Zweckverband bisher ohne Haushalt auskommen musste, war eine sehr bewusste Wahl. Und wenn jetzt der Zweckverband einen Haushalt bekommt, was die Spielchen des Kantons irgendwie nötig machen, weshalb der Kanton die Gesetze einfach angepasst hat, dann stellt sich immer noch die Frage, wer aufgrund von was Eigentümer des Spitals sein soll.
Das Gemeindeamt schreibt am 18. Juli 2011: Auswirkungen des neuen Spitalplanungs-und -finanzierungsgesetzes (sPFG)
1. Spitalzweckverbände
1.1. Revision der Statuten
Im Kanton Zürich sind zurzeit fünf Spitäler als Zweckverbände organisiert (Affoltern, Bülach, Limmattal, Männedorf, Uster). Nach geltendem Gemeindegesetz dürfen Zweckverbände keinen eigenen Haushalt führen . In dieser Situation sind die Zweckverbände nicht in der Lage, die Beschaffung von Anlagen eigen-oder fremd zu finanzieren. Aus dem neuen Finanzierungssystem mit Fallpauschalen, die einen Investitionsanteil enthalten, ergibt sich für Spitalzweckverbände aber das Bedürfnis, mit diesen Investitionsanteilen Reserven für die Investitionsfinanzierung zu bilden oder über die Aufnahme von Fremdmitteln Investitionen vorauszufinanzieren.
Um der neuen Rechtslage bzw. dem Wechsel bei der Betriebsfinanzierung Rechnung zu tragen, wird das Gemeindegesetz (GG) durch das SPFG wie folgt geändert:
§131 a. Zweckverbände, die ein Spital im Sinne des Spitalplanungs-und -finanzierungsgesetzes oder ein Pflegeheim im Sinne des Pflegegesetzes betreiben, können einen eigenen Haushalt führen. Dieser richtet sich nach den Vorschriften über den Gemeindehaushalt.
Brief_SPFG_Auswirkungen_110718.pdf
§ 131. 1 Erfüllt die Gemeinde öffentliche Aufgaben zusammen mit andern Gemeinden, stellt sie ihren Anteil jährlich in die Rechnung ein.30
2 Zweckverbände teilen die Betriebsverluste oder Betriebsgewinne sowie die Investitionskosten jährlich auf die Gemeinden auf. Die Bildung von Rückstellungen für gesetzliche Verpflichtungen bleibt vorbehalten.37
3 Zweckverbände, welche ihre Leistungen gegen kostendeckende Entgelte Dritten anbieten oder den Gemeinden ausschliesslich nach dem Verursacherprinzip belasten, können die Investitionen direkt durch Fremdmittel finanzieren.36
4 . H. Spitalzweckverbände
§ 131 a.70 Zweckverbände, die ein Spital im Sinne des Spitalplanungs- und -finanzierungsgesetzes14 oder ein Pflegeheim im Sinne des Pflegegesetzes15 betreiben, können einen eigenen Haushalt führen. Dieser richtet sich nach den Vorschriften über den Gemeindehaushalt4.
Die Statuten sagen, dass die Gemeinden ein allfälliges Defizit zu tragen haben, sie sagen nicht, dass das Spital in irgendeiner Weise Eigentum der Gemeinden ist. Wenn das Spital sich selbst gehört, ist es gut aufgestellt und kann sich vielleicht sogar das angestrebte Bettenhaus leisten. Dass die Gemeinden in der Verantwortung für das Spital stehen, bewirkt, dass das Spital wesentlich bessere Kreditkonditionen bekommt, als es eine AG je bekommen hätte. Die Änderung der Zweckverbandsstatuten sollte gut bedacht werden. Die Luft, die wir atmen, ist auch wertvoll und gehört (vorderhand) niemandem. Auch das Spital braucht keine Eigentümer.
Dass die zuständigen Juristen diesbezüglich ziemlich konfus waren, zeigt sich auch darin, dass die Spitalliegenschaft im Grundbuch als Eigentum des Spital eingetragen ist, obwohl das Spital bislang gar kein Eigentum haben kann. Diese Konfusion ist aber unerheblich, solange man das Spital nicht als Vermögenswert sondern als öffentliche Institution betrachtet. Die Gemeinden könnten ohne weiteres auf dubioses Eigentum am Spital verzichten, auch wenn der Zweckverband mit einem Haushalt ausgestaltet wird.
Konkrete Verhältnisse zu dieser Politik beschreibe ich unter Politik im Spital-Zweckverband Affoltern
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