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Kapp, Ernst: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten. Georg Westermann, Braunschweig 1877

Volltext (http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=lit39532&page=a0005). (Hrsg) Harun Maye / Leander Scholz

Eine Anmerkung vorab zur Technikphilosophie:
Technikphilosophie ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für alle Erwähnungen von Technik, die nicht technisch gemeint sind. Thema ist insbesondere das soziale und ökologische Umfeld der Technik, während die Technik selbst der Technik-Lehre (Technologie) zugewiesen wird, wozu die Philosophie keinen Beitrag leistet. E. Kapp etwa, der Erfinder der Technikphilosophie, behandelt hauptsächlich Commonsense-Vorstellungen über Technik, vor allem die Idee einer Organprojektion.
Als Philosoph interessierte er sich viel mehr dafür, wie Werkzeuge beobachtet werden, als für deren Konstruktion, geschweige denn für die Funktionsweise von Maschinen. Das ist in der Technikphilosophie bis heute so geblieben.

Jetzt zum Buch:

Zentrale These des Werkes ist, dass alle technischen Artefakte letztlich als Organprojektionen zu verstehen seien. So sei ein Hammer als Faust und der Kran Karl Culmanns als menschlicher Oberschenkelknochen zu verstehen, eine Säge bilde die Schneidezähne ab, ein Fernrohr bilde unbewusst den inneren Aufbau des Auges nach. Die Entwicklung des Buches folgt dabei einer zunehmenden Komplexität der technischen Apparaturen, über die damals aufkommende Telegraphie, die als ein Nervensystem verstanden wird, bis hin zum Staat als Abbild des menschlichen Organismus insgesamt. Die technische Entwicklung als Motor der kulturellen Entwicklung ist dabei stets ein Herausstellen von etwas, das bereits im Menschen organisch wie geistig angelegt ist, um im selben Moment als ihre Konkretion dessen geistige Entwicklung herauszufordern und voranzutreiben.

Kritik zum Buch und zur Technikphilosophie insgesamt

Worum geht es und was spielt - wie verstandene - Technik dabei für eine Rolle?

Der Untertitel bezeichnet: Es geht um die Entstehungsgeschichte der Cultur. "Technik" liefert Kategorien. Das muss ich jetzt rekonstruieren.

"Die nähere Bestimmung dieser Art von Projektion, der Organprojektion, wird sich aus dem Verlauf unserer Untersuchung rechtfertigen, deren eigentliches Thema sie ist." (S. 43)
Dieser bisher unbetretene Weg führt zur kulturhistorischen Begründung der Erkenntnislehre überhaupt. Ausgangspunkt ist der Mensch, der ja bei allem, was er denkt und tut, ohne von sich selbst abzufallen, von nichts Anderem ausgehen kann als von sich, dem denkenden und handelnden Selbst ; aber nicht der hypothetische Bathybiusmensch, nicht der annoch ebenso hypothetische Idealmensch, sondern der Mensch, soweit nur immer von urältester Zeit bis zur Gegenwart Dinge mit von seiner Hand herrührenden Spuren und Veränderungen für sein Dasein zeugen. Dieser nur ist der feste Punkt für den Beginn und für das Ziel alles Wissens. Zeugt er doch überall und immer für sich selbst ! (S. 43f)

Mir scheint die kulturhistorische Schule hier anzuschliessen - keine Ahnung ob das Zufall ist.

"Alle Arbeit ist Tätigkeit, aber nur die bewusste Tätigkeit ist Arbeit. Kein Tier arbeitet." (S. 45)

These: Der Hammer macht den Faustschlag, die Säge mache die Zähne - durch zunächst unbewusste Analogie - bewusst.

Man müsste also wissen: Was mit Kultur gemeint ist, die auf diesem Weg entsteht/bewusst wird. Das wäre dann der Gegenstand des Buches.

Inhalt

Vorwort (3)
"Denn der Mensch, welcher wahrhaft an sich und seine Persönlichkeit glaubt, wird einerseits niemals sich selbst mit einem technischen Gestell verwechseln" (4)

1) Der anthropologische Maßstab
viel schräges Zeugs über Selbstbewusstsein und Haeckels Phylo/Ontogenese, die in nächsten Kapitel mit "WIlden" bebildert wird

2) Organprojektion
ein TMÜ-Schilderung, in welcher physiologisch wunderbare Sachen a la Lamarke passieren. Aus dem gorillaartigen Vormenschen wird ein feiner Mensch aufgrund von Werkzeuggebrauch

Hier ist die eigentliche Schwelle unserer Untersuchung, nämlich der Mensch, der mit dem ersten Geräte – seiner Hände Werk – sein historisches Probestück ablegt, dann überhaupt der historische, im Fortschritt des Selbstbewusstseins befindliche Mensch. Dieser ist der einzige sichere Ausgangspunkt aller denkenden Betrachtung und Orientierung über die Welt. Denn das absolut Gewisseste für den Menschen ist zunächst nur er selbst. (S. 48)

hmm .. die Organprojektion ist mir jetzt entgangen .. Es geht um die Umformung der Physiologie - irgendwie.

3) Die ersten Werkzeuge (50)
Die Hand als Werkzeug der Werkzeuge. Rückbezügliche Verwendung des Mechanismus zur Erklärung des Organismus.

4) Gliedmaßen und Maße (74)
Die Glieder und ihre Dimension als Gliedmaßen. Die Längenmaße. Das Kalendarium.

5) Apparate und Instrumente (81)
Das als unbewusste Nachbild der Kristalllinse im Auge. Das Hörrohr Die Stimmorgane projiziert als Hauptbestandteile der Orgel. Erläuterung der Herztätigkeit durch den Mechanismus eines Pumpwerkes.

"... Worte „Herzpumpe“ im ganz eigentlichen Sinne verstanden zu werden. Insofern wäre der Ausdruck ein Repräsentant der zurzeit überhandnehmenden Ungenauigkeit in der wissenschaftlichen Terminologie, welche, Organisches und Mechanisches in eins fassend, bereits arge Verwirrung der Begriffe zur Folge gehabt hat. Ein Organ ist niemals Teil einer Maschine, ein Handwerkszeug ebenso wenig das Glied eines Organismus, und ein mechanischer Organismus ist ebenso wie ein organisches Räderwerk ein – hölzernes Eisen. Wir werden öfter noch auf die Notwendigkeit einer gewissenhaften Sichtung dessen, was man als Mechanismus bezeichnet, zurückkommen und schließen hier mit der vorläufigen Andeutung ab, dass sich jene Begriffsvermengung aus den wesentlichen, den Prozess der Projektion unterhaltenden Beziehungen insoweit erklären lässt, als gewissermaßen die Vorstellung des Organischen unwillkürlich und unvermerkt von dem Vorbild aus auf die mechanische Nachbildung mit hinüberspielt, sowie umgekehrt, bei der Verwendung des Maschinellen zur Erklärung organischer Vorgänge, das Mechanische im Eifer des Experimentierens so unvermerkt in den Organismus hinüberschwankt, dass neben dem bildlichen Herüber- und Hinübererklären auch offenbare, sonst unstatthafte Verwechslungen nicht ausbleiben konnten." (100)

Kritik: Hier nimmt E. Kapp L. von Bertallafys Kritik an der Kybernetik vorweg: Er spricht von Terminologie, weiss aber nicht, was er mit "Mechanismus" bezeichnet. (Er will darauf zurückkommen ! Und er wiederholt, das Werkzeuge keine Organe seien!)
Denkwerkzeug !

6) Die innere Architektur der Knochen
Die Anordnung der Knochensubstanz, das bisher unbekannte Vorbild für gewisse Werke der Architektur. Druck- und Zuglinien am (knochenähnlichen) Krahn. Die Natur hat den Knochen aufgebaut wie der Ingenieur seine Brücke. Die mechanistische Disziplinierung der Naturforschung. Die Wissenschaft pflegt für alle wirkenden Ursachen im Organismus eine Analogie zu suchen im Mechanismus. Begriff und Wert der aktuellen Empirie.

Im Verlauf des Textes wird immer klarer, wie Kapp die unbewusste Projektion meint: Die Brückenbau-Statik entdeckt er in den Knochen, wie wenn Menschen von den Knochen unbewusst solche Kentnisse gehabt hätten, als sie die ersten Brücken gebaut haben (die ja ohnehin nur schwer als Werkzeuge zu sehen sind. (Kapp, S. 109f)
Es ist dasselbe wie beim Nierensteinzertrümmerer (Bionik)

7) Dampfmaschine und Schienenweg (121)
Die Maschine der Maschinen. Sinnliche Verdeutlichung von der Erhaltung der Kraft durch den Vergleich der Dampfmaschine mit dem menschlichen Organismus. Die degradierende mechanistische Weltanschauung von der Maschinenwerdung des Menschen und der Menschwerdung der Maschine. Das Netz der Blutgefäße als organisches Vorbild des Eisenbahnsystems.

Dazu Y. Harari

8) Der elektromagnetische Telegraf (132)
Durchgängige Parallelisierung von Telegrafensystem und Nervensystem seitens der Wissenschaft. Die Nerven sind Kabeleinrichtungen. Das Geheimnis der Innervation, erschlossen durch ihr mechanisches Nachbild. Der galvanische Apparat und seine Vervollkommnung. Der Telegraf auf der Schwelle, wo der Mechanismus sich vom sinnlich Greifbaren mehr und mehr entfernend, je nach der Feinheit des verwendeten Stoffes zur durchsichtigen Form des Geistes wird. Der Fortschritt in der Erkenntnis der inneren Verwandtschaft von organischem Vorbild und mechanischem Nachbild ist Fortschritt im Selbstbewusstsein. Rückblick.

Kleine Geschichte der Elektrizität (139)
Der schon 1780 gemachten Entdeckung Galvanis, dass die Berührung von zwei ungleichartigen Metallen einen elektrischen Strom erzeugt, der hierauf von Volta 1800 hergestellte Apparat, welcher den elektrischen Strom | standzuhalten zwang, die von Oerstedt 1819 beobachtete Ablenkung der Magnetnadel durch den galvanischen Strom und der unmittelbar nachher von Schweigger erfundene Multiplikator, die Entdeckung der elektrischen Induktionsströme durch Faraday 1832 und endlich der erste 1837 durch Steinheil wirksam hergestellte telegrafische Apparat – allen diesen unablässig nach demselben Ziel hindrängenden Kundgebungen der Wissenschaft entspricht eine gleiche Stufenfolge von mechanischen Apparaten, welche das Wahrzeichen der Organprojektion, die unbewusste Nachbildung eines organischen Vorbildes, unverkennbar an sich tragen.
[..] So ist das Werk Du Bois-Reymonds Untersuchungen über die tierische Elektrizität (1848 bis | 1860) eine jener Großtaten der Wissenschaft, welche dem ahnungsvollen Sichselbstsuchen der Menschheit zum Sichselbstfinden verhelfen.

9) Das Unbewusste (145)
Beteiligung der Organprojektion am Unbewussten. Das Unbewusste und das Selbstbewusstsein. Die „Philosophie des Unbewussten“ und die „Psyche“. Anthropopathische Irrwege. Der Geist als Selbstdefinition. Die Kenntnis des eigenen Leibes ist die Grundlage alles Denkens über den Menschen.

10) Die Maschinentechnik (153)
Der Begriff der Maschine aufgrund der „Theoretischen Kinematik“. Die Elementenpaare, die kinematische Kette, das Getriebe als Entwicklungsstadien der Maschine. Das Quirlgetriebe, die erste Maschine. Verhältnis von Bewegung und Kraft. Kraftschluss und Paarschluss. Im Prozess der Ablösung des Kraftschlusses durch Paar- und Kettenschluss besteht der Fortschritt in der Vervollkommnung der Maschine. Das Unbewusste in der allgemeinen Entwicklung der Maschine. Wie Kraft- und Bewegungserzeugung, so gehen Entdeckung neuer Kraftquellen und Erfindung Hand in Hand. Die kinematische Zeichensprache. Die kinematische Analyse. Kraftmaschinen, Arbeitsmaschinen. Die kinematische Synthese. Der leibliche Organismus, das allgemeine Ur- und Musterbild aller besonderen Formen der Maschinentechnik. Die Idealmaschine. Wahrheit und Irrtum in dem Buche : L’homme machine. Die machinale Kinematik als unbewusste Übertragung der organischen Kinese ins Mechanische. Das Verstehenlernen des Originals mit Hilfe der Übertragung wird bewusste Aufgabe der Erkenntnislehre.

Der Mensch soll seinen eigenen Leib kennen, heißt einfach, er soll sich selbst kennenlernen. Wie diese Selbstkenntnis mit den sehr greifbaren Mitteln, welche aus den von seiner eigenen Hand geschaffenen Utensilien bestehen, zustande kommt, dies darzulegen ist unsere ganze Aufgabe. Denn wir haben zu zeigen, dass der einheitsvoll in sich abgeschlossene Reichtum eines lebendigen Gliederganzen gegenbildlich in der äußerlichen Zerstreuung einer unendlichen Menge diskreter Stückwerke erscheint.

... kurz der Begriff der Maschine muss feststehen, um an ihm die Vorstellung, die wir uns von uns selbst machen, messen zu können. Diese Möglichkeit ist recht eigentlich erst neuerdings gegeben worden, seit Reuleaux in seinem Werk über Theoretische Kinematik den Begriff der Maschine | vollständig entwickelt, dadurch erst eine Maschinenwissenschaft wahrhaft ins Leben gerufen und in Verband mit den übrigen Wissenschaften gesetzt hat.

E. Kapp verwendet die Kinematik von F. Reuleaux als Grundlage seiner Organprojektion und der ganzen Technikphilosophie. (S. 160)

Aufgrund des Unterschiedes zwischen den äußeren, sensiblen Naturkräften als Bewegungsspendern und den inneren, in den Maschinenteilen latenten Naturkräften als Widerstandsleistern sowie aufgrund des zur Herstellung einer bezweckten Bewegung veranstalteten Zusammenwirkens der sensiblen und der latenten Kräfte baut sich der Begriff der Maschine auf.
Kritik: Natürlich fehlt auch die Unterscheidung Mechanismus/Maschine, sie ist angetönt im Modellbegriff (161)
Das Beispiel für den Anfang der Bestimmung eines Maschinen-Begriffes ist bei E. Kapp die Verbindung zwischen einer Schraube und einer Mutter !

Das ist extrem spannend: die kinematische Maschine! sie hat keinen Antrieb, aber relativ zu einander bewegte Teile. Grossmutters Nähmaschine kümmert sich nicht darum, ob sie getreten oder von einem Motor angetrieben wird: sie näht !!

Der Fortschritt nun in der Vervollkommnung der Maschine besteht „in der abnehmenden Verwendung des Kraftschlusses bei zunehmender Ersetzung desselben durch den Paarschluss und den Schluss der dabei sich bildenden kinematischen Kette“. (168)

Behalten wir demnach das im Kraft- und Paarschlüssigen aufgedeckte Prinzip der Maschinenentwicklung im Auge, suchen wir im Allgemeinen den Kraftschluss auf Seiten des unbewussten Findens, den Paarschluss auf Seiten des bewussten Erfindens, wird, nach Reuleaux’ ausdrücklicher Behauptung, in der Maschine die Gegnerschaft von Paarschluss und Kraftschluss niemals eigentlich erlöschen, beruht hierauf der Begriff des Mechanismus, welcher | nimmermehr die Kontrolle von Hirn- und Handkraft des Menschen entbehren kann, ist die Maschine das Abbild der lebendigen organischen Regel in toter mechanischer Formel : So stehen Psychologie und Physiologie vor der Aufgabe, das Prinzip, welches eine Kulturwelt schafft, auch als der Menschennatur immanent nachzuweisen, und zwar aufgrund der Einsicht, dass das, was Gegnerschaft ist in der Außenwelt, sich löst in dem monistisch vermittelten Unterschiede der Erscheinungsform unserer inneren Welt. (187)

11) Das morphologische Grundgesetz
Die neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers; der Goldene Schnitt. Das Knochengerüst und die Muskulatur konstituieren eins das andere. Unterschied von Mass und Massstab. Die amerikanische Axt, Typus eines vollkommenen Handwerkzeuges. Das Manufakt, ein Artefakt. Die Violine als Typus eines vollkommenen Instrumentes. Kleidung, Wohnung, Architektur.

12) Die Sprache
Lautsprache und Schriftsprache sind instinktive Schöpfungen. Handschrift und Druckschrift. Das Prinzip der alternierenden Wirkungen beim Sprechen und Denken. Die Materie für die Gestaltung der Sprachlaute. Die Sprache als Werkzeug. Die Bildung der Vokale und Konsonanten. Anfänge und alphabetische Entwicklung der Schrift. Der Buchstabe; etymologische Grundbedeutung. Die Schriftzeichen als Charaktere. Autografensammlungen. Universalschrift. Resultate des Taubstummenunterrichts. Sprachsurrogate. Die Sprache als Abbild unseres innersten Seins vor dem Forum der Organprojektion.

"Wir wenden uns zunächst der Schrift zu, die als Handschrift den natürlichen Übergang aus dem vorhergehenden Abschnitt bildet. Wenn unter Schrift und Schriftentum im weiteren Sinne alles zu verstehen ist, wodurch das gesprochene Wort für das | Auge festgehalten wird, so ist Gedrucktes die unmittelbare Konsequenz des Geschriebenen. Eins geht über ins Andere, Geschriebenes wird abgedruckt und Gedrucktes kann wieder abgeschrieben werden. Die Buchdruckerkunst ist nichts Anderes als die Vervielfältigung der Zeichen machenden Hand und dieser ihrer ursprünglich mit und an dem einfachsten Material ausgeübten Geschicklichkeit. Was heute die Schnellpresse besorgt, ist wesentlich das Nämliche wie das, was vordem der Abschreiber mit vieler Mühe und in langer Arbeit zustande brachte. Erhöhte Gleichmäßigkeit und Zeitgewinn sind der ganze zunächst äußerliche Unterschied." (248)

Zur Schrift:
"Der Telegraf gehört sonach einfach in die Geschichte des Schreibmaterials und weiter in die Geschichte der Schrift und des Schrifttums. Unter diesem Titel ist von H. Wuttke der erste Band eines Werkes erschienen, welches als eine Schrift über die Schrift „Von den rohen Anfängen des Schreibens in der Tatuirung bis zur Legung elektromagnetischer Drähte“ vom Standpunkte der genetischen Aufnahme des Gegenstandes aus recht eigentlich ein Beweis durch sich selbst ist." (258)

"Auf den zur Aufnahme der Zeichen gebrauchten Stoff | und seine Zurichtung – ob Baumrinde, Stein, Metall, Wachs, Tierhaut, Papier – und darauf, ob die Sichtbarmachung der Zeichen in trockner Eingrabung oder in farbiger Auftragung geschieht, kommt es hierbei zunächst nicht an. Die Hauptsache bleibt immer das als Griffel, Stift, Rohr, Nadel, Meißel, Feder vorhandene Abbild des die natürliche Schreibfähigkeit betätigenden Fingers.
Der Fingerdruck des Telegrafisten und der Fingerdruck des die Schreibfeder Führenden sind wesentlich nicht verschieden. Auch die punktierte telegrafische Papierrolle ist ein Manuskript, das in seiner weiteren Übertragung auf die Feder als Couvertdepesche in die ursprüngliche Schriftform der „aufgegebenen Depesche“ zurückverwandelt wird.
Setzt sich die Lautsprache in der Handschrift fort, so sind Bücherdruck und Telegrafie die natürlichen Fortsetzungen der Handschrift. Die Konsequenz des Sprachlautes ist der Buchstabe." (259)

E. Kapp behandelt eine interessant Etymologie, wonach Buch-Stab zwei Wörter für Schriftzeichen und Sprachlaut sind. (261) Für Kapp ergibt sich daraus, dass der Buchstabe und dessen Hervorbringung im Zentrum der Sprache - als Organprojektion - stehen.
"Kurz, der Buchstabe ist das Symbol einer unzerstörbaren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen Immanenz von Gehörtem und Erblicktem, von Buch als Schriftzeichen und von Stab als Lautklang, von Rede und von Schrift, mit einem Wort, er birgt das Sprachganze ! In dieser Unteilbarkeit ist das Sprachwerk ein Produkt der Funktionen von Hirn, Hand und Zunge – oder welches Glied der Verkettung des Sprachorganes man sonst in diesem Fall anstatt der Zunge wählen will – ... "

Das Lippenlesen ist für E.Kapp ein wichtiges Argument dafür, dass Buchstaben organisch sind. (265)

13) Der Staat (273-311)
Sprachorganismus und Staatsorganismus. Wort und Handlung. Der Staat als Sphäre der menschlichen Verantwortlichkeit. Die Res publica oder externa der Menschennatur. Der leibliche Organismus, das Urbild echten Staatslebens. Arbeitsteilung und ständische Gliederung. Das Naturgrundgesetz in der Staatenbildung. „Bau und Leben des sozialen Körpers“. Der Geschichtsstaat und der Idealstaat. Der Staat als Mittel und als Zweck. Die Staatsidee. Leibeskonstitution und Staatskonstitution. Die Anthropogenie und der fundamentale Vergleich. Der Gedanke in der Entwicklungsgeschichte. Leibeigenschaft des Gedankens. Begriff der Arbeit. Der älteste Lehrer der Volkswirtschaft. Arbeit der Organisation und Organisation der Arbeit. Recht des Staates auf Einverleibung der berufsständischen Tätigkeiten. Das Postwesen, die staatliche Form der Kommunikation. Das moderne Fatum und die Eisenbahnen. Die Wehrverfassung als Prototyp für die organische Durchbildung der Berufsstände. Abrüstung. Politische Reflexbewegungen. Die Armeeschule und ihr Verhältnis zur Wissenschaft. Die militärische und die machinale Disziplin. Das Urbild von Staat und Maschine. Der Staat als Einheit von Sinnlichem und Geistigem. Die Maschine, das verschärfte Gegenbild der menschlichen Gesittung. Der stoffliche Bestand des Staatskörpers. Anfang und Ende wissenschaftlicher Untersuchungen ; die unerschlossene und die erfüllte Einheit. Moralische und ethische Verantwortlichkeit. Das Gewissen. Willensfreiheit. Der Staat als das menschliche Alles in Allem.

Gewöhnliche philosophische Bücher sind Argumentationen für deren letzten Abschnitt. Dort steht dann, worum es eigentlich geht. In den "Grundlinien einer Philosophie der Technik" von E. Kapp steht am Ende: "Der Staat als Einheit von Sinnlichem und Geistigem. Die Maschine, das verschärfte Gegenbild der menschlichen Gesittung. Der stoffliche Bestand des Staatskörpers. Anfang und Ende wissenschaftlicher Untersuchungen ; die unerschlossene und die erfüllte Einheit. Moralische und ethische Verantwortlichkeit. Das Gewissen. Willensfreiheit. Der Staat als das menschliche Alles in Allem."

Wer würde darin nicht gewöhnliche Philosophie erkennen? Und wer würde darin einen Beitrag zur Technik sehen?

Kritische Anmerkungen:

"Die allgemeine Sphäre aber der menschlichen Verantwortlichkeit ist der Staat."
Kritik: Wer zieht den Menschen zur Verantwortung? Ein anderer Mensch, aber allgemein der Staat in rechtlicher Stellvertretung.

"Die Tätigkeit des Menschen überhaupt, auch die artefaktische (hantalunga ahd. die Bearbeitung einer Sache) wird zur Handlung (handelunge mhd. die Behandlung, Verhandlung), zum beabsichtigten Handeln."
Kritik: Die Differenz Tätigkeit/Handlung ... wird genannt, aber nicht erläutert

"Wie einem Einsiedler sein Tun oder seine Beschäftigung vorkommt, ist durchaus gleichgültig, da der Mensch nur in der menschlichen Gemeinschaft als solcher Geltung hat. Nur ihr steht es zu, mit Urteil und Gegenhandlung das Tun des Einzelnen abzuweisen oder sich gefallen zu lassen." (275)
Kritik: hier steht noch Gemeinschaft, gemeint ist der Staat.


Textstellen

Wie kommt es zur Rede vom technischen System?
„Es sind in der That“, sagt unter anderen Otto Liebmann, „viele und auffallende Analogien vorhanden. Dort wie hier ein complicirtes System zusammenhängender und durch Gelenke etc. gegeneinander beweglicher Theile ; befähigt, gewisse Arten mechanischer Arbeit zu verrichten. Die Locomotive wie das Thier bedarf der Speisung, um dann die aus der chemischen Arbeit des Oxydationsprocesses hervorgehende Wärme in Locomotion, in ein System von Bewegungen, umzusetzen. Jene wie dieses secernirt Abfälle, Verbrennungsproducte in mehr als einem Aggregatzustande. Dort wie hier Verbrauchung und Abnutzung der Maschinenteile, resp. der Organe. Dort wie hier Stillstand aller Functionen und Tod, wenn entweder die Zuführung des Ernährungs- und | Heizungsmaterials aufhört oder ein wesentlicher Maschinenteil resp. Organ zerstört worden ist.“ (Platonismus und Darwinismus, Philosophische Monatshefte IX, S. 456. Vgl. desselben Verf. Zur Analysis der Wirklichkeit, S. 297 ff.)

"Dass es sich dabei allerdings nicht um ein neues, abgegrenztes Gebiet der Philosophie handelt, sondern um eine anthropologisch fundierte Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie, die das gesamte moderne kulturphilosophische Wissen von Giambattista Vico bis zu Ludwig Feuerbach unter dem Aspekt der Technik reformuliert und daher letztlich in eine Zivilisationstheorie mündet, macht schon der programmatische Untertitel Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten deutlich. Denn Kultur und Technik sind für Ernst Kapp keineswegs Gegensätze, sondern vielmehr beruht die gesamte menschliche Kultur im Kern auf einem technischen Weltverhältnis, das vom Gebrauch einfacher Werkzeuge bis hin zum modernen Staat reicht." (Einleitung der Hrsg), S. VIII)

Unterschieds zur Prothesentheorie (Mängelwesen bei Freud (Unbehagen) und Gehlen) versus Organprojektion

Für Ernst Kapp hingegen, dessen anthropologische Prämissen stark durch sein altphilologisches Wissen geprägt sind, ist es keine Frage, dass der Mensch das „Idealtier“ (29) ist, das die „Spitze der gesamten Entwicklungsreihe der organischen Bildungen auf der Erde“ (28) darstellt. Im Unterschied zur Prothesentheorie, die auf der Diagnose einer körperlichen Mangelhaftigkeit basiert, wird das Prinzip der Organprojektion bei Kapp durch die Vollkommenheit des menschlichen Körpers begründet. (XIV)

Die Auswirkungen dieses zentralen Unterschieds zur Prothesentheorie lassen sich am Beispiel des theoretischen Zugriffs auf diese Problematik bei Arnold Gehlen veranschaulichen. Denn über die „Organverstärkung“ und den „Organersatz“ hinaus sieht Gehlen in der „Organentlastung“ und der „Organausschaltung“16 die entscheidenden Leistungen der technischen Artefakte, die ... ??? behagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften, hrsg. v. Ilse Grubrich-Simitis, Frankfurt/M. 1997, S. 31–108, hier S. 57.
15 Ebd., S. 57.
16 Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1954, S. 8. Vgl. ders.: Anthropologische Ansicht der Technik, in: Hans Freyer/Johannes Chr. Papalekas/Georg Weippert (Hg.): Technik im technischen Zeitalter. Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation, Düsseldorf 1965, S. 101–118.

Derjenige Zweig der Technik, welchen der Sprachgebrauch als mechanische Technik bezeichnet, ist der hauptsächliche Gegenstand der vorliegenden Schrift. (3)

Zunächst wird durch unbestreitbare Tatsachen nachgewiesen, dass der Mensch unbewusst Form, Funktionsbeziehung und Normalverhältnis seiner leiblichen Gliederung | auf die Werke seiner Hand überträgt und dass er dieser ihrer analogen Beziehungen zu ihm selbst erst hinterher sich bewusst wird. Dieses Zustandekommen von Mechanismen nach organischem Vorbilde sowie das Verständnis des Organismus mittels mechanischer Vorrichtungen, und überhaupt die Durchführung des als Organprojektion aufgestellten Prinzips für die nur auf diesem Wege mögliche Erreichung des Zieles der menschlichen Tätigkeit, ist der eigentliche Inhalt dieser Bogen.(3)

... spannend bleibt, wie er mechnische Technik versteht, insbesondere ob er damit Antrieb und Steuerung ausschliesst

Vico XVIII imitiert wird gemäss dieser Philosophie nicht die Gegenstände der Natur, sondern das Erschaffen von Gegenständen.

Die Selbstentäußerung des Menschen in Gestalt der von ihm hergestellten Artefakte stellt demnach nicht nur den Leitfaden für die menschliche Selbsterkenntnis dar, sondern ist zugleich auch der Schlüssel für die Naturerkenntnis insgesamt. Indem sich der Mensch in den zunächst unbewusst geschaffenen technischen Artefakten seiner selbst bewusst wird, ist ihm über den Umweg der so aufgedeckten „Einheit der Menschennatur“ ebenfalls die Aufdeckung der zugrundeliegenden „Einheit der Naturkräfte“ möglich (25).

Die technische Praxis ist keine nachträgliche Konsequenz einer vorab gegebenen Epistemologie,25 sondern im Gegenteil, sie ist selbst unmittelbar zugleich epistemische Praxis, die das Fundament der menschlichen Erkenntnis schlechthin, und das heißt von Natur und Kultur, abgibt.

Wie wesentlich verschieden nimmt sich der eiserne Hammer der eisernen Hand gegenüber aus ! Jener der Ausfluss unverkürzter Lebenstätigkeit, diese das vorsätzlich und mit ängstlicher Treue nachgemachte Modell ; dort die Erhöhung natürlicher Kraft und Stärke, hier die kümmerliche Zuflucht der Schwäche ; jene im reproduktiven Zusammenhang mit einer Folge von Werkzeugen, diese die isolierte Maske einer Verkrüppelung ; jene in erster Linie beteiligt an der Erschaffung der Kulturmittel, diese nur dem Besitzer ein Gegenstand von Wert, für alle Anderen eine Rarität ! Wie imposant nimmt sich das Analogon des organischen Gebildes als Werkzeug der „Werkzeugung“ aus im Vergleich zu den unfruchtbaren Machwerken künstlicher Glieder und ganzer mit der Unheimlichkeit | von Wachskabinettfiguren behafteten Automaten ! Der Handhammer ist eine metamorphosierte Hand, die eiserne Hand ist Handgestell. Diese bedarf jener zu ihrer Herstellung, jene hilft neue Hämmer schmieden, ganze Hammerwerke errichten und Weltgeschichte machen. (103 , mit Prothesenbild - was nicht als Technik gesehen wird)

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