1961 hielt Popper in Tübingen den Eröffnungsvortrag auf einer Tagung, deren Thema die Logik der Sozialwissenschaften war. Theodor W. Adorno hielt das Korreferat. Die Debatte wurde anschließend vor allem in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie fortgesetzt und war der Beginn des so genannten „Positivismusstreits“. Innerhalb der deutschen Studentenbewegung galt Popper, der sein wissenschaftstheoretisches Hauptwerk „Logik der Forschung“ explizit gegen den Positivismus geschrieben hatte, als „Erz-Positivist“. Die eigentliche Kontroverse zwischen der kritisch-rationalistischen Position Poppers und dem Standpunkt der Dialektik wurde hauptsächlich von Hans Albert und Jürgen Habermas geführt; Popper zeigte sich daran weitgehend desinteressiert und schrieb 1970 in einem Brief an Albert, er könne „diese Leute einfach nicht ernstnehmen“.
Als Positivismusstreit wurde nachträglich die Auseinandersetzung zwischen Vertretern des kritischen Rationalismus (K. Popper, H. Albert) und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule (T. Adorno, J. Habermas) auf der Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 1961 in Tübingen bezeichnet, obwohl der Streit eher in der Wissenschaftstheorie als in der Soziologie anzusiedeln ist. Die ersten Beiträge zum Streit sind in T. Adorno: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie publiziert.
Diskutiert wurden Fragen zur Funktion von Theorie, etwa ob Theorien ein System von Sätzen zur Erklärung von Wirklichkeit seien oder ob sie ein kritisches Instrument zur Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu mehr Mündigkeit und Demokratie sein sollen. Der Positivismusstreit hat insbesondere in den Sozialwissenschaften eine Klärung und Abgrenzung von wissenschaftstheoretischen Standpunkten vorangetrieben.
Hauptstreitpunkte waren die Frage der Wertfreiheit der Wissenschaft (Forschungsmethoden), die Möglichkeit der Isolation einzelner Daten und Fakten aus der komplexen, geschichtlich -gesellschaftlichen Totalität, die Bedeutung des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes und damit auch die Stellung des Wissenschaftlers zu Forschungsprozess, -ziel, -methode und –resultat, das Verhältnis von Empirie und Theorie, die (politische) Verantwortung des Wissenschaftlers für Auftrag und Verwertung seiner wissenschaftlichen Forschung und ähnliches.
K. Popper forderte aufgrund empirisch-positivistischer Überzeugung gemäss seiner Theorie des kritischen Rationalismus, dass eine Theorie nur mittels Falsifikation getestet werden kann, da nur solche Sätze wissenschaftlich sinnvoll seien, die durch Erfahrung überprüft werden können.
T. Adorno forderte, dass die Hypothesen, die in einer Theorie verwendet werden, nicht - wie K. Popper vorgeschlagen hat - beliebig generiert werden sollen, sondern im Hinblick auf die Entwicklung der Gesellschaft.
Vgl. Jürgen Habermas, „Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz.“ In: Jürgen Habermas und Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? S.101-141, insbes. S.114 ff.
J. Habermas und N. Luhmann haben später die Diskussion noch einmal auf die Systemtheorie zugespitz aufgegriffen.
Diese Art von Kritik ist schon früh artikuliert worden. Die Auseinandersetzung zwischen Jürgen Habermas und Niklas Luhmann war nach dem "Positivismusstreit in der deutschen Soziologie" in den 50er und frühen 60er Jahren die zweite große Theoriedebatte der Bundesrepublik. Habermas nimmt Luhmanns erste größeren Veröffentlichungen - "Zweckbegriff und Systemrationalität" von 1968 und "Legitimation durch Verfahren" von 1969 zum Anlaß einer Generalkritik. Die Vor-würfe: "Uneingestandene Verpflichtung der Theorie auf herrschaftskonforme Fragestellungen", "Apologie des Bestehenden um seiner Bestandserhaltung willen", "kritiklose Beugung der Gesellschaftstheorie unter die Zwänge der Reproduktion der Gesellschaft". Diese Vorwürfe und Luhmanns Replik sind in Teilen Historie, denn beide Kontrahenten haben in dieser und aufgrund dieser Debatte ihre Positionen präzisiert und geklärt. Entscheidend war damals für Habermas, daß in sozialen Systemen zum Problem wird, was in organischen Systemen vorausgesetzt werden kann: Die Tendenz zur Bestandserhaltung. "Wer entscheidet", fragt Habermas, "wann sich in der Objektivität des alltäglichen Problembewußtseins das Interesse einer herrschenden Klasse, und wann sich darin die Bestandserhaltungsinteressen der Gesellschaft insgesamt durchsetzen?"
Luhmann kann später, nach dem "Para-digmenwechsel in der Systemtheorie", wie er seinen autopoietischen Zugang selbst nennt, antworten: Es geht nicht um die Erhaltung der Systeme als Systeme, als starre Einheiten, sondern um die Erhaltung der Funktion der Reproduktion.
SPRECHER Erhaltung ist hier die Erhaltung der Geschlossenheit und der Unaufhörlichkeit der Reproduktion von Elementen, die im Entstehen schon wieder verschwinden.
AUTOR Was den Vorwurf der Affirmation bestehender Verhältnisse angeht, bleibt es im übrigen bei Luhmanns kühler Replik:
SPRECHER Einerseits leben wir in dieser Gesellschaft, insofern hat es keinen Sinn, sich mit anderen Gesellschaften zu befassen. Andererseits ändert sich diese Gesellschaft so rapide, in so vielen Hinsichten, daß eine Idenfikation mit ihr eine Identifikation mit Änderungen ist.
AUTOR Es ist, wie es ist, aber es könnte auch alles anders sein: Das könnte das Motto von Luhmanns Gesellschaftstheorie sein, und das ist auch ganz explizit der Gestus, mit dem er an solche Fragen herangeht. Was passiert, passiert, und der Soziologe hat die Aufgabe, einen Schritt zurückzutreten und als Beobachter zweiter Ordnung zu beobachten, wie andere beobachten.
ZUSPIELUNG (Luhmann) Das ist also so ein bißchen Luft aus der unnötigen Aufregung herauszulassen, nicht wahr, und dann zu sehen, was man machen kann mit einer, mit einem besseren Verständnis von strukturellen Widerständen und strukturellen Problemen.
AUTOR Wie Luhmann dabei vorgeht, läßt sich am Beispiel Ökologie-Debatte zeigen. Er hat 1986 ein Buch zum Thema "Ökologische Kommunikation" veröffentlicht und sich außerdem in mehreren Vorträgen und Aufsätzen zu sozialen Bewegungen allgemein und zur Ökologiebewegung im besonderen geäußert. Luhmanns Ausgangspunkt: Ökologische Zusammenhänge sind prinzipiell undurchschaubar. Die Befürchtungen sind unspezifisch, die Reaktionen darauf auch, das Ergebnis ist eine Moralisierung des Problems.