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Rolf: | Lasst uns hier eine Art schriftliches Gespräch über Wissen führen. Mich
würde interessieren, wie jede(r) von uns das Wort verwendet, also in
welchen Zusammenhängen überhaupt von Wissen die Rede ist.
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Daniel: | Was ist Wissen?
Noch unscharf ist für mich der Begriff des Wissens. Klar scheint mir, das Wissen mehr beinhaltet als Informationen oder Daten (Vgl. Definitionsversuch). Für mich beinhaltet Wissen Annahmen über die (Aussen-)Welt, die teilweise, aber nicht immer die Möglichkeit zum Handeln einschliessen. Wobei ich die Unterscheidung zwischem impliziten und expliziten Wissen hilfreich finde. Kaffeetrinken ist implizites Wissen. Ich "weiss" wie ich Kaffee trinke, kann es aber nur sehr umständlich erklären (explizieren). Umgekehrt weiss etwas über unser Sonnensystem, oder etwas genauer: über die gängige Theorie des Sonnensystems. Ich kann recht genau erklären, wie die Planeten heissen und wie sie - der Theorie zufolge - um die Sonne kreisen, also die Theorie explizit machen. Aber sie nützt mir nicht viel zum Handeln. Aber gut. Meine vorläufige Umschreibung von Wissen ist die: Wissen meint Annahmen über die (Aussen-)Welt, deren Plausibilität durch Erfahrung oder auch durch Übereinkunft mit anderen Menschen gestützt wird. Wer hat eine andere Idee? Vielleicht schreibt hier eineR weiter. Wer weiss? |
Rolf: | Etymologisch ist es - zunächst - viel einfacher: Wissen heisst "gesehen haben".
Wie ich Kaffe trinke, kann ich vor dem Spiegel sehen. Das Sonnensystem kann ich nicht sehen. |
Daniel: | Kernprozesse des Wissens.
Hier geht es um die gezielte Förderung und den Aufbau des Wissens in einer Gruppe von Menschen. Ich sprechen jetzt also nicht von der evolutionären, natürlichen Entstehung (und auch Vernichtung) von Wissen, sondern von der "Kultivation von Wissen" (ähnlich dem Gegensatz vom gezielten Ackerbau und dem Jagen und Sammeln von Früchten in der Wildnis, ich stelle fest, da benütze ich immer wieder so schwierige Worte, wie zum Beispiel "Wildnis..."). Mit Absicht habe ich die Wörter "Natur" und "Kultur" einzuführen versucht. Vielleicht denke ich zunächst einmal über die Folgen von Kultur nach. Kultur heisst Pflege, aber auch Ausschluss. Das "Unkraut" auf dem Feld wird ausgerottet, zugunsten der Nutzpflanze. Die Entscheidung zwischen Unkraut und Nutzpflanze ist natürlich schon der erste Schritt einer "Kultivation" im guten wie im schlechten Sinn. Kultur beginnt mit einer Unterscheidung, was dazu gehören soll (Nutzpflanze) und was nicht (Unkraut). Auch in einer Gruppe geht es darum, Wissen zu selektionieren und zwar im Hinblick auf ein Ziel. Nicht alles was wir wissen, können wir weiterpflegen. |
Rolf: | Für mich ist Wissen das Ziel. Für andere Menschen scheint Wissen ein Mittel für ein anderes Ziel zu sein. Ich frage mich, was das für Ziele sind.
Natürlich kann man das Wissen in beiden Fällen aufbauen und verteilen usw. |
Jürg: | Wir haben zum Beispiel am Wochenende einen Ausflug gemacht und in hohem Mass vom WISSEN anderer Menschen profitiert, das heisst, es diente uns als Mittel für verschiedene Ziele. Helga erzählte mir, sie habe im Personalrestaurant von X.Y. gehört , dass es einen Bielersee und daran einen netten Ort namens Erlach gibt. Ich stellten mir den Ort vor und hatten das Bedürfnis, ihn zu besuchen. Ich erfuhren im Fernsehen, dass das Wetter am Wochenende schön sein werde, mit Morgennebel im Seeland. Ich hatten eine Vorstellung. Ich gab ins Internet ein: www.erlach.ch und erfuhr, dass es dort ein Hotel namens "Restaurant au Port" gibt. Ich erfuhr wieviele Franken wir mitbringen müssen, um dort für eine Nacht ein Doppelzimmer zu bewohnen. Ich erfuhr ebenfalls, dass ich eine bestimmte Nummer in mein Telefon tippen muss, um mit dem Wirt des Hauses zu sprechen. Ich tat es, und er schien zu verstehen, was ich von ihm wollte. Ich schrieb ein E-Mail an Freunde und fragte sie, ob sie mitkommen wollen. Auch sie schienen zu verstehen und schrieben zurück: Ja. Wir studierten Landkarten und konnten uns den Weg nach Erlach vorstellen. Wir fuhren mit zwei Autos. Wenn ich das zweite Auto aus den Augen verloren, telefonierte ich mit dem Handy und konnte mir vorstellen, wie weit das andere Auto hinter mir war. Viele Wegweiser und Strassenschilder wiesen uns dem Weg. Wir trafen in Erlach ein und fanden das "Restaurant au Port" auf Anhieb. Es schien im Grossen und Ganzen so auszusehen, wie ich es mir vorgestellt hatten. Im Doppelzimmer sah ich zwei Betten, es schien unbesetzt zu sein und am Schluss hatte ich den Eindruck, dass es
genau soviel kostete wie ich erwartet hatten. Das Wetter schien neblig, wie ich erwartet hatte. Der nette Wirt erklärte uns, wir müssten nur ein wenig auf den Berg hinauffahren, dann werde es schön. Ich konnte mir das vorstellen, wir taten es und es schien schön zu sein. Wir packten die Velos aus, suchten auf der Landkarte einen schönen Weg, nicht zu steil, mit wenig Verkehr und ein paar anderen Merkmalen. Ich erkannte einen solchen Weg auf der Karte, konnte ihn mir vorstellen und wir befuhren ihn. Nach einiger Zeit wurden wir hungrig. Wir tauschten Worte mit verschiedenen Leuten aus, die mit der
Gegend schon Erfahrungen gemacht hatten. Nach und nach entstand in mir das Bild eines netten Restaurants, das in der Nähe war, das geöffnet war, das eine tolle Aussicht hatte, das gutes und preiswertes Essen enthielt. Es entstand in mir auch eine Vorstellung, was ich tun müsse, um dorthin zu gelangen. Wir schienen hinzugelangen und meine Erwartungen korrespondierten mit dem, was meine Augen nun meldeten.. Wir studierten die Speisekarte und ich sah Getränke und Speisen vor meinem geistigen Auge und ich sah, was ich dafür würde bezahlen müssen. Wir baten die Kellnerin, uns
gewisse Speisen aus der Küche zu holen. Sie schien zu verstehen, erzählte vermutlich dem Küchenchef von unseren Wünschen. Der Küchenchef kochte vermutlich und sie, so schien mir, brachte uns wunderbarerweise
ziemlich genau das, was ich mir gewünscht hatte. Und so ging es weiter. Ich stützte mich auf das Wissen anderer Leute und es trug mich durchs ganze Wochenende. übermittelt wurde dieses Wissen, so schien mir, direkt durch gesprochene Sprache, durch medial vermittelte gesprochene Sprache (Telefon, TV), durch geschriebene Sprache und diverse bildliche und symbolische Darstellungen (Wegweiser, Landkarten) auf verschiedenen Speichermedien (Internet, Speisekarte etc.). - Alles lief genau in meinem Sinne ab! Was habe ich eigentlich für ein Problem? - Würden alle so kompliziert denken, reden und schreiben, wie ich hier, hätte das alles vielleicht nicht funktioniert.
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Rolf: | Jürg beschreibt sein wunderbares - ist es denn nicht wie ein Wunder - Wochenende, wo alles perfekt funktionierte. Vielleicht gerade deshalb, weil niemand "kompliziert geschrieben" hat. Ich könnte - ziemlich kompliziert - beschreiben, wie das Kaffee trinken oder das Velo fahren "funktioniert", was Jürg an seinem Wochenende sehr gut gelungen ist, weil er es nicht beschrieben, sondern gemacht hat.
Die Kommunikation - und das Wissensmanagement - werden zum Thema, wo etwas nicht oder nicht so gut funktioniert. Hätte das Telefon nicht funktioniert ..., wären die Wegweiser nicht gewesen ..., hätte die Homepage des Hotels ...., hätte der Metzger nicht geliefert, was auf der Speisekarte stand ..., wäre der Koch krank gewesen ..., hätte Jürg bei der Swissair gebucht ... Das Internet ist nur ein Medium, das Jürg verwendet hat. Was alles könnte im Internet besser zu meinen Bedürfnissen passen? Was alles muss ich wissen, wenn ich etwas ins Netz schreiben oder dort finden will? Und dann: Was alles müsste ich wissen oder tun, damit andere Menschen ihr Wissen mit mir teilen? Und - wenn sie das tun wollten: Wie könnten wir es sinnvoll tun? |