Hyperkommunikation: Ein virtuelles Seminar zum Studiengang Konstruktives Wissensmanagement der Fachstelle für Weiterbildung der Uni Zürich

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  Mr. Check

Ein Gespräch über ich's       [ andere Dialoge ]

agnès:

lieber rolf, mir klingt ein satz von dir im ohr der ungefähr hiess "das ich ist immer schon da".
 
im moment mache ich einen kleinen beitrag, für den ich bilder suche zu verschiedenen "ichs" und aussagen. es gibt ein gespräch zwischen einer managerin und einem psychoanalytiker, die über arbeits- und freizeitich sprechen. ein manager muss doch die fähigkeit haben, einen teil seines ichs abzuspalten um gewisse entscheide zu fällen, oder?
 
aber mir scheint, dass die konzeption eines "ichs" immer schon die unterscheidung von anderen beinhaltet und im traditionellen verständnis wird ja auch zwischen innenwelt (subjektiv) und aussenwelt (objektiv) unterschieden. wenn ich in der konstruktivistischen weltsicht davon ausgehe, dass es keine objektwelt gibt, wie kann ich dann über ein ich sprechen bzw. wofür steht dieses ich oder brauche ich es? um eine position zum sprechen zu haben?
 
was mir auch in den sinn kam: dass wir im kmw die vorstellungsrunde bezüglich beruf ausgelassen haben. da war ja dann die frage: was sind/können wir ohne unseren beruf, spielt es eine rolle wie wir heissen?
 
und wo ist das ich? im traditionellen verständnis ist es an einen leib gebunden
 

Rolf:

liebe agnès, mit "ich" spreche ich über mich. Da gibts die Unterscheidung innen/aussen nicht. Ich bin aber weder Psychoanalytiker noch Managerin. Ich bin ich.
 
ich bin nicht an einen Leib gebunden. Mein Leib ist eine Konstrution meines Ich's. Berufe sind spezielle Fiktionen, um das ich zu verstecken. Deshalb will ich keine Berufe wissen. Mich interessiert, was die "ich" im Dialog von sich sagen.
 

Rolf:

was ist aus Deinem ich geworden ?
 

agnès:

Also das ich versucht in sprache und bilder ein wenig herauszufinden, wofür es wann da ist. welche rolle es bei welcher gelegenheit spielt. natürlich hat es keine ahnung, was es selber ist. da ist immer der wunderbare brei drumherum (um den sogenannten kern). es ist immer noch die frage, was ich wann meine wenn ich von ich spreche, sozusagen wen in mir? Ich habe einmal mehr geschrieben: "I am an Eye not an I". Ich bin was ich sehe. Und das was ich sehe, weiss ich. Da kann ich gar kein klares, umrissenes Ich dranhängen, sonst geht die Vielfalt verloren.
 
Was mir gefallen hat in Deiner Sprache: Mit "Ich" spreche ich über mich.
 
Dazu schreibe ich weiter: Durch permanente Interaktion mit anderen entsteht in der Sprache das "Selbst". Meine verschiedenen Wesen fasse ich manchmal - vom "Ich" sprechend - scheinbar zusammen. Die Wesen sind die verschiedenen Art und Weisen, wie ich mich äussere, benehme: eigenartig heisst in einer ganz eigenen Art.
 
ich nehme mich eigentlich immer als einheit war obwohl ich sehr unterschiedlich sprechen und handeln kann. ich kann auch so singen, dass mein körper sich auflöst.
 
dein ich sei nicht vom körper abhängig, hast du geschrieben. ein astronaut, den ich an einem referat gesehen habe, hat erzählt, dass seine körpergrenzen in der schwerelosigkeit sich auflösten.
 
dann frage ich mich (schon da sind wir zu zweit), was wohl die leute meinen, wenn sie von teilpersönlichkeiten sprechen. es scheint mir in gewissen fällen gesellschaftlich opportun, sich aufzuteilen, z.b. in freizeit- und arbeits-ich. auch die manager, die rationalisieren und viele leute entlassen, sind in der freizeit- oder privatzeit liebe menschen. in anderen fällen ist es aber nicht opportun, sich in teilwesen zu tummeln. das gilt dann als pathologisch (schizophren), wenn ich plötzlich davon spreche, die königin zu sein oder napoleon oder jesus. oder ist da der unterschied bloss, dass ich davon sprechen darf, aber nicht so handeln?
 

Rolf:

Wenn ich mich frage, fühle ich mich nicht zu zweit. Ich frage mich in einem dialogischen Sinn um mir meine Frage bewusst zu machen.
 
In meinem Konstruktivismus spreche ich über Beobachter, wenn ich in einem vergegenständlichten Sinn von einem "ich" spreche. "Jeder Satz stammt von einem Beobachter" drückt für mich aus, dass das ich schon vor dem ersten Satz und natürlich vor jeder Wahrnehmung existiert.
 
Die meisten der Aufteilungen, die Du thematisierst, kann man mit einem ich in der Zeit machen. Tagsüber bich ich Manager, am Abend Freizeitmensch. Dazu muss ich meine einheitliche Selbstdarstellung aufgeben. Wenn ich in einem Leben Jesus und im andern Napoleon bin, ist das auch in der Zeit und deshalb unproblematisch. Und wenn ich jetzt gerade Napoleon bin, macht mir das auch nur indirekt zu schaffen, weil meine Mitmenschen nicht sehen, dass ich Napoleon bin.
 
Am liebsten ist mir Dein Satz "ich bin was ich sehe". Mit diesem Satz kann ich weder über mich noch über das von mir gesehene streiten. Das wäre dann konstruktivistisch oder dialogisch im besten Sinn.
 

agnès:

ist denn dein ich immer der gleiche beobachter oder sprichst du einmal als manager und später als napoleon. geht das ich mit der zeit mit.
 
Und Du schreibst: "Dazu muss ich mich nicht spalten, ich muss nur eine einheitliche Selbstdarstellung aufgeben".
das scheint mir eben das problem zu sein. ich empfinde gesellschaftlichen druck, bildern zu entsprechen, also mich selber einheitlich darzustellen. aber ich arbeite daran - im konstruktivistischen sinn - das immer weniger als "problem" zu sehen. ich sehe das aber überall (werbung, medien): das ich ist ein dauerbrenner und in unserer gesellschaft geht es eher darum, dieses ich aufzubauen, mit attributen anzureichern, etwa so wie eine wohnung eingerichtet wird. es geht weniger darum, das ich abzubauen in dem sinne, dass es sich in grösstmöglicher vielfalt zeigt. das ist z.b. die frage nach dem beruf. im kwm-kurs sagte jemand, er/sie möchte den namen und den beruf wissen, damit er/sie wisse mit wem er/sie es zu tun habe. das finde ich absurd, weil man sich sowieso überhaupt nicht kennt. aber an diese aussagen über berufe können dann beliebig gerichtete bilder gehängt werden. das gefällt mir jeweils nicht.
 
die verwirrung ist doch, dass ich immer dasselbe wort brauche ("ich"), um von diesen verschiedenen ichs i.s. verschiedener selbstdarstellungen zu sprechen. das tönt sehr einheitlich.
 
Und Du schreibst: "Und wenn ich jetzt gerade Napoleon bin, macht mir das auch nur indirekt zu schaffen, weil meine Mitmenschen nicht sehen, dass ich Napoleon bin". Solange ich nicht so schwatze wie Napoleon! Du sagst also quasi, dass psychische Krankheiten (bis wohin ist etwas gesund, wann kippt es ins ungesunde) eine gesellschaftlich festgelegte Konvention sind?
 

Rolf:

Zwischenruf: Es gibt keine gesellschaftlichen Konventionen, aber ich kann für mich einige machen oder für-wahr-haben, wenn mir das dient. Ob ich krank bin oder nicht, entscheide ich selbst. Und wenn andere Menschen etwas anderes entscheiden, müssen sowohl sie wie ich damit einen Umgang finden.
Napoleon wurde einmal nach Elba gebracht, weil es den andern nicht mehr passte, dass Napoleon unter ihnen weilt. Andere Male wird Napoleon aus demselben Grund in irgendwelche Irrenhäuser gebracht. Dazu gibt es das wunderbare Schauspiel von Peter Weiss über Marat und Sade im Irrenhaus.
 

agnès:

Und Du schreibst: "Am liebsten ist mir Dein Satz "ich bin was ich sehe". ja. "wissen" hat (wenn man dran glaubt) ethymologisch mit "sehen" zu tun. mir gefällt das immer besser. mich dünkt, du habest auch schon bemerkungen in diese richtung gemacht?
 

Rolf:

Für mich ist sehen eine Art Metapher zu wissen. Ich sehe immer, was ich - zu mindest für möglich - weiss. Ich habe noch nie etwas gesehen, was es nicht gibt.
 
Und die einheitliche Selbstdarstellung und der Wunsch nach kohärenter Konsistenz ist etwas, was ich in mir finde. Gesellschaftlichen Druck brauche ich dafür nicht. Mein ich ist kein Beobachter, ich bin ein Beobachter. Wenn ich den Beobachter meine, den ich bich, dann sage ich ich. Wenn ich andere Beobachter meine sage ich beispielsweise Agnès. Und wenn ich irgendeine Aussage verstehe, dann reflektiere ich zuerst, dass sie von einem Beobachter stammt.
 
Die Aussage, "dass man als Manager sprechen kann" wird in verschiedenen Kontexten sehr verschieden. Wenn ich sie verstehen will, muss ich wissen, wer das in welchem Kontext gesagt hat.
 

Verena:
  Fragen über "ich", "mich", "Rollen" haben mich in den letzten Tagen zum Wiederlesen des Steppenwolf's von Hermann Hesse geführt. Der Steppenwolf empfindet sich als schizophren, weil er sich sowohl als Harry Haller, wie auch als Steppenwolf fühlt und zwischen diesen beiden Rollenbildern hin und her pendelt.
 
Im Duden wird Schizophrenie als 'Spaltungsirresein' interpretiert.
 
Im Steppenwolf erkennt Harry Haller, dass er weit mehr als Harry und Steppenwolf ist. Er trägt in sich seine Erinnerung der Menschen, die ihn beeindruckt haben. Sogar wenn er meint, sie getötet zu haben, leben sie in ihm weiter.
 
Das Buch endet mit der Aussage:....es wäre mir doch lieb, wenn viele von ihnen merken würden, dass die Geschichte des Steppenwolfes zwar eine Kranheit und Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergeng, sondern das Gegenteil: eine Heilung.
 
Damit sagt Hesse für mich: "vergiss die engen Umrisse deiner Person und Persönlichkeit! Erlaube dir die Weite des Welttheaters... sei Napoleon, Managerin, Elfe, Tod, Engel, Teufel... was immer du gerade spielst, es ist nur ein Teil dessen, das du bist.
 
Ich meine, dass wir immer alles sind. Nur das Sein in der Zeit lässt Aufteilungen in Rollen als Teilaspekte des Gesamten zu. Verwirrung entsteht durch die Erwartung, dass unsere gegenwärtige Rolle von der Aussenwelt so gesehen werden soll, wie wir sie gerade interpretieren.
 
In diesem Sinne sind wir alle in einem permanenten Wandlungsprozess. Wer z.B. im Dialog seine Auffassung wirklich um eine Dimension erweitert, das Andere nicht nur stehen lässt, sondern anerkennt, wird in diesem Moment eine andere Person.
 
Ich erlebe diese Veränderung sehr vereinfacht im Kaleidoskop. Eine winzig kleine Bewegung verschiebt das gesamte Bild leise zitternd verschiebt es sich immer fort... immer fort.....
 
Diese Erkenntnis gibt mir Freiheit. Sie er-löst mich von vermeintlichen Konventionen der Gesellschaft, denen ich entsprechen sollte. Sie erlöst mich vom Druck, dass meine Biografie mich in eine festgelegte Persönlichkeitsstrucktur gegossen haben sollte, sie erlöst mich vom Zwang, etwas zu sein, das ich nicht bin! Sie macht mich nicht Selbst-Sicherer, eher verletzlicher, offener, immer mehr suchend als wissend.
 
Rolf:

ja genau so ist es auf dem Motorrad. Da bin ich erlöst von Konventionen und Geschichte, da schwebe, fliege ich. Verletzlicher siehsts vielleicht aus, Selbstsicherheit brauchts nicht, ich suche in meinem Wissen.
 

Verena:

Rolf sucht in seinem Wissen und wird frei, ich lasse Wissen von mir abfallen und fühle mich befreit!
 
Hinter jedem Wissen ist neues Wissen, und wieder Wissen .....wissen endet in unendlicher Zerstückelung das Ganzen, ist die Freude an schillernden Einzelteilchen. Wissen ist wie Pailletten auf dem Clown-Gewand: schillernd, farbig, verführerisch......
 
Wissen ist das Fenster sehen, in den Bildern von René Magritte (z.B. 'condition humaine'). Wer weiss, dass hinter dem Fenster neue Bilder sind, und immer wieder neue: von Grossen zum Kleinen, vom Kleinen zum Grossen..... Wissen ist immer Teilerkenntnis!
 
Wie fühlt sich Selbstsicherheit an, die auf der Suche nach Wissen beruht?
 
Mich macht Wissen unsicher, weil stets das Gegenteil auch Wissen ist, weil Wissen immer Momentaufnahme, immer Zeit-gebunden ist. Wissen liegt für mich ausserhalb der Wahrheit.
 

Rolf:

Wie Agnès verstehe ich Wissen in einem nicht begrifflichen Sinn quasi-etymologisch als "Gesehen-haben". Was ich gesehen habe, habe ich als Erinnerung in mir. Deshalb suche ich in meinem Wissen, wenn ich etwas über mich wissen will. Wenn ich ich sage, meine ich jene Instanz, die die Bilder in mir gesehen hat. Und jene Instanz wird mir erläutert, wenn ich die Bilderin mir wieder anschaue. Wo war ich schon, wen habe ich getroffen, was habe ich gemacht?
 
Im Konstruktiven Wissensmanagement verwende ich das Wort Wissen aber in einem begrifflichen Sinn für explizites Wissen (vergl. Eine thematische Einführung). Eine etwas begriffslose "Definition" von Probst hat Daniel zitiert. Und eine ziemlich implizite Verwendung hat Marco Bettoni mit seinem Eisberg vorgetragen.
 
Meine Meinung nach liegt der Sinn des Wissensmanagements darin, sich explizit mit Wissen zu beschäftigen, um sich bewusst zu werden, was man mit Wissen meint. Wie man dabei aber so "ganzheitliche" Vorstellungen entwickeln könnte, wie sie Verena vorschlägt, sehe ich noch nicht.
 
Zu Wahrheit sehe ich keinerlei Verbindungen. Was ich weiss, ist nicht wahr, und was wahr ist, ist auch wahr, wenn ich es nicht weiss.