Modul-Auswertung von Rolf Todesco

Ich war mit 20 lernwilligen Menschen, die ich zuvor nicht gekannt habe, eine Woche lang in einem noch nicht ganz fertig gebauten "Seminarhotel" im Jura, wo auch etliche Pferde und Hunde leben. Eine solche Gruppensituation scheint mir ganz untypisch und hoch privilegiert. Wie würde ich es fertig bringen, eine Gruppe von Menschen, die etwas Vergleichbares wie ich lernen wollen, eine ganze Woche lang zusammenzubringen und völlig ungestört mit ihnen zu arbeiten?

Ich habe eine vergleichbare Erfahrung schon gemacht, weil ich bereits früher einen solche Woche mitgemacht habe. Ich habe versucht, die Gruppe in ihrer Einmaligikeit und Unvergleichbarkeit zu erleben und zu erfahren. Das ist für mich viel mehr ein Ueben als ein Lernen. Ich übte jeden Tag das Neusehen der Gruppe, das Abbauen von Vorurteilen, die ich am Tag zuvor aufgebaut hatte. Ich habe nicht eigentlich gelernt, sondern erfahren und erlebt, dass die Idee eine Gruppe zu leiten für mich ziemlich unsinnig und arrogant ist. Eine Gruppe macht genau das, was sie braucht, wenn sie nicht geleitet wird. Lernen im Sinne von Ueben muss ich als Gruppenleiter die Gruppe NICHT zu leiten. Darin habe ich auch im Jura wieder einige Fortschritte gemacht.

Mein Leitgedanke ist: ich bin Teilnehmer, weil alle Gruppenleiter sind. Ich mache dasselbe, wie die Teilnehmer, buchstäblich, also auch die Heim- und Nacharbeit. Dadurch lerne ich einschätzen, was der Fall ist. In meinem Lehrerbild macht der Meister vor, was der Lehrling nachmacht.

Ich habe für-wahr-genommen, dass am Anfang ganz grosse Erwartungen an mich herangetragen wurden, dass ich die Leitung übernehmen und ausführen soll. Ich glaube, diese Wahrnehmung war eine Illusion, die auf Vorurteilen von mir und den andern Gruppenmitgliedern beruht. Vorstellungen begrenzen meine Sicht. Ich habe wieder und wieder erlebt, wie wir uns Gebote und Verbote aufstellen, die wir selbst erfinden. Ich möchte aus dieser Woche in mein Leben und in meine zukünftigen Gruppen mitnehmen, besser zu sehen, was die Gruppen wirklich wollen.

Inhaltlich habe ich zu wenig gelernt. Das schreibe ich meiner Rolle in dieser Gruppe zu. Ich war eben Gruppenleiter und damit verbunden habe ich das Vorurteil, dass ich die Inhalte bringen müsse. Ich glaube, dieses Vorurteil ist auf der sachlichen Eben sicher begründet. Es gibt Diskurse, in welchen hauptsächlich die Schüler etwas lernen sollten, nicht der Lehrer. Als Gruppenleiter bin ich immer wieder etwas in diese Rolle gerutscht und habe Inhalte wie Kommunikationstheorie oder Methodenlehre vermittelt. Es ist für mich schwierig, eine solche Gruppe zu leiten ohne Lehrer zu sein.

Ich will in Zukunft diese beiden Funktionen noch besser auseinandernehmen und mir noch mehr bewusst machen, welche Rolle ich wann spielen kann und will. Ausserdem will ich künftig noch weniger abschätzen, was für wen nützlich sein könnte. Seit ich mich auf solche Fragen sensibilisiere, erlebe ich immer stärker, wie fadenscheinig sie für mich sind.

Die grösste Herausforderung für mich ist, alle meine Pläne und Ziele loszulassen. Das ist mir in dieser Woche ziemlich gut gelungen, allerdings habe ich davon profitiert, dass ich mein Programm nicht explizit gemacht habe.

Die Ausschreibung (Wegleitung) der Woche ist mir zunächst als unbrauchbar erschienen. Jetzt glaube ich, dass ich im Nachhinein sehr viel, von dem was ich erlebt habe, in der Ausschreibung wiederfinden kann. Im Laufe der Woche lerne ich die Wegleitung zu lesen - und das passt für mich zu dieser Wegleitung. Ich frage mich jetzt vermehrt, wie andere diese Wegleitung verstehen.

Was mir wieder aufgefallen ist - natürlich weil ich damit rechnete - ist die theoretische Unbekümmertheit in der sogenannten Erwachsenen-Bildung. Da ist sehr viel von Qualitätskontrolle und Evaluation die Rede, aber sehr selten von Theorie. Die Erwachsenenbildung wird als Business betrieben und verstanden und deshalb nach industriellen Standards bewertet. In meinem Verständnis ist Bildung etwas anderes als McDonalds-Produkte, bei welchen mir Qualitätskontrolle sehr gut einleuchtet: Ich finde auch extrem wichtig, dass jedes Frite gleich lang und jedes Cola gleich süss ist. Aber ich verstehe nicht, warum meine Kursteilnehmer sich am Schluss der Veranstaltung wie Hamburger gleichen sollten. Umgekehrt sehe ich einen Zielkonflikt, wenn ich in einer solchen Woche Theorie vermitteln wollte. Was ich versucht habe, ist Theorie wenigstens etwas ins Gespräch zu bringen. Mein Erfolg war bislang eher bescheiden.

Ich habe insgesamt im Jura eine einmalige - vielleicht etwas co-evolutive - Erfahrung gemacht und danke dafür der ganzen Gruppe herzlich.