Kuverum
Freitag, 25. April 2003, 14.00 – 16.00 Uhr, Schulhaus Scher, Zürich
Ich will mich nicht vorstellen. Ich hätte gerne, Sie würden von mir das wissen, was wir im folgenden diskutieren. Ich bin derjenige, der gesagt hat, was ich gesagt habe.
Ich verstehe meinen Beitrag als Performance, aber nicht als Vorführung, von etwas, was es schon gibt. Ich verstehe meinen Beitrag als Kunst, aber nicht als Kunst für andere. Ich gehe davon aus, dass hier jeder seine eigene Kunst macht.
Ich will mich etwas an die Philosophiegeschichte anlehnen. Zuerst waren meines Wissens die Skeptiker da. Sie könnten sich als Skeptiker fragen:
Wer ist das? Wieso gerade der?
Was will er? Darf er überhaupt etwas wollen? Oder sollte er das machen, was wir wollen?
Was bringt er? Kann oder soll ich das ernst nehmen? Stimmt es?
Was habe ich davon? Wozu ist das gut?
Ich will in einem Beitrag darüber reflektieren, wie ich wahrnehmen und für-wahr-nehmen (für-)wahrnehme. Ich lasse mir von Plato, von Silvio Ceccato und von Humberto Maturana helfen. Ich setze mich also in die Höhle, in den Kindergarten und ins U-boot. Vielleicht setzt sich jemand dazu?
Abstrakt geht es mir darum, dass ich wahrnehmen sinnlich interpretiern kann, etwa als sehen. Dabei nehme ich nicht wahr, dass von Wahrheit die Rede ist. Und sehen kann ich so sehen, als ob ich ein Fotoapparat wäre, dann sehe ich nicht, wer den Fotoapparat in den Händen hat. Und schliesslich frage ich mich, warum es gut wäre, wenn andere Menschen dasselbe wahrnehmen und sehen würden wie ich.
Wir setzen uns vor die Wand und verwenden den Hellraumprojektor als Sonne vor der Höhle.
Im Unterschied zu Platos Höhlenbewohner müssen wir ziemlich kreativ sein, weil wir die Sonne schon einmal gesehen haben und sie jetzt wieder wegdenken müssen.
Wenn jemand von uns aus der Höhle geführt wird und sich vom Hellraumprojektor blenden lässt und danach in der Höhle über seine Erleuchtung erzählt, was denken dann die andern? Glauben wir, was Erleuchtete erzählen?
Maturana hat die Höhle in die heutige Zeit geholt. Piloten und U-Boot-Steuermänner sehen auch nicht, was draussen ist, sie sehen auch nur Schatten. Sie wissen das zwar, aber sie wissen nie, was die je aktuellen Schatten verursacht.
Im Bild "fools cap" sehen wir eine radikale Interpretation: Wir sehen unsere Augen, und in der Not machen wir Erklärungen für das, was wir sehen. Die einfachste Erklärung ist die Wirklichkeit. Aber natürlich können nur "Erleuchtete" mit einer privilegierten Sicht nach jenseits ihrer Augen wissen, was die Augen "sehen".
Silvio Ceccato hat im Kindergarten Untersuchungen gemacht. Die wollen wir nachvollziehen, (auch ein bisschen, weil wir hier in einem Kindergarten zu Gast sind). Es geht darum, Wahrnehmung operativ zu sehen.
Um etwas zu sehen, muss ich operieren, meine Aufmerksamkeit lenken. Ich lenke meine Aufmerksamkeit nach Bildern, die ich bereits im Kopf habe. Ein gezeichnetes Oval wird zu einem See, einem Ring, einem Loch, usw.
Im Spiel von Plato erkläre ich meine Wahrnehmungen mit äusseren Verhältnissen, im Spiel Spiel von Ceccato mit meinem eigenen Operieren. Ich sehe kein Kriterium dafür, dass eines der beiden Bildern besser sein könnte. Alle müssen selbst entscheiden, wie sie ihre eigene Wahrnehmung verstehen wollen.
Was habe ich davon, wenn die andern das gleiche wahrnehmen wie ich? Dazu noch ein Spiel:
Wann habe ich in welchen Situationen den Ausdruck "Wirklichkeit" oder ein Synonym dazu wie "Realität", "Wahrheit" usw verwendet?
Es geht hier nicht darum, was ich über diese Wörter denke, sondern darum, in welchen Situationen ich diese Wörter brauche. Vielleicht finden wir bestimmte Regelmässigkeiten, wenn wir uns die Situationen konkret vorführen. Ziel ist, dass wir uns bewusst werden, was wir mit diesen Wörtern tun.
Ich will hier kurz auf drei Kritiken reagieren, die ich wahrgenommen habe:
1. "das war alles schon bekannt und auf Volksschulniveau".
Ich habe in der Tat aus der Philosophie vorgelesen, also nichts Neues vorgetragen. Ic habe auch explizit gesagt, welche Philosophen ich zitiere. Ich wollte Euch einladen, das schon Bekannte einmal ernstzunehmen.
2. "das war eine absurde Veranstaltung - sie hatte kein erkennbares Ziel"
Ich glaube, das Absurde liegt ausschliesslich in der Wahrnehmung und nie indem, was wahrgenommen wird. Mir scheint absurd, was ich nicht einornden kann. Wie man bei Beuys nachlesen kan, hat die Kunst den Bilderrahmen und das Museum erfunden, um dem Absurden (zB der berühmten Beuysschen Badewanne) eine Ordnung zugeben. Und wir haben uns ausführlich darüber unterhalten, wer jeweils das Bild als solches sieht und wer sieht, was im Bild ist: Ceci nestpas une pipe!
3. Die Unterhaltung war lustig, hatte aber keinerlei Bezug zu Kuverum.
Was ist Kuverum WIRKLICH? Ist Kuverum das, was Du glaubst oder wahrnimmst? Mein Beitrag hatte einen grossen Bezug zu "meinem" Kuverum, also dazu, was Kuverum in meiner Wahrnehmung ist.
Anhand der Unterhaltung könnten wir uns im dialogischen Sinne bewusst machen, wer Kuverum wie für-wahr-nimmt.