Das ist aus erläuterten Gründen keine begriffliche Bestimmung zu Realität: Ich sehe den Ausdruck "Realität" synonym zum Ausdruck Wirklichkeit". In der Literatur gibt es viele Unterscheidungen, eine typische beispielsweise von G. Roth, dessen Gehirn in der Realität und in der Wirklichkeit vorkommt. Realität wird vor allem in der Literaturtheorie von Fiktionalität unterschieden, dabei geht es aber nicht um die Realität, sondern darum, was in der Literatur beschrieben wird (zB. N. Luhmann). Realität und Wirklichkeit sind Hypostasierungen einer Ent-Subjektivierung. Als Realität bezeichne ich das, was jenseits des Beobachters der Fall ist. Wer - wie ich - alles als beobachterabhängig sieht, kennt keine Realität, wer eine Realität kennt, versucht diese zu erkennen. Vergl. dazu das Höhlengleichnis und den Rationalismus. |
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Man kann Realität als "erkenntnistheoretisches Konstrukt" sehen und dann darüber streiten, ob und inwiefern die Realität erkennbar ist, was gemeinhin als "Erkenntnistheorie" bezeichnet wird. Man kann den radikalen Konstruktivismus als Erkenntnistheorie verstehen, die die Realität leugnet oder als unzugänglich deklariert, also als Position in diesem Streit. Man kann aber - und ich tue es - der radikalen Konstruktivismus als Alternative zur Erkenntnistheorie verstehen, dann wird der Streit um die Realität bedeutungslos.
Im - radikal konstruktivistisch fundierten - Dialog verwende ich den Ausdruck Realität (und seine synonymen Formen, neben Wirklichkeit etwa Wahrheit) nicht. Im Dialog spielt es keine Rolle, ob es eine Realität gibt oder nicht, weil einfach nie auf die Realität verwiesen wird.
Gedanken-Experiment
Bitte überlegen Sie, wann - in welchen Situationen - Sie Ausdrücke wie Realität, Wirklichkeit, objektiv, wahr, usw. verwenden (würden) oder verwendet haben. Erinnern Sie sich an eine ganz konkrete Situation. Worum ging es in dieser Situation? Und wie ist es Ihnen in dieser Situation gegangen? Mir begegnen solche Ausdrücke ausschliesslich in kritischen Situationen, in welchen ich mich nicht wohl fühle. Oft soll die Realität in einer Diskussion entscheiden, wer recht hat. Dabei gibt es logischerweise immer auch jemanden, der nicht recht hat. Diskussionen beruhen immer darauf, dass jemand weiss, wie es "wirklich" ist. Ohne Verweis auf die Realität kann man schlecht streiten. Wenn ich solche Ausdrücke nicht verwende, streite ich nicht. Ich glaube, wer diskutiert, verliert.
Fiction verwende ich den Ausdruck Realität (und seine synonymen Formen, neben Wirklichkeit etwa Wahrheit) nicht. Im Dialog spielt es keine Rolle, ob es eine Realität gibt oder nicht, weil einfach nie auf die Realität verwiesen wird.
Realität ist, was wir als wahr annehmen.
Was wir als wahr annehmen, ist was wir glauben.
Was wir glauben, basiert auf unseren Wahrnehmungen.
Was wir wahrnehmen, hängt davon ab, was wir suchen.
Was wir suchen, hängt davon ab, was wir wahrnehmen.
Was wir wahrnehmen, bestimmt, was wir glauben.
Was wir glauben, bestimmt, was wir für wahr halten.
Was wir für wahr halten, ist unsere Realität.
"Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt ..., dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist." Musil, R., Der Mann ohne Eigenschaften, S.16.
"Denn was wir unter Wirklichkeit verstehen, ist niemals mit der Summe aller uns zugänglichen Fakten und Ereignisse identisch und wäre es auch nicht, wenn es uns je gelänge, aller objektiven Daten habhaft zu werden. Wer es unternimmt, zu sagen, was ist, kann nicht umhin, eine Geschichte zu erzählen, und in dieser Geschichte verlieren die Fakten bereits ihre ursprüngliche Beliebigkeit und erlangen eine Bedeutung, die menschlich sinnvoll ist." H. Arendt: Wahrheit und Politik
Im wir-Herrschaftsdiskurs (aus der Luhmann-Liste):
Die Realität ist damit das, was wir als beobachterunabhängige Beobachtungen beobachten und für alle weiteren Operationen als gegeben unterstellen und bildet so eine Art immer schon vorausgesetzte Basis für weitere Operationen.
Die andere Seite, also die Seite der Virtualität, lässt sich dann mit Pierce (ähnlich aber auch bei Luhmann) wie folgt auffassen:
"Ein virtuelles X (wobei X ein allgemeiner Begriff ist) ist etwas, das zwar kein X ist, aber die Wirksamkeit (virtus) eines X hat. Das ist die richtige Bedeutung des Wortes, es wurde jedoch weitgehend mit ›potentiell‹ verwechselt, was beinahe sein Gegenteil ist. Denn das potentielle X hat die Natur eines X, hat aber keinerlei tatsächliche Wirksamkeit“ (Peirce, C., 1967, S. 228)