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Ein Exeriment zum blinden Fleck

Das Experiment macht im Konstruktivismus grosse Karriere: H. von Foerster: Sicht und Einsicht, S. 26ff und Der Baum der Erkenntnis (siehe unten)

Hier zuerst das Experiment und unten zur Geschichte von C. Peirce

Ich zeichne zwei Symbole, beispielsweise einen Kreis und ein Kreuz, auf ein Papier, das ich dann vor meine Augen halte. Dann decke ich mit der linken Hand das linke Auge ab und schaue mit dem rechten Auge auf den Kreis. Ich bewege das Papier langsam näher zu meinen Augen und wieder weiter weg. In den meisten Entfernungen sehe ich neben dem Kreis auch das Kreuz. In einer bestimmten Distanz (ca 30 cm) aber verschwindet das Kreuz. Ich sage denn, es liege in meinem blinden Fleck.

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und weiter unten noch ein Experiment.
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Das Erstaunliche ist nicht, dass das Kreuz auch hier verschwindet, sondern dass die Linie durchgezogen bleibt.


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C. Peirce zum Blinden Fleck

C. Peirce argumentierte über die Entwicklung des Wissen mit anfänglichem Raten (Divination, Konjektur) und verwendete dabei dne blinden Fleck. Siehe dazu Die Konjektur als blinder Fleck, woraus die folgenden Textstellen stammen:

Zugleich handelt es sich um eine Form der Leerstellenergänzung, die in einer gewissen Analogie zum blinden Fleck der Netzhaut steht: Peirce führt das Beispiel einer Person an, die einen Raum betritt, an dessen Wand dreiviertel eines bekannten Gemäldes von Raffael projiziert wurde. Der Betrachter rät, dass das fehlende Viertel da ist und sechs Monate später wird er schwören, er habe das ganze Bild gesehen. ((Peirce: »Guessing«, S. 268.)


Als Beleg für seine Argumentation gegen eine derartige Auffassung von Intuition führt C. Peirce den blinden Fleck (»blind spot«) an: »Weiß der Leser, daß es auf der Netzhaut einen blinden Fleck gibt?« fragt er in dem oben erwähnten Artikel im Journal o/Speculative Philosophy und ermutigt den Leser sogleich zu einem Selbstexperiment:

Man nehme sich ein Exemplar dieser Zeitschrift vor, ldappe den Deckel auf, damit man eine weiße Seite vor sich hat, lege sie quer auf den Tisch, vor dem man allerdingssitzen muß, und lege zwei Geldstücke auf jene Seite, eines in die Nähe des linken Rand und das andere in die Nähe des rechten. Man lege seine linke Hand auf das linke Auge und schaue dann mit dem rechten Auge beständig auf das links liegende Geldstück. Man bewege dann mit der rechten Hand das rechts liegende Geldstück (das man nun ldar sieht) auf die linke Seite zu. Wenn es an eine Stelle in der Nähe der Mitte der Seite kommt, wird es verschwinden, - man kann es nicht sehen, ohne das Auge zu wenden. Man schiebe es näher an das andere Geldstück heran oder ziehe es weiter von ihm weg, es wird wieder erscheinen, aber in jenem besonderen Fleck kann man es nicht sehen.
(54) Peirce: CollectedPapers, 5.220 in der Übersetzung von Karl-OttoApel, »Fragen hinsichtlich gewisser Vermögen, die man für den Menschen in Anspruch nimmt«, in: Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, S. 17.

Aus diesem Experiment zieht Peirce noch einen weiter reichenden Schluss, nämlich, dass der Raum, »den wir unmittelbar sehen«, wenn das eine Auge geschlossen ist, ein Ring ist, »der erst durch die Arbeit des Intellekts ausgefüllt werden muß«, Das heißt aber nichts anderes, als dass der gesamte Wahrnehmungsprozess als Prozess der synekdochischen Leerstellenergänzung aufzufassen ist, bei dem es nicht mehr zweifelsfrei möglich ist, zwischen, wie es im Original heißt, »intellectual results« und »intuitional data« zu unterscheiden. 55


»Korrektoren verdienen viel, weil gewöhnliche Leute Druckfehler nicht finden, da ihre Augen sie verbessern«. 66

Deshalb bedarf es einer abduktiven Intervention, die sich als inverse Inferenz darstellen lässt: »Die überraschende Tatsache C wird beobachtet; aber wenn A wahr wäre, würde C eine Selbstverständlichkeit sein; folglich besteht Grund zu vermuten, dass A wahr ist. «69 Im Original heißt es: »hence there is reason to suspect that A is true« - hier wird deutlich, warum die Abduktion auch immer wieder als >Logik der Detektive< bezeichnet wurde.
Vgl. Peirce: Collected Papers, 5,184, wo Peirce den Übergang vom »percept« zum »perceptual jl~dgment« als »interpretation« bezeichnet, was im Englischen natürlich auch »Übersetzung« bedeuten kann. Auf die gleiche interpretative Differenz macht Freud in seiner Traumdeutung aufmerksam - interessanterweise mit dem gleichen Beispiel: »In dem Bestreben, die gebotenen Sinneseindrücke verständlich zusammenzusetzen, begehen wir oft die seltsamsten Irrtümer oder fälschen selbst die Wahrheit des uns vorliegenden Materials. [ ... ] Wir lesen über sinnstörende Druckfehler hinweg, indem wir das Richtige illusionieren« (Freud, Die Traumdeutung, S. 503).
68 Es scheint mir sinnvoll, diesen von Iser geprägten Begriff erneut in die Diskussion einzuführen, und zwar sowohl im Sinne einer systematischen Leerstelle, die im Rahmen eines fiktionalen Textes eine Unbestimmtheitsstelle darstellt, als auch im Sinne einer, wie ich es nennen möchte, monumentalen Leerstelle, die sich als physische Lücke in einem verderbten Manuskript findet (vgl. Wolf gang Iser: »Die Appellstruktur der Texte«, S. 239).


Hier spricht C.Peirce explizit von der Metapher: mentale Retina!
91 In einem Brief an seinen Freud William James schreibt Peirce: »Es scheint mir, dass ihr alle einen seltsamen blinden Fleck auf eurer mentalen Retina haben müsst, so dass ihr nicht seht, was andere sehen und was der Pragmatismus so viel klarer machen sollte« (Peirce: Collected Papers, 8.263, meine Ubersetzung). Wie es scheint, hat auch Peirce selbst solch einen blinden Fleck auf seiner mentalen Retina.


 

Ich habe die Metapher zuerst von H. von Foerster, der C. Peirce nicht erwähnt: Über das Konstruieren von Wirklichkeiten, S. 26ff

Angesichts solcher Beobachtungen sollten wir uns klar machen, daß wir nicht einfach von "Information" sprechen können, als wäre diese ein Gebrauchsgegenstand außerhalb des wahrnehmenden Bewußtseins. Die Welt enthält keine Information, die Welt ist, wie sie ist (von Foerster 1970a), Information über die Welt wird in einem Organismus durch seine Interaktionen mit der Welt erzeugt. Wenn nun aber einige der fortgeschrittenen Systeme für die Speicherung und Wiederbereitstellung von Dokumenten als Systeme für die Speicherung und Wiederbereitstellung von Information bezeichnet werden, gehen wir in eine gefährliche semantische Falle. Solche Systeme speichern Bücher, Magnetbänder, Mikrofiches oder andere Arten von Dokumenten, denn sie können natürlich keine "Information'" speichern. Und eben diese Bücher, Bänder, Mikrofiches oder andere Dokumente werden wieder bereitgestellt, und sie liefern nur dann die gewünschte Information, wenn sie von menschlichen Augen betrachtet werden. Wenn man so die Träger potentieller Information mit der Information selbst vermengt, verschiebt man das Problem der Kognition bequem in den blinden Fleck des geistigen Sehfeldes. S. 47

Diese Sammlungen von Dokumenten "Systeme der Speicherung und Wiederbereitstellung von Information" zu nennen, ist ebenso falsch wie eine Garage als "System der Speicherung und Wiederbereitstellung von Transport" zu bezeichnen. Die Verwechslung von Behiiltern für potentielle Information mit der Information selbst führt wiederum dazu, das Problem der Kognition wunderschön in den blinden Fleck des wissenschaftlichen Sehfeldes zu rücken, so daß es, wie gewünscht, verschwindet .S. 99


 


H. Matura bespricht den Bildnen Flek in Der Baum der Erkenntnis, S. 21ff (Original 1984) ausführlich und verweist auf Mariot

Der Augenblick der Reflexion vor einem Spiegel ist immer ein ganz besonderer Augenblick, weil es der Augenblick ist, in dem wir uns des Teiles unserer selbst bewußt werden, den wir auf keine andere Weise sehen können. Es ist wie bei der Enthüllung des blinden Flecks, der uns unsere eigene Struktur zeigt, und auch wie beim Aufheben der mit dem blinden Fleck einhergehenden Blindheit durch Ausfüllen der Lücke. Die Reflexion ist ein Prozeß, in dem wir erkennen, wie wir erkennen, das heißt eine Handlung, bei der wir auf uns selbst zurückgreifen. Sie ist die einzige Gelegenheit, bei der es uns möglichist, unsere Blindheiten zu entdecken und anzuerkennen, daß die Gewißheiten und die Erkenntnisse der anderen ebenso überwältigend und ebenso unsicher sind wie unsere eigenen. S. 29

Alles, was wir tun können, ist, Erklärungen zu erzeugen - durch die Sprache -, die den Mechanismus der Hervorbringung einer Welt enthüllen. Indem wir existieren, erzeugen wir kognitive «blinde Flecken», die nur beseitigt werden können, indem wir neue blinde Flecken in anderen Bereichen erzeugen. WIr sehen nicht, was wir nicht sehen, und was wir nicht sehen, existiert nicht. S. 260


 
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