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Hyperbuch Crashkurs Systemtheorie 2. Ordnung Inhalt - Register - Forum | rückwärts - Seite 63 - vorwärts |
Als Um-Welt bezeichne ich das, was um den die jeweilige Um-Welt konstituierenden Beobachter ist. Dem entspricht die umgangssprachliche Unterscheidung zwischen "System und Umwelt", wobei in diesem umgangssprachlichen Sinn normalerweise das, was markiert oder focusiert wird, als "System" und das Komplementäre als "Umwelt" bezeichnt wird (Anmerkung 1), während ich in der vorliegenden Inversion die Umwelt focusiere und das Beobachtersystem als Hintergrund auffasse (Anmerkung 2). Unter dem Gesichtpunkt eines Beobachtersystems ist meine Um-Welt für mich in drei Hinsichten phänomenal. Erstens nehme ich eine Welt ausserhalb von mir wahr, zweitens nehme ich "objektkonstante" Gegenstände wahr und drittens nehme ich Gegenstände in einem universellen Milieu wahr. Ich nehme etwa einen Mähdrescher im Kornfeld, also in der Welt da draussen wahr, obwohl Systeme nur auf Eigenzustände reagieren. Ich nehme für wahr, dass der Mähdrescher auch existiert, wenn ich ihn gerade nicht wahrnehme, also dass es sich um ein permanent vorhandenes "Objekt" handelt, das von mir unabhängig existiert, obwohl ein System kein Wissen über seine Umwelt haben kann. Und ich nehme Gegenstände in einem den Gegenstände und mir gemeinsamen Milieu wahr, das heisst, ich nehme mich selbst als Gegenstand in derselben Welt wie die wahrgenommen Gegenstände wahr (Anmerkung 3). |
Bestimmte Gegenstände nehme ich als dreidimensionale, materielle Körper wahr, mittels deren Verschiebung ich auch den Raum definiere, in welchem ich die Gegenstände wahrnehme (Anmerkung 4). Bestimmte Gegenstände können sich selbst und ihre Positionen zueinander (und zu mir) verändern. Ueber diese Veränderungen definiere ich eine Zeit.
Die Objektkonstanz beruht wie Veränderung darauf, dass ich zwei unterscheidbare Zustände "zeitlich" aufeinander beziehen kann. Wenn ich einen Gegenstand als denselben identifiziere, muss ich ihn zweimal wahrgenommen haben und mich an das erste Mal erinnern, was ein Gedächtnis verlangt. Auch das ist phänomenal, weil Systeme kein Gedächtnis haben. Den Mechanismus, mit welchem ich die Beziehung zwischen zwei Zuständen herstelle, nenne ich Aufmerksamkeit (Anmerkung 5).
Die Grenze der Umwelt und die Grenze des Beobachtersystems fallen zusammen. Wenn ich also die Grenze des einen Systems festlege, bestimme ich immer auch die Grenze des andern Systems. Ich kann deshalb die Grenzen des Umweltsystems in den Sensoren und Effektoren des Beobachters sehen. Bildlich gesprochen bilden die Retina und die Augapfelmuskulatur die Systemgrenzen der Umwelt, weil sie die Systemgrenzen des Beobachtersystems bilden (Anmerkung 6). Das, was in bezug auf das Beobachtersystem Sensoren sind, sind in bezug auf das Umweltsystem Effektoren und vice versa. Ein Bild für dieses Wechselverhältnis ist die Signalmodulation. Beim Telefon beispielsweise unterscheide ich Mikrofon und Lautsprecher, weil ich spreche und höre. Konstruktiv ist aber das Mikrofon und der Lautsprecher immer beides: Das Mirkrofon und der Lautsprecher empfangen und senden Signale. Die Umwelt nehme ich unmittelbar, nicht durch ein Medium wahr. Systemtheoretisch handelt es sich um den allgemeinsten Fall der Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Ich kann jedes System in seinem Milieu (an einem Ort) sehen, aber die Umwelt hat keinen Ort. Ich nehme die Umwelt überhaupt wahr. |
Während ich als Pilot die Beziehung zwischen den Instrumenten und den Bedeutungen, die die Instrumente haben, in bewusster Ausbildung trainieren muss, nehme ich als Beobachter meine Wahrnehmungen quasi "automatisch" als Wahrnehmung meiner Um-Welt wahr. Ich sehe nicht irgendwelche Pixel, Raster, Muster, usw., sondern bedeutungstragende Dinge wie Tische, Berge, Menschen. Als Beobachter bin ich ein Pilot, dem es immer "sinnen"-klar ist, dass er sich in der Um-Welt befindet, die er wahrnimmt.
Was Kleinkinder wahrnehmen ist schwer zu erheben. Aber es gibt bei J. Piaget plausible Argumente dafür, dass sie keine konstanten Objekte wahrnehmen, sondern in der Gegenwart leben. Die Plausibilität entstammt zu einem guten Teil aus Versteck-Spielchen, die man mit Kleinkindern spielen kann, und an welche man sich von Magiern erinnern lassen kann. Das Konstruieren einer unbewusst wahrgenommenen Umwelt erscheint mir als die wunderbarste Leistung des Beobachters - ein ganz unwahrscheinliches Wunder.
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