zurück                  Crashkurs  Systemtheorie 2. Ordnung          Inhalt   -   Register   -   Forum       H rückwärts - Seite 74 - vorwärts  


Handlung

Was Beobachter im konsensuellen Bereich tun, nehme ich als Handlungen in Handlungszusammenhängen wahr (Anmerkung 1). Ich sehe beispiesweise, dass meine Frau einen Brief schreibt. Ich kann sie fragen, was sie wem und wozu schreibe, weil ich selbst beim Briefschreiben weiss, wem ich wozu schreibe. Ich erkenne einen Handlungszusammenhang in welchem ich, das, was meine Frau tut, als selbstbewusste, motivierte Handlung deuten kann.

Ich kann vom konkreten Handlungszusammenhang abstrahieren und die Handlung als Verhalten beschreiben. So kann ich etwa sehen, dass meine Frau mit einer Füllfeder Buchstaben auf ein Papier schreibt. Dabei nehme ich immer noch Gegenstände wie eine Schreibende, eine Füllfeder, Buchstaben, ein Papier usw. wahr, aber ich ordne diese Gegenstände nicht mehr in einer sinnvollen Handlung. Ich lasse offen, ob meine Frau einen Brief schreibt, kritzelt, schreiben übt oder programmiert. Das heisst, ich löse den funktionalen Handlungszusammenhang - der mir als Deutung gegeben ist - analytisch auf. Ich kann weiter abstrahieren und statt Füllfeder, Papier usw. nur noch Artefakte sehen. Dabei verzichte ich bewusst auf jede Funktionalität. Ich bestimme die Artefakte dann konstruktiv über deren Herstellung und schaue, wie sie im Prozess involviert sind. Als Prozess sehe ich die Produktion von Graphitstrukturen auf Papier, jenseits von Sinn und Bedeutung (Anmerkung 2). Insbesondere kann ich auch den Prozessor abstrakt sehen. Anstelle davon, dass meine Frau einen Brief schreibt, sehe ich dass sich Graphitstrukturen entwickeln, so wie ich anstelle davon, dass der als Frau Holle verkleidete Zeus Schnee aus seinem Deckbett auf die Erde schüttelt, sehen kann, dass es schneit (Anmerkung 3).

Ob ich eine Handlung oder das Verhalten eines Mechanismus sehe, ist nicht in der Sache begründet, sondern hängt von meiner Perspektive ab. Ich nehme im konsensuellen Bereich Handlungen als gedeutete Erklärungen wahr (Anmerkung 4). Von Handlungen spreche ich aber auch im konsensuellen Bereich - terminologisch gebunden - nur in bezug auf Beobachter. Wenn etwa ein Webstuhl das für Webstühle typische Verhalten zeigt, beobachte ich allenfalls, dass ein Weber, der den Webstuhl benutzt, Stoff herstellt. Dem Webstuhl schreibe ich keine Handlung zu, obwohl er auch ein bestimmtes kybernetisches Ziel anstrebt. Auch Tiere und Organisationen können in diesem Sinne nicht handeln, weil sie - terminologisch gebunden - nicht beobachten.

Viele Handlungen kann ich auf Teilhandlungen zurückführen, die den Operationen im Verhalten entsprechen. Handlungen sind dann wie Operationen elementar oder bestehen ihrerseits aus Handlungen. Ich kann etwa einen Brief schreiben und dabei unter anderem ein Briefpapier aus einer Schublade nehmen und später den Brief in einen Umschlag stecken. Das Briefschreiben und das Papier Herausnehmen sind Handlung und Teilhandlung.

Jede Handlung kann ich in dem Sinne doppelt beschreiben, als ich das handlungstragende System in seiner operationellen Geschlossenheit und in seiner strukturellen Koppelung beschreibe. Indem ich mir die Operationen und das Verfahren in einer Handlung konstruktiv bewusst mache, erkenne ich, dass ich diese Operationen in einem Handlungszusammenhang wahrnehme, also funktional deute. Viele Operationen kann ich in sehr verschiedenen Handlungszusammenhängen sehen. Bestimmte Handlungszusammenhänge drängen sich mir im Sinne von konsensbewährten Muster oder Schemata auf, aber ich kann sie jederzeit problematisieren - wovon Soziologen und Ethik-Kommisionen leben. Soziologen beobachten den unterstellten Sinn von Handlungen, Ethiker finden zu Handlung einen vertretbaren Sinn.


Anweisungen:

Mach Dir bewusst, wo Du von Verhalten und wo Du von Handlung sprichst.

    

Mach Dir Handlung als konsensuelle Deutung bewusst, indem Du die Funktionsweise des Systems beschreibst.


 

Beispiele:
  klick hier

    

 

Metakommunikation

Zwischen Handlung und Verhalten werden sehr verschieden motivierte Unterscheidungen gezogen. In vielen Arbeitswissenschaften wurde das Verhältnis so problematisiert, dass Lohnarbeit als fremdbestimmtes Verhalten einer eigentlichen selbstbestimmten Tätigkeit gegenübergestellt wurde. In der Systemtheorie im engeren Sinne interessiert das Verhalten von Systemen unabhängig von Sinnzusammenhang oder Handlungszusammenhang, in welchem die Systeme stehen. Die Sinnzusammenhänge entscheide ich auf der phänomenalen Ebene. Und natürlich unterscheide ich dort sehr wohl zwischen einen Weber und einem Webstuhl und auch zwischen einem "Weber", der eine Weberei als Aktiengesellschaft betreibt, und einem Weber, der dort als Lohnempfänger arbeitet. Dass für mich die bewusste Wahl der Perspektive wesentlich ist, habe ich in einer Interpretation des berüchtigt gemachten Arbeitswissenschaftler F.Taylor beschrieben. Hier ist mir wichtig, in welcher Perspektive ich Handlungen sehen kann.
Eine emotionale Herausforderung, die mir die Systemtheorie zumutet, besteht darin, dass ich mein Leben als Leben im konsensuellen Bereich erkenne. Alles, was ich erkläre, stammt aus einen Bereich, der durch meine Erklärungen kostituiert wird. Alle Vorbehalte gegen den Radikalen Konstruktivismus, die ich kenne, betreffen diesen Punkt.


 
 top                    Crashkurs  Systemtheorie 2. Ordnung          Inhalt   -   Register   -   Forum       H rückwärts - Seite 74 - vorwärts