Den folgendenden Beitrag stelle ich zur Diskussion und zur Dekonstruktion
gemäss unseren Aufgaben.
Der Beitrag ist doppelt vorhanden: oben (oder zuerst) in der Arbeitsversion,
die sich durch Auslagerungen verändert, unten (oder hinten) in der
Original-Version, damit man im Sinne eines Museums sehen kann, wie der Beitrag
wirklich war.
Fernsehen als journalistisches Medium: Eigenschaften und Wirkungsweisen
Grundsätzliche Anmerkungen
Ein Grundproblem des journalistischen Fernsehens ergibt sich aus dem Umstand, dass im Prinzip nur die konkrete Wirklichkeit abgebildet werden kann. Sobald es um abstrakte Sachverhalte und Zusammenhänge geht, treten grosse Schwierigkeiten auf. Unsere tradierte und erlernte Kommunikation ist aber gerade dadurch geprägt, dass wir in der Lage sind, konkrete und abstrakte Inhalte in beliebiger Verknüpfung zu gebrauchen und wiederzugeben.
Die gesprochene und die geschriebene Sprache beruhen auf einer Konvention. Für die visuelle Darstellung abstrakter Begriffe gibt es jedoch keine allgemein verbindliche Übereinkunft. So gibt es zum Beispiel kein Bildzeichen für "Kompromiss" oder "Verhandlungsabbruch".
Da Fernsehen ein audiovisuelles Medium ist, wird in gängiger Machart journalistischer Sendungen ein grosser Teil der abstrakten Information der Audio-Ebene anvertraut. Sofern daraus ein "Radio auf dem Bildschirm" wird, ist das nicht allzu bedenklich, stellt aber die Frage der Zweckmässigkeit und Verhältnismässigkeit.
Grundsätzliche Anmerkungen zu den "Grundsätzliche Anmerkungen" (von Rolf)
Ich kann in der Formulierung des Grundproblems die Unterscheidung zwischen Bild und Sprache nichtrecht nachvollziehen. Wenn das Fernsehen beides benutzt, dann unterliegt doch das Fernsehen gerade keinen Einschränkungen, sondern nur das Bild oder die Sprache alleine.
Könnte man überhaupt Bildzeichen vereinbaren ?
Bildzeichen könnte man meines Erachtens sehr wohl vereinbaren. Man denke nur an die Flut der Piktogramme in unserem täglichen Leben. Piktogramme sind heute ein fester Bestandteil unserer internationalen Kommunikation, sei es nun in einem fremden Flughafen oder in einer Sportarena. Piktogramme weisen den Weg. Gerade für Analphabeten können Piktogramme - oder eben Bildzeichen - ein Tor zur Kommunikation sein. Was wäre gegen "bewegte" Piktogramme einzuwenden? (Thomas)
Dazu fallen mir ganz viele Dinge ein (vergl. dazu meine Anmerkungen im Gespräch über die De-Konstruktion), die ich definieren könnte. Ich verstehe Piktogramme als Zeichen, nicht als Bilder. Die meisten Piktogramme funktionieren erst nach einer langen Einübung. Die Nachrichten im Fernsehen mit Piktogrammen zu machen, finde ich eine ungemein spannende Idee.
Zur Rolle des Fernsehjournalisten
Soweit ein Fernsehjournalist seine Rolle nicht in erster Linie darin sieht, im Bild seine Informationen sprechend zu vermitteln, sondern sich um visuelle Umsetzung bemüht, steht er vor einer schwierigen Aufgabe. Auch dann nämlich, wenn er in erster Linie referierend Wirklichkeit abbilden will, muss er sich vor allem als Bildorganisator, -inszenierer und -arrangeur betätigen. Das besondere und nur scheinbar triviale Problem besteht darin, dass die abzubildenden Ereignisse vor der Kamera stattfinden müssen, und zwar möglichst zum gewünschten Zeitpunkt. Im Gegensatz zum Spielfilmregissseur kann der Fernseh-Journalist die Wirklichkeit aber nicht nach Belieben manipulieren und inszenieren. Oft ist er sehr fremdbestimmt und kann nur die aktuell angebotene Wirklichkeit abbilden und das erst noch selektiv. Der Fernseh-Journalist ist dehalb eine Mischung aus Regisseur und Journalist. Seine Arbeit ist ein dauerndes Pendeln zwischen Inszenierung und Selektion. Sie orientiert sich zwangsläufig (und oft eher
unbewusst) am medial Machbaren als am journalistisch und intellekuell wünschbaren Optimum.Anmerkungen zur Manipulation (von Thomas)
Jede Wiedergabe der "Wirklichkeit" ist eine Manipulation. Die Aussage des französischen Physikers Jean E. Charon "Le monde n'est pas, il est ce qu'on pense de lui" Erachte ich als "Axiom" unseres Daseins. Sie drückt aus, dass alles Maipulation ist, es kommt lediglich auf mein konkretes Denken in diesem konrten Moment an. (Thomas)
Anmerkungen zum wünschbaren Optimum (von Rolf)
Wie würde denn ein solches Optimum etwa aussehen? Den Vergleich mit dem Film verstehe ich nicht, Filme sind doch per Definition Fiction und Nachrichten sind Non-Fiction.
Die Kritik Bernward Wembers
Bernward Wember stellt in einer breit angelegten Untersuchung eine grosse Diskrepanz zwischen Informationseindruck (Bewertung einer Sendung) und Informationsergebnis (objektiv eruierte Erinnerungswerte/Lerneffekte) fest. Zuschauer finden viele journalistischen Fernsehsendungen informativ, meinen mit diesem Begriff aber offensichtlich attraktiv. Sie fühlten sich in Wahrheit gut unterhalten und nicht gut informiert. Wember führt diese Diskrepanz auf vier Merkmale des Fernsehfilms zurück:
Augenkitzel
Wember kommt nach minutiösen statistischen Erhebungen zu folgenden Feststellungen:
Die relativ kurzen Einstellungen sind viel häufiger als die längeren.
Bei ruhigen Bildern wird viel mehr geschnitten, als bei bewegten. Die ruhigen Einstellungen sind im Durchschnitt nur 2,8 Sekunden lang.
Wenn die vorhandene Bewegung nur gering ist, wird sie oft künstlich verstärkt, indem der Bildauschnitt möglichst klein gewählt und so die Bewegung überproportional dominant gemacht wird.
Die Kamerabewegungen Fahrt, Schwenk, Brennweiten- und Schärfeveränderungen dienen oft nur der künstlichen Herstellung von Bewegung.
Wember zieht daraus die Schlussfolgerung, dass journalistische Fernsehfilme nicht primär auf Informationsvermittlung, sondern auf die Herstellung von Bewegung angelegt sind (Stichwort "action"). Dieser Trend lässt sich damit erklären, dass sich viele Filmemacher, wohl unbewusst, auf den sogenannten "orientierenden Reflex" ausrichten: Das Auge empfindet Reizwechsel, d.h. Bewegung, als angenehm, Reiz- bzw. Bewegungsarmut hingegen als unangenehm, d.h. als langweilig.
Die Aussage "Das Auge empfindet Reizwechsel, d.h. Bewegung, als angenehm", ist eine Art Ausdruck von Wissen. Wie aber kann man das wissen? Worauf baut dieses Wissen? Soll ich es ins Lexikon schreiben?
Anmerkungen zum "orientierenden Reflex" (von Thomas)
Verstehe ich nicht ganz. Warum soll ein stehendes Bild langweiliger sein als ein bewegtes? Sind alle gemalten Bilder langweilig? Sind alle Fotographien langweilig? Ist nicht gerade auch Bewegung Gefahr und Ruhe Erholung? Im Tierreich ist oftmals die Fähigkeit sich ruhig zu verhalten voller Spannung. Bewegt sich etwas, wird es erkannt und so eventuell zur Beute. So gesehen kann Ruhe eben doch auch 'Action' sein!Thomas zeigt quasi Gegen-Wissen. Aber vorsichtig, in Form von Fragen. Das ist zwar elegant, aber soll ich Fragen ins Lexikon schreiben?
Vielleicht haben wir es einfach verlernt mit Ruhe umzugehen. Vielleicht flüchten wir uns in 'Action' weil wir Furcht vor der Ruhe haben. Eine Pause im Gespräch kann - dauert sie 'über das übliche Mass' schnell einmal ein Auslöser für Unsicherheit und Angst sein. Damit hat sich die das ursprünglich 'sichere' (die Ruhe) in ihr Gegenteil verkehrt (in Unsicherheit, Angst).
Induktion
Der Induktionseffekt bewirkt, dass die Bildinhalte miteinander verschmelzen, ein Ganzes bilden, auch dann, wenn sie gar nichts miteinander zu tun haben. Diese Verschmelzung erfolgt nicht nur bei Inhalten, sondern auch bei Kamerabewegungen, die zu einer scheinbar sinnvollen Einheit zusammenwachsen. Der Induktionseffekt hat eine durchaus positive Seite, denn ohne ihn könnten wir einen Film gar nicht als sinnvolle Einheit wahrnehmen. Andererseits verhindert er aber weitgehend, dass der Zuschauer merkt, wie sehr mit optischen Reizen gearbeitet wird und wie stark die Inhalte zerstückelt sind.
Ablaufzwang
Er ist schon beim Rundfunk gegeben und unvermeidbar. Seine Wirkung wird aber in vielen journalistischen Fernehfilmen noch verstärkt: Anstatt die "Lesbarkeit" der Struktur durch Trennungen, Hervorhebungen, Wiederholungen und Zusammenfassungen zu fördern, wird der Ablauf gleichsam durch einen "Durchlauferhitzer" gejagt: Der Zuschauer wird mit allen Mitteln an das gerade sichtbare Bild gefesselt, das so "aufgeheizt" wird, das der Zusammenhang vergessen geht und die Information sich "auflöst".
Bild-/Textschere
Sie ist als negatives Phänomen seit langem und deshalb auch allgemein bekannt. Sie wird sich nie ganz vermeiden lassen. Problematisch wird sie aber dann, wenn ein Bild zwar (bezogen auf die angestrebte Information) aussagearm, aber mit viel Bewegung ausgestattet ist. Oft zieht es dann die ganze Aufmerksamkeit auf sich und lässt den Kommentar ungehört.
Eine Bewertung Wembers
Die Wissenschaft hat Wember methodische Unschärfe vorgeworfen und ist ihm höchstens in Fussnoten gefolgt. Ähnlich konkret Nachvollziehbares ist bis jetzt aber nicht vorgelegt worden.
Zweifellos muss Wember aber relativiert werden: In der emotionalen Erlebnis-Dimension ist das Fernsehen auch auf der journalistischen Ebene sicher unschlagbar. Hingegen sind seine Fähigkeiten, nachvollziehbare Denkschritte zu ermöglichen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Hintergründe zu erhellen, abstrakte Sachverhalte zu beschreiben, eher gering einzuschätzen.
Christian Doelkers Modell der drei Wirklichkeiten
Christian Doelker unterscheidet bei der Fernseh-Produktion und -Rezeption drei Wirklichkeiten:
Die primäre Wirklichkeit
ist die sinnlich-stoffliche Umwelt, die uns umgibt. Sie ist sozusagen das "Rohmaterial" des Fernsehens. Sie wird oft durch die Anwesenheit von Kamera und Mikrofon bereits verändert. Dazu kommt, dass viele Ereignisse in der Absicht stattfinden, sie vor der Fernsehöffentlichkeit zu inszenieren. die primäre Wirklichkeit ist deshalb bereits nicht mehr die "wirkliche Wirklichkeit".
Die mediale Wirklichkeit
ist die mediale Abbildung der primären Wirklichkeit. Die Magie des Fernsehens besteht darin, dass viele Zuschauer die mediale Wirklichkeit mit der primären Wirklichkeit gleichsetzen, und zwar wegen der Qualität der Ähnlichkeit und der Live-Fähigkeit des Fernsehens. Das aber ist problematisch, weil die primäre Wirklichkeit bei der Transformation zur medialen Wirklichkeit manigfach verändert wird. Diese Veränderungen werden einerseits durch Verluste bewirkt: Selektion einzelner Teile, Fixierung von Zeitabschnitten und Reduktion auf die audiovisuelle Wahrnehmung und auf das visuell und akustisch überhaupt Mögliche, Vorhandene oder Rekonstruierbare. Dazu kommen Kompensationen durch Hinzufügen und Anreicherung, durch Arrangement und Inszenierung.
Die wahrgenommene mediale Wirklichkeit
ist noch einmal etwa anderes. Veränderungen ergeben sich auch hier durch Verluste und Kompensationen.
Wahrnehmungsverluste entstehen durch Übermittlungsstörungen, durch das Phänomen des ungleichen Zeichenvorrates und durch die selektive Wahrnehmung . Letztere ist einerseits angesichts der Informationsflut eine Notwendigkeit, andererseits neigt der Mensch dazu, alles was Dissonanzen erzeugen könnte, gar nicht erst wahrzunehmen.
Kompensationen entstehen durch die menschlichen Fähigkeiten zur Inventarisierung und Identifzierung von Bildinhalten aufgrund von erlernten Strukturen und zur Verknüpfung mit früheren Erfahrungen.
Aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit, die eine tertiäre Wirklichkeit ist, die zwei Transformationen mit Verlusten und Ergänzungen erfahren hat, entwickelt der Mensch
Vorstellungen über die primäre Wirklichkeit
Das ist so lange unproblematisch, als man sich dabei auf eigene Erfahrungen aus der primären Wirklichkeit stützen kann. Beispiel: Um das Bild eines Hause richtig lesen zu können, muss man in der primären Wirklichkeit schon Häuser gesehen haben. Ein Eskimo, der noch nie Häuser der gemässigten Zonen gesehen hat, wird aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit Mühe haben, zutreffende Vorstellungen über die primäre Wirklichkeit zu entwickeln. Wir alle sehen indessen im Fernsehen laufend vieles, das wir nie real erfahren haben und auch nie werden. Es ist aber sehr schwierig, sich aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit die wirkliche Welt so vorzustellen, wie wenn man sie wirklich wahrgenommen und erlebt hätte. Das ist immer dann der Fall, wenn es um Vergangenheit geht: Unser Bild über das Dritte Reich zum Beispiel basiert ausschliesslich auf der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit.
Dazu kommt, dass es zwei Arten medialer Wirklichkeitgibt:
Die dokumentarische mediale Wirklichkeit
Sie hat einen eindeutigen, überprüfbaren und notwendigen Bezug zur primären Wirklichkeit, z.B. der Fernsehjournalismus.
Die fiktive mediale Wirklichkeit
Zum Beispiel der Spielfilm. Die fiktive mediale Wirklichkeit kann sich auf die primäre Wirklichkeit beziehen, muss aber nicht.
Viele Menschen neigen dazu, die fiktive mediale Wirklichkeit buchstäblich für wahr zu nehmen.Das hängt in erster Linie mit dem realistischen Code des Fernsehens und mit der intimen Rezeptions-Situation zusammen (im Kino wird Fikton nicht ohne weiteres für wahr gehalten). Niemand wird allerdings eine fiktionale Fernseh-Produktion integral als Wirklichkeit empfinden. Es besteht aber zweifellos eine Tendenz, einzelne Elemente aus der erfundenen Wirklichkeit in das eigene Bild der Wirklichkeit zu übenehmen. Wahrscheinlich leben wir heute allen mit vielen solchen Fiktionalismen, die einer angemessenen Einschätzung der Wirklichkeit im Wege stehen.
Wechselbad
Da der Konsument oft "flächendeckend" und nicht selektiv fernsieht, wird er einem dauernden Status-Wechsel ausgesetzt: Information, Werbung, Unterhaltung, Werbung, Information usw. Das ergibt so etwas wie einen sekundären Induktions-Effekt: Der Charakter der einen Gattung färbt auf den anderen ab. Nachrichten werden auch, nicht nur, aber auch als Fiktion
oder Unterhaltung erfahren, die Fiktion erhält auch dokumentarische Qualität mit Informationswert.
Wahrscheinlich ist das Modell der drei Wirklichkeiten noch zu einfach bzw. zu eindimensional. Vermutlich haben wir es mit einem
Regelkreis
zu tun: Die fiktionale Wirklichkeit beginnt, auf die primäre Wirklichkeit einzuwirken und diese zu verändern. Beispiel: Mitglieder eines Westernclubs leben nach medialen Mustern und lassen eine fiktive Welt, die es so gar nie gegeben hat, Realität werden.
Vermischung der Formen
Fiktion und Realität beginnen sich auch bei den Fernsehformen zu vermischen: Die Tagesschau wird auch als Show mit Unterhaltungscharakter aufgezogen, die Unterhaltungssendung lässt sich auch journalistisch auf die primäre Wirklichkeit ein.
Fernsehen als journalistisches Medium: Eigenschaften und Wirkungsweisen
Grundsätzliche Anmerkungen
Ein Grundproblem des journalistischen Fernsehens ergibt sich aus dem Umstand, dass im Prinzip nur die konkrete Wirklichkeit abgebildet werden kann. Sobald es um abstrakte Sachverhalte und Zusammenhänge geht, treten grosse Schwierigkeiten auf. Unsere tradierte und erlernte Kommunikation ist aber gerade dadurch geprägt, dass wir in der Lage sind, konkrete und abstrakte Inhalte in beliebiger Verknüpfung zu gebrauchen und wiederzugeben.
Die gesprochene und die geschriebene Sprache beruhen auf einer Konvention. Für die visuelle Darstellung abstrakter Begriffe gibt es jedoch keine allgemein verbindliche Übereinkunft. So gibt es zum Beispiel kein Bildzeichen für "Kompromiss" oder "Verhandlungsabbruch".
Da Fernsehen ein audiovisuelles Medium ist, wird in gängiger Machart journalistischer Sendungen ein grosser Teil der abstrakten Information der Audio-Ebene anvertraut. Sofern daraus ein "Radio auf dem Bildschirm" wird, ist das nicht allzu bedenklich, stellt aber die Frage der Zweckmässigkeit und Verhältnismässigkeit.
Zur Rolle des Fernsehjournalisten
Soweit ein Fernsehjournalist seine Rolle nicht in erster Linie darin sieht, im Bild seine Informationen sprechend zu vermitteln, sondern sich um visuelle Umsetzung bemüht, steht er vor einer schwierigen Aufgabe. Auch dann nämlich, wenn er in erster Linie referierend Wirklichkeit abbilden will, muss er sich vor allem als Bildorganisator, -inszenierer und -arrangeur betätigen. Das besondere und nur scheinbar triviale Problem besteht darin, dass die abzubildenden Ereignisse vor der Kamera stattfinden müssen, und zwar möglichst zum gewünschten Zeitpunkt. Im Gegensatz zum Spielfilmregissseur kann der Fernseh-Journalist die Wirklichkeit aber nicht nach Belieben manipulieren und inszenieren. Oft ist er sehr fremdbestimmt und kann nur die aktuell angebotene Wirklichkeit abbilden und das erst noch selektiv. Der Fernseh-Journalist ist dehalb eine Mischung aus Regisseur und Journalist. Seine Arbeit ist ein dauerndes Pendeln zwischen Inszenierung und Selektion. Sie orientiert sich zwangsläufig (und oft eher
unbewusst) am medial Machbaren als am journalistisch und intellekuell wünschbaren Optimum.Die Kritik Bernward Wembers
Bernward Wember stellt in einer breit angelegten Untersuchung eine grosse Diskrepanz zwischen Informationseindruck (Bewertung einer Sendung) und Informationsergebnis (objektiv eruierte Erinnerungswerte/Lerneffekte) fest. Zuschauer finden viele journalistischen Fernsehsendungen informativ, meinen mit diesem Begriff aber offensichtlich attraktiv. Sie fühlten sich in Wahrheit gut unterhalten und nicht gut informiert. Wember führt diese Diskrepanz auf vier Merkmale des Fernsehfilms zurück:
Augenkitzel
Wember kommt nach minutiösen statistischen Erhebungen zu folgenden Feststellungen:
Die relativ kurzen Einstellungen sind viel häufiger als die längeren.
Bei ruhigen Bildern wird viel mehr geschnitten, als bei bewegten. Die ruhigen Einstellungen sind im Durchschnitt nur 2,8 Sekunden lang.
Wenn die vorhandene Bewegung nur gering ist, wird sie oft künstlich verstärkt, indem der Bildauschnitt möglichst klein gewählt und so die Bewegung überproportional dominant gemacht wird.
Die Kamerabewegungen Fahrt, Schwenk, Brennweiten- und Schärfeveränderungen dienen oft nur der künstlichen Herstellung von Bewegung.
Wember zieht daraus die Schlussfolgerung, dass journalistische Fernsehfilme nicht primär auf Informationsvermittlung, sondern auf die Herstellung von Bewegung angelegt sind (Stichwort "action"). Dieser Trend lässt sich damit erklären, dass sich viele Filmemacher, wohl unbewusst, auf den sogenannten "orientierenden Reflex" ausrichten: Das Auge empfindet Reizwechsel, d.h. Bewegung, als angenehm, Reiz- bzw. Bewegungsarmut hingegen als unangenehm, d.h. als langweilig.
Induktion
Der Induktionseffekt bewirkt, dass die Bildinhalte miteinander verschmelzen, ein Ganzes bilden, auch dann, wenn sie gar nichts miteinander zu tun haben. Diese Verschmelzung erfolgt nicht nur bei Inhalten, sondern auch bei Kamerabewegungen, die zu einer scheinbar sinnvollen Einheit zusammenwachsen. Der Induktionseffekt hat eine durchaus positive Seite, denn ohne ihn könnten wir einen Film gar nicht als sinnvolle Einheit wahrnehmen. Andererseits verhindert er aber weitgehend, dass der Zuschauer merkt, wie sehr mit optischen Reizen gearbeitet wird und wie stark die Inhalte zerstückelt sind.
Ablaufzwang
Er ist schon beim Rundfunk gegeben und unvermeidbar. Seine Wirkung wird aber in vielen journalistischen Fernehfilmen noch verstärkt: Anstatt die "Lesbarkeit" der Struktur durch Trennungen, Hervorhebungen, Wiederholungen und Zusammenfassungen zu fördern, wird der Ablauf gleichsam durch einen "Durchlauferhitzer" gejagt: Der Zuschauer wird mit allen Mitteln an das gerade sichtbare Bild gefesselt, das so "aufgeheizt" wird, das der Zusammenhang vergessen geht und die Information sich "auflöst".
Bild-/Textschere
Sie ist als negatives Phänomen seit langem und deshalb auch allgemein bekannt. Sie wird sich nie ganz vermeiden lassen. Problematisch wird sie aber dann, wenn ein Bild zwar (bezogen auf die angestrebte Information) aussagearm, aber mit viel Bewegung ausgestattet ist. Oft zieht es dann die ganze Aufmerksamkeit auf sich und lässt den Kommentar ungehört.
Eine Bewertung Wembers
Die Wissenschaft hat Wember methodische Unschärfe vorgeworfen und ist ihm höchstens in Fussnoten gefolgt. Ähnlich konkret Nachvollziehbares ist bis jetzt aber nicht vorgelegt worden.
Zweifellos muss Wember aber relativiert werden: In der emotionalen Erlebnis-Dimension ist das Fernsehen auch auf der journalistischen Ebene sicher unschlagbar. Hingegen sind seine Fähigkeiten, nachvollziehbare Denkschritte zu ermöglichen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Hintergründe zu erhellen, abstrakte Sachverhalte zu beschreiben, eher gering einzuschätzen.
Christian Doelkers Modell der drei Wirklichkeiten
Christian Doelker unterscheidet bei der Fernseh-Produktion und -Rezeption drei Wirklichkeiten:
Die primäre Wirklichkeit
ist die sinnlich-stoffliche Umwelt, die uns umgibt. Sie ist sozusagen das "Rohmaterial" des Fernsehens. Sie wird oft durch die Anwesenheit von Kamera und Mikrofon bereits verändert. Dazu kommt, dass viele Ereignisse in der Absicht stattfinden, sie vor der Fernsehöffentlichkeit zu inszenieren. die primäre Wirklichkeit ist deshalb bereits nicht mehr die "wirkliche Wirklichkeit".
Die mediale Wirklichkeit
ist die mediale Abbildung der primären Wirklichkeit. Die Magie des Fernsehens besteht darin, dass viele Zuschauer die mediale Wirklichkeit mit der primären Wirklichkeit gleichsetzen, und zwar wegen der Qualität der Ähnlichkeit und der Live-Fähigkeit des Fernsehens. Das aber ist problematisch, weil die primäre Wirklichkeit bei der Transformation zur medialen Wirklichkeit manigfach verändert wird. Diese Veränderungen werden einerseits durch Verluste bewirkt: Selektion einzelner Teile, Fixierung von Zeitabschnitten und Reduktion auf die audiovisuelle Wahrnehmung und auf das visuell und akustisch überhaupt Mögliche, Vorhandene oder Rekonstruierbare. Dazu kommen Kompensationen durch Hinzufügen und Anreicherung, durch Arrangement und Inszenierung.
Die wahrgenommene mediale Wirklichkeit
ist noch einmal etwa anderes. Veränderungen ergeben sich auch hier durch Verluste und Kompensationen.
Wahrnehmungsverluste entstehen durch Übermittlungsstörungen, durch das Phänomen des ungleichen Zeichenvorrates und durch die selektive Wahrnehmung . Letztere ist einerseits angesichts der Informationsflut eine Notwendigkeit, andererseits neigt der Mensch dazu, alles was Dissonanzen erzeugen könnte, gar nicht erst wahrzunehmen.
Kompensationen entstehen durch die menschlichen Fähigkeiten zur Inventarisierung und Identifzierung von Bildinhalten aufgrund von erlernten Strukturen und zur Verknüpfung mit früheren Erfahrungen.
Aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit, die eine tertiäre Wirklichkeit ist, die zwei Transformationen mit Verlusten und Ergänzungen erfahren hat, entwickelt der Mensch
Vorstellungen über die primäre Wirklichkeit
Das ist so lange unproblematisch, als man sich dabei auf eigene Erfahrungen aus der primären Wirklichkeit stützen kann. Beispiel: Um das Bild eines Hause richtig lesen zu können, muss man in der primären Wirklichkeit schon Häuser gesehen haben. Ein Eskimo, der noch nie Häuser der gemässigten Zonen gesehen hat, wird aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit Mühe haben, zutreffende Vorstellungen über die primäre Wirklichkeit zu entwickeln. Wir alle sehen indessen im Fernsehen laufend vieles, das wir nie real erfahren haben und auch nie werden. Es ist aber sehr schwierig, sich aufgrund der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit die wirkliche Welt so vorzustellen, wie wenn man sie wirklich wahrgenommen und erlebt hätte. Das ist immer dann der Fall, wenn es um Vergangenheit geht: Unser Bild über das Dritte Reich zum Beispiel basiert ausschliesslich auf der wahrgenommenen medialen Wirklichkeit.
Dazu kommt, dass es zwei Arten medialer Wirklichkeitgibt:
Die dokumentarische mediale Wirklichkeit
Sie hat einen eindeutigen, überprüfbaren und notwendigen Bezug zur primären Wirklichkeit, z.B. der Fernsehjournalismus.
Die fiktive mediale Wirklichkeit
Zum Beispiel der Spielfilm. Die fiktive mediale Wirklichkeit kann sich auf die primäre Wirklichkeit beziehen, muss aber nicht.
Viele Menschen neigen dazu, die fiktive mediale Wirklichkeit buchstäblich für wahr zu nehmen.Das hängt in erster Linie mit dem realistischen Code des Fernsehens und mit der intimen Rezeptions-Situation zusammen (im Kino wird Fikton nicht ohne weiteres für wahr gehalten). Niemand wird allerdings eine fiktionale Fernseh-Produktion integral als Wirklichkeit empfinden. Es besteht aber zweifellos eine Tendenz, einzelne Elemente aus der erfundenen Wirklichkeit in das eigene Bild der Wirklichkeit zu übenehmen. Wahrscheinlich leben wir heute allen mit vielen solchen Fiktionalismen, die einer angemessenen Einschätzung der Wirklichkeit im Wege stehen.
Wechselbad
Da der Konsument oft "flächendeckend" und nicht selektiv fernsieht, wird er einem dauernden Status-Wechsel ausgesetzt: Information, Werbung, Unterhaltung, Werbung, Information usw. Das ergibt so etwas wie einen sekundären Induktions-Effekt: Der Charakter der einen Gattung färbt auf den anderen ab. Nachrichten werden auch, nicht nur, aber auch als Fiktion
oder Unterhaltung erfahren, die Fiktion erhält auch dokumentarische Qualität mit Informationswert.
Wahrscheinlich ist das Modell der drei Wirklichkeiten noch zu einfach bzw. zu eindimensional. Vermutlich haben wir es mit einem
Regelkreis
zu tun: Die fiktionale Wirklichkeit beginnt, auf die primäre Wirklichkeit einzuwirken und diese zu verändern. Beispiel: Mitglieder eines Westernclubs leben nach medialen Mustern und lassen eine fiktive Welt, die es so gar nie gegeben hat, Realität werden.
Vermischung der Formen
Fiktion und Realität beginnen sich auch bei den Fernsehformen zu vermischen: Die Tagesschau wird auch als Show mit Unterhaltungscharakter aufgezogen, die Unterhaltungssendung lässt sich auch journalistisch auf die primäre Wirklichkeit ein.