Ich will etwas über Technik sprechen. Das könnte Sie - in einer Veranstaltung zur "neuen Lernkultur" - erstaunen. Vielleicht denken Sie an eine Technik des Lernes, aber diese Erwartung müsste ich entäuschen. Ich will über Technik im quasi technischsten Sinn, also von Maschinen sprechen. Natürlich können Sie trotzdem ans Lernen denken.
Ich frage mich immer wieder, warum ich in meiner Schulzeit soviel Wissen über die Natur und so wenig Wissen über Technik vorgesetzt bekommen habe, wo doch Technik in unserem Alltag nicht erst durch das Internet allgegenwärtig ist. Was verstehen Sie von Kühlschränken, Automotoren, Staubsaugern und Computern? Was wissen Sie über die Hunderte von Maschinen, die Sie täglich benützen. Und wieso ist es unnötig, etwas darüber zu wissen, während in der Schule die Natur bis zum Froschherzen seziert wird?
Natürlich stecken hinter meinen Fragen persönliche Vorlieben. Ich habe ein gewisses Flair für Technik, ich bin staatlich diplomierter Maschinenzeichner, ich bin leidenschaftlicher Motorradfan und sitze jeden Tag am Internet. Aber mein Interesse an Technik im engeren Sinn - also an der Technik selbst, nicht an deren Nützlichkeit - habe ich im Zusammenhang mit meiner Beschäftigung mit der Systemtheorie und dem Radikalen Konstruktivismus entwickelt.
In diesem Sinne könnten Sie mein Reden über Technik auch als Reden über den Radikalen Konstruktivismus auffassen. Ueber das Verhältnis von Systemtheorie und Technik will ich ohnehin auch etwas sagen.
Lassen Sie mich mit den beiden Seiten der Aufklärung anfangen.
Ich sitze im Variete und sehe mit eigenen Augen, wie sich ein Kanichen in eine zersägte Schönheit und anschliessend in fauchende Raubkatze verwandelt. Natürlich traue ich meinen Augen nicht, aber ich habe dafür bezahlt, dass man mir etwas zeigt, was ich nicht verstehen kann. Der Zauberer macht mich staunen und ich geniesse das. Wieso kann ich geniessen, dass ich etwas nicht verstehe?
Ich sitze in einer Kirche und höre mit den eigenen Ohren, dass es einen Gott gibt, der seinen eigenen Sohn ans Kreuz schlagen liess, und danach den Papst beauftragt hat, Milionen zu scheffeln und den Menschen von der Wahrheit der unbefleckten Empfängnis zu erzählen. Natürlich traue ich meinen Ohren nicht. Und ich habe auch nichts dafür bezahlt, dass man mir etwas erzählt, was ich nicht verstehen kann. Ich wurde von meinen Eltern dorthin er- oder gezogen, und diese versichern mir glaubwürdig, dass bereits sie halb sanft dort hin gezwungen wurden. Der Priester macht mich staunen, aber ich geniesse dieses Staunen nicht. Wieso kann nicht ich geniessen, dass ich etwas nicht verstehe?
Beide Arten von Zauberei beruhen darauf, dass sie als Zauberei gemacht sind. Es sind Inszenierungen von Menschen, die sich der Inszenierung bewusst sind. Und beide Arten der Inszenierung funktionieren bei mir deshalb, weil ich auch ohne Inszenierungen staune, wenn ich mir der Phänomene, die mich umgeben, bewusst werde. Zauber spielt mir vor, was ich ohnehin erlebe. Fauler Zauber nützt schamlos aus, dass mich das Zauberhafte fasziniert und in Fesseln legt. Ich finde nichts blöder, als wenn man einen Variete-Zauber aufklärt, und nichts blöder, als wenn man faulen Zauber nicht aufklärt.
Hier will ich aber über die Aufklärung sprechen, die nicht inszeniertes Staunen entzaubert, nämlich unser Staunen über unsere Um-Welt. Diese Aufklärung ist doppelt. Zuerst muss man aufklären, wie unsere Umwelt funktioniert, das macht die Forschung der Wissenschaft, und dann muss man aufklären, indem man den Menschen sagt, was die Wissenschaft gefunden hat, das macht die Lehre der Universität. Deshalb nennen wir die Epoche, in welcher unsere Wissenschaft und die ersten Universitäten erfunden wurden, Aufklärung. Die Schule bereitet die Schüler darauf vor.
Natürlich ist die Schule neben den Medien und anderem nur eine Institution von vielen, die diese Aufklärung betreibt. Es geht mir nur darum, am Beispiel zu zeigen, dass wir die Aufklärung bewusst betreiben.
Als Erklärungen betrachte ich systematische Beschreibungen von Mechanismen, die wir zur Erzeugung derjenigen Phänomene verwenden können, die wir erklären wollen. So erklärte Heron von Alexandria etwa, warum sich die Tempeltüren öffnen, wenn die Priester vor dem Tempel ein Feuer entfachen. Seine Erklärung war Aufklärung. Er deckte auf, wie mit einer unterirdischen Dampfmaschinen mit Seilen und Winden die Tempeltüren geöffnet werden können. Wer diese Erklärung - wie vielleicht die griechischen Sklaven - nicht kennt, könnte annehmen, dass die Götter oder die Zauberkraft der Priester die Tempeltüren öffnen.
Unter dem Gesichtspunkt der Erkärung dient eine Konstruktion der Aufklärung eines Phänomens. Als Phänomen bezeichne ich eine Erfahrung, für deren Ursache ich eine Erklärung suche. Wenn ich vor einer Tempeltüre stehe, die sich wunderbarerweise wie von selbst öffnet, kann ich mich im Variete oder in der Kirche wähnen. Es steht es mir frei, an ein Wunder zu glauben oder gar nichts bedenkenwertes zu sehen. Wenn ich mich aber frage, wie ich diese Erfahrung willentlich reproduzieren könnte, dann frage ich nach einer Erklärung - und mithin nach einem spezifischen Mechanismus. Genau diese Frage macht meine Erfahrung zu einem Phänomen. |
Diese Sicht auf Mechanismen verkehrt das intuitive Verständnis vieler Konstrukteure, das auch den Alltagsverstand bestimmt. Konstrukteure verstehen ihre Konstruktionen als Mittel, die einen Zweck erfüllen. Heron etwa baute seine Dampfmaschine, um Tempeltüren zu öffnen, nicht um irgendwelche Phänomene zu erklären. Ich werde später auf Heron's Vorstellungen zurückkommen. Wenn ich mich - in der griechischen Fiktion als Barbare - frage, wie sich die Tempeltüre wohl öffnet, dann dient mir Heron's Mechanismus als Erklärung. Erklärungen werden - in genau diesem Sinne - konstruiert. Alle Reden, die keine Mechanismen beschreiben, sondern beispielsweise Zauber einführen, können mir bei der Bewältigung meines Staunens auch dienen, aber nicht als Erklärung im hier gemeinten Sinne.
Damit ein Mechanismus als Erklärung dienen kann, muss er bestimmte konstruktive Merkmale erfüllen. Der Wetterhahn auf dem Kirchturm kann natürlich auch als Phänomen gesehen werden, dass er sich nach dem Winde dreht, ist aber vorerst kein Phänomen, das man erklärt haben möchte. Das versteht sich von selbst. Dass sich die Uhrzeiger am demselben Kirchturm so regelmässig mit Tag und Nacht bewegen, wird man vielleicht vorerst als Phänomen sehen, aber in einer Kultur, die die Antriebsmaschine kennt, wird man über die Tatsache, dass sich die Zeiger überhaupt bewegen, nicht lange staunen. Erst nachdem man sich für Technik so interessiert, dass man selbst eine Uhr bauen möchte, wird deren Konstruktion zum Phänomen. Und erst nachdem man sich für Technik so interessiert, dass man sich den exakten Naturwissenschaften zuwendet, kann auch der Wetterhahn, der im Unterschied zur Windfahne zum Wind hinschaut, wieder als Phänomen entdeckt werden.
Eigentliche Phänomene sind nicht leicht durchschaubare Zusammenhänge. Mechanismen, die solche Zusammenhänge erklären, sind Automaten. Ein typisches Beispiel für einen Automaten ist etwa die thermostatengeregelte Heizung, auch wenn wir uns in den hochindustrialisierten Ländern kaum mehr darüber wundern, wie es möglich ist, dass die bewohnten Räume auf einer konstanten Temperatur gehalten werden können, die Nachts sogar regelmässig drei Grade tiefer liegt als tagsüber. Das Wort Thermostat hat den Zauberei der konstanten Temperatur vordergründig zerstört. Aber wenn wir uns nicht mit Wörtern als Erklärungen zufrieden geben, dann erscheint die konstante Temperatur rasch wieder als Phänomen, das man nur aufklären kann mit der Konstruktion eines Automaten, der konstruktiv aufwendiger ist, als ein Wetterhahn oder ein Wasserrad.
Automaten sind explizit geregelte Maschinen, also Maschinen, die so konstruiert sind, dass sie auf bestimmte Bedingungen mit verschiedenen Operationen reagieren. Die Thermostatenheizung schaltet den Oelbrenner ein, wenn eine bestimmte Temperatur unterschritten wird und wieder aus, wenn die Temperatur einen bestimmten Wert übersteigt. Konstruktiv bedeutet das, dass der eigentlichen Maschine, der Heizung, eine zweite Maschine, eine Steuerung, überlagert wird. Beide Maschinen haben eigene Energieflüsse. Die Heizung verbraucht Oel, die Steuerung verbraucht Strom.
Ich will hier die Technologie nicht weitertreiben. Ich will mehr die Frage ins Zentrum rücken, warum wir über Technik so wenig staunen. Oder vielmehr, warum wir über Technik so versteckt nur staunen. In praktisch jedem Spielfilm der letzten Jahre ist - ganz unabhängig vom Inhalt des Filmes - der Start oder die Landung eines Flugzeuges zu sehen. Vor dreissig oder vielleicht auch noch vor zwanzig Jahren war ein Flugzeug noch etwas rares, nicht jedermann war schon geflogen. Aber seit einigen Jahren können wir davon ausgehen, dass wer sich das Kino leisten kann, auch schon geflogen ist. Aber gerade wenn man einmal in einen solchen riesigen Metallhaufen eingestiegen ist, wird man zumindest unbewusst - etwa auch in Form von Angst vor dem Fliegen -wieder mehr darüber staunen, wie dieses Gewicht zum Fliegen gebracht werden kann. Und jeder halbwegs bemittelte Filmregiseur bedient sich einmal pro Film unseres Staunens darüber.
Ich unterscheide Natur und Kultur, Kultur ist das, was Menschen schaffen, Natur ist das Komplementäre zur Kultur. Zusammen bilden Natur und Kultur meine Welt. Innerhalb der Kultur bilden die Automaten die Grundlage der entwickelsten Technologie.
Alle Phänomene in der Natur erkläre ich mit Maschinen.
[ ]Ich nenne hier einige Texte, in welchen Sie etwas mehr über die Voraussetzungen meiner Vorstellungen nachlesen können. Ich arbeite aber auch laufend an eigenen Texten, die Sie unter meinen Publikationen finden.