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Rusch, Gebhard / Siegfried J. Schmidt (Hrsg.): Konstruktivismus in Psychiatrie und Psychologie. Delfin 1998/1999. s/w. Abb. 235 S. 2000. Suhrkamp-Tb. Wissenschaft, Kartoniert SFr. 23.00, ISBN 3-518-29103-3

Klappentext
Es ist an der Zeit, das "Wie" von Wirklichkeitskonstruktionen intensiver zu bearbeiten, nachdem die Behauptung des "Dass" weitgehend akzeptiert ist.

enthält u.a.:
Bettoni. M.: Eine konstruktivistische Interpreation von Kants Kognitionstheorie
Todesco, R.: Hypertext oder Was heisst Konstruktion im konstruktivistischen Diskurs?
Mayröcker, F.: Gedichte

In kaum einem anderen Bereich haben konstruktivistische Überlegungen so rasch und so folgenreich Anwendung gefunden wie in der Psychiatrie. Entsprechend intensiv wurde dort auch die Diskussion über das Für und Wider dieses Ansatzes geführt, und so verwundert es nicht, dass gerade aus diesem Bereich auch kritische Stimmen gekommen sind, die auf eine Weiterentwicklung und Verbesserung des konstruktivistischen Diskurses dringen. Solche Stimmen greift der DELFIN 1999 auf und präsentiert neue psychiatrische Vorschläge zur Klärung zentraler konstruktivistischer Konzepte wie >Selbstorganisation<, >Wirklichkeitskonstruktion< oder >Normalität<. Dieser Themenschwerpunkt des Bandes wird ergänzt durch eine neue Interpretation Kants, eine konstruktivistische Lesart der Konzepte >Hypertext< und >Kultur< sowie durch literarische und künstlerische Arbeiten.

Inhaltsverzeichnis:
Mayröckerm Friederike: 4 Gedichte. Schmidt, Siegfried J.: Konstruktivismus in Psychologie und Psychiatrie. Eine Einführung. Seidlhofer, Waltraud: Te Anau. Schiepec, Günter: Konstruktivistisches Wirklichkeitsverständnis - ein empirisches Projekt. Klessinger, Reinhard: Zwishen référende und résumé. Tschacher, Wolfgang: _. Junghan, Ullrich: Das Problem der Kognition in Psychiatrie und Psychologie. Dehnen, Marga: Wer oder was steht innen oder außen?. Simon, Fritz B.: Psychopathologische Konstruktionen. Sieverding, Hans: Schwierigkeit der Annäherung. Schwertl, Walter: Wandel zwischen Wendepunkten. Gappmayr, Heinz: yellow rouge blu. Bettoni, Marco C.: Eine konstruktivistische Interpretation von Kants Kognitionstheorie. Schulze, Andreas Karl: Quadrate. Todesco, Rolf: Hypertext oder: Was heißt Konstruktion in konstruktivistischen Diskurs?. Czernin, Franz Josef: 4 Sonette aus dem Projekt elemente. Jünger, Sebastian: Chaos Kultur - Beobachtunshorizonte zwischen Kulturdeterminismus und mediatisierter Selbstorganisation. Franzobel: 2 prosabrocken.


Einführung von Siegfried J. Schmidt (Münster) Auszug S. 15-16:

2. Wenn von Konstruktion und Konstruktivismus gesprochen wird, dann fällt wohl kein Name eines klassischen Philosophen so oft wie der I. Kants. Aber die Bezugnahmen auf sein Werk, meist vorgenommen in legitimatorischer Absicht oder im Bestreben, eine Ahnenreihe konstruktivistischer Denker zu konstruieren, bleiben meist seltsam oberflächlich und beschränken sich auf wenige Zitate.

In dieser Situation bietet Marco C.Bettonis konstruktivistische Interpretation von Kants Kognitionstheorie eine begrüßens- und höchst lesenswerte Ausnahme. Bettoni liefert ein sehr sorgfältiges Re-Reading des Zentrums der »Kritik der reinen Vernunft«, nämlich der »Analytik der Begriffe«, vorgeführt im interpretatorischen Rahmen des italienischen Operationalismus S. Ceccatos sowie des Radikalen Konstruktivismus E. von Glasersfelds. Die Interpretation arbeitet zehn Prinzipien heraus, die als Kern des Kantischen Modells der kognitiven Funktionen angesehen werden können. Diese Prinzipien zeigen, dass bei Kant zentrale Begriffe wie >Objekt<, >Wahrheit<, >Realität< oder >Objektivität< neu konzipiert werden, und zwar in Richtung der Annahme, dass sich im kognitiven Prozess die Gegenstände nach den mentalen Funktionen richten und nicht umgekehrt. Damit kommt Kant zum gleichen Ergebnis wie Ceccato und von Glasersfeld: Die Realität liefert das Material, aus dem kognitiv und emotional Erfahrungswirklichkeiten produziert (konstruiert) werden. In meiner Erfahrungswirklichkeit ist nur das objektiv, was ich als objektives Konstrukt herstelle, und objektive Konstrukte sind wahr, insofern sie sich beim Vergleich mit meinen übrigen objektiven Konstrukten bewähren. Für diesen Prozess hatte J. Piaget die klassische Formel gefunden, dass der Verstand die Welt organisiert, indem er sich selbst organisiert. Gezeigt und nicht nur behauptet zu haben, dass Kant exakt dieselbe Einsicht entfaltet hat, ist das Verdienst Bettonis, das die Kant-Forschung sicher beeinflussen wird.