Rolf Todesco

Gödel, Escher, Bach -
oder was wir meinen, wenn wir von Intelligenz sprechen

Grundlagenpapier zum Soziologie-Seminar
ETH Zürich, Abt IIIB/C, SS 92 und SS 93


 


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Sind Computer intelligent?

2. Fragestellung: Was heisst "intelligent"?

3. Methodische Bemerkungen
3.1. Das Interview überhaupt
3.2. Das Gespräch als Interview
3.3. Lesen als Interview
Exkurs: Gödel, Escher, Bach - Das Buch
3.4. Der Forschungprozess

4. Exemplarische Veranschaulichung: "Künstliche Intelligenz"
Exkurs: Was heisst "was heisst intelligent"?

5. Resultat: "Intelligenz" als strukturalistischer Begriff
Exkurs: Soziologie als Entwicklung sozialen Wissens

6. Ausblicke: Bedeutung, Formale Systeme, Denken usw.
Exkurs: Die Gruppenarbeit im Fach Soziologie


 


1. Einleitung: Sind Computer intelligent?

Wird ein Computerprogramm jemals schöne Musik schreiben? Wird man Emotionen explizit einer Maschine einprogrammieren können? Wird ein denkender Computer jemals imstande sein, rasch zu addieren? Wird es Schachprogramme geben, die jedermann schlagen? Wird es bestimmte Stellen im Speicher geben, die Parameter speichern, die das Verhalten von Programmen regeln, so dass man, wenn man hineinreichte und sie änderte, imstande wäre, ein Programm klüger oder dümmer oder schöpferischer oder zum Fussball-Fan zu machen? Kurz, wäre es möglich, das Programm "abzustimmen", indem man auf einer relativ tiefen Stufe eingreift? Könnte man ein AI-Programm so "abstimmen", dass es wie ich handelt, oder wie Sie oder wie jemand zwischen uns beiden? Wird es in einem AI-Programm ein "Herz" geben, oder wird es einfach aus "sinnlosen Schleifen und Folgen trivialer Operationen" bestehen? Werden AI-Programme jemals "superintelligent" sein? Sie wollen also sagen, dass AI-Programme praktisch identisch mit Menschen sein werden. Gäbe es da gar keine Unterschiede mehr? Werden wir verstehen, was Intelligenz und Bewusstsein und freier Wille und "Ich" sind, wenn wir ein intelligentes Programm geschaffen haben?

Diese Fragen aus Hofstadters Buch "Gödel, Escher, Bach - ein endlos geflochtenes Band" stehen stellvertretend für alltäglich-undisziplinierte Fragen bezüglich (künstlicher) Intelligenz. Sie suggerieren Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Maschinen, die anheischig machen, dass Computer eines Tages als gesellschaftsfähige, gesellschaftliche Wesen, beispielsweise nach demokratischen Mustern, untereinander Konsens suchen oder durchzusetzen versuchen.


2. Fragestellung: Was heisst "intelligent"?

Ernsthaft ist natürlich nicht interessant, ob Maschinen jemals sogar gesellschaftliche Intelligenz haben können, sondern inwiefern jene, die von intelligenten Maschinen sprechen und Aehnlichkeiten zwischen Menschen und Maschinen assoziieren, eine bestimmte, nicht allgemein geteilte Auffassung von Intelligenz haben.

Motiv unserer Frage sind also weder soziale Probleme, die intelligente Maschinen haben oder verursachen könnten, also weder die Angst intelligenter Maschinen, sie könnten sich oder ihre Funktion nicht verstehen, noch die Angst nicht sehr intelligenter Menschen, sie könnten durch Maschinen ersetzt werden, die Arbeit an intelligente Maschinen verlieren, oder eines Tages gar für sie arbeiten müssen. Motiv unserer Frage ist herauszufinden, was wir - in unterstellter Gemeinsamkeit - meinen, wenn wir von Intelligenz sprechen.

Natürlich weiss jeder, was er meint, wenn er von Intelligenz spricht, aber es könnte sein, dass er etwas anderes meint, als seine, in diesem Falle nur vermeintlichen Gesprächspartner. Was also heisst intelligent"?


3. Methodische Bemerkungen


3.1. Das Interview überhaupt

Da viele Interviews an Orten geführt werden, wo es wichtiger ist, dass die andern akzeptieren, dass man recht hat, als ob man recht hat, scheinen Interviews und Fragebogen generell der Verifikation und dem Beweisen von Thesen zu dienen. Das sozialwissenschaftliche Interview unterstellt dagegen ein falsifizierbares Modell beim Interviewer. Der Interviewer weiss tendentiell immer schon, was der jeweils andere denkt, er hat eine Theorie, welcher sich der jeweils andere eigentlich auch beugen müsste. In Interviews wird die Theorie des Interviewers Falsifikationsversuchen ausgesetzt. Interviews, die nur erwartete Resultate ergeben, sind demnach relativ unergibig, sie taugen eben - wie an andern Orten ausdrücklich erwünscht - allenfalls als Verifikation dessen, was man bereits gewusst hat.

Interviewer lernen durch Interviews. Ihr Wissen ist anfänglich relativ unentwickelt, es wächst durch Interviews. Es wird im Interview laufend geprüft und weiterentwicklelt, indem Bedingungen von konkreten Aussagen in einer Theorie expliziert werden (1).

Wenn in einem Interview eine Antwort erscheint, die der Interviewer seiner zugrunde gelegten Theorie nach nicht erwarten kann, fragt er sinnigerweise als erstes zurück, ob er die Antwort auch richtig verstanden hat. Falls der zur Theorie relative Unsinn wirklich gemeint ist, wird sich der Interviewer über Ehrlichkeit und Geisteszustand des Interviewten Gedanken machen. So sind Interviews, die nur unerwartete Resultate ergeben soziologisch ebenso unergibig wie Interviews, die ausschliesslich erwartete Antworten ergeben.

Wenn in einem ordentlichen Interview eine Antwort erscheint, die der Interviewer der zugrunde gelegten Theorie nach nicht erwarten kann, sucht er nach Zusatzbedingungen um die Theorie zu retten. Natürlich lässt sich im Prinzip durch Anfügen von Zusatzbedingungen jede Theorie wahr halten (2). Deshalb ziehen wir von zwei wissenschaftlichen Theorien mit gleichem Erklärungswert jene vor, die weniger Annahmen voraussetzt und weniger Ausnahmebedingungen einführt (3). Gleichwohl wird der Interviewer abweichenden Antworten möglichst lange dadurch begegnen, dass er unter Wahrung der logischen Konsistenz zusätzliche Bedingungen in die Theorie einfügt (4).

Wenn man sich wissenschaftlich auf einen neuen Gegenstand einlässt, weiss man in einem alltäglichen Sinne bereits sehr viel über ihn; warum sonst wollte man etwas genaueres über ihn wissen. Falls man nicht der erste Mensch überhaupt ist, der sich auf den gewählten Gegenstand einlässt, wissen auch andere bereits relativ viel über ihn, so dass wohl in allen Fällen Interviews mit Mitmenschen sinnvoll sind.

Als Interview lässt sich jedes Gespräch, in dem man potentiell Neues lernt, auffassen. Unsere Kommunikations- und damit auch unsere Lernfähigkeit beruht zu einem wesentlichen Teil darauf, dass wir erfragen können, was wir nicht widerspruchsfrei verstanden haben, und umgekehrt, dass wir, quasi in einem endlos geflochtenen Band, mitteilen können, was wir meinen, mit dem, was wir mitteilen .

Da das Wissen des Interviewers immer relativ unentwickelt ist, wird er potentiell profitieren mit wem immer er auch spricht - einige Ausnahmen haben wir oben angeführt - aber nicht unabhängig davon, wie er spricht.


3.2. Das Gespräch als Interview

Da viele Gespräche an Orten - am sogenannten Stammtisch - geführt werden, wo es wichtiger ist, zu zeigen, was alles man bereits weiss, als etwas neues zu lernen, beruhen viele Gespräche auf Aussagesätzen, auf Behauptungen und Gegenbehauptungen. Freilich ist das Reklamieren jener mit Stammtischgebahren, sie stellten ihre Behauptungen fragend in den Raum und erhielten in den zweifellos folgenden, provozierten Gegenbehauptungen jeweils auch Antwort, als Gesprächsform, wenn auch als unhandliche, zu akzeptieren. Nur, wie oft begegnet man derart bewussten Behauptungen? Praktisch nie! Behauptungen haben etwas verletzendes, selbst dann, wenn sie sachlich begründet sind. Der verletzte Zuhörer ist "praktisch nie" in der Lage belehrende Behauptungen als Fragen zu verstehen, selbst wenn sie als solche gedacht sind.

Eigentliche Gespräche beruhen als wechselseitige Interviews auf Fragen, was sich eben auch grammatikalisch niederschlägt.

Allerdings unterscheiden wir Fragen, wie sie beispielsweise Aerzte und Psychologen stellen (sollten) von solchen, wie sie von Sensations-Reportern gestellt werden. Bei den einen spüren wir, dass der Fragende wissen will, was uns bewegt, während die andern Fragen darauf hinzielen, uns als konkrete Personen hinter vorgegebene Gemeinplätze zu bringen. Fragen ist keine Frage der grammatikalischen Form des Satzes, sondern eine lernende, mithin intelligente Haltung, die sich üben lässt. Man kann Gespräche üben, und zwar nicht nur die Rhetorik, die gar keine Antwort erwartet, sondern auch das sinnvolle, lernende Gespräch - das Interview.

* * *

Da das Wissen des Interviewers ganz am Anfang ziemlich unentwickelt ist, wird er sich sinnigerweise nicht beliebige Gesprächspartner wählen, sondern versuchen, sich das zur Verfügung stehende Wissen zu erlesen. Ist das nicht der Sinn von Büchern?


3.3. Lesen als Interview

Auch das Lesen eines Buches ist, wenn man will, ein Interview - ein Interview mit dem Buch-Autor. Bücher sind allerdings sehr einseitige Interviewpartner, sie stellen keine Fragen, wiewohl dem Leser jede Antwort fraglich sein kann (oder sollte). Bücher geben Antworten, indem sie die nur zeitlich später (5) gestellten Fragen ihrer lesenden Interviewer vorwegnehmend implizieren. Deshalb sind Bücher grammatikalisch in Aussage-Sätzen geschrieben, auch wenn clever gemeinte Bücher jüngeren Datums (Gödel, Escher, Bach ist ein mustergültiges Beispiel) aus rhetorischen Ueberlegungen Fragesätze verwenden.

Hier mag auch durchscheinen, dass Vorlesungen sinnvoll sein können, da man einen Buch-Autor, wenn überhaupt, nur umständlich rückfragen kann. Gleichwohl scheinen sich Bücher zu bewähren. Da ein Buch- Autor überdies nichts hinzulernt, wenn sein Buch gelesen wird, ist das Buch als Lehrmittel in einem weiteren Sinne beschränkt. Gleichwohl scheinen sich Bücher als erste Interviewpartner nicht nur deshalb, weil der noch beschränkte Interviewer nur die Zeit des Buches, nicht die eines Menschen beansprucht, zu bewähren: Lesen diszipliniert.

Der geneigte Leser wird sich, da er nicht zurückfragen kann, ob er die Aussage auch richtig verstanden hat, und sich ein Buch-Autor gegen Unterstellungen und Missverständnisse, wenn überhaupt, nur sehr umständlich wehren kann, die Aussagen eines Buches sehr ernst nehmen, und nicht einzelne Wörter oder Sätze, die im Buch stehen, nur weil sie dem ans Buch herangetragenen Vorwissen widersprechen, nicht wahrnehmen oder leugnen. Natürlich stösst dieses Verfahren, nämlich Lesen mit der Unterstellung, ein Buch sei konsistent geschrieben, bei den meisten Büchern sehr rasch auf Grenzen. Der Leser wird damit gleichwohl besser beraten sein, als wenn er beliebig Aussagen um Negationen ergänzt.

Wer ein Buch interviewt, weiss was darin steht - lernendes Lesen setzt entsprechendes Wissen voraus. Natürlich kann man sich gewaltig täuschen, Irrtum ist Bestandteil von Wissen. Aber sich gewahr werdend, kann man jedes Interview abbrechen, jedes Buch weglegen. Im Normalfall täuscht man sich nicht. Würde man ein Gespräch ohne Vorurteile führen, ein Buch unvoreingenommen lesen, würde man nichts lernen, es wäre, als ob man ein Experiment ohne Ausgangserwartung anstellte. Zwar ergäben sich Fakten, aber man wüsste nicht wozu.

* * *

Unsere Gruppenarbeiten enden mit einem Protokoll eines (oder mehrer) Interviews zu einem gewählten Thema aus dem Bereich "Künstliche Intelligenz". Abgesehen davon, dass "Künstliche Intelligenz" ein ingenieurnahes Thema ist, welches, da wir, wenn wir programmierbare Automaten unter dem Aspekt ihrer Intelligenz betrachten, zumindest vorderhand weniger deren Brauchbarkeit, als deren Aehnlichkeit zum Menschen meinen, auch für Ingenieure noch andere, eben vor allem auch soziologische Bezüge zum Menschen hat, als konventionellere Ingenieursarbeit, haben wir zu diesem Thema einen vorzüglichen ersten Interviewpartner: Douglas R. Hofstadter.


Exkurs: Gödel, Escher, Bach - Das Buch.

Das Buch Gödel, Escher, Bach erhielt 1980 sowohl den Pulitzer Preis wie auch den American Book Award und war monatelang das meistverkaufte Buch in Amerika. Schliesslich eroberte es auch bei uns einen Spitzenplatz als Bestseller, obwohl das Buch als Fachbuch erscheint und 791 Seiten lang ist.

Hinter dem vielversprechenden Titel steht ein fast endlos gewachsenes Essay über "Künstliche Intelligenz", das auf zwei Ebenen Gehalt hat.

Dass nämlich Gödel, Escher und Bach relativ intelligent sind, weiss jeder bevor er das Buch von Hofstadter gelesen hat. Argumentieren aber, weshalb Bachs Musik so eindeutig anspruchsvoller ist, als die Unterhaltungsschlager von Elvis Presley und den Beatles, ist nach dem Buch um einiges anspruchsloser geworden. Im Buch "Gödel, Escher, Bach" hat das Bildungsbürgertum den geschriebenen, zitierbaren Beweis dafür, dass seine Kultur wirklich kultiviert ist. Endlich sagen können, worin sich das mit enormen Subventionen durchgesetzte Ansehen der bürgerlichen Kultur rechtfertigt, muss dem Bürger den Preis des Buches wert sein. Die Information des Buches auf dieser Ebene dürfte den Erfolg des Buches weit mehr erklären, als das angepriesene Lesevergnügen, welches man zweifellos verspüren, würde man durch das Buch tatsächlich spielerisch in schwerwiegende Themen eingeführt.

Der Autor des Buches, der Informatiker Hofstadter, verwendet das Musikalische Opfer von Bach und die eigenartigen, sinnverwirrenden Zeichnungen von Escher exemplarisch um Ansprüche zu explizieren, die wir gemeinhin erfüllt sehen wollen, wenn wir von Intelligenz sprechen. Mit Gödels Unentscheidbarkeitssatz argumentiert Hofstadter inwiefern wir unsere Ansprüche bezüglich Intelligenz selbst zu begrenzen haben, da absolute Geschlossenheit intelligenter Aussagen nicht denkbar ist.

Die Argumentation des Buches ist sehr schwierig nachvollziehbar, sie ist versteckt in vielen Wortspielen, Fragen und Rätseln, die überdies in scheinbar beliebiger Reihe thematisiert werden. Das Buch brilliert mit seiner Fülle von Daten und Relationen, es stellt aber an jene, die nicht einfach einer Begründung bürgerlicher Kulturgüter bedürfen, sondern einige Aspekte der "Künstliche Intelligenz" besser verstehen wollen, enorme Strukturierungsansprüche. Das Buch will im besten Sinne des Wortes gelesen werden.


3.4. Der Forschungprozess

Wir stellen Hypothesen, über Aussagen, die das Buch "Gödel, Escher, Bach" macht. Dazu konzentrieren wir das Buch auf einen einzigen Satz, welchen wir anschliessend erläutern. Diese Erläuterung nennen wir Theorie. Da wir uns in verschiedene Gruppen aufteilen, beziehen wir uns auf verschiedene Teile oder Aspekte des Buches.

Danach beginnen wir das Buch zu lesen. Natürlich hat jeder schon vorgängig im Buch gelesen, oder sich darüber erzählen lassen, aber jetzt - nachdem wir eine erste Theorie besitzen - beginnt das eigentliche Lesen, das Interview, durch welches wir unsere Theorie über das Buch erweitern. Wir fragen nach der Konsistenz der Argumentation. Da wir mehr lernen wollen, als nur, dass das Buch inkonsistent ist, heisst das nicht, dass wir nach Inkonsistenz suchen, sondern nach Interpretationen unter welchen das Buch konsistent erscheint (6). Wir versuchen damit den Autor zu verstehen, ihm gerecht zu werden. Es geht uns also - und das ist erfahrungsgemäss die grösste Schwierigkeit nicht geübter Leser - nicht um eine Theorie, die wahr, also die richtige Beschreibung der Wirklichkeit ist, sondern darum, inwiefern unsere Theorie mit dem Buch, unserem ersten Interviewpartner übereinstimmt.

Schliesslich machen wir uns darüber Gedanken, wer die Ansichten von Hofstadter teilen wird und wer wohl gerade nicht. Damit entwickeln wir Hypothesen über die Ansichten von verschiedenen Menschen über das Thema des Buches. Und insofern wir die verschiedenen Menschen nach sozialen Kriterien anordnen, entwickeln wir eine soziologische Theorie darüber, wie die gesellschaftliche Position das Denken und Wissen mitbestimmt. Mit diesen Hypothesen bereiten wir uns auf weitere Interviews, auf eigentliche Gespräche vor.

In diesen Gesprächen geht es darum, zu lernen, wie unser Gegenstand auch betrachtet werden kann. Wir werden kaum jemanden finden, der uns sagt, wie unser Gegenstand letztlich, wirklich ist. Dagegen werden uns solche Gespräche zu unseren ersten Interpretationen unseres Buches zurüchführen, uns zeigen, dass andere Interpretationen möglich sind. Wir werden so an den Anfang eines Kreises zurück kehren, um diesen neu zu durchlaufen (7). Was allerdings in diesem Bild als Kreis erscheint, ist einer andern Perspektive eine Spirale. Wieder am Ausgangspunkt auf unserem Kreis, sind wir auf höherem Niveau, besitzen wir ein entwickelteres Vorwissen über unser Thema, über "Künstliche Intelligenz" und über in unserer Gesellschaft findbare Interpretationen der "Künstliche Intelligenz".


4. Exemplarische Veranschaulichung: "Künstliche Intelligenz"

Satz: "Gödel, Escher, Bach" ist ein (nicht sehr gut gelungener) Versuch, zu zeigen, dass sich alle Intelligenz als künstliche Intelligenz auffassen lässt.

Die Interpretation, dass der dem Buch unterstellte Anspruch im Buch nicht sehr gut eingelöst ist, könnte darauf hinweisen, dass die Unterstellung gesamthaft nicht sinnvoll ist. Dies in Erinnerung haltend, diskriminieren wir vorderhand nur unsere Wertung als unwesentlich. Sie referenziert so gesehen lediglich die Seitenzahl des Buches, das chaotische Inhaltsverzeichnis und vor allem die ungezählten nichtssagenden Buchbesprechungen. Wir kürzen den Satz:

Satz: "Gödel, Escher, Bach" ist ein Versuch, zu zeigen, dass sich alle Intelligenz als künstliche Intelligenz auffassen lässt.

Auch die Redeweise "ist ein Versuch, zu zeigen, dass" ist in unserem Kontext redundant:

Satz: "Gödel, Escher, Bach" zeigt, dass sich alle Intelligenz als künstliche Intelligenz auffassen lässt.

Schliesslich ist auch der Verweis die Auffassung, da hier die Möglichkeit verschiedener Auffassungen gerade Thema ist, selbstredend unterdrückbar:

Satz: "Gödel, Escher, Bach" zeigt, dass alle Intelligenz künstliche Intelligenz ist.

Wie aber kommt man angesichts des Buches überhaupt zu einem solchen Satz? Wäre das Buch nicht auch in einem Satz' wie

"Gödel, Escher, Bach" zeigt, dass sich in den Werken von Gödel, Escher, und Bach Rekursion und Selbstbezüglichkeit widerspiegeln.

zusammen zu fassen?

Unser Satz ist als Hypothese beliebig und macht lediglich einige im unserem Kontext relativ sinnvolle Implikationen. Die allenfalls im Kontext der Verkaufsförderung stehende Interpretation des Buches etwa, die im Klappendeckel der deutschen Ausgabe steht, nämlich, dass es dem Buch darum gehe, unsere offensichtliche Unfähigkeit die Natur unseres Denkens zu illuminieren, bedeutete, dass man im Buch nur noch bewiesen erhielte, was man, weil ja offensichtlich, immer schon wusste. Wir haben aber eine andere Anforderung an unsere Zusammenfassung.

Unser Satz unterstellt zunächst den elemetareren Satz, dass das Buch etwas über "Künstliche Intelligenz" enthält, was, weil "Künstliche Intelligenz" ein bereits verbreitetes etabliertes Thema ist, das folgende Lesen stark strukturiert und Falsifikationen zugänglich macht. Unser Satz ist also methodisch reflektiert. Er beinhaltet die - von Hofstadter hier allerdings nicht realisierbare - Chance, im Interview in den Aussagen von Hofstadter auch einen Sinn zu entdecken, den Hofstadter nur un- oder halbbewusst angesprochen hat.

Unser Satz repräsentiert aber auch keineswegs jenes Vorwissen, welches jedermann im ersten Anlauf an "Gödel, Escher, Bach" herantragen würde. Unser Satz hat auf der bildlich als Spirale beschriebenen Rekursion des steten neubeginnenden Lesens bereits einige Umdrehungen durch den vermeintlichen Anfang des Kreises hinter sich, und angesichts des Buchtitels denkbare Annahmen wie, das Buch enthalte einen Briefwechsel der drei genannten Koryphaen, schon gar nie durchlaufen.

Die hier elemetar genannte Voraussetzung, dass das Buch etwas mit "Künstliche Intelligenz" zu tun hat, lässt sich leicht so weit verifizieren (!), dass sie als Ausgangspunkt für spezifischere Interpretationen haltbar erscheint. Was also wird in einem Buch über "Künstliche Intelligenz" zu lesen sein?

Unsere Perspektive, die wir an das Buch herantragen, lässt uns nicht vor allem Implementierungsprobleme, wie sie im Zusammenhang mit Expertensystemen diskutiert werden, erwarten. Würde sich "Gödel, Escher, Bach" nur als computertechnisches Fachbuch lesen lassen, würden wir es, ohne dadurch die Qualität des Buches anzuzweifeln, wieder weglegen, wir hätten uns getäuscht, oder wir wären durch den Buchtitel getäuscht worden.

In einem Buch über "Künstliche Intelligenz", wie wir es erwarten, steht etwas über das natürliche oder menschliche Denken; solche Bücher über "Künstliche Intelligenz" handeln immer auch, allenfalls implizierend und oder negierend von Menschen. Wir erwarten Aussagen über die prinzipielle Möglichkeit, menschliche Intelligenz in Maschinen zu simmulieren. "Gödel, Escher, Bach" erfüllt diese Erwartung.

Hier ist nochmals hervorzuheben, dass unsere Erwartungen bezüglich Büchern über "Künstliche Intelligenz" keineswegs naturgegeben sind, sondern auf Kenntnissen über solche Büchern oder genereller über Diskussionen zur "Künstliche Intelligenz" beruhen. Das zeigt sich anhand unseres Themas deutlich, da "Künstliche Intelligenz" als relativ junges Thema bei noch sehr vielen Menschen gar nichts assoziiert.

Wer aber über "Künstliche Intelligenz" nicht gar nichts weiss, wird in dieser Thematik einerseits Aussagen über die Simmulierbarkeit menschlicher Intelligenz erwarten und andrerseits wohl auch eine eigene - ihm plausible - Meinung oder Theorie darüber haben.

Genau diese eigene Theorie, welcher sich eigentlich alle jeweils andern auch beugen sollten, tragen wir in jedes Interview als Ausgangswissen, im doppelten Sinne des Wortes. Sie ist Output oder Ergebnis des letzten Interviews und Ausgangspunkt für das nächste.

Wüssten wir über "Künstliche Intelligenz" nicht gar nichts, aber noch relativ wenig, wüssten wir vielleicht - im Sinne eines zur Uebrzeugung geratenene Vorurteiles -, dass sich menschliche Intelligenz niemals simmulieren lässt. Mag sein, wir teilten ohne es wissen zu müssen, die Lucas'sche Argumentation. Wir würden von Hofstadter dasselbe erwarten und ent-Täuscht lernen, dass wir uns getäuscht haben. Keineswegs müssten wir dabei lernen, dass menschliche Intelligenz sich wirklich simmulieren lässt, aber mindestens müssten wir lernen, dass unsere Lucas'sche Argumentation perspektivisch ist, nicht von allen eventuell ernstzunehemenden Leuten geteilt wird. Wir müssten wohl in die Formulierung, "es ist im Prinzip möglich, intelligente Computer zubauen, allerdings erst, wenn wir die Struktur unseres Gehirns und unseres Denkens verstanden haben", einwilligen. Wir würden allenfalls unsere bisherige Theorie, wonach menschliche Intelligenz nicht simmulierbar ist, mit Lucas zusammen, durch Zusatzannahmen neu begründen oder die Hofstadter'sche Idee, wir seien je in der Lage unser Denken zu verstehen prinzipiell zurückweisen.

Hofstadter jedenfalls argumentiert gegen Lucas nicht unvernünftig, dass falls wir den physiologischen Aspekt des Menschen als Hardware akzeptieren, dieser zwangsläufig auch der Gödelschen Unentscheidbarkeit unterliegt und gleichwohl eindeutig intelligent ist. Hofstadter zeigt - wenn man dem Buch naiverweise auf ein Ziel hinliest, statt sich am Weg zu freuen -, dass die vermeintliche Dialektik zwischen Gödel's Satz und "Künstlicher Intelligenz" auch eine Dialektik zwischen Gödel und der natürlichen Intelligenz mitbeschwört, denn auch ein Mensch - und zwar auch der vorstellbar schlauste - kann sich Gödel nicht entziehen.

So gelesen würde Gödel allerdings bewiesen haben, dass nicht nur "Künstliche Intelligenz" nicht möglich ist, sondern dass Intelligenz per se nicht existiert.

Damit aber sind wir auf unseren Anfang zurück geworfen: Was heisst "intelligent"?


Exkurs: Was heisst "was heisst intelligent"?.

"Intelligent" ist semiotisch gesehen ein Ausdruck der eine Sache referenziert. Diese Sache ist allerdings über den sogenannten Inhalt nur vermittelt angesprochen:

Inhalt

Ausdruck Referent

"Computer" etwa verweist nicht direkt auf eine bestimmte Maschine, sondern auf eine abstrakte Vorstellung, den sogenannten Begriff, die wir von dieser Maschine haben. Jeder Begriff besteht aus einem Katalog von Bestimmungen oder Merkmalen, die wir eben den entsprechenden Referenten abstrahieren.

Wenn wir nun fragen, was "Computer" heisse, fragen wir nach diesem Merkmalskatalog, durch welchen der Referent bestimmt ist. Unsere Frage "Was heisst intelligent" verlangt also eine Menge von Bestimmungen der mit "intelligent" gemeinten Sache.

Da wir überdies um unseren Zweck zu erreichen, intersubjektiv präziser Formulierungen bedürfen, scheinen begriffliche Darstellungen im engeren Sinne, also die Verwendung von Ober- und Unterbegriffen angebracht (8).

Der Interviewer muss sich nicht nur präzis ausdrücken, sondern vor allem seine Untersuchungs- oder Interviewpartner mittels entsprechendem Rückfragen zu begrifflich präzisen Formulierungen hinführen.

Was also heisst "intelligent"? Betrachten wir nochmals einige unserer einleitenden Fragen:

Wird ein Computerprogramm jemals schöne Musik schreiben? Wird man Emotionen explizit einer Maschine einprogrammieren können? Wird ein denkender Computer jemals imstande sein, rasch zu addieren? Wird es Schachprogramme geben, die jedermann schlagen?

In ihnen werden sicher Bestimmungen von "Intelligenz" angesprochen, aber eben nicht so, dass sie schliesslich zu einer positiven begrifflichen Formulierung führen würden. Jede einzelne Frage liesse sich zwar grammatikalisch in eine zunächst verwendbare Definition von Intelligenz umformen, aber es ist leicht zusehen, dass genau solche ad hoc geleisteten Definitionen keine Kommunikationsbasis abgeben. Solche Definitionen sind vielmehr Ausgangspunkte, unentwickelte Theorien, die mittels Interview in jeweils gemeinsamen, allgemeineren Formulierung zu kritisieren und aufzuheben sind.

Wer das Buch "Gödel, Escher, Bach" mit einer possitiven Definition von "Intelligenz" zu lesen beginnt, wird die Möglichkeiten einer simplen Negation bald kennen lernen: Hofstadter zitiert Tessler's Satz "Intelligenz ist alles, was noch nicht programmiert ist." Da sich prinzipiell kein Einwand dagegen, dass "alles" programmierbar ist, finden lässt, könnte sich "Intelligenz" allmählich in nichts auflösen. So gelesen würde Hofstadter zeigen, dass Intelligenz nur noch so lange existiert, als wir nicht intelligent genug sind, intelligente Maschinen zu bauen.

"Intelligenz" bezeichnete damit die immer kleiner werdende Menge von funktionalen Fähigkeiten, die noch keiner Maschine zukommen. Positiv enthält die negative Formulierung "Intelligenz ist alles, was noch nicht programmiert ist" eventuell - das ist eine Frage des Nachfragens, respektive des entsprechenden Lesens - die als allgemein geteilt unterstellte Aussage, dass genau jene Aspekte des Menschen als "Intelligenz" bezeichnet werden, die im Sinne von funktionalen Fähigkeiten programmierbar sind.

Damit sind wir bei unserem Satz:

"Gödel, Escher, Bach" zeigt, dass alle Intelligenz künstliche Intelligenz ist.

und einem neuen Ausgangspunkt um das Interview mit "Gödel, Escher, Bach" wieder aufzunehmen. Bevor wir allerdings das Interview neu aufnehmen, erläutern wir unseren Satz. Wir explizieren, was wir vorderhand meinen und demzufolge auch unseren Gesprächspartnern unterstellen, wenn wir von "Intelligenz" sprechen.

Gespräche beruhen darauf, das Unterstelltes jeweils erst ans Tageslicht gerückt wird, wenn Missverständnis, die ungleichen Voraussetzungen geschuldet, aus der Welt zu schaffen sind. Gespräche beruhen aber auch darauf, dass die geleisteten Unterstellungen bei Bedarf expliziert werden können. Praktisch bedarf man einer expliziten oder explizierbaren Theorie, um in einem Gespräch Widersprüche, die in Implikationen stecken, rasch zu erkennen.


5. Resultat: "Intelligenz" als strukturalistischer Begriff

Was also unterstellen wir mit unserem Satz, wonach alle Intelligenz künstliche Intelligenz ist?

Wir unterstellen "Intelligenz" als abstrakte Charakterisierung des Menschen, als einen Gesichtspunkt, welchen man an die Menschen heranträgt. Wenn wir uns fragen, wie intelligent ein bestimmter Mensch sei, fragen wir nach seinen Fähigkeiten, ganz bestimmte Aufgaben zu lösen. Wir messen unsere Intelligenz an Problemen, die für Maschinen formuliert wurden.

So gilt uns das Lösen der sicher anspruchsvollen Aufgaben, ein Kind zu zeugen oder zur Welt zu bringen, keineswegs als Indiz für vorhandene Intelligenz, und zwar nicht deshalb nicht, weil diese Aufgaben offensichtlich unabhängig von Intelligenz gelöst werden können, sondern deshalb nicht, weil undenkbar ist, dass diese Aufgaben je einer Maschine, wie intelligent sie auch immer sein mag, gestellt werden (9).

Intelligenz bezieht sich auf echte Probleme, was hier anhand eines für "Künstliche Intelligenz" typischen Beispiels, nämlich anhand von Schach erläutert werden soll.

Die Menge von Daten und Relationen, die im Schach-Spiel bei gegebener Eindeutigkeit memoriert und strategisch bewertet werden müssen, antizipieren eine vorzügliche Datenverarbeitungsanlage.

Wenn man im vom Schachcomputer gedachten Sinne gegen ihn spielt - also quasi mit ihm spricht, oder ihn darüber interviewt, wie auf bestimmte Schach-Konfigurationen zu reagieren ist - kennt man seine Implikationen über das Spiel nicht, man sieht nur, dass er mehr oder weniger vernünftigt spielt. Erst wenn der Computer als solcher mehr interessiert als das Spiel, oder wenn der vermeintliche Schachcomputer seine Figuren wie Dame-Steine bewegt, oder wenn er zwar normal spielt, aber bestimmte Mattsituationen nicht erkennt, fragen wir uns was mit ihm los ist, respektive ihn nach seinem Verständnis des Spieles oder nach seiner Theorie.

Jeder Schachcomputer impliziert sinnvolle Strategien für das Spiel und damit natürlich auch eine Beschreibung des Spieles selbst. Seine für das Spiel vorhandenen Voraussetzungen sind im Programmlisting als explizite Theorie, also in einer begrifflich-sprachlichen Beschreibung (10) zugänglich. Die Theorie des Schach-Computers ist eindeutig und bezüglich seiner Strategie hat der Computer den grossen Vorteil, dass er - falls sein Programm nicht falsch ist und er leistungsmässig die willkürlich gesetzen Zeitlimiten einhalten kann - gewinnt.

Widersprüche im Sinne von logischen Fehlern, auf die sich jedes verlorene Spiel zurückführen lässt, sind prinzipiell analysierbar. Das liegt aber weder am Computer noch am Programm; dass logische Eindeutigkeit prinzipiell erreichbar ist, liegt am Schachspiel.

Nebenbei bemerkt, scheint man heute in der Konstruktion von Schachcomputern nicht vor allem die Idee zu verfolgen, einen vollständigen Baum aller möglichen Züge abzuarbeiten, sondern eher auf eine weniger intelligente, menschlichere Strategie zu setzen. Die Schachcomputer erscheinen als Pragmatiker, die wissen, was sich an expliziter Theorie lohnt und, was man besser - im Sinne von Resttätigkeiten (11) - den Menschen überlässt. Hinter dieser Pragmatik steckt aber kaum etwas anderes, als dass es uns bisher noch nicht gelungen ist, den im Schachspiel antizipierten Computer zu bauen.

Hier mag man einwenden, dass sich Schach heutzutage, nachdem wir bereits beachtliche Computer bauen können, zwar so sehen lasse, dass aber in der Erfindungszeit des königlichen Spieles, von solchen Maschinen noch nicht einmal geträumt wurde. Nur wer kennt die frühen Träume und Visionen?

Aber sind werkzeugherstellende Wesen (12) denkbar, die nicht zwangsläufig davon träumen, dass ihre Werkzeuge ohne lebende Antriebsund Steuerungs-Energie arbeiten? Merkt nicht jeder, der mit dem primitivsten Hammer erfolgreich ist, dass er sich immer noch über Gebühr abmühen muss, um ein Arbeits-Ziel zu erreichen? Wer den Hammer begriffen hat, sieht den hämmernden Roboter und die Probleme, die der hämmernde Roboter lösen kann, lange bevor er das Problem, diesen Roboter zu bauen, gelöst hat. Und was unterscheidet schon den hämmernden vom schachspielenden Roboter? Schliesslich lösen beide Probleme, die für Menschen un-mittel-bar, also ohne Mittel, unlösbar sind. Dass Menschen, wenigstens die intelligenten, mit Schachfiguren vorderhand noch besser umgehen können als Automaten, ergibt lediglich dem von Hofstadter zitierten Satz "Intelligenz ist alles, was noch nicht programmiert ist" Sinn.

Nun werden wir einige Interviewpartner finden, die zwar die Vorstellung, dass Schach für Computer, nicht für Menschen gedacht ist, teilen, die aber gleichwohl der verbreiteten Vorstellung, die sich ihrer Implikationen nicht bewusst ist, anhängen, dass "Künstliche Intelligenz" "nicht-ganz-so-intelligent-wie-Menschen" heisst. Diese Vorstellung äussert sich etwa darin, dass Maschinen schliesslich auch Fussballfans mit Herzenslogik sein können sollten, oder allgemeiner darin, dass der Mensch in jeder Hinsicht als Vorbild jeder Maschine erscheint.

Dieser Vorstellung zufolge versucht der Mensch sich in den Maschinen nicht ein Arbeitsmittel, sondern eine Konkurrenz zu schaffen, die ihm auch intelligenzmässig allmählich - aber glücklicherweise doch nie - ebenbürtig wird. Ein hämmernder Roboter zeigt so gesehen in einem abstrakten Sinne, was ein Mensch ist. Die im Roboter geleistete Abstraktion verzichtet auf Fleisch und Blut, zeigt keine Motive oder Emotionen, sondern konzentriert sich auf Feeling (13). Im sozialen Wissen ist relativ fest verankert, was und wozu Werkzeuge wirklich sind. Ueberdies wissen wir, dass unser Bemühen eindeutig möglichst intelligenten Werkzeugen und nicht der technischen Produktion von Menschen gilt. Wenn wir in den Maschinen Aspekte des Menschen sehen, dann deshalb, weil wir die Menschen unter den in der Werkzeugproduktion gewonnenen Kategorien betrachten.

Wir projizieren "Intelligenz", die wir im Werkzeug erreichen wollen, auf die Menschen.


Exkurs: Soziologie als Entwicklung sozialen Wissens

Soziologie entwickelt 'soziales Wissen', indem sie individuelles Wissen über soziale Verhältnisse - eben beispielsweise über Intelligenz - aufgreift und hinterfragt. Die dabei angewandte soziologische Interviewtechnik beruht darauf, dass die herrschenden alltäglichen Vorstellungen (14) nicht einfach beliebig falsch sind, sondern das soziale Wissen in bestimmter Weise treffen. Das individuelle alltägliche Wissen ist in beiden Sinnen des Wortes normalerweise unmittelbar-praktischen Erfordernissen adäquat. Es wird durch die Soziologie im doppelten Sinne des Wortes aufgehoben. Einerseits werden im soziologischen Interview alltägliche Denkmuster negiert, indem sie bewusst gemacht werden und andrerseits wird das im alltäglichen Denken steckende Wissen bewahrt. Daraus ergibt sich der Effekt, dass soziologisches Wissen im Sinne des Wortes lapidar ist, als man es einerseits immer schon gewusst, es aber andrerseits nicht als explizite Argumentation zur Verfügung hatte (15).

Soziologie ent-wickelt begrifflich, was die Sozietät schon weiss. Das soziologische Resultat besteht deshalb nicht im gewussten Faktum, sondern in der Perspektive, die ein jeweiliges Faktum verlangt.

Soziologie ist empirisch; sie kritisiert durch Befragungen empirisch erhobenes individuelles Wissen an ebenfalls empirisch erhobenen, relativen Tatsachen, nämlich an einem jeweils expliziten Stand des 'sozialen Wissens'. Explizite Wissensbstände heissen Theorien.

Da soziologisches Wissen nicht wie technisches Wissen am Objekt ausweisbar ist - man kann weder die darin beschriebenen Menschen noch die Sozietäten wie Maschinen bauen - kann es seine Evidenz nur diskursiv, durch Explikation von implizierten Bedingungen, gewinnen (16). Die Sinnhaftigkeit der im jeweiligen Wissen gesetzten Implikationen beruht ihrerseits auf nicht letzlich ausweisbarem Wissen, sondern auf Wissensbeständen, die selbst wiederum von hintergründigerem Wissen abhängen. So dargestellt erscheint 'soziales Wissen' als endlos geflochtenes Band, als eine Rekursion ohne Abbruchkriterium.

* * *

"Künstliche Intelligenz" eignet sich als exemplarisches Thema zur Verdeutlichung der Entwicklung sozialen Wissens, weil die Sprache, mit welcher wir über "Künstliche Intelligenz" sprechen - abgesehen davon, dass sie Wörter (Ausdrücke) verwendet, die auch in Gesprächen über Menschen und deren Verhältnisse gebraucht werden - hoch entwickelt ist. Bewusste Formulierungen über "Künstliche Intelligenz" sind normalerweise relativ präzise, viele Argumente haben objektiven Charakter, so dass das vorfindbare individuelle Wissen nicht beliebig gestreut, sondern professionalisiert bereits wesentlich verdichtet ist.


6. Ausblicke: Bedeutung, Formale Systeme, Denken usw.

Unsere bisherigen Vorstellungen implizieren Vorstellungen über weitere Aspekte der "Künstliche Intelligenz" , die wir unserem begrifflichen Anspruch gemäss kompatibel anordnen können müssen. Natürlich verlassen wir hierbei unseren bisher eingeschlagenen Weg nicht. Wir unterstellen unsere Vorstellungen weiterhin auch unseren Interviewpartnern, vorab Hofstadter und versuchen sie dort zu falsifizieren.

Im Buch "Gödel, Escher, Bach" werden einige Themenkreise, die wir in unseren Arbeiten aufgreifen wollen, explizit diskutiert andere nur unterschwelig. Da wir unsere Vorstellungen bezüglich "Künstliche Intelligenz"insgesamt testen wollen, hat die Auswahl eines zu untersuchenden Aspektes unter dem Gesichtspunkt grösstmöglicher Falsifikationsmöglichkeit zu erfolgen.

Unsere Interviewpartner müssten wohl alle unsere Theorien über Bedeutung, Formale Systeme, Denken usw. innerhalb unserer Diskussion über "Künstliche Intelligenz" teilen und gleich anordnen wie wir.

Was also heisst "Bedeutung"? Ist das Erkennen von "Bedeutung" eine Frage der Intelligenz? Ist die Bedeutung in der Sache oder in unseren Köpfen? Kann Zen Bedeutung aufheben? Geht Bedeutung im formalen System verloren?


Exkurs: Die Gruppenarbeit im Fach Soziologie

Jede Gruppe wählt sich für Ihre Arbeit ein Thema, welches sich im Bereich der "Künstliche Intelligenz" ansiedeln lässt und versucht über Interviews sich Ihrer Sichtweise klar zu werden.

Soziologisch interessant wäre natürlich, inwiefern bestimmte gesellschaftliche Gruppen bestimmte Sichtweisen pflegen. Hier in der Gruppenarbeit sollen aber vor allem die Sichtweisen selbst, nicht ihre Verteilung untersucht werden. Im formellen Resultat der Gruppenarbeit, einem kurzen Paper, sollen Erfahrungen, Erwägungen und Zwischen-Resultate protokolliert werden. Sinnigerweise beginnt die Arbeit mit dem Resultat, das man aktuell zur Verfügung hat, also mit einer eigenen Vorstellung, die man an Hofstadter herantragen will.

Wir treffen uns periodisch, um unsere Entwicklungen gegenseitig, also über die Gruppen hinweg, zu kritisieren. Wir bilden eine Gruppen-Gruppe, in welcher wir auch üben können, wie man weniger vorbelasteten Mitstudenten einen relativ komplizierten Stoff vermitteln kann.

Alles klar ? Ratze, Katze, aus die Maus !


Anmerkungen

1 Wir haben in der Vorlesung anhand des Beispiels "Betrachtungszeiträume von verschiedenen Dequalifizierungsthesen" ausführlich darüber gesprochen. zurück

2 Holzkamp nennt dies Exhaustionsprinzip. zurück

3 Morgan's Theoriekriterium, sein Prinzip der sparsamsten Erklärung (principle of pasimony) leuchte unter strukturalistischen Gesichtspunkten selbstredend ein. zurück

4 Hofstadter l|st Unüberschaubarkeit - ein wesentlicher Nachteil komplexer Systeme - durch Ballungen: Logische Inkonsistenz im Interballungsbereich k|nnte ein Merkmal von Intelligenz sein, indem für bestimmte Abfragen immer dieselbe Ballung angesprochen wird, so dass Widersprüche in Daten verschiedener Ballungen nicht aktiviert werden. Intelligente System steuern den Ballungszugriff so, dass keine Widersprüche entstehen. zurück

5 Wir haben in der Vorlesung anhand des Beispiels "Konstruktionsplan als Abbildung" ausführlich über logische und zeitliche Reihenfolge gesprochen. zurück

6 Hofstadter gibt mit seinem "pg-System" ein ausgezeichnetes Beispiel. zurück

7 Hofstadter illustriert das mit der Fuge von Bach, in welcher man nach stetigem steigen den Ausgangs-Ton erreicht. zurück

8 Wir haben auch darüber in der Vorlesung ausführlich gesprochen zurück

9 Das diesbezüglich kühnste noch Denkbare, hat Huxley in Brave New World gedacht zurück

10 Diese Beschreibung kann natürlich nur verstehen, wer die Beschreibungssprache beherrscht, wer also weiss wie sich die Sprachsymbole worauf beziehen. zurück

11 Ueber Rest-Tätigkeiten haben wir in der Vorlesung ausführlich diskutiert. zurück

12 Damit haben wir zufällig die gemäss der modernen Anthropologie wesentliche Charakteriesierung des Menschen getroffen. zurück

13 Dem deutschen Ausdruck "Gefühl" stehen in der englischen Sprache "Feeling" und "Emotion" gegenüber, wobei Feeling die sinnlichen Bereiche abdeckt. zurück

14 Als Alltags-Wissen bezeichnen wir Wissen in unbegrifflicher Form, wie es in Bezeichnungen wie "Erd-'Beeren'" durchschlägt. Nicht, dass dem Alltag Essgewohnheiten wichtiger sind als eine andere biologische Systematik, zeichnet das alltägliche Denken aus, sondern dass in ihm die Kategorienen je nach Bedarf gewechselt werden. zurück

15 Wir haben in der Vorlesung die Begriffe "Arbeit" und "Automat" aus dem Alltagswissen über 'arbeitende' Automaten gezogen. zurück

16 Technisches Wissen ist gerade dadurch definiert, dass es sich am Objekt ausweisen lässt. zurück