Eine Antwort von Fredmund Malik
zur Stellungnahme von M.Bettoni's Kritik an:

Fredmund Malik: Wie Kopfarbeiter gemanagt werden

Sehr geehrter Herr Bettoni

aus einer Reihe von Gründen komme ich leider erst jetzt dazu, Ihnen zu antworten. Zuerst herzlichen Dank für Ihr Interesse. Unsere unterschiedlichen Positionen würden wohl eine intensivere Auseinandersetzung rechtfertigen, als es mir hier möglich ist. Zumindest sind Sie - und das schätze ich sehr hoch ein - jemand, der überhaupt über das Thema kritisch zu argumentieren bereit ist, was ja sonst leider kaum feststellbar ist. Ich finde im Grunde in der Literatur keine kritische Diskussion zu dieser Thematik, dafür aber eine Fülle von unbewiesenen und zum Teil höchst doktrinären Behauptungen. Kritisches Denken zu provozieren war denn auch eine meiner Absichten, die ich mit der kurzen Glosse in der BAZ verfolgt habe.

Was Sie in Ihrer Antwort sagen, ist mir grösstenteils bekannt - und es ist genau das, was ich hinterfrage. Die vielen Projekte etc., die Sie als Stützung für Ihren Gebrauch der relevanten Begriffe anführen, sind natürlich, da werden Sie mir möglicherweise zustimmen, für sich noch lange kein Argument gegen meine Position. Wenn immer man die Dinge genauer anschaut (und das habe ich natürlich getan), stellt sich heraus, dass hier eben nicht Wissen gemanagt wird, sondern die Arbeit(!) mit Wissen und die Menschen(!), die mit Wissen arbeiten. Das trifft ja auch für das von Ihnen verwendete Beispiel des Maschinenführers zu (denn was den Nachfolger nach entsprechender Instruktion brauchbar macht, ist etwas, was in seinem Gehirn stattgefunden hat und eben gerade nicht gemangt werden kann, obwohl man ihm dabei, nämlich beim Lernen, helfen kann) und das kommt besonders gut in der von Ihnen verwendeten Definition von Wissensmanagement zum Ausdruck. Was Sie damit meinen, hat selbstverständlich meine Zustimmung, nur würde ich dafür eben niemals das Wort "Wissensmanagement" verwenden. (Nur am Rande: Das Duden-Wörterbuch der New Economy, das Sie hier empfehlen, ist meines Erachtens nicht viel wert, weil es nämlich nur die Fata Morgana, die man New Economy nennt, auf Papier bringt, aber kaum sachlichen Erkenntniszuwachs. Dazu interessiert Sie vielleicht das beiliegende Paper.)(See attached file: 10_01_NewEconomy.pdf)

Wo unterscheiden wir uns also: Sie argumentieren von einem ingenieurs- bzw. computerbezogenen Standpunkt aus, ich tue das von einem erkenntnistheoretisch-philosophischen bzw. neurowissenschaftlichen Standpunkt her. Und von dieser Perspektive - immerhin 2000 Jahre Geschichte mit dem Thema "Wissen" - ist leider in der sogenannten Wissensmanagement-Diskussion wenig bis gar nichts zu finden. (Eine Ausnahme ist von Krogh/Nonaka, die sich auf Michael Polanyi's "Personal Knowledge" stützen, ein Approach, der allerdings längst überholt ist.)

Um es kurz zu machen: Die Wissensmanagement-Vertreter ignorieren die erkenntnistheoretische Diskussion insbesondere der letzten 100 Jahre, die die entscheidenden Fortschritte gebracht hat, und ausserdem einen guten Teil der neurowissenschaftlichen und biologischen Diskussion (z. B. Maturana, Searle, McCulloch, Piaget, von Foerster, Sommerhoff, Wuketits, Vollmer, Perth, Nüse u. v. a. ). Das scheint offenbar nicht zu existieren - und dem entsprechen denn auch Niveau und Ergebnisse. (Einige Hinweise könnten Sie im ersten Teil meiner zusammen mit Peter Gomez und K. H. Oeller verfassten Dissertation, Bern 1975, finden, wo wir explizit eine "theory of knowledge" behandelt haben, heute natürlich ergänzungsbedürftig, aber ganz anders aufgebaut, als das heutige "Wissensmanagement".) Die Diskussion ist daher gespickt mit logisch-kategorialen Fehlern. Nur am Rande will ich vermerken, dass ich in vielen Beiträgen zum Thema "Wissensmanagement" auch nicht besonders viel Expertise über Management feststellen kann.

Man kann natürlich niemanden daran hindern, ganze Bündel von Wissenschaftsgebieten zu ignorieren - und so zu tun, als beschäftige man sich jetzt zum ersten Mal mit dem Phänomen des Wissens. Und es steht auch jedermann frei, Begriffe und Definitionen selbst zu wählen. Damit ist der Sache selbst aber kaum gedient, insbesondere dann nicht, wenn zwei Bereiche, nämlich Wissen und Management zusammengebracht werden, über die wir ja ziemlich viel wissen.)

Anmerken möchte ich zum Schluss auch, dass der Mann, der Wissen und seine Relevanz in Organisationen und für Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt als erster (1969) klar formuliert hat, nämlich Peter F. Drucker (auch er hatte natürlich seine Vorläufer, unter anderem unter den Oekonomen der 50er Jahre), war sehr wohl von knowlege society, knowledge work und -worker spricht, sehr überlegt und bewusst aber nicht von knowledge management, obwohl gerade er wohl unbestritten als die Management-Kapazität schlechthin angesehen wird (hier könnte man zu Recht von "Denker mit Weltruf" sprechen).

Es ist mir klar, dass es vieles Weitere zu sagen gäbe. Vielleicht ist das also nicht das Ende unserer Diskussion, sondern ein Anfang. Nochmals herzlichen Dank für Ihr Interesse.

PS: Sie hatten Ihr Mail an zahlreiche andere Personen geschickt. Ich antworte jetzt zunächst einmal Ihnen selbst und überlasse es Ihnen, ob Sie meine Antwort weiterleiten wollen.

Mit freundlichen Grüssen
Fredmund Malik

Herr Bettoni

ich habe noch etwas sehr Wichtiges vergessen: Es ist mir natürlich bekannt, dass Sie selbst sich sehr wohl mit den philosophischen Aspekten befassen. Sie sind aber eher ein Ausnahme. Die meisten Leute, die insbesondere von der Managementseite her zu Wissensmanagement kommen, haben wenig Ausweis in der Philosophie.


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