Und immerwieder geht die Sonne auf

Die Heimfahrt
In guter Stimmung und vollgepackt mit Eindrücken bin ich auf holprigen Wegen an der Hauptstrasse angelangt - in Richtung La Chaux de Fonds. Die Winterlandschaft links und rechts prächtig anzusehen. Ging doch die Sonne auf, der Himmel rot am Horizont, wildes Wolkenspiel. Ich fuhr geradeaus. Es wurde warm um mein Herz.
In La Chaux de Fonds angekommen, setzte plötzlich Schneeregen ein und ich sah kaum noch voraus, da bemerkte ich, dass eigentlich die Sonne untergegangen war.
Welch ein Trugschluss ? Ich musste schmunzeln. Genau das war es, was mich immerwieder in der letzten Woche so faszinierte - das Jonglieren zwischen Glauben und Wissen, Sehen und Denken, Sagen und Meinen.
Und jetzt ging die Sonne auf, obwohl sie doch eigentlich untergegangen war.
Die Heimfahrt nahm ihren Anfang obwohl ich eigentlich schon angekommen war.

Ich irrte herum und hatte mich total verfahren. Ich kam aus dieser Stadt nicht heraus.
Die Strassen war klitschig. Die Lichter der vielen anderen Autos nahmen mir die Sicht. Die Heizung in meinem Auto funktionierte nicht richtig. Ich fror. Meine Füsse wurden immer kälter. Die Zeit schien still zu stehen, je schneller ich nach Hause wollte. Ich sehnte mich nach einem heissen Tee - nach einem heissen Bad. Als ich glaubte, dass ich nicht mehr nach Hause komme, war ich aufeinmal auf der Autobahn in Richtung Bern unterwegs. Meine innere Spannung legte sich, meine Füsse wurden warm, und ich hörte das stete rattern des Motors. Die Zeit verging so schnell, als ich sah wohin ich fuhr. Genau das war es, was mich immerwieder in der letzten Woche beschäftigte. Der Umgang mit der Zeit und den Zielen und zu merken,
dass ich auch ankomme wenn ich will, und das es unter Druck nicht schneller geht.

Endlich in Bern angekommen war der heisse Tee und das Bad so greifbar nah, dass ich es kaum abwarten konnte meine Haustür aufzuschliessen. Ich bog in die Wylerstrasse ein. Alles war so dunkel. Die Laternen waren ausgeschaltet.
Ein Stromausfall war mein erster Gedanke. Dann sah ich viele Kinder mit Lampions durch die Strassen ziehen. Welch eine schöne Begrüssung ? Aber ich wollte nur schnell in die Wohnung niemanden sehen- Ruhe- Stille- Schweigen.
Das Auto von Franko (Nachbar) stand in der Einfahrt. Ich konnte mein Auto wie beabsichtigt nicht schnell genug ausladen. Ein Hindernis. Ich schüttelte den Kopf, ich konnte es nicht glauben, und doch hätte ich es wissen sollen, das nichts so kommt wie ich es gedacht. Ich musste schmunzeln. Genau das war es, was mich in der letzten Woche lehrte mit Vertrauen auf mein Selbst im Moment zu reagieren.

Ich stellte mein Auto irgendwo ab. Die Verzögerung nervte mich.
Ein anderer Nachbar lief auf mich zu, und freute sich mich wiederzusehen.
Eine Einladung zu einem gemeinsamen Spaghetti-Abendessen folgte. Welch eine
Versuchung ? Da ich doch wusste das mein Kühlschrank leer ist und ich garkeine Lust hatte mir etwas zu kochen. Aufeinmal war ich wieder in der Welt, die ich eine Woche lang vergessen hatte, und in die ich so schnell garnicht wieder eintauchen wollte. Ich begann zu zittern, mein Magen rebellierte, ich wurde ungeduldig, und wollte nur weg- in meine Wohnung und mich verkriechen.
Aber ich musste das Auto in die Garage stellen und die Sachen ausladen. Kurz vor dem Ziel waren noch soviele Aufgaben zu erledigen. Ich verkrampfte mich, meine Atem ging schwer. Mein Nachbar begann zu erzählen und zu erzählen. Ich hörte die Worte aber ich verstand ihn nicht. Ich musste schmunzeln. Ich sah die Bewegungen seiner Lippen und hörte ihn aufeinmal nicht. Genau das war es, was mir in der letzten Woche wiedereinmal mehr bewusst wurde. Die Worte zählen und nicht das was gemeint ist, und ich mehr auf das höre was ich höre und nicht auf das was ich hören sollte. Ich verabschiedete mich von meinem Nachbarn und begann mein Auto auszuladen.

Ich schleppte die Kisten, die Taschen in den zweiten Stock. Jetzt hatte ich es schon fast geschafft, als die zwei Töchter meiner Nachbarn vom ersten Stock heraus auf die Treppe traten und diese in Beschlag nahmen- den Weg versperrten. Halli, Hallo war angesagt. Jetzt konnte ich nicht weiter. Sie liessen sich auch nicht auf die Seite schieben. Sie redeten auf mich ein, Fragen wurden gestellt. Ich ergab mich in mein Schicksal. So schnell wie ich voran wollte ging es eben doch nicht. Was soll ich tun ?
Ich hörte zu. Hörte die Stimmen, die Wörter, und das was sie meinten. Ich spürte die Nähe, die Anteilnahme, die Liebe. Ich war zu Hause.
Ich musste schmunzeln und war traurig. Genau das war es, was ich in der letzten Woche so schätzte, die Nähe, die Anteilnahme, das Verstehen, das Zusammensein.
Und wiedereinmal wurde mir bewusst welche eine Wirkung das offene hören haben kann. Ich ging die letzten Stufen hinauf und wusste, das ich wieder alleine in meiner Welt war, in der ich jetzt am liebsten entflohen wäre.

Das Auto musste ich in die Garage fahren. Nachdenklich, wehmütig ging ich wieder zurück und klingelte bei Franko. Sein Auto stand in der Einfahrt. Er begrüsste mich
und fragte mich: Wie geht es Dir ?
Am liebsten wäre ich ihm in die Arme gefallen, und hätte meinen Tränen freien Lauf gelassen. Einfach nur so. Das geht doch nicht. Ich habe es mir verkniffen.
Wie hätte ich ihm diesen Gefühlsausbruch erklären sollen ?
Also plabberte ich einfach drauf los, erzählte was von Pferden und von Gruppenprozesse. Er schaute mich an, so wie ich wahrscheinlich den Spaghettinachbarn angesehen habe, und er plabberte irgendwas von Immoblienschätzungen. Wir gingen gemeinsam auf die Strasse zurück. Er fuhr sein Auto weg und ich fuhr den Lancia in die Einfahrt und in die Garage. Welch ein Mänöver ? Genau das war es, was mir letzte Woche so vertraut war - mein Empfinden nicht wirklich in Worte fassen zu können. Und was es bedeutet wirklich offen zu sein, und das es nichts zu verlieren gibt.

Endlich war das Auto versorgt. Ich ging an diesem Abend ein letztes Mal die Treppen hinauf und konnte endlich hinter mir die Wohnungstür zuschliessen. Ich begab mich in die Küche und setzte Wasser auf und im Badezimmer lief das Wasser in die Badewanne ein. Meine melancholische Stimmung löste sich auf wie das Badesalz in der Badewanne. Ich summte eine Melodie vor mich hin, wie immer wenn ich wie gewohnt das Badezimmer betrete. Der Alltag hat mich wieder. Die letzten Tage erscheinen in weiter Ferne zu sein. Entspannt in der Wanne liegend, hörte ich plötzlich Töne und Stimmen. Ich sehe rückblickend Bilder, einen Film ablaufend vor meinem inneren Auge. Ich sehe das Schiff über die Tischkante kommen, die Mannschaft die sich mit mir auf die Reise begab um zu entdecken, um Spuren zu hinterlassen. In jedem Ende liegt ein Anfang. Nun es kann beginnen.