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Adorno, Theodor W.: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Berlin, Frankfurt am Main 1955.

"Spenglers Prognose der Wesensveränderung der Partei ist im Nationalsozialismus radikal bestätigt worden: die Parteien werden zu »Gefolgschaften«. Seine Charakteristik der Partei, vermutlich von Robert Michels inspiriert, ist von jener Hellsichtigkeit, die der Faschismus so satanisch auszunutzen verstand, indem er das Unwahre an einer Humanität, die sich zum Maß der Welt erklärt, ohne verwirklicht zu sein, zur Rechtfertigung absoluter Unwahrheit und Inhumanität erhebt. Er sieht die Zugehörigkeit des Parteiwesens zum bürgerlichen Liberalismus. »Das Auftreten einer Adelspartei in einem Parlament ist innerlich ebenso unecht wie das einer proletarischen. Nur das Bürgertum ist hier zu Hause.« Er insistiert bei den Mechanismen, die das Parteiwesen in Diktatur umschlagen lassen.
Solche Erwägungen sind der zyklischen Geschichtsphilosophie seit der Stoa vertraut. Machiavelli entwickelte den Gedanken, daß die Verderbtheit demokratischer Institutionen auf die Dauer wieder Diktaturen notwendig mache. Aber Spengler, der am Ende der Epoche in gewissem Sinne die Position wiederherstellt, die Machiavelli zu ihrem Beginn eingenommen hatte, zeigt sich dem frühbürgerlichen Staatsphilosophen überlegen durch die Erfahrung der historischen Dialektik, deren Namen er an keiner Stelle ausspricht. Ihm entfaltet sich das Prinzip der Demokratie selber vermöge der Parteiherrschaft zu seinem Gegenteil.
»Das Zeitalter der echten Parteiherrschaft umfaßt kaum zwei Jahrhunderte und ist für uns seit dem Weltkrieg bereits in vollem Niedergang begriffen. Daß die gesamte Masse der Wählerschaft aus einem gemeinsamen Antrieb heraus Männer entsendet, die ihre Sache führen sollen, wie es in allen Verfassungen ganz naiv gemeint ist, war nur im ersten Anlauf möglich und setzt voraus, daß nicht einmal die Ansätze zur Organisation bestimmter Gruppen vorhanden sind. So war es 1789 in Frankreich, 1848 in Deutschland. Mit dem Dasein einer Versammlung ist aber sofort die Bildung taktischer Einheiten verbunden, deren Zusammenhalt auf dem Willen beruht, die einmal errungene herrschende Stellung zu behaupten, und die sich nicht im geringsten mehr als Sprachrohr ihrer Wähler betrachten, sondern umgekehrt diese mit allen Mitteln der Agitation sich gefügig machen, um sie für ihre Zwecke einzusetzen. Eine Richtung im Volk, die sich organisiert hat, ist damit bereits das Werkzeug der Organisation geworden und sie schreitet unaufhaltsam auf diesem Wege weiter, bis auch die Organisation das Werkzeug der Führer geworden ist. Der Wille zur Macht ist stärker als alle Theorie. Am Anfang entsteht die Führung und der Apparat des Programms wegen; dann werden sie von den Inhabern um der Macht und Beute willen verteidigt, wie es heute schon ganz allgemein der Fall ist, wo in allen Ländern Tausende von der Partei und den von ihr vergebenen Ämtern und Geschäften leben, und endlich verschwindet das Programm aus der Erinnerung und die Organisation arbeitet für sich allein.«
Zugespitzt auf Deutschland, in Voraussicht der Jahre der Minderheitsregierungen, die Hitler in den Sattel halfen: »Die deutsche Verfassung von 1919, also schon an der Schwelle der absteigenden Demokratie entstanden, enthält in aller Naivität eine Diktatur der Parteimaschinen, die sich selbst alle Rechte übertragen haben und niemand ernsthaft verantwortlich sind. Die berüchtigte Verhältniswahl und die Reichsliste sichern ihnen die Selbstergänzung. Statt der Rechte des 'Volkes', wie sie die Verfassung von 1848 der Idee nach enthielt, gibt es nur solche der Parteien, was harmlos klingt, aber den Cäsarismus der Organisationen in sich schließt. In diesem Sinne ist sie allerdings die fortgeschrittenste Verfassung des Zeitalters; sie läßt das Ende bereits erkennen; einige ganz kleine Änderungen, und sie verleiht Einzelnen die unumschränkte Gewalt.«
Spengler fühlt vor, wie der Gang der Geschichte die Menschen Idee und Wirklichkeit der eigenen Freiheit vergessen macht. »Diese abstrakten Ideale besitzen eine Macht, die sich kaum über zwei Jahrhunderte - die der Parteipolitik - erstreckt. Sie werden zuletzt nicht etwa widerlegt, sondern langweilig. Rousseau ist es längst und Marx wird es in kurzem sein. Man gibt endlich nicht diese oder jene Theorie auf, sondern den Glauben an Theorien überhaupt und damit den schwärmerischen Optimismus des 18. Jahrhunderts, unzulängliche Tatsachen durch Anwendung von Begriffen verbessern zu können.« - »Niemand sollte sich darüber täuschen, daß das Zeitalter der Theorie auch für uns zu Ende geht.«
Die Prognose vom Absterben der Denkkraft kulminiert im Denkverbot, das sich mit der Unausweichlichkeit des Geschichtsverlaufs zu legitimieren trachtet." (Adorno, Spengler nach dem Untergang)