Notrecht, Notstand, Notlage, Ausnahmezustand, ausserordentliche Lage, Ermächtigungsgesetz usw. sind Wörter, die in verschhiedenen Kontexten, sehr oft ohne weitere Erläuterungen verwendet werden. Wenn Staatsregierungen solche Wörter verwenden, geht es wohl immer darum, die Verfassung aufzuheben.
In der Schweiz werden die Wörter Notstand und Notlage auch in den Gesetzen verschieden verwendet: Im Bevölkerungsschutzgesetz des Kantons Basel-Landschaft beispielsweise: "Als Notlage gilt eine Situation, die sich aus einer gesellschaftlichen Entwicklung oder einem technisch bedingten Ereignis ergeben kann und im Rahmen ordentlicher Abläufe nicht zu bewältigen ist, weil sie die betroffene Gemeinschaft in ihren personellen und materiellen Mitteln überfordert." Im Kanton Zürich ist im Gesetz nicht von einer Notlage, sondern einer "ausserordentlichen Lage" die Rede. Gemeint ist aber (wohl?) das gleiche. Der wichtige Unterschied ist, ob Notstand herrscht oder ob Notstand ausgerufen wird. Ersteres bezeichnet ein Lagebeurteilung, letzteres bezeichnet ein Regierungshandlung in Form einer performative Äusserung, die hervorbringt, was sie besagt. |
Soweit ich im Moment sehe ist Notrecht ein Wort, das nur in der Schweiz verwendet wird. Ich befasse mich also hier mit der Situation in der Schweiz. Siehe dazu Notrechtgrundlagen. |
Als Notrecht (korrekt Notverordnungsrecht) bezeichne ich das Recht, dass der Bundesrat in Krisensituationen selbständig Massnahmen beschliessen kann, also ohne das Parlament miteinzubeziehen. Dieses Recht ist in der Bundesverfassung festgeschrieben, wobei sich der Begriff Notrecht dort so nicht explizit findet. Konkret kann der Bundesrat Notverordnungen und Notverfügungen erlassen.
Zwar kennt die Bundesverfassung von 1999 keinen eigenen Notstandsartikel, doch lässt sich das Notrecht auf die Art. 52, 173 und 185 BV abstützen. Ferner existiert das Notrecht auf kantonaler Ebene. [ ] |
Dies hat er im Zusammenhang mit der Corona-Krise vergangenen Freitag das erste Mal getan, als er unter anderem ein Verbot für Veranstaltungen unter 100 Personen beschloss. Am Montag hat er die Corona-Verordnung verschärft. Sie stützt sich direkt auf das Notrecht, das die Bundesverfassung vorsieht. Das schon Ende Februar beschlossene Grossveranstaltungsverbot hingegen war nicht im eigentlichen Sinne Notrecht, weil sich der Bundesrat dabei nicht auf die Verfassung, sondern das Epidemiengesetz stützte. Dort ist eine solche Massnahme explizit vorgesehen.
Voraussetzung für den Erlass von Notrecht ist, dass eine schwere Störung der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit droht. Die Verordnungen sind immer befristet. Sollen sie länger als sechs Monate dauern, muss das Parlament der Verlängerung zustimmen. Der Bundesrat hat in der Vergangenheit schon mehrmals Notrecht erlassen. Am weitesten ging die Regierung im 1. und 2. Weltkrieg. Aber auch seither wurden mehrere Notverordnungen verabschiedet - allerdings mit deutlich weniger direkten Konsequenzen, wenn überhaupt, für den Alltag der Bevölkerung. So wurde beispielsweise in der Finanzkrise 2008 zur Rettung der UBS Notrecht erlassen oder beim Swissair-Grounding 2001. Seit 2019 ist zudem eine Notverordnung des Bundesrats in Kraft, um die Schweizer Börse zu schützen. Hintergrund ist der Streit mit der EU über die Börsenäquivalenz.
Der Bundesrat verwendet auch keine klare Sprache. Er spricht beispielsweise von einer "aussergewöhnlichen Lage" und meint damit "ausserordentliche Lage", die im Epidemiengesetz steht. Oder er spricht von einer "besonderen Lage", in welcher er Massnahmen anordnet, für die die Kantone zuständig sind, die dann immer noch entscheiden, wie die Massnahmen umgesetzt werden. In einer ausserordentlichen Lage kann der Bundesrat Notrecht verabschieden, das weiter geht als die vorgesehenen Massnahmen im Epidemiengesetz.
Im Coronafall hat der Bundesrat schrittweise Bestimmungen erlassen und sich erst relativ spät explizit auf das Notrecht berufen. Er sprach trotzdem weiterhin von einer besonderen Lage. Er dürfte mit der Wortwahl vor allem ein Signal an die Kantone gesandt haben wollen: Wir übergehen euch nicht, sondern nehmen euch nach wie vor ernst. Schliesslich aber waren die beschlossenen Massnahmen so drastisch, dass der Bundesrat nicht mehr darum herumgekommen ist, von einer ausserordentlichen Lage zu sprechen. [ Quelle, Blick, 16. 3.20 ]
"ich bin davon überzeugt, daß jeder auch nur entfernt ausdenkbare Versuch zu einem Mißbrauch der Notstandsgesetze auf unseren leidenschaftlichen Widerstand stoßen würde. […] Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint." W. Brandt: Deutscher Bundestag. 5. Wahlperiode. 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968, 9625 - 9631 (9628)
"Nicht eine politische oder militärische Diktatur, sondern ihre Verhinderung auch für den Fall der äußeren Gefahr ist doch das Ziel dieser Gesetze!" Bundeskanzler K. Kiesinger (CDU): Deutscher Bundestag. 5. Wahlperiode. 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. Mai 1968, 9649 - 9650 (9649)
Mit andern Worten: Corona ist eine politische oder militärische Diktatur, die mit Notrecht verhindert wird.