Gleichgültig was ich schreibe und gleichgültig, wie ich schreibe, wenn ich schreibe, stelle ich schreibend einen Gegenstand her, den ich als Text bezeichne. Bei jedem hergestellten Gegenstand unterscheide ich zwei Aspekte. Ich unterscheide das Artefakt und dessen Zweck. Durch diese Unterscheidung gesehen, forme ich einen materiellen Gegenstand so, dass er einen bestimmten Zweck erfüllt, den ich als Gegenstandsbedeutung bezeichne.(2) Texte bestehen beispielsweise aus geformtem Graphit, wenn ich sie mit einem Bleistift herstelle. Ich arbeite dann wie etwa ein Maurer, der mit Backsteinen eine Hausmauer baut, nur verwende ich anstelle der Backsteine Graphitteilchen. Und wie jede Mauer braucht auch jeder Text ein Fundament. Mit dem Bleistift baue ich typischerweise auf Papier. Der Text ist als Artefakt, also jenseits seiner Bedeutung, ein dreidimensionales materielles Produkt, das handwerklich hergestellt ist, wenn ich beim Schreiben einen Bleistift verwende.
So wie ich bei einer Mauer anstelle von Backsteinen auch zunächst flüssigen Beton verwenden kann, kann ich Text auch mit Tinte, die hinreichend rasch kristallisiert, herstellen. Schreiben bleibt Schreiben, auch wenn ich keinen Bleistift mehr verwende, sondern auf einer Schreibmaschine tippe. Als Schreiben bezeichne ich in diesem Buch das Herstellen von Text jenseits davon, was im Text zu lesen ist oder wozu er dienen soll. Ich weiss, dass das Wort schreiben im Alltag sehr oft anders verwendet wird.
Dass ich Schreiben als Herstellen von Text beobachte, beruht darauf, dass ich das Herstellen als primäre Kategorie verwende, hier also nicht nach Funktionen des Schreibens frage. Als Herstellen bezeichne ich Tätigkeiten, durch welche ich Gegenstände herstelle, indem ich Material forme. Wenn ich schreibe, stelle ich ein Gegenstände her. Dass ich das Schreiben so beobachte, erlaubt mir, nach dem Zweck von Text zu fragen. Alltagssprachlich werden bei Vereinbarungen von Wortbedeutungen meistens funktionale Bestimmungen verwendet. Schreiben und Texte erfüllen dann die Funktion des Mitteilens von Informationen an nicht gerade anwesende Menschen. Texte gelten so als schriftliche Form von kommunikativen Handlungen. Hier geht es aber nicht um fiktive Funktionen des Schreibens, sondern darum, was ich beim Schreiben mache.(3)
Umgangssprachlich verwende ich den Ausdruck herstellen quasi synonym mit den Ausdrücken produzieren, arbeiten, erzeugen, hervorbringen, machen, erschaffen, fabrizieren, anfertigen, anbauen, kochen, usw. Herstellen fungiert dabei als menschliche Tätigkeit, bei der etwas hervorgebracht wird, schlechthin. Ich unterscheide Gegenstände für den Ver-Brauch und Gegenständen für den Ge-Brauch. Das, was Menschen machen, um den natürlichen Prozess der Aneignung aufrecht zu erhalten, bezeichne ich als Arbeit oder umgangssprachlich als "Herstellen" für Ver-Brauch. Das Herstellen dagegen, das im Ausdruck Homo faber anklingt, ist ein Herstellen für den Ge-Brauch. In der Umgangssprache sind viele Unterscheidungen aufgehoben. Nudeln und Brote sind hergestellte Gegenstände für den Verbrauch und viele Halbfabrikate, die als Waren gehandelt werden und in diesem Sinne Produkte sind, sind in gewisser Hinsicht zum Verbrauch bestimmt sind, weil sie im schliesslichen Herstellen aufgehoben werden. Ich brauche keine Ziegelsteine, ich brauche das Haus, das ich mit Ziegelsteinen herstelle. Hier beobachte ich Gegenstände, die nicht konsumiert oder weiterverarbeitet werden.
Als Tätigkeit bezeichne ich schreiben, wenn ich das Schreiben als solches meine. Ich spreche dagegen von Handlungen, wenn ich einen Brief oder ein Buch schreibe. Als Tätigkeiten bezeichne ich Handlungsweisen. Als Tätigkeit bezeichne ich, was ich in Handlungen jenseits des jeweiligen Ziels mache. Ich schreibe eigentlich nie ohne Ziel, ich schreibe immer etwas. In der Volksschule habe ich schreiben quasi unabhängig davon gelernt, wozu ich es brauchen kann. Dort ging es um die Tätigkeit, aber in einem sehr spezifischen Sinn, der hier wieder erscheint. Es spielte keine Rolle, was geschrieben wurde. Dafür wurde aber auch der Umgang mit den Schreibwerkzeugen geübt, wobei auch die Grammatik keine Rolle spielte.
Die Tätigkeit hat im Unterschied zu einer Handlung weder Anfang noch Ende.
Durch bestimmte Tätigkeiten stelle ich materielle Gegenstände her, beispielsweise Brücken oder Texte. Bei diesen Tätigkeiten verwende ich normalerweise Werkzeuge. Diese herstellenden Tätigkeiten beziehe ich auf die darin angelegte Gegenstandsbedeutung, die den hergestellten Gegenständen als Intention des Herstellers als Zweck innewohnt. Verschiedene Herstellungsverfahren, die dieselbe Gegenstandsbedeutung aus verschiedenen Materialien und mit verschiedenen Werkzeugen herstellen, bezeichne ich als dieselbe Tätigkeit. Schreiben bleibt Textherstellen, gleichgültig mit welchen Werkzeugen ich das tue. Lesen und Sprechen sind Tätigkeiten, durch welche nichts hergestellt wird.
Archäologen sprechen von Artefakten, wenn sie erkennen, dass beispielsweise ein ausgegrabener Gegenstand von Menschen hergestellt ist, sie aber nicht wissen, wozu er hergestellt wurde, also wenn sie dessen Gegenstandsbedeutung nicht erkennen können. Ich bezeichne hergestellte Gegenstände als Artefakte, wenn ich von deren Bedeutung absehe, weil es mir um deren Beschaffenheit und um deren Herstellung geht.(4) Ich beobachte hier die Textherstellung also nicht unter dem Gesichtspunkt, was in den Texten gelesen oder verstanden werden kann, sondern unter dem Gesichtspunkt, wie der Text im engeren Sinne zunächst handwerklich und später in einem hochautomatisierten Produktionsprozess hergestellt wird. Gleichgültig auf welchem technologischen Niveau Text hergestellt wird, es muss dabei immer einem gewählten Material eine gewählte Form gegeben werden. Am Anfang jeder technischen Entwicklungen steht das Handwerk im Sinne einer Handarbeit.
Wenn ich ein Gegenstände herstelle, verfolge ich ein Ziel, das im Gegenstand als dessen Gegenstandsbedeutung erscheint. Ich stelle beispielsweise eine Brücke her, wenn ich mit weniger Aufwand auf die andere Seite des überbrückten Hindernisses kommen will. Als Maurer kann ich beispielsweise Steine so anordnen, dass eine Brücke entsteht. Der Zweck der Brücke besteht darin, ein Hindernis, etwa einen Fluss zu überbrücken. Sinn macht diese Brücke für mich, wenn ich über diesen Fluss gehen will. Verallgemeinert macht die Brücke für all jene Sinn, die auf die andere Seite des Flusses wollen. Und noch allgemeiner machen Brücken überhaupt Sinn, wenn jemand auf die je andere Seite will.
Der Gegenstand, das ich herstelle, muss den Zweck erfüllen. Eine Brücke muss beispielsweise stabil genug sein, dass sie nicht einstürzt, wenn sie benutzt wird. Ob die Brücke je benutzt wird oder warum jemand auf die andere Seite des Flusses will, ist für den Zweck der Brücke ohne Relevanz. Damit die Brücke ihren Zweck erfüllt, muss sie richtig konstruiert sein, sie muss unter anderem das ihr zugetraute Gewicht tragen können. Wenn ich als Handwerker eine Brücke baue, kann ich die Backsteine nicht zufällig oder nach Belieben anordnen. Plato bedauerte Handwerker, weil sie nicht bauen können, wie sie wollen, sondern die Bedingungen des Gebrauchs erfüllen müssen. Ich glaube nicht, dass er das Schreiben als Handwerk begriffen hat, aber das Herstellen von Text unterliegt auch solchen Bedingungen. Vielleicht hat der Sklavenhalter Plato ohnehin mehr diktiert als geschrieben – falls Plato nicht nur eine Erfindung jener Sklaven war, die so ihre Texte aufwerten wollten.
Wenn ich Text herstelle, stelle ich Zeichenkörper her, die ich als Artefakt auffassen kann, ohne mich dafür zu interessieren, worauf der Text als Symbol verweisen soll. Wenn ich Text herstelle, ist mein Ziel unabhängig davon, was ich schreibe, dass der Text auch noch nach längerer Zeit gelesen werden kann - mithin als Artefakt seine Form behält.
Beim Lesen kommt nicht der Text in meine Augen, sondern durch den Text strukturiertes Licht, also etwa am Graphitpixelmuster gebrochenes Licht einer Lampe. Das ist Grund dafür, dass ich im Dunklen oder etwa weissen Text auf weissem Hintergrund nicht lesen kann. Als Artefakt fungiert Text als Menge von Schaltstellen, mit welchen ich Signale steuere, die ins Auge, respektive auf die Retina des geneigten Lesers kommen sollen. Als Leser eines Textes sehe ich aber nicht Lichtstrahlen, sondern den Text.
Natürlich sehe ich jeden hergestellten Gegenstand, weil er Licht bricht. Aber einen Hammer stelle ich nicht her, damit ich ihn sehen kann. Fensterglas stelle ich her, damit ich es nicht sehen kann, und einen Spiegel stelle ich her, dass das am Gegenstand gebrochne Licht nochmals gebrochen wird. Gegenstände, die dazu hergestellt werden, dass sie bei Bedarf gesehen werden können, sind Bilder, Zeichnungen und Zeichen. Da sie dem Gesehenwerden dienen, werden sie funktional als visuelle Medien bezeichnet. Wenn ich in einen aktiven Scheinwerfer schaue, sehe ich das Licht, nicht den Gegenstand. Ein Leuchtturm soll eigentlich auch nicht gesehen werden. Und schliesslich gibt es Text auf Bildschirmen, den ich auch im Dunklen sehen kann. Ich werde später darauf zurückkommen, hier geht es vorerst nur darum, dass Texte einen Zweck haben, der darin liegt, unterscheidbare Objekt - beispielsweise verschiedene Wörter - sichtbar zu machen.
Der gegenständliche Aspekt des Textes entzieht sich der oberflächlichen Wahrnehmung, die sich nur auf den Inhalt der Texte konzentriert aus zwei Gründen. Zum einen erfüllen die Textartefakte ihre Funktion quasi flach oder zweidimensional, weshalb ihre dritte Dimension und damit ihre Materialität in der Wahrnehmung normalerweise vernachlässigt werden. Text wird dann als etwas Immaterielles beobachtet, was mit einer geistig-ideellen Kopfarbeit verbunden wird. Text erscheint so als eine Information, die weder Materie noch Energie sein soll. Kopfarbeiter neigen überdies dazu, geistige Aspekte der Textherstellung zu betonen und die materielle Herstellung von Text als Banalität zu betrachten, die eben einer Sekretärin oder schliesslich einer Maschine überlassen werden kann. V. Flusser etwa, der sieht, dass herstellende Arbeit, also die Produktion von Artefakten darin besteht, dass Menschen „Materie“ in eine bestimmte Form bringen, unterscheidet dabei eine erste Phase, in welcher die Form entworfen, und eine zweite Phase, in welcher diese Form dann nur noch auf die Materie angewandt werde.(5) Auch K. Marx schrieb, dass sich der menschliche Baumeister von der Biene dadurch unterscheide, dass er beim Bauen die Form vorab als Plan „im Kopf“ habe.(6) Aber jenseits davon, was im Kopf der Kopfarbeiter passiert, erscheint die Form eines Artefaktes immer erst, wo Material geformt wird. Und auch die besten Kopfarbeiter schreiben Texte oder zeichnen Pläne, weil ihre Köpfe doch arg beschränkt sind.
Die entwicklungsgeschichtlich erste Funktion von Text sehe ich ein einer Art Selbstmitteilung, bei welcher ich Text herstelle, der nicht andere, sondern mich selbst an etwas erinnern soll. Text fungiert dann als externes Gedächtnis. Dass ich kein brauchbares Gedächtnis im Kopf habe, kann ich mir leicht bewusst machen, wenn ich Kopfrechnen mit schriftlichem Rechnen vergleiche, etwa anhand einer Multiplikation von zwei dreistelligen Zahlen. Vorderhand sehe ich nicht, wie der reine Geist der Kopfarbeiter je etwas bewirken sollte. Was sich beim Schreiben von Texten im Kopf oder im Bewusstsein des Schreibenden abspielt, kann mir auch die kognitivitstische Hirnphysiologie nicht erklären. Aber dass mir Texte beim Erinnern und beim Denken dienen, weiss ich im Sinne eines Erfahrungswissens, auch wenn ich mir nicht erklären kann, was dabei im Kopf passiert. Die gegenständliche Qualität eines Textes zeigt sich in seiner nachhaltigen Lesbarkeit, also darin, dass Material und Form des Textes im Unterschied zu Gedanken später noch vorhanden sind.
Herstellende Tätigkeiten unterliegen einer Entwicklung der Technik und der Produktionsweisen. Technisch verändern sich diese Tätigkeiten durch neue Werkzeuge und Materialien, und auf einer anderen Ebene durch Mechanisierungen und Automatisierungen, die auch die Werkzeuge betreffen. Die Werkzeuge entwickenl sich zu Maschinen und Automaten. Die Produktionsweise entwickelt sich vom Handwerk über die Manufaktur zur Fabrik, wobei im Übergang zur Manufaktur hauptsächlich die Handwerkstätigkeiten zerlegt wurden, und im Übergang zur Fabrik die Tätigkeiten zunehmend durch den vermehrten Einsatz von Maschinen bestimmt wurden.(7)
Gutenbergs revolutionärer Beitrag war, dass er das Textherstellen in eine Menge verschiedener Lohnarbeiten aufgeteilt hat. Bereits in den Skriptorien der Klöster hatten die Schreibenden keinen gewollten Einfluss auf den Inhalt der Texte, die sie nur durch mehr oder weniger bewusste Fehler veränderten. Gutenberg aber zerlegte das Handwerk jenseits von Inhalten.
Die Entwicklung der Maschinerie führte auch dazu, dass das Verlagswesen von Heimarbeit, das in der Zeit der Maufakturen verbreitet war, durch Fabriken ersetzt wurde. Die sogenannte Industriealisierung, die eigentlich das Einführen von Lohnarbeit bezeichnet, wurde durch die Fabriken nur sichtbarer, die innerbetriebliche Arbeitsteilung wurde in der Manufaktur eingeführt.(8)
Tätigkeiten, die als Lohnarbeit organisiert wurden, wurden durch die betriebliche Arbeitsteilung so zerlegt, dass zunächst verschiedene Teilarbeiten entstanden, die später durch die Automatisierung wieder aufgehoben wurden. Der Text in einem herkömmlich gedruckten Buch beispielsweise wird gedruckt, obwohl er wie ein von Hand geschriebener Text aus einer Art Tinte besteht, die gemeinhin Druckerschwärze genannt wird und die auch auf Papier aufgetragen wird. Im manufakturellen Buchdruck wurde das Schreiben durch eine innerbetriebliche Arbeitsteilung zerlegt. Die eigentliche Textherstellung wurde dabei Menschen übertragen, die nur mit den Händen und nur auf Geheiss arbeiten, und auf den Inhalt des Geschriebenen keinerlei Einfluss haben.(9)
Die Zerlegung der Tätigkeiten in der Manufaktur war ökonomisch motiviert, sie schuf aber auch eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Maschinen, indem sie Teiloperationen hervorbrachte, die einfacher, respektive durch einfachere Maschinen ersetzt werden konnten.
Diese industrielle Zerlegung des Schreibens in Teiltätigkeiten wie Setzen und Drucken führte zu einer sprachlich repräsentierten Vorstellung, wonach mit Schreiben eine Kopfarbeit bezeichnet wird, während die Textherstellung im engeren Sinne mit anderen Wörtern wie etwa Drucken bezeichnet wurde. Darin kann man einen Bedeutungswandel des Ausdruckes Schreiben sehen, weil in dieser Ideologie der vermeintlich Schreibende nicht mehr für die Textherstellung zuständig scheint. Gutenberg ist aber auch exemplarisch dafür, dass Kopfarbeit bei der Textherstellung keineswegs den Inhalt des Textes betreffen muss. Gutenberg hat ja seine Bibel nicht geschrieben, er hat als Kapitalist den Arbeitsprozess im Sinne einer abgetrennten Kopfarbeit organisiert. In die Textherstellung selbst war er in keiner Weise mehr involviert.
Als Handarbeit bezeichne ich eine konkrete Tätigkeit, während ich als Handwerk viel mehr eine Epoche der Produktivkraftentwicklung bezeichne, in welcher vor allem Handarbeit geleistet wurde. Das so verstandene Handwerk wurde unter arbeitsteiligen Gesichtspunkten durch die Manufaktur aufgehoben. Dabei wurden die handwerklichen Tätigkeiten zunehmend so zerlegt, dass Teilarbeiten entstanden, bei welchen die Hände immer weniger an das herzustellende Produkt angelegt wurden. Die auf diese Weise entdeckte sehr geistige Kopfarbeit wird in vielen betrieblichen Arbeitsteilungen von Ingenieuren im Konstruktionsbüro geleistet, während in der Werkstatt mit den Händen dieser Ideologie zufolge nur noch nach vorgesetztem Plan gearbeitet wird.
Beim Schreiben wird mir diese Arbeitsteilung zwischen Hand- und sogenannter Kopfarbeit – wie sie etwa zwischen einem diktierenden Chef und seiner Sekretärin gegeben ist – beim Abschreiben sicht- oder erlebbar. Wenn ich abschreibe, muss ich nicht verstehen, was ich abschreibe, und ich kann das, was ich abschreibe auch nicht mehr oder weniger gut verstehbar machen. Mein Verstand hilft mir beim Abschreiben nicht. In dieser spezifischen Hinsicht brauche ich den Kopf beim Abschreiben nicht.
Kopfarbeit trifft die Sache aber in zwei Hinsichten nur ungenau. Einerseits steure ich natürlich auch beim Abschreiben meine Hand in einer gewissen Weise im “Kopf”, soweit ich meine beim Schreiben anfallenden Hand- und Augenbewegungen quasi in meinem Kopf koordiniere. Und andrerseits arbeiten Ingenieure vielleicht noch etwas mehr „im“ oder mit dem Kopf, als ich es beim Abschreiben tue, aber ihre Arbeitsprodukte sind als Konstruktionszeichnungen oder als Beschreibungen doch wieder Artefakte, die als solche ausserhalb der Köpfe hergestellt werden müssen. Ich habe als Maschinenzeichner oft gezeichnet, was sich Ingenieure ausgedacht haben.
Abschreiben ist ein ziemlich spezieller – und wohl auch ein nicht wesentlicher – Fall des Schreibens, obwohl ich – etwa zitierend – immer noch recht oft abschreiben muss. Auch beim Formular ausfüllen muss ich lesen und schreiben können, ich kann dabei aber auch nicht schreiben, was ich will, sondern muss dem Formular folgen. Ich lasse solche speziellen Fälle vorerst ausser Acht und beobachte ein quasi noch vollständiges Handwerk, wie es im Zunftwesen gemeint war und konventionell einer einzelnen Person zugerechnet wird, weil die relativ ganzheitlichen Handarbeiten erst im Übergang zur Manufaktur zerlegt werden, während im Handwerk die Gesellen noch dem Meister zudienen.
Beim Schreiben scheint in diesem Sinne der Texthandarbeiter als Autor auch für den Inhalt des Textes zuständig, wobei oft ausser Acht gelassen wird, dass im Ausdruck “Autor” diese Zuständigkeit teilweise aufgehoben ist. Der Ausdruck Autor verweist auf ein Autorisiertsein, das zu schreiben, was geschrieben werden muss. Im exemplarischen Fall schreibt ein Autor etwa in der Bibel Gottes Worte und in einem vergleichbaren Fall schreibt ein Wissenschaftler, wie die Welt wirklich ist, also auch nicht einfach etwas, was ihm gefällt. Der Autor ist umgekehrt auch nicht verantwortlich, für das was er schreibt, er kann nichts dafür, dass die Welt ist, wie sie ist. U. Eco spielt mit der Variante, dass er auch als Schriftsteller Subjekt einer Romanhandlung ist, der er so ausgeliefert folgen muss, wie ein Wissenschaftler seiner Realität. Das metaphorische Handwerk betrifft in genau diesem Sinne, nicht was geschrieben wird, sondern wie es geschrieben wird.
Schreiben wird auch umgangssprachlich sehr oft als Handwerk bezeichnet, es gibt neben der Volksschule, die dieses Ziel auch verfolgt, ganz viele Kursangebote, das Handwerk des Schreibens zu lernen. Mit Handwerk wird in diesen Redeweisen aber nicht die Herstellung eines materiellen Gegenstandes gemeint. Es geht in dieser Art „Handwerk“ darum, verständlicher, spannender oder interessanter zu schreiben. Es geht dabei nicht darum, das handwerkliche Ab- oder Aufschreiben zu lernen oder zu verbessern, sondern um irgendeine psychologische Fähigkeit, von andern verstanden oder gerne gelesen zu werden. Der Ausdruck “Handwerk” dient dabei als Metapher für eine gute Arbeit, die einem einzelnen Menschen zugerechnet werden kann. Gutes Schreiben bezieht sich darin nicht auf einen Gegenstand, der etwa in einer Werkstatt von Hand hergestellt wird, sondern auf die psychologische Wirkung, die das Geschriebene erzeugen soll. In den Kursen, die als “Handwerk des Schreibens” angepriesen werden, wird normalerweise vorausgesetzt, dass die Teilnehmenden bereits Text herstellen können. Gemeint ist eine verkürzte Rhetorik, in welcher es um die Darstellungsform von beliebigen Inhalten geht.(10) Diese Art guten Schreibens zeigt sich beispielsweise auch im Diktieren dessen, was dann die Sekretärin, die von diesem guten Schreiben gar nichts verstehen muss, mit ihren Händen wirklich niederschreibt. Aber jenseits dieser Metapher stellt, wer diktiert, keinen Text her, er lässt – wie Gutenberg – Text herstellen.
Diktieren kann auch jemand, der nicht schreiben kann. Im sogenannten Mittelalter wurde wenig geschrieben und wer etwas zu sagen hatte, konnte im Normalfall gar nicht schreiben. Erst mit der Entstehung von Verfassungen und Verträgen, die das Mittelalter beendeten, wurde zunehmend auf schriftliche Dokumente gesetzt. Die schriftliche Dokumentation wurde insbesondere für Schuld- und Besitzvereinbarungen verwendet, die nicht viel „gutes Schreiben“ wie es etwa W. Shakespeare zugerechnet wird, erforderten. Das Herstellen von Texten wurde lange Zeit an sogenannte Schreiber delegiert. Und wer – weil er zum Volk gehörte – nichts zu sagen hatte, aber trotzdem Mitteilungen machen wollte, kaufte das Schreiben als Dienstleistung bei solchen Schreibern ein.(11) In Ländern mit noch verbreitetem Analphabetismus war zwangsläufig Sitte, sich Texte von Schreibkundigen (auf)schreiben zu lassen.
In der Volksschule, die ich besuchte, hiess das Schulfach, in welchem ich Schreiben lernte, Schreiben, und das Schulfach, in welchem ich das vermeintliche Handwerk des guten Schreibens lernte, hiess dann sinnigerweise Deutsch, womit natürlich nicht das Lernen der deutschen Sprache gemeint war, die ich ja schon kannte, sondern viel mehr die Ideologie, welche Formulierungen, also Formgebungen gut angepasstes Schreiben ausmachen. Viele Menschen, die schreiben können, lassen sich Texte von anderen Menschen schreiben, die das Handwerk des guten Schreibens beispielsweise als Ghostwriters oder Werbetexter auf dem Markt anbieten. Dieses metaphorisch gemeinte Handwerk des guten Schreibens betrifft den Inhalt, nicht das Schreiben. Darin erkenne ich eine Inversion des Falles, in welchem jemand meint, er könne gut schreiben, aber die eigentliche Textherstellung nicht selbst ausführen will und deswegen nur diktiert.
Die Entwicklung des Schreibens wiederholt sich ontogenetisch - im Sinne der haeckelschen Rekapitulation - im Schreiben heutiger Menschen. Die eigentliche Handarbeit, die ich in der Volksschule mit Griffel und Bleistift als Buchstaben zeichnen lernte, wurde durch die technische Entwicklung so aufgehoben, dass ich das Schreiben später nochmals neu lernen musste, als ich die erste Tastatur mit zehn Fingern benutzen sollte. Und ich übe jetzt noch etwas unbeholfen mit einer Software, mit welcher ich Text hochautomatisiert herstellen kann. Das vorläufige Ende dieser Entwicklung ist aktuell ChatGPT.(12) Dass ich die Verinnerlichen der Handarbeitsfähigkeiten als automatisieren bezeichne, nimmt vorweg, dass diese Fähigkeiten später durch Textautomaten aufgehoben wurden.
In der Volksschule lernte ich nicht nur schreiben, sondern explizit auch schön schreiben.(13) Jedes Handwerk kennt den Unterschied zwischen kunstvollen Gegenständen und solchen, die nur praktischen Bedürfnissen entsprechen. Die Kalligrafie kann man in diesem Sinne als Kunsthandwerk sehen.
Das schöne Schreiben ist allerdings an primitive Werkzeuge gebunden. Wenn ich mit einer Maschine schreibe, kann ich die Schönheit der Schriftzeichen nicht mehr unmittelbar beeinflussen, sie ist dann meinem handwerklichen Geschick durch die Erfindung der Druckletter entzogen.(14) Schönschreiben geht in einem spezifischen Sinn nur als Handarbeit, bei welcher die Formgebung weitgehend durch die Hand bestimmt wird, was eben typischerweise beim Gebrauch von eigentlichen Werkzeugen, wie etwa dem Bleistift, der Fall ist. Der Gebrauch von Werkzeugen verlangt körperliche Fertigkeiten, die sich dann in der relativen Schönheit der Produkte zeigen. Wenn ich Maschinen verwende, brauche ich natürlich auch Fertigkeiten, aber das Aussehen der Produkte wird stark durch die Maschine bestimmt.(15)
Beim Schreiben mit einer etwas entwickelten Maschine wird mir auch bewusst, dass es typographisch schöne Schriften gibt, dass ich also auch beim Schreiben von Hand eine schöne Schrift wählen und mich dann in dieser Schrift üben muss, wenn ich einen Text schön schreiben will.(16)
In der Volksschule lernte ich nicht nur schön zu schreiben, sondern vor allem auch richtig zu schreiben. Mit richtig schreiben ist dabei nicht vor allem das gute Handwerk der Rhetorik gemeint, sondern viel mehr, dass Texte keine Fehler enthalten dürfen. Jeder Handwerker muss seine Produkte hinreichend fehlerfrei herstellen. Teppichknüpfer, die von Hand arbeiten, machen der Legende nach bewusst unregelmässig Fehler in die Teppichmuster, damit sichtbar bleibt, dass die Teppiche Handarbeit sind. Aber natürlich muss dabei das Muster als solches erhalten bleiben. Beim Schreiben kann ich beispielsweise einzelne Buchstaben vergessen, ohne dass der Sinn des Textes davon betroffen wäre – wenn es nicht zu oft geschieht. Solche Fehler kann ich beim Schreiben natürlich nur machen, wenn mir vorgegeben ist, welche Anordnungen welcher Buchstaben erlaubt und damit richtig sind.
Beim Schreiben eines gegebenen Textes unterscheide ich das Abschreiben etwa im klösterlichen Skriptorium und das Aufschreiben etwa eines Diktates durch eine Sekretärin. Beides sind eintönige Tätigkeiten, die mich sehr an anspruchslose Fliessbandtätigkeiten erinnern.
Beim Abschreiben muss ich die Regeln der Sprache nicht kennen. Ich unterscheide dabei aber Abschreiben und Abzeichnen. Wenn ich abschreibe, erkenne ich die Buchstaben als Schriftzeichen eines Alphabetes. Aber ich kann die Buchstaben natürlich auch als Zeichnungen sehen und sie dann eben abzeichnen, ohne zu wissen, dass ich dabei Text herstelle. Ich stelle dann einfach eine Kopie des materiellen Gegenstandes her. Ich kann einen Buchstaben als Artefakt kopieren, ohne zu wissen, dass es sich um einen Buchstaben handelt. Wenn ich dagegen einen mir diktierten Text aufschreibe, muss ich natürlich die Orthographie kennen, weil durch das Diktat nur der Text gegeben ist, aber nicht die Schreibweise der einzelnen Wörter. Wenn ich nur aufschreibe, was andere diktieren, muss ich die Grammatik der Sprache, die die Satzbildung der Sprache beschreibt, nicht kennen. Man mag einwenden, dass es kaum Menschen gibt, die die Orthographie beherrschen, ohne die Sprache zu sprechen. Aber jenseits der Menschen gibt es Wörterbücher, die nur die Orthografie behandeln und viele Computerprogramme haben mit dem Übersetzen und Rechtschreiben einzelner Wörter viel weniger Probleme als mit den Wortstellungen im Satz.
Wenn ich selbst schreibe, muss ich das ganze Handwerk der Textherstellung hinreichend beherrschen. Ich muss dabei nicht nur mit einem Bleistift umgehen können, sondern auch wissen, was ich als Text bezeichne. Damit ich ein Artefakt als Text bezeichne, muss es bestimmten Produktionsregeln, die ich als Grammatik der jeweiligen Sprache bezeichne, und bestimmten semantischen Bedingungen genügen. Die Produktionsregeln von hinreichend grossen Sprachen bewirken, dass ich mit endlich vielen Zeichen unendlich viele verschiedene Texte herstellen kann. Beim Schreiben muss ich die Regeln der jeweiligen Sprache kennen. Wenn ich schreiben lerne, nachdem ich die jeweilige Sprache bereits spreche, sind mir grosse Teile der Produktionsregeln bereits bekannt. Ich weiss dann beispielsweise welche Sätze Sinn machen, wie ich die Wörter also sinnvoll anordnen kann. Dagegen beruhen viele Schriften auf orthographischen Regeln, die ich beim Sprechen nicht kennen muss. Das Schreiben hat spezifische Produktionsregeln. Sie bestimmen auch oft, wie ich über mein Sprechen nachdenke. Dass und welche Wörter ich unterscheide, scheint mir mehr eine Folge der Schrift, während ich beim Sprechen zwischen den Wörtern oft gar keine Pause mache und als Kind vielleicht Sätze oder Satzteile lernte, ohne zu merken, dass ich dabei einzelne Wörter verwendet habe.(17)
Die Tätigkeit des Schreibens stellt sehr viele sehr verschiedene Anforderungen, welchen ich auch auf der Stufe der Handarbeit weitgehend mit implizitem Wissen und Können begegnen kann. Implizit heisst, dass ich schreiben kann, ohne begrifflich zu verstehen, was ich dabei tue. Wenn ich statt einer Füllfeder ein Schreibmaschine verwenden will, muss ich zwar eine neue Handlungsweise lernen, aber ich muss mir dabei nicht bewusst machen, inwiefern das von Hand schreiben in der Maschine aufgehoben wird. Unter dem Gesichtspunkt der Anforderungen kann ich jede Art des Schreibens als neue Tätigkeit betrachten, die dann auch neue Anforderungen stellt. Ich will mich aber nicht mit Anforderungen befassen, sondern das Schreiben als Produktionsprozess beobachten, der einer technischen Entwicklung unterliegt.
Ich begreife dabei das Schreiben nicht als Erfindung, sondern als eine sich autopoietisch entwickelnde Verhaltensweise, die im Tier-Mensch-Übergangsfeld allmählich zu einer mit Werkzeugen produzierenden Tätigkeit wird. Autopoiese heisst evolutionär entstanden.(18) Wenn ich von einer Autopoiese spreche, bezeichne ich in gewisser Hinsicht einen spezifischen Moment einer dort geteilten Entwicklung. Wenn ich beispielsweise von der Entwicklung des Menschen spreche, unterscheide ich in diesem Sinne eine naturhistorische Entwicklung innerhalb des Tierreiches, die mit dem Auftreten des Menschen abgeschlossen ist, und eine sozialhistorisch Entwicklung des Menschen, die mit dem Auftreten des Menschen beginnt und in welcher sich nicht mehr der Mensch, sondern dessen Lebensverhältnisse als Kultur entwickeln. Wenn ich Menschen als werkzeugherstellende Tiere sehe, beobachte ich eine Entwicklung im Tierreich hin zur Verwendung von Objekten, welche am Schluss den Menschen als Herstellenden hervorbringt, und eine zweite Entwicklung, in welcher sich die Menschen dadurch entwickeln, dass sie ihre Werkzeuge entwickeln.(19)
In der Autopoiese des Schreibens unterscheide ich dessen quasi naturhistorische Entwicklung, die ich im Lesen von Spuren begründet sehe, und dessen sozialhistorische Entwicklung, die auf der Herstellung von Schriftzeichen beruht. Im Tier-Mensch-Übergangsfeld invertiert das Spuren lesen zum Spuren herstellen, was etwas anderes ist, als Spuren hinterlassen. Wenn ein Tier sein Revier markiert, kann ich darin zwar eine instinktive Absicht erkennen, aber nicht das Herstellen eines Zeichens, weil ich als eigentliches Zeichen einen hergestellten Gegenstand bezeichne, der im Prinzip arbiträr für ein konventionell vereinbartes Referenzobjekt steht. Das Markieren von Tieren braucht ja keine Vereinbarung darüber, was es bedeutet. Schriftzeichen schliesslich implizieren einen sprachlichen Handlungszusammenhang, in welchem sie ihre inhaltliche „Bedeutung“ entfalten. Als Artefakte aber sind sie wie alle Zeichen Gegenstände einer sich technisch entwickelnden Produktion.
Wo Menschen im Tier-Mensch-Übergangsfeld bereits bewusst Spuren legten, etwa durch Hinlegen von gefundenen Gegenständen oder durch Knicken von Ästen entlang des Weges, sehe ich Keimformen der späteren Zeichen und Schriftzeichen, auch wenn solche Spuren noch sehr noch naturwüchsig und analog waren.(20)
Die Evolution des Schreibens verstehe ich in dem Sinne exemplarisch für die sozialhistorische Seite der menschliche Entwicklung, als ich das Schreiben als Tätigkeit sehe, für welche auch immer umfassendere Werkzeuge entwickelt werden. In dieser Entwicklung wird nicht nur das handwerkliche Schreiben zerlegt, sie integriert in einer Entdifferenzierung auch Funktionen, die zunächst nicht als Teile des Schreibens aufgefasst werden, wie etwa die Verwaltung der Dokumente und insbesondere das Verfügbarmachen der Texte im Internet. Als entwickelste Stufe des Schreibens sehe ich schliesslich das Hyperlesen, bei welchem ich lesend durch das Anklicken von Hyperlinks den Text, den ich lese, in einem eigentlichen Sinne erst erzeuge – was durch die bislang höchstentwickelten Textproduktionsmittel möglich wird.
Eine vollständige Aufhebung des Schreibens erkenne ich in der Textproduktion mittels Automaten, die wie etwa ChatGPT umgangssprachlich der KI zugerechnet werden, in welcher sogenannte neuronale Netzwerke und Sprachmodelle verwendet werden. Wenn ich solche Maschinen verwende, schreibe ich nicht, sondern wähle Texte aus, die ich - wie in einer Bibliothek - finden kann. Ich werde später darauf zurückkommen. Zunächst betrachte ich aber die Entwicklung der Textproduktion als spezifischen Fall der gesellschaftlichen Produktion.
Anmerkungen
1) Ich habe in der Einleitung bereits einige Bemerkungen zur Wahl meiner Kategorien gemacht, und darüber, wie sie diesen Text beeinflussen. Das ist natürlich vor allem Inhalt der Theorie, die ich parallel zu diesem Text in einem Theorie-Text entwickle. (zurück)
2) Ich bezeichne den Zweck in Anlehnung an K. Holzkamp als Gegenstandsbedeutung, weil Zweck oft mit Funktion und Sinn verwechselt wird. Ich werde darauf zurückkommen. (zurück)
3) Hergestellte Gegenständen haben einen Zweck, sie können aber ganz verschiedene Funktionen erfüllen. Umgangssprachlich - bis weit in die Philosophie hinein - werden Wortbedeutungen erläutert, indem typische "Funktionen" angegeben werden, wobei Funktion in diesem Zusammenhang für "Wofür verwende ich es" steht. Messer wird dabei definiert als Ding zum Schneiden, Text ist dann beispielsweise eine "schriftlich fixierte, im Wortlaut festgelegte Folge von Aussagen", weil ich Text zum Aussagen machen verwende. (zurück)
4) Artefakt ist in vielen Disziplinen ein Modewort geworden, das sehr verschieden verwendet wird. Sehr oft wird Artefakt diffus für mentale Konstrukte, also für Vorstellungen oder geistige Gegenstände verwendet, ich meine aber ausschliesslich anfassbare, materielle Gegenstände, die hergestellt wurden. (zurück)
5) Nebenbei bemerkt meinte V. Flusser, dass er damit die Arbeitswertlehre von K. Marx widerlegt habe, weil dessen Proletarier, die nur mit den Händen arbeiten, durch Maschinen ersetzt würden, wodurch dann jeder Wert vollständig im Kopf produziert werde (V. Flusser, Kommunikologie weiter denken; Frankfurt a.M. 2009, S. 142ff (zurück)
6) K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 183 (zurück)
7) Mit dem Frabrikwesen entwickelte sich auch die schriftliche Dokumentation durch Ingenieure und Buchhalter als eigenständige Tätigkeiten. (zurück)
8) Die Unterscheidung zwischen naturwüchsiger und innerbetrieblicher Arbeitsteilung hat H. Braverman als Babbage-Prinzip bezeichnet, weil C. Babbag in seiner Ökononie den Sinn innerbetrieblicher Arbeitsteilung beschrieben hat: Für Tätigkeiten, die weniger Qualifikationen verlangen, muss ein kleinerer Lohn bezahlt werden. Es ist also rentabel, wenn nicht jeder Arbeiter alles können muss. (Über die Ökonomie von Maschinerie und Manufaktur, 1832) (zurück)
9) Manufaktur ist ein kapitalistischer Euphemismus, der das von „Hand hergestellt“ bezeichnet und das „auf Geheiss“ versteckt. (zurück)
10) Rhetorik heisst die Techne (Kunst) des Dialoges (von Aristoteles eingeteilt in Pathos, Ethos und Logos). Die Aufgabe der Rhetorik ist, die Möglichkeiten zu erforschen und die Mittel bereitzustellen, die nötig sind, um eine Gemeinsamkeit zwischen Redner und Zuhörern herzustellen, auf deren Basis es ermöglicht wird, eine subjektive Überzeugung allgemein zu machen (Persuasion). (zurück)
11) A. Wendehorst beschreibt in seinem Aufsatz „Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben“ wie sich das Schreiben durchsetzte, in einer Zeit, in welcher es keine Schulen gab, die das Schreiben unterrichteten. Vorab Kleriker übernahmen die Rolle des Schreibers, die sich zunehmend im Notariatswesen institutionalisierte. Die Vorstellung, wonach viele Menschen schreiben können sollten, entwickelte sich erst später, sozusagen als eine Revolution im Schulwesen. (zurück)
12) ChatGPT ist eine Maschine. Maschinen schreiben nicht, was hätten sie davon, wenn sie es tun würden? Ich schreibe, indem ich ChatGPT verwende. (zurück)
13) Schönschreiben wird mittlerweile an den Volksschulen nicht mehr unterrichtet. Dagegen gibt es Opposition, die den handarbeitlichen Aspekt der Bildung hervorhebt. (zurück)
14) Ich komme darauf zurück, wo ich am Computer eigene Schriften entwerfen kann. Aber auch das Verwenden von verschiedenen Schriftauszeichnungen (Zeichnung) wie kursiv, fett usw sind Gestaltungen, die bereits mit dem Kugelkopf möglich waren. (zurück)
15) V. Flusser hat diesen Übergang in Bezug auf Bilder mit dem Ausdruck Technobild charakterisiert. Er verwendet den Ausdruck in Abgrenzung zu Bildern, die mit einfachen Werkzeugen - wie beispielsweise dem Pinsel - hergestellt sind. Der Fotofilm wurde durch die sogenannte Digitalkamera praktisch vollständig verdrängt. "Vor-moderne Bilder [sind] Produkte des Handwerks (Kunstwerke), nach-moderne [sind] Produkte der Technik“. Von Technotext hat er meines Wissens nicht gesprochen, weil er Text mit Inhalten verbindet und LLM noch nicht kannte. (zurück)
16) Es gibt sehr viele Menschen, die beispielsweise die Sütterlinschrift als quasi kalligrafisches Hobby pflegen. (zurück)
17) Der Papagei der Sätze reproduziert muss ja auch keine Wörter kennen. (zurück)
18) Autopoiese ist ein Kunstwort, das quasietymologisch für „(sich) selbst-erzeugt“ (auto-poiesis) steht, das ursprünglich von H. Maturana zur Charakterisierung von Leben eingeführt wurde, aber in einem weiteren Sinn als Eigenname für spezielle Theorien der Selbstorganisation verwendet wird. (zurück)
19) In naturhistorischen Zeiträumen mag sich unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten natürlich auch der Mensch weiterentwickeln, aber im historischen Zeitraum kann ich keinerlei Entwicklung des Menschen als biologisches Wesen erkennen. Ich wüsste nicht, inwiefern ich „entwickelter“ sein sollte als beispielsweise die „alten Griechen“, deren Philosophen auch zeigen, dass nicht ernsthaft von einer geistigen Weiterentwicklung gesprochen werden kann. Was wir früheren Generationen voraus haben, sind Maschinen wie das Internet. (zurück)
20) Als Keimform bezeichne ich, was K. Holzkamp in der Grundlegung der Psychologie als Frühform bezeichnet hat. K. Holzkamp spricht auch von Vor-Form: "Wenn hier und im folgenden von »Vorformen« die Rede ist, so muß man sich vergegenwärtigen, daß den verschiedenen Erscheinungen ihr Charakter als »Vorform« nur rekonstruktiv, bei Kenntnis der jeweiligen (vorläufigen) »Endform«, zugesprochen werden kann. K. Marx spricht von einer Keim(form): "Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozess, und Franklin definiert daher den Menschen als "a toolmaking animal", ein Werkzeuge fabrizierendes Tier" (MEW 1867:194). (zurück)
2 Textproduktionsmittel
Ich beobachte in diesem Kapitel die Entwicklung des Schreibens als eine Entwicklung der Textproduktionsmittel, in welcher das Schreiben wie jedes gegenständliche Herstellen der Entwicklung der Produktionsmittel unterliegt und nach handwerlichem Anfang immer umfassender automatisiert wird.(1) Ich unterscheide dabei drei verschiedene Mittel der Textproduktion, die sich teilweise gegenseitig bedingen: Das eigentliche Werkzeug, das Material des Textes und den Träger des Textes. Wenn ich mit einem Bleistift auf Papier schreibe, ist der Bleistift das Werkzeug, das Graphit das Material des Textes und das Papier der Textträger. Die wesentliche Entwicklung beobachte ich bei den Werkzeugen, weil mir die Werkzeuge zeigen, was ich beim Schreiben quasi noch von Hand machen muss, wenn ich die jeweils neueren Werkzeuge noch nicht zur Verfügung habe. So macht mir beispielsweise die elektrisch angetriebene Schreibmaschine bewusst, dass ich den Bleistift wie etwa einen Hammer mit meiner Körperkraft bewegen muss, was mir beim Schreiben mit dem Bleistift nicht ohne weiteres auffällt, weil ich dafür sehr wenig Kraft brauche.
Die Entwicklung der Werkzeuge liefert mir die Kategorien, durch die ich meine Tätigkeit begreife. Materialien und Infrastrukturen sind naturwüchsige Voraussetzungen jeder Produktion, aber sie entwickeln sich in Abhängigkeit der Entwicklung der Werkzeuge.(2)
Alles, wofür ich noch kein Schreibwerkzeug habe, bezeichne ich als die noch nicht begriffenen Aspekte des Schreibens. Einen Aspekt des Schreibens will ich hier noch besonders hervorheben, weil er auch davon ablenkt, das Handwerk zu sehen. Die typischen Handwerker stellen viele Instanzen desselben Objektes her. Ein Hufschmied etwa schmiedet immer Hufeisen, auch wenn sie jeweils sehr verschiedenen Pferdehufen angepasst werden müssen. Wenn ich als Handwerker das Produkt bereits viele Male hergestellt hätte, müsste ich wohl nicht mehr allzu viel denken, um ein weiteres Exemplar herzustellen. Texte sind in dieser Hinsicht spezielle Produkte. Ich schreibe sehr selten zwei- oder mehrmals den gleichen Text. Aber in einer bestimmten Hinsicht sehen natürlich meine Texte doch sehr ähnlich aus, weil sie alle ein Reihenfolge aus einer begrenzten Menge von Schriftzeichen sind.
Bevor ich mich den Produktionsmitteln zuwende, erläutere ich einige hier wichtige Aspekte der Produktion.
Anmerkungen
1) Eine umfassende Darstellung zur Entwicklung der Arbeit im modernen Produktionsprozess gibt der bereits erwähnte H. Braverman. (zurück)
2) "Unter den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesamtheit man das Knochen- und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheidendere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche als solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstandes dienen und deren Gesamtheit ganz allgemein als das Gefäßsystem der Produktion bezeichnet werden kann, wie z.B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge usw". [..] Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen."(Marx, K., MEW23, 194f) (zurück)
2.1 Produktion
Als Produktion bezeichne ich einerseits den - ökonomisch gedachten - Handlungszusammenhang, in welchem ich bestimmte Tätigkeiten als tauschwertschaffende Arbeit beobachte. Ich verwende den Ausdruck Produktion im doppelten Sinne abstrakt, indem ich damit die Bedeutung der jeweiligen Produkte und die Produktionsverhältnisse, unter welchen sie hervorgebracht werden, ausser Acht lasse. Bevor Menschen Tauschwerte produzierten, arbeiteten sie für ihren je eigenen Lebensunterhalt, wie es Tiere auch tun, wenn sie jagen oder Nester bauen. Wenn ich von der Entwicklung der Produktion spreche, unterscheide ich in diesem Sinne eine naturhistorische und eine sozialhistorische Entwicklung, in welcher die Arbeit neu gesehen wird. Wenn ich im naturwüchsigen Sinne für mich arbeite, spielt keine Rolle, was andere Menschen tun. Wenn ich dagegen meine Arbeitsprodukte eintauschen will, wird zunehmend wichtiger, was insgesamt produziert wird. Dabei geht es nicht nur um Menge der Produkte, sondern auch darum, welche Produkte ich wo zu welchen Tauschverhältnissen eintauschen kann. Als Produktion bezeichne ich in diesem Sinne die Gesamtarbeit, die ich durch Tauschwert charakterisiere. Hier beobachte ich die Entwicklung der Produktion jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse, also unabhängig davon, wer wie viel für wen produziert, weshalb die ökonomisch begründeten Unterscheidungen hier nicht interessieren. Hier interessiert mich, was Menschen tun.(1)
In der politische Ökonomie wird der Produktion eine Konsumtion gegenübergestellt. Was die Konsumenten mit den den Produkten machen, spielt in der Ökonomie keine Rolle, die Produkte müssen nur verkauft werden. Der Markt, auf welchem die Arbeitsprodukte getauscht werden, sorgt als unsichtbare Hand dafür, dass die Produktion der Konsumtion entspricht. Die ökonomische Konsumtion verbraucht, was produziert wurde, indem sie das Produkt vernichtet. Erdöl beispielsweise kann ich als Benzin verbrennen oder zur Herstellung von Kunststoff verwenden. In beiden Fällen habe ich danach der Erdöl nicht mehr, ich habe es konsumiert. Wenn ich Dienstleistungen konsumiere, vernichte ich das Recht, das ich mit dem Kauf der Dienstleistung erworben habe.
Dass ich beim Produzieren Produkte konsumiere, ist ein Resultat der Arbeitsteilung, in welcher Produkte gehandelt werden, die im Produktionsprozess eigentlich Zwischenstufen sind. Die naturwüchsige Arbeitsteilung, die sich in der betrieblichen Arbeitsteilung teilweise wiederholt, beruht hauptsächlich auf einer Differenzierung der Werkzeuge, wodurch verschiedene Berufe und damit verbunden verschiedene Produkte entstanden. Ökonomisch verbrauche ich Rohstoffe und Halbfabrikate, wenn ich daraus etwas herstelle.(2)
Durch die naturwüchsige Arbeitsteilung wird die Arbeit nicht so geteilt, wie wenn verschiedene Menschen eine bestimmte Arbeit gemeinsam erledigen und dabei dasselbe tun. Arbeitsteilung bezeichnet konventionell, dass Teiltätigkeiten aus einer noch ungeteilten ursprünglichen Gesamttätigkeit ausgegliedert werden. In Bezug auf diese Gesamttätigkeit erscheint die Arbeitsteilung als Differenzierung, und in Bezug auf die so gesehenen Teiltätigkeiten als Spezialisierung. Die Trennung von Jagen und Sammeln wird oft als historisch frühes Beispiel dafür angegeben.
Einen Teil der Produktionstätigkeiten, etwa jenes eines Arztes oder eines Busfahrers, bezeichne ich als Dienstleistungen, weil ich beim Tauschen kein anfassbares Produkt bekomme, sondern die unmittelbare Arbeitstätigkeit bezahle. Die historisch ersten Dienstleistungen waren wohl jene von Händlern, die nur den Tausch vermitteln und sich dafür bezahlen lassen.(3)
Der mich hier interessierende Teil der Produktion bringt anfassbare Produkte hervor. Dabei unterscheide ich verschiedene Stufen der Produktion. Im einfachsten Fall, den ich als Sammeln oder Abbauen bezeichne, verändert der Produzent das Produkt nicht. Der Bauer beispielsweise produziert Weizen, indem er ackert, sät und erntet, aber den Weizen verändert er nicht. Auch wenn er neue Weizensorten züchtet, macht er das nicht, indem er Weizen verändert.(4) Auf der nächsten Stufe verändert der Produzent, was zuvor hervorgebracht wurde, was ich als Zubereiten bezeichne. Der Müller - um im Beispiel zu bleiben - produziert Mehl, indem er Weizen mahlt. Der Müller ist ein Resultat einer Spezialisierung. Weizen wurde schon gemahlen, bevor es Müller gab. Auf der nächsten Stufe stellt der Produzent Gegenstände her. Der Bäcker produziert beispielsweise ein Brot oder einen Butterzopf. Mittlerweile gibt es auch Teigproduzenten, was auch einer produktiven Differenzierung entspricht, die beliebige Halbfabrikate oder Zwischenprodukte produziert, die ich in meiner Abstufung nicht berücksichtige. Bevor die Teigproduktion ein eigenes Geschäft wurde, gehörte sie zum Bäcker, nicht zum Müller, obwohl sie in Bezug auf gegenständliche Produkte wie Brot oder Teigwaren einer Zubereitung entspricht.
Als Hervorbringen bezeichne ich die Tätigkeit, durch die ich etwas Sicht- und Anfassbares in mein Sichtfeld bringe. Es geht hier also nicht um transzendente Sachen wie Gedanken und nicht um Sachen, die von einer sogenannten Natur hervorgebracht werden. Das Hervorbringen ist notwendiger Bestandteil jeder Produktion von anfassbaren Gütern. Das Hervorbringen besteht im einfachsten Fall - hervorholen, was schon da ist, aber noch nicht gesehen wurde - aus dem Finden und Auflesen, was ich als Sammeln bezeichne. Als Sammler bringe ich Produkte hervor, die ich unmittelbar konsumieren kann.
Was ich durch Jagen hervorbringe, muss ich dagegen vor dem Konsumieren zubereiten. Beim Jagen produziere ich nicht tote Tiere, sondern Fleisch und Felle. Wenn ich einem erlegten Tier das Fell abziehe, erkenne ich darin Zubereitung und in Fleisch und Fell erkenne ich Zwischenprodukte, auch wenn ich sie als Produkte verkaufen kann.
Holz beispielsweise bringe ich hervor, indem ich Bäume zerlege. Ein Baum ist kein Holz, sondern ein Baum. Holz muss ich durch eine Tätigkeit hervorbringen. Deshalb hat es eine eigene Bezeichnung. Teig bringe ich hervor, indem ich Mehl, also gemahlenes Getreide mit Wasser vermische. Getreide bringe ich hervor, indem ich es dort finde oder ernte, wo ich zuvor Samen verstreut habe. Natürlich kann ich weder Samen noch Getreide herstellen. Mehl produziere ich, indem ich die Form von Getreidekörner durch zermalmen auflöse. Kupfer kann ich in gediegenem Zustand finden. Im aufwendigeren Fall bringe ich Kupfer durch Ausgraben und Verhütten von Kupfererz hervor. Wenn ich Kupfererz verhütte und auftrenne, spreche ich von einer Zubereitung. Einer Geschichte nach haben die Urmenschen Kupfer zuerst in der Asche als glänzende Rückstände gefunden. Sie haben das Metall weder hergestellt noch erfunden, sie haben es - im Prinzip - reproduzierbar hervorgebracht. Dabei interessiert mich weder, welche kognitiven Fähigkeiten zum Erkennen von Metall nötig waren, noch wie das Metall in die Asche des Feuers gekommen ist. Ich kann Kupfer im flüssigen Zustand mit anderen Stoffen vermischen, beispielsweise mit flüssigem Zinn und so Bronze, also einen Stoff mit neuen Eigenschaften hervorbringen.
Das Zubereiten kann ich in vielen Fällen als Teil des Herstellens sehen. Wenn ich einen geeigneten Stein finde, kann ich ihn wie ein Werkzeug verwenden. Ich kann ihn aber auch so bearbeiten, dass er eine bestimmte Funktion besser erfüllt, worin ich eine Keimform des Herstellens erkenne. Als Herstellen bezeichne ich die Tätigkeit, durch welche ich Artefakte hervorbringe, die eine Gegenstandsbedeutung haben, weil sie für einen bestimmte Gebrauch gemacht sind. Halbfabrikate werden in dieser Hinsicht nicht hergestellt, sondern sind Zwischenstufen der Herstellung, die keine eigene Gegenstandsbedeutung haben, was in der (warenproduzierenden) Gesellschaft durch Handel mit Halbfabrikaten spezifisch aufgehoben wird. Kupfer oder Holz produziere ich nicht für eine bestimmte Verwendung.
Ich erläutere die damit gemeinte Entwicklung der Produktion nochmals anhand eines Beispiels: Ich trinke Wasser aus einem Bach, wobei ich kein Gefäss verwende. Ich sehe meinen Körper nicht instrumentell, also weder meine Hände noch mein Mund als Gefässe. Dann trinke ich Wasser aus einem - improvisierten - Gefäss, etwa aus einer "natürlich gegebenen Schale", beispielsweise aus einer Kokosnussschale, die ich als-ob verwende. Dann stelle ich ein Gefäss her ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, ich forme beispielsweise Lehm. Die Schüssel habe ich im Unterschied zur Kokosnussschale hergestellt. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen und sie hat einen Namen, der für ihre hergestellte Bedeutung steht: "Schüssel". Dann stelle ich ein Werkzeug her, etwa ein Steinmesser, ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, indem ich den Stein durch Abschleifen forme. Das Werkzeug ist dann Zweck der Herstellung. Dann stelle ich ein Gefäss her, wobei ich ein Werkzeug verwende, ich trinke dann Wasser aus beispielsweise einer aus Holz geschnitzten Schüssel. Das Werkzeug ist dann Mittel der Herstellung.
Was immer ich Anfassbares hervorbringe, bezeichne ich in einer bestimmten Hinsicht, die ich durch Eigenschaften charakterisiere, als Stoff und, wenn ich von allen Eigenschaften absehe, als Substanz. Als Stoff bezeichne ich alles, woraus Sachen, die in festem Aggregatzustand anfassbar sind, bestehen können. Den Ausdruck Stoff verwende ich dabei als Kollektivsingular. Es ist unerheblich, was Stoff jenseits davon ist. Mit Stoffbezeichnungen bezeichne ich Eigenschaften: "Metall" beispielsweise verwende ich für "glänzend, stromleitend, schwer, ...", "Silber" für "Metall und helle Farbe, nicht oxidierend, ...". Stoff hat keine Form, ich kann Stoff nicht zeichnen, aber ich kann jeder Stoffmenge eine Form geben. Dinge, wie etwa Steine oder Bäume, haben eine naturwüchsige Form, ich beobachte dabei aber Dinge, nicht Stoffe. Wenn ich etwas aus Holz oder Eisen herstelle, gebe ich dem Stoff eine konservative, feste Form. Fluide kann ich durch Gefässe abgrenzen, wodurch sie vorübergehend die Form des Gefässes annehmen. Das benutze ich beispielsweise beim Giessen.
In der Naturwissenschaft, die hier keine Rolle spielt, wird Stoff als je konkrete Materie aufgefasst. Stoffe bestehen in der dort gewählten Beobachtung aus Atomen und chemischen Verbindungen. In der politischen Ökonomie wird Stoff als Roh- oder als Werkstoff als Produkt behandelt. Hier interessiert mich Stoff nur als Träger von Eigenschaften, die ich in der Produktion hervorbringen will. Holz oder Eisen verwende ich in der Lebenswelt der anfassbaren Sachen jenseits von physikalischen Atomen und jenseits von ökonomischen Werten.(5) Ich verbrauche es beim Heizen und gebrauche es, wenn ich einen Tisch herstelle.
Das Produzieren von Artefakten bezeichne ich als Herstellen. In der politischen Ökonomie wird das Herstellen als Arbeit beobachtet. Ich unterscheide hier das Herstellen vom Arbeiten. Als Arbeiten bezeichne ich das Produzieren unter zwei sehr verschiedenen Gesichtspunkten: zum einen in einem gesellschaftlichen Sinn, wenn es - arbeitsteilig - zum Erreichung von Tauschwert geschieht. Zum andern, wenn ich es - jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen - als Teil der naturnotwendigen Aneignung der Lebensmitteln begreife. Als Arbeit bezeichne ich in diesem Sinn das Hervorbringen und Zubereiten von Produkten für den Verbrauch. Es ist ein naturwüchsig sich stetig wiederholender, zirkulärer Prozess ohne Anfang und Ende, dem auch Tiere unterworfen sind.(6)
Wenn ich etwas herstelle, habe ich einen Plan, der den Anfang und das Ende der Handlung bestimmt. Essen muss ich immer wieder, ein Artefakt herstellen muss ich nur einmal. In der arbeitsteiligen Gesellschaft werden ganz viele Artefakte seriell produziert, weil sie als Ware an möglichst viele Konsumenten verkauft werden. Aber ich brauche natürlich jedes Artefakt - von seiner allfällig begrenzten Lebenszeit abgesehen - nur einmal.
Das Herstellen tendiert überdies dazu, sich aufzuheben. In einer laxen Redeweise wird gesagt, dass einen Roboter Roboter "herstelle". Aber natürlich ist ein Roboter ein Werkzeug, das ich verwende. Ein Roboter stellt nichts her, er dient mir als Mittel beim Herstellen.
In diesem Text behandle ich die Textproduktion. Es ist sinnenklar, dass ich einen Text nur einmal schreibe, es ist ebenso klar, dass viele Texte durch Medien wie das Internet beliebig viele Instanzen haben. Ich werde darauf zurückkommen, mich aber vorerst weiter mit dem Herstellen befassen, bei welcher ich Material forme.
Als Material bezeichne ich das, was ich bei der Herstellung von Gegenständen forme. Es wird mir zum Material, indem ich es bei der Herstellung eines Gegenstandes verwende. Ein Stein beispielsweise bezeichne ich nicht als Material, wenn ich ihn nicht forme. Ein Baum ist kein Material. Wenn ich beim Herstellen eines Gegenstandes Holz verwende, verwende ich Holz als Material. Wenn ein hergestellter Gegenstand aus Holz besteht, bezeichne ich das Holz als Material, weil es beim Herstellen verwendet wurde. Jenseits von Material verwende ich Holz - wie bereits erörtert - als Stoffbezeichnung.(8)
In den Geschichten über die Menschheit - die sich als Geschichte wähnen - sind die ersten Gegenstände, die hergestellt wurden, bearbeitete Steine gewesen. Hier interessiert mich nicht, ob Tiere Werkzeuge herstellen oder benutzen, und auch nicht, welche kognitiven Fähigkeiten das Bearbeiten von Steinen im Tier-Mensch-Übergangsfeld vorausgesetzt hat. Hier interessiert mich auch nicht, welche Werkzeuge den vermeintlich ersten Menschen in der konventionellen Geschichtsschreibung in welcher Reihenfolge und in welchen Zeiträumen zugeschrieben werden. Hier ist unerheblich, wann welche Homosapiens zum ersten Mal steinerne Faustkeile benutzt oder sogar hergestellt haben. Hier interessiert mich nur das Herstellen, und dessen logisch-genetische Entwicklung, deren Anfänge ich selbst tätig, in konkreten Handlungen nachvollziehen kann.
Gefundene Steine wurden wohl für allerlei Tätigkeiten benutzt, lange bevor sie bearbeitet wurden. Ich würde auch heute noch einen geeigneten Stein verwenden, wenn ich beispielsweise eine Nuss aufschlagen, etwas abschaben oder verkleinern müsste. Ich kann ohne weiteres erkennen, dass sich verschiedene Steine dabei verschieden gut eignen. Ich kann erkennen, dass die Form des jeweiligen Steines für die jeweilige Verwendung besser oder weniger gut geeignet ist, und ich kann auch erkennen, dass es unabhängig von der jeweiligen Form relativ weiche und relativ harte Steine gibt.
Wenn ich einen Stein verwende, um eine Nuss zu öffnen, erfüllt der Stein eine bestimmte Funktion.(9) Ich nehme aber nicht an, dass der Stein dafür gemacht wurde. Die Funktion ist vom Stein unabhängig. Ich kann die Nuss auf sehr viele verschiedene Weisen öffnen, unter anderem kann ich sie mit Stein aufschlagen. Wenn ich keinen passenden Stein finde, finde ich vielleicht ein Möglichkeit, die Nuss mit blossen Händen zu öffnen. Ich weiss aber auch, dass es heute Nussknacker gibt, die eigens zum Öffnen von Nüssen hergestellt wurden.
Wenn ich beispielsweise Wasser trinken will, kann ich das tun, indem ich das Wasser ohne Gefäss aus einem Bach trinke. Ich kann dabei mit meinen Hände ein Schale bilden. Ich kann das Wasser aus einem - improvisierten - Gefäss, etwa aus einer gefundenen Kokosnussschale trinken. Ich kann ein Gefäss herstellen ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, ich kann beispielsweise Lehm formen. Eine Schüssel ist im Unterschied zur Kokosnussschale, die ich als (ob) Schüssel verwende, hergestellt. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen. Ich habe mit "Schüssel" ein Wort, das unabhängig von Form und Material für ihre hergestellte Bedeutung steht. Für hergestellte Gegenstände habe ich Bezeichnungen, mit welchen ich auf deren Bedeutung verweise.
Ich kann ein Werkzeug herstellen, etwa ein Steinmesser, ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, indem ich den Stein durch Abschleifen forme. Ich kann dann ein Gefäss herstellen, wobei ich dieses rohe Werkzeug verwenden kann. Ich trinke dann Wasser aus beispielsweise einer aus Holz geschnitzten Schüssel. Die Funktion bleibt in all diesen Fällen dieselbe, ich führe meine Körper Wasser zu, wozu ich hergestellte Gegenstände verwende kann, aber nicht muss. Die Funktion ist keine Eigenschaft des Gegenstandes.(10)
Hergestellte Gegenstände haben - umgangssprachlich - einen Zweck, sie können aber sehr verschiedene Funktionen erfüllen. Wenn ich einen Gegenstand verwende (gebrauche), erfüllt er immer eine Funktion, die mit dem Zweck des Gegenstandes in einem sehr losen Verhältnis steht. Ich kann beispielsweise einen Hammer als Briefbeschwerer verwenden. Dabei bleibt er ein Hammer, aber ich benutze ihn nicht als Hammer.(11) Natürlich kann ich einen hergestellten Gegenstand auch zweckmässig verwenden, ich kann einen Hammer als Hammer benutzen. Gefässe verwende ich normalerweise - ihrem Zweck entsprechend - zum Aufbewahren von Stoffmengen, die ich ausleeren kann, weil sie sich wie Flüssigkeiten verhalten. Ein typisches Beispiel für ein Gefäss ist eine Tasse, aus welcher ich trinke. In einer Schüssel kann ich auch Reis oder Kartoffeln aufbewahren. Wenn ich das Gefäss zum Schöpfen oder zum Transportieren verwende, ist das Aufbewahren relativ kurzfristig. Wenn ich mit einer Schaufel Schnee oder Sand wegräume, verwende ich das Gefäss, das aus dem Schaufelblatt besteht, als Teil eines Werkzeuges. In der durch Funktionen geprägten Alltagssprache wird deshalb eine Schaufel auch nicht als Gefäss bezeichnet, selbst dann nicht, wenn sie etwa als Baggerschaufel leicht als Gefäss erkennbar ist.
Gefässe, die aus Lehm oder Ton hergestellt wurden, bestehen aus Material, das relativ leicht zu finden ist und gut ohne Werkzeuge bearbeitet werden kann. Die elementarsten Herstellungstätigkeiten, die ich unter gegebenen Umständen ohne weiteres selbst ausführen kann, betreffen Gegenstände mit einfachen Formen und leicht vorfindbarem Material. Das Tongefäss ist Beispiel dafür.(12) In der konventionellen Geschichte der Menschheit werden sie auch als Produkte sehr früher Herstellungsverfahren zitiert. Ich führe sie hier als Beispiel an, weil sie einerseits das Formen exemplarisch repräsentieren und andrerseits, weil ich das Herstellen nicht auf Werkzeuge reduzieren will.
Im Werkzeug sehe ich nicht den Zweck, sondern ein Mittel der hier gemeinten Produktion. Was Menschen als Naturwesen brauchen, könn(t)en sie - wie Tiere - ohne Werkzeuge produzieren. Die Produktion entwickelt sich aber vor allem durch die Entwicklung der Werkzeuge.(13) Und weil Werkzeuge auch hergestellte Gegenstände sind, unterliegen sie selbst auch dieser Entwicklung. Auch Werkzeuge sind mittels Werkzeugen geformtes Material.
Die konventionelle Geschichtsschreibung orientiert sich nicht an der Entwicklung der Werkzeuge, sondern an Werkstoffen und Produktionsformen. Sie unterscheidet Stein-, Bronze- und Eisenzeiten und später Zunft, Manufaktur und Industrie. H. Arendt bezeichnet die Entdeckung der Kohle als wichtiger als die Erfindung der Dampfmaschine. Ich verwende den Ausdruck Material komplementär zu Form. Die herstellende Tätigkeit begreife ich als Formen. Egal, was ich herstelle, das dabei entstehende Artefakt hat eine durch das Herstellen bewirkte Form. Formen kann ich nicht überhaupt, ich forme immer etwas. Und das, was ich forme, bezeichne ich als Material. Was ich als Material bezeichne ist also gewissermassen die Kehrseite des Formens.
Der Ausdruck Material erscheint in der konventionell politischen Geschichtsschreibung hauptsächlich im Ausdruck Materialismus, wo mit Materialismus eine Weltanschauung bezeichnet wird.(14) Ich unterscheide sehr verschiedene Materialismen, in welchen dann auch den Ausdruck Material sehr verschiedene, aber immer metaphorische - Bedeutungen hat. Der mir geläufigste Materialismus bezeichnet eine Orientierung am Geld. Materialisten tun alles für Geld, ohne dabei Geld als Material zu sehen. Dann gibt es einen Materialismus, der die Materie ins Zentrum stellt. Diese Sichtweise beherrscht einen grossen Teil der Naturwissenschaften. Materie ist aber ein ganz anderes Wort als Material. Ich weiss nicht, was Materie ist, ausser dass sie aus Atomen besteht, wobei ich keine Ahnung von Atomen habe. F. Heider – der kein Materialist sein wollte – hat das Geformte als Ding bezeichnet und anstelle von Material den Ausdruck Medium verwendet. Das ist von vielen Sozial-wissen-schaftlern, die auch keine Materialisten sein wollen, übernommen worden. Differenztheoretisch kann „Material“ durch die Differenz zwischen Material und Medium gesehen werden, wobei Medium für die nicht aktualisierte Form steht, also keine Eigenschaft hat, während Materialbezeichnung Eigenschaften benennen und auch eine konkrete Form implizieren.
Da ich Material beim Herstellen von Artefakten forme, muss es formbar und im festen Aggregatzustand anfassbar sein. Das Wort Material wird in der Philosophie oft synonym zu Stoff, Substanz oder Materie verwendet.(15) Es wurde schon in der antiken Philosophie oft als Träger von substanzlosen Eigenschaften bestimmt. Materialien wie etwa Bronze und Silber, oder allgemeiner wie Metalle sind in diesem Sinne Verdinglichungen (Hypostasierung) von Eigenschaften, die ich – quasi-ontologisch formuliert – am Material wahrnehme. Der Aggregatzustand ist keine Eigenschaft eines Stoffes, aber die Schmelztemperatur ist eine Eigenschaft. Ein Schwert ist nur ein Schwert, wenn die Temperatur des Materials stimmt.
Im festen Aggregatzustand hat Material immer eine Form. Das Referenzobjekt des Ausdruckes Bronze etwa kann als Barren, Klumpen, Ohrring oder Statue existieren. Ich kann beispielsweise Eisen flüssig machen, dann nimmt es die Form der Gussform an, aber eben nur insofern, als es beim Abkühlen diese Form behalten würde. Solange es flüssig ist, hat es keine Form.
Wenn ich beispielsweise beim Schreiben Tinte verwende, ist sie flüssig. Ich giesse sie aber nicht in eine Form, sondern benutze deren Eigenschaft, dass sie rasch trocknet und damit fest wird, wenn ich sie in kleinen Mengen auf Papier auftrage. Ein i-Punkt aus Tinte ist, gerade nachdem ich ihn geschrieben habe, ein noch flüssiger Tropfen auf einer Unterlage, der als abgegrenzte Menge bereits wie ein fester Körper, wie eine abgeflachte Halbkugel erscheint. Dabei verdampft die flüssigen Anteile der Tinte nicht, sie werden vom Papier aufgesogen werden. Das Beispiel zeigt, das es sehr verschiedene Übergange zwischen Aggregatszuständen gibt. Beim Herstellen von Artefakten verwende ich oft die Formbarkeit von Materialien in flüssiger oder weicher Form. Gusseisen-, Töpfereiartikel und feste Tintenkörper sind typische Beispiele dafür.
Wenn ich vom Material spreche, abstrahiere ich generell von dessen Form. Ich spreche auch von Material, wenn ich den vorübergehenden Zustand während des Formens ausser Acht lasse. Viele Materialien haben eine Verarbeitung hinter sich, sie wurden im Sinne einer Zubereitung produziert. Das ist für ihr Material-Sein aber unerheblich. Ich unterscheide einige Fälle. Metalle finde ich gemeinhin als Erze, die ich durch schmelzen trennen muss. Das getrennte oder reine Metall hat dann normalerweise eine Gussform, typischerweise als Barren. Tonerde kann ich direkt abbauen. Weil sie weich ist, kann ich sie formen und danach durch brennen, hart machen. Tinte beispielsweise ist ein hergestelltes Gemisch aus einer Flüssigkeit und Farbstoff, das selbst noch flüssig ist. In all diesen Fällen spreche ich von einem Material unter dem Gesichtspunkt, dass ich es zum Herstellen von Artefakten verwende. Wenn ich vom Herstellen abstrahiere, erscheinen mir Materialien als naturwüchsige Stoffe, die ich physikalisch oder chemisch beobachten kann, was hier aber nicht weiter interessiert.
Material, das aus einer Verarbeitung folgt, bezeichne ich als Werkstoff. Werkstoffe haben eine (Proto)-Form, die noch keinem bestimmten Gebrauch entspricht, weshalb ich auch von Halbfabrikaten spreche. Die Herstellung von Gebrauchsgegenständen ist oft in getrennte Operationen zerlegt. Das Abbauen von Erz, das Gewinnen von Metall und das Herstellen von Nadeln oder Schrauben sind zerlegte Operationen einer Herstellung von verschraubten Artefakten. Diese Protoformen, die als Werkstoffe oder Halbfabrikate verwendet werden, sind nicht „konstruiert“, sondern sozusagen materielle Urformen.
Von einem Medium spreche ich in diesem Sinn, wenn ich das Material nicht nur nicht von seiner Form unterscheide, sondern auch von dessen Materialeigenschaften abstrahiere. Wenn ich die Formseite der Unterscheidung markiere, repräsentiert die Form das Bestimmte, während das Medium das unspezifische Potential zur Formgebung darstellt. Die Form bestimmt Eigenschaften, die dem Material nicht zukommen. Wenn ich ein Messer forme, forme ich die Eigenschaft „schneidend“. Eisen schneidet nicht.
Wenn ich meinen Körper durch Diät, Bodybuilding oder Verstümmelung forme, ist der Körper Medium in verschiedenen Formen, aber dabei wird kein Material gewählt. Wenn dagegen der berühmte Genfer Arzt Frankenstein eine Kreatur herstellte, muss er sich überlegen, ob er das aus Lehm (Golem), Holz (à la Pinocchio), Puppenmaterial (im Sandmann) oder aus Teilen, die er Friedhof ausgräbt, verwenden soll. Er braucht also Material. Und wenn ich eine Prothese für ein Bein oder ein Herz herstelle, muss ich wählen unter Stahl, Plastik usw. also unter Materialien. Als Artefakte bezeichne ich Gegenstände, die auf einer Materialwahl beruhen – und ausserdem noch auffindbar sind, was bei Frankensteins Monster und dessen Variationen ja nicht der Fall zu sein scheint.
2.2 Textproduktion
Der Arbeitsgegenstand der Textproduktion ist das Material, aus welchem der Text durch formen hergestellt wird. Ich beschreibe die Entwicklung der Formgebung anhand der jeweils verwendeten Werkzeuge, die die Wahl des Materials mitbestimmen und davon abhängig sind. Auf die Entwicklung der Materialien werde ich hier nicht näher eingehen, ich werde also beispielsweise über die Entwicklung der Tinte hier nichts schreiben, sondern die Materialien nur durch ihre Verwendung charakterisieren. Das Hervorbringen und Zubereiten von farbigen Materialien, wozu auch Tinte gehört, unterliegt einer relativ zu Text eigenständige Entwicklung, die beispielsweise bereits in der Höhlenmalerei eine wichtige Funktion erfüllt hat.(16)
Auch die Entwicklung anderer Arbeitsmittel wie etwa Papier werde ich hier nicht behandeln, obwohl sie für die Entwicklung der Textproduktion von grosser Bedeutung sind. Ohne die Erfindungen von Papier und Tinte hätte sich das Schreiben, wenn überhaupt, wohl ganz anders entwickelt. Mittlerweile ist aber anhand des papierlosen Büros und des Internet auch sichtbar geworden, dass ich zum Schreiben weder Papier noch Tinte brauche, was am Anfang des Schreibens ja auch noch nicht vorhanden war.
Beim Schreiben kann ich Werkzeuge verwenden. Viele Tätigkeiten wie etwa Schneiden oder Schweissen kann ich ohne Werkzeuge gar nicht ausüben, weil ich diese Tätigkeiten gerade durch den Gebrauch von jeweilig spezifischen Werkzeugen von anderen Tätigkeiten unterscheide. Schreiben kann ich zur Not auch ohne Werkzeug, obwohl das deutsche Wort quasietymologisch auf scriban zurückgeht, was auf das Schreiben mit einem Griffel verweist.(17)
Wo immer ich Werkzeuge verwende, entwickelt sich die Tätigkeit mit der Entwicklung der Werkzeuge, die ich verwende. Die Entwicklung der Werkzeuge betrachte ich unter dem Gesichtspunkt einer Ausdifferenzierung, durch die bestimmte Aspekte der Tätigkeit aufgehoben werden. Jeder Differenzierung entspricht eine Entdifferenzierung.(18)
Da ich beim Schreiben ein Artefakt herstelle, brauche ich zwangsläufig ein Material, das ich formen kann und etwas weniger unmittelbar eine Unterlage, durch die das Artefakt getragen wird. In der noch ganz unentwickelten Form ist die Unterscheidung zwischen Textmaterial und Textträger noch aufgehoben. Wenn ich beispielsweise mit meinem Finger in den Sand schreibe, kann ich Text und Träger nicht unterscheiden. Sand ist weich genug, dass ich ohne Werkzeug schreiben kann. Allerdings ist das nicht sehr nachhaltig, eine Welle am Strand oder etwas Wind lassen den Text wieder verschwinden. Wenn ich einen Meissel verwende, kann ich härteres Material wie Holz, Stein oder Fels ritzen, was mein Schreiben nachhaltiger macht. Was geschrieben wird, soll noch eine bestimmte Zeit sichtbar vorhanden sein. Ich könnte sagen, dass der Meissel beim Schreiben den Finger ersetze, ich neige eher dazu zu sagen, dass der Finger in der Not den Meissel ersetzt, weil beim Schreiben für mich in der Nachhaltigkeit des Geschriebenen ein Sinn des Schreibens liegt. Wie auch immer, der Meissel ist ein Werkzeug, wenn er nicht ein zufällig aufgelesener Stein mit einer scharfen Kante ist. Der Meissel zeigt in einer rohen Form, was ich auch beim Schreiben ohne Meissel mache. Ich mache Striche, die ich später wieder sehen will.
Ich kann sagen, dass ich Striche mache, die mich an etwas erinnern sollen. Dann spreche ich nicht nur darüber, was ich mache, sondern auch über eine Funktion der Striche, oder allgemeiner nicht nur darüber wie, sondern darüber, warum ich schreibe. Das will ich hier noch zurückstellen, weil es mir hier um die Werkzeuge geht.
Wenn ich mit einem Meissel statt mit dem Finger schreibe, muss ich weniger drauf achten, dass mein Text erhalten bleibt. So realisiere ich, dass ich beim Schreiben auch die implizite Aufgabe erfülle, den Text aufzubewahren, und dass ich das besser oder schlechter machen kann.
In einer etwas entwickelteren Form des Schreibens variiere und kombiniere ich die Striche, so dass verschiedene Zeichenkörper entstehen. Der Meissel wird dabei zunehmend unhandlich. Ich kann aber auch beobachten, dass die Verwendung von Farben die Ausdifferenzierung von verschiedenen Zeichenkörper besser zugelassen hat. Wenn ich mit Farbe schreibe, was ich in einem engeren Sinne wiederum von Hand, also mit dem Finger machen kann, brauche ich andere Werkzeuge als den Meissel. Zuerst aber brauche ich Farbe, mit welcher ich Gegenstände herstellen kann. Als Farbe bezeichne ich in diesem Zusammenhang ein farbiges Material, das ich gut auf einer geeigneten Unterlage auftragen kann. Solange die Farbe in einem Behälter ist, ist sie leicht als dreidimensionales Material zu erkennen. Und wenn ich dieses Material in einer dünnen Schicht auf einen Träger auftrage, verliert es sein dreidimensionales Materialsein natürlich nicht.
Den Ausdruck Farbe verwende ich für zwei ganz verschiedene Sachen. Einerseits bezeichne ich das Material und andrerseits die Farbe des Materials. Eine naturwüchsige Farbe, die sich zum Schreiben eignet, ist – rotes – Blut, eine hergestellte Farbe ist beispielsweise Tinte, die auch rot sein kann. Die Variation des Farbmaterials ist nicht nur in Bezug auf die Farbe enorm. Die verschiedenen Materialien verlangen auch verschiedene Werkzeuge, die ich vorerst ganz grob als Stift oder Pinsel bezeichne.
Wenn ich Farbe als Material eines Textes verwende, braucht der Text einen Träger. Ich trenne damit den Text von seinem Träger und unterscheide deshalb, ob ich vom einen oder dem andern spreche. Schreiben mit Farbe verlangt nicht unbedingt ein Werkzeug, aber es verlangt – tautologischerweise – ein Farbmaterial, das ich forme, und einen Textträger, den ich bei Schreiben nicht willentlich verforme.
Ziemlich alte Dokumente sind Höhlen- oder Felsmalereien, bei welchen durch farbige Oxide gefärbte Tonerden verwendet wurden, die sozusagen als natürlich Farben gegeben waren. Als nachhaltige Träger solcher Artefakte erweisen sich beispielsweise die Wände der berühmten Höhle von Lascaux, die relativ trocken sind, da sie von einem Mergelhorizont gegen Wasserinfiltration abgedichtet sind, wodurch auch kein nennenswerter Kalzitüberzug entstehen kann. Dass diese „Texte“ nach mehr als tausend Jahren noch lesbar sind, ist nicht nur vom Material des Textes, sondern auch von der Beschaffenheit des Textträgers abhängig. Die Höhlenwände sind nicht hergestellt sondern naturwüchsige Textträger, die nur gewählt, nicht gemacht wurden. Die Beobachtung des Textträgers entwickelt sich, wo dieser als Kulturgut hergestellt wird, zunächst als Pergament oder Papier.
Wenn ich den Text an der Höhlenwand von Lascaux lesen will, muss ich diese Höhle besuchen. Wenn ich aber nur den Text, der dort geschrieben wurde, lesen will, kann ich auch eine Abschrift lesen. Auf diese Differenz komme ich später im Zusammenhang mit Buchdruck und Computer sehr ausführlich zurück. Zunächst will ich zwei Raumprobleme behandeln.
Das eine Raumproblem entsteht dadurch, dass der Text und der Textträger in vielen Fällen so verbunden sind, dass sie nicht getrennt werden können. In diesem Sinne ist der Textträger dann Teil einer chemischen Verbindung und damit natürlich auch verformt. In diesen Fällen kann ich den Text nur transportieren, wenn oder indem ich den Textträger transportiere. Das macht bestimmte Textträger, etwa Höhlenwände sehr unpraktisch, weil der Leser zum Text muss anstelle davon, dass der Text zum Leser kommt.
Ein zweites räumliches Problem, das ich nur erwähnen und auch später behandeln werde, besteht darin, dass ich beim Schreiben ein Textfeld erzeuge oder impliziere, in welchem ich den Text anordne. Wenn ich nur Striche an die Höhlenwand mache, muss ich sie später wieder finden, wozu ich mir deren Lage auf der Wand merken muss. Innerhalb eines Dokumentes gibt es auch Textfelder. Unterschrift deute ich in diesem Sinne als Schrift, die unten, unterhalb anderer Schrift platziert wird. Schliesslich muss ich auch Bücher in meinem Büchergestell wiederfinden.
Wenn ich Text transportieren will, muss ich in vom Träger lösen oder den Textträger transportierbar machen. Der Stein von Rosette ist ein Beispiel für gemeisselten und doch transportierbaren Text, der überdies noch andere Textkriterien sichtbar macht. Eine Form des Textträgers, die grosse Verbreitung gefunden hat, ist in der entwickelten Form Papier, das zunächst als Tierhaut, Pergament oder als Papyrus naturnähere, aber auch schon mehr oder weniger bearbeitete Formen hatte. Papier ist auch ein Beispiel dafür, dass sich nicht nur der Textträger, sondern auch dessen Produktion entwickelt.
Während die Schreibwerkzeuge eine grosse Entwicklung durchlaufen haben, hat sich beim Textträger lange Zeit nur dessen Produktion entwickelt. Papier ist als Textträger erst auf der Stufe der Computertechnik, etwa in der Idee des papierlosen Büros, aber dann vor allem durch das Internet problematisiert worden. Aber die Papierherstellung hat eine enorme Entwicklung durchlaufen.Die Herstellung von Papier war zunächst ein Handwerk, das später industriell in Maschinen aufgehoben wurde.(19)
Papier erfüllt viele Funktionen. Ich verwende Papier unter anderem zum Einpacken von Geschenken oder Tabak und beim Anzünden von Feuern, meistens für beliebige Haushalts- oder Hygienetücher. Es scheint aber - der gängigen Sage nach - vom Chinesen Ts'ai Lunals als Textträger entwickelt worden zu sein.(20) Eine wichtige Text-Funktion erfüllt Papier als Lochkarte, wobei es natürlich nicht hauptsächlich als Trägermaterial dient. Darauf werde ich später zurückkommen.
Eine interessante Verwendung hat Papier in Bezug auf das Siegel, das eine Art Mischung zwischen Einritzen und Farbeauftragen ist, die für die weitere Entwicklung des Schreibens wichtig ist. Das Siegel, bei welchem die „Tinte“ in Form von Wachs ohne bewusst hergestellte Struktur auf das Papier aufgetragen wird, wird danach durch Prägung in eine Form gebracht , was in gewisser Weise dem Einritzen eines Musters entspricht. In dieser Kombination der beiden Verfahren Farbauftragen und Einritzen erkenne ich einen Übergang zu einer entwickelteren Art des Schreibens. Es wird dabei nicht das Trägermaterial bearbeitet, aber das Textmaterial wird noch so bearbeitet, wie es mit einem Meissel passiert.
Durchgesetzt hat sich aber die Verwendung von Tinte in verschiedenen Viskositäten, was im Wesentlichen auch durch die jeweiligen Schreibwerkzeuge bestimmt wird. Tinte durchläuft natürlich auch eine Entwicklung, die aber von Auge kaum erkennbar ist, weil sie nur die chemische Zusammensetzung betrifft. Auf einem Brief, den ich mit meinem PC-Drucker ausgedruckt habe, ist kaum zu sehen, ob ich einen Laser- oder einen Inkjet-Drucker benutze. Der Text erscheint als Tinte, auch wenn ganz verschiedene Verfahren und Materialien verwendet werden.
Papier – auch in den noch nicht entwickelten Formen – erlaubt nicht nur den Transport von Text, sondern auch eine Vereinfachung des Schreibens durch entsprechende Werkzeuge. Für Tinte als Textmaterial eignen sich Pinsel. Anfänglich scheinen auch Vogelfedern als Pinsel verwendet worden zu sein. Dann merkte wohl ein praktischer Schreiber, dass der Federkiel besser geeignet ist oder anstelle von Schilfrohr eingesetzt werden kann. Der Federkiel wurde dann durch eine hergestellte „Feder“ aus Metall ersetzt, die sinnigerweise auch Feder genannt wurde.
Tinte in flüssiger Form hat ein paar Nachteile, sie tropft und schmiert. Und sie muss in einem Behälter aufbewahrt werden. In festerer Form gibt es Kreide und Bleistift. Beides ist nicht so nachhaltig wie Tinte, weil sich das Material mit dem Papier weniger stark verbindet. Bleistiftgeschriebener Text kann dafür gut radiert werden. Es gibt eine Reihe von Eigenschaften, die auf dieser Stufe noch als Vor- oder Nachteile der verschiedenen Werkzeuge gesehen werden können, weshalb es auch verschiedene dieser Werkzeuge nebeneinander gibt. Die Entwicklung hat auch Füllfederhalter, Kugelschreiber und Filzstifte hervorgebracht. Ich betrachte im Folgenden die Entwicklung der Schreibwerkzeuge, wobei mich vor allem die Tätigkeit des Schreibens interessiert.
2.3 Schreibwerkzeug
Ein paar Bemerkungen zu Schreibwerkzeugen habe ich bereits gemacht. Hier stelle ich die Entwicklung als Ganzes unter dem Gesichtspunkt dar, wie sich durch die Werkzeuge die Tätigikeit des Schreibens verändert.
Das einfachste Schreibwerkzeug ist ein Stab, mit welchem ich in leicht verformbaren Stoffen wie etwa Sand schreiben kann. Dazu muss der Stab eine bestimmte Grösse und eine bestimmte Festigkeit aufweisen. Ein typisches Beispiel für ist ein abgebrochener Zweig aus Holz. Hier interessiert mich nicht, inwiefern ein Stecken, den ich im Wald auf dem Boden gefunden habe, ein Werkzeug ist. Ich betrachte hier den Stab als hergestelltes Werkzeug, unabhängig davon, dass ich ihn funktional durch gefundene Sachen oder meinen Finger ersetzen kann.
Wenn ich ein Werkzeug verwende, muss ich es mit meiner Muskelkraft antreiben und so steuern, dass die gewollten Formen entstehen.
Wenn ich in härteren Stoffen schreiben will, muss das Werkzeug entsprechend härter sein. Ich kann etwa einen zugespitzen Stein verwenden, mit welchen ich im gewählten Stoff ritzen kann. Wenn der Stoff, in welchem ich schreibe entsprechend hart ist, kann ich das Werkzeug als Meisel verwenden, auf welchen ich mit einem zweiten Werkzeug schlage. Dieses zweite Werkzeug kann wieder ein aufgelesener Stein sein, ich spreche aber von einem hergestellten Hammer, gleichgültig wie viel ich den Hammer selbst geformt habe.
Wenn ich Meissel und Hammer verwende, kann ich von zwei Werkzeugen oder von einem zweiteiligen Werkzeug sprechen. Meine Tätigkeit verlangt nach einer zusätzlichen Koordination, weil ich mit dem Hammer den Meissel treffen muss. Ich muss beide Werkzeugteile durch Muskelkraft halten und steuern, auch wenn ich nur einen Teil des Werkzeuges antreibe. Der Meissel hat viele Formen und Namen, Beitel, Stecheisen oder Stichel. Darin zeigt sich einen Differenzierung, die ein Werkzeug betrifft. Die Hinzunahme eines Hammers zeigt eine Differenzierung, die die Verwendung des Werkzeuges betrifft. Die Entwicklung der Werkzeuge beruht zu einem grossen Teil darauf, dass verschiedene Werkzeuge kombiniert werden.
Im hier gemeinten einfachsten Fall des Schreibens mache ich einfache Markierungen, die eine bestimmte Zeit erhalten bleiben. Solche Markierungen kann ich auf naturwüchsig vorhandenen Stoffen wie Sand oder Fels anbringen. Diese Markierungen bestehen in bewusst angeordneten Vertiefungen, die ich als Striche erkenne. Ich stelle diese Markierungen her, indem ich den jeweilgen Stoff verforme und ihn so zu meinem Material mache, das ich bearbeite. Wenn ich im Sand am Strand eines Meeres Striche produziere, kann ich keinen Arbeitsgegenstand bezeichnen. Ich bearbeite dann gewissermassen die Erde als Ganzes oder den ganzen Sand des Strandes. Das Material bleibt gegenstandslos.
Dass ich hier das Herstellen von einfachsten Markierungen als Schreiben bezeichne, beruht auf der gewählten Perspektive, in welcher ich Keimformen beobachte. Von Keimformen spreche ich rekonstruktiv, von einer evolutiv späteren Stufe der Entwicklung her gesehen. Schreiben bedeutet auf allen Stufen Markierungen herzustellen. Ich werde im nächsten Kapitel ausführlicher darauf zurückkommen.
Ich weiss nicht, ob historisch Die das Gravieren von Schriftzeichen älter ist als das Verwenden von Farbe beim Herstellen der Zeichen. Das Gravieren ist logisch-genetisch oder entwicklungslogisch älter. Die Werkzeuge sind einfacher und das Material wird noch nicht in einem Gegenstand aufgehoben. Gravur schafft keinen eigenständigen Gegenstand.
In jedem Verwenden von Farbe erkenne ich eine Keimform des Schreibens. Mit Farbe stelle ich Markierungen her. Farbe wird als quasi naturwüchsiges Symbol wird hier später nochmals Thema. Wenn die Blätter der Bäume ihre Farbe ändern, kann ich das als AN-Zeichen erkennen. Wenn mein Gesicht oder das Gesicht meines Gegenübers seine Farbe aufgrund von Kälte oder Verlegenheit ändert, erkenne ich ein leicht deutbare Anzeichen. Wenn ich die Farben in meinem Gesicht mit Farbe betone, schaffe ich eine Keimform von Zeichen. Und wenn ich Farbe auf eine Höhlenwand auftrage, stelle ich Zeichen her, auch wenn ich damit noch nicht schreibe.
Das Verwenden von Farbe verlangt andere Werkezeuge als Hammer und Meissel. Ich brauche dazu Werkzeug, mit welchen ich nicht den Träger der Zeichen verforme, sondern das Farbmaterial, das ich auf den Träger auftrage, zu Zeichen forme. Weil Farbe ein Stoff ist, wird dabei ein materielle Gegenstand hergestellt, den ich im Prinzip vom Träger der Farbe unterscheiden kann. Das Verwenden von Farbe verlangt aber vor allem auch Farbe. Man kann annehmen, dass die Erfindung der Farbe gegenüber den Werkzeugen vorrangig sei(21), ich gehe davon aus, dass Farbe in ihrer naturwüchsigen Form entdeckt, nicht erfunden wurde. Aber sehr früh wurden Farben duch Mischen von verschiedenen Stoffen hergestellt. Die Farben, die ich aktuell beim Schreiben verwende, haben eine unermessliche Entwicklung hinter sich, auf die ich hier nicht eingehen will.(22)
Es gibt viele naturwüchsig farbige Stoffe, die ich auch ohne Werkzeug für Markierungen verwenden kann. Ich kann Blut mit meinem Finger auf beliegen Gegenständen auftragen.(23). Es gibt farbige Steine, die ich mosaikartig anordnen kann. Die Farben, die in der Höhlenmalerei verwendet wurden, scheinen auch weitgehend wie etwa Ocker naturwüchsig zuhanden gewesen sein. Es gibt Kalk, das sich als Kreide eignet, Kohle kann zum Zeichne verwendet werden.
Im einfachsten Fall eines Schreibwerkzeuges stelle ich einen handlichen Stift aus geeignetem Material her, etwa eine Schreibkreide. Kreide bezeichnet in diesem Fall nicht (nur oder nicht vor allem) das Material, sondern den hergestellten Gegegenstand, den ich beim Schreiben verwende. Wenn ich mit einer Kreide zeichne, hinterlässt sie kleine Partikel, die auf der beispielsweise verwendeten Schiefertafel haften bleiben und leicht wieder abgewischt werden können. Die Kreide ist ein Werkzeug, die aus dem Material bestehen, das ich mit ihr bearbeite. Mit der Kreide forme ich aber, anders als mit einem Meisel, einen Gegenstand, den ich vom Träger des Gegenstandes underscheide.
Die Kreide ist ein hergestellter Gegenstand. Andere Schreibgegenstände sind etwa Kohlestifte oder Stifte aus Blei. Die Zeichnenkohle besteht aus verkohlten Holzstäbchen, oder aus in Form eines Stiftes gepresstem Holzkohlepulver. Viele Schreibstifte wurden ursprünglich als zugespitzte Griffel aus echtem Blei verwendet. Bei Plinius dem Älteren ist überliefert, dass in der Antike auf Grund der günstigen Abriebeigenschaften des Metalls reine Bleigriffel (lateinisch stilus plumbeus) verwendet wurden.
Schreibwerkzeuge wie Kreide wurden oft mit einer Papierhülle versehen, die nicht den Zweck hatte, das Werkzeug stabiler zu machen, sondern lediglich dazu diente, die Hand vor dem Abfärben zu schützen.
Beim eigentlichen Bleistift dagegen ist das sich beim Gebrauch abnützende Material als separat hergestelte Graphitmine in einen Holzkörper gelegt, der als Werkzeug dient. Das Graphit bildet einen stiftförmigen Materialvorrat innerhalb des Werkzeuges. Das Material wird bei der Herstellung von Strichen, also dem jeweiligen Werkgegenstand verwendet.(24) Das Schreibwerkzeug, das eine Graphitmine enthält, wurde später als Minenschreiber mit einen wiederverwendbaren Mantel aus Metall und einem Mechanismus, der die Mine nachführt, stark weiterentwickelt. Dabei änderte sich aber nicht, dass das Werkzeug das Material mitgeliefert.
Die entwicklungslogisch nächste Stufe des Werkzeuges besteht in der Trennung von Material und Werkzeug, die in dr Bleistiftmine bereits angedeutet ist. Farbe wird mit einem Pinsel oder einem Spachtel aufgetragen, Tinte mit einer Feder. Das Material, das in diesen Fällen in flüssiger Form getrennt vom Werkzeug aufbewahrt wird, wird bei der Verwendung auf das Werkzeug geladen und in diesem Sinne wird das Werkzeug, mit welchem das Material geformt wird, auch für die Bereitstellung des Materials verwendet. Auch diese Werkzeuge unterliegen einer grossen Entwicklung. Beim Füllfederhalter ist der Tintenbehälter in das Werkzeug integriert, so dass die Funktionsweise in diesem Sinne dem Bleistift entspricht. Was zuerst getrennt wurde, wird wieder zusammengefügt. Durch die Praxis der Produktion wird Tinte und Farbe in vielen Variaten, etwa in Kugelschreibern oder Filzstiften in den Schreibwerkzeugen gespeichert.
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Die Feder als Pinsel, kiel usw
Anmerkungen
1) Die politische Ökonomie unterscheidet die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Als Arbeit gilt ihr, was für andere getan wird, was sich in zwei Arten der Bezahlung zeigt. Ich kann meine Produkte verkaufen oder sie gegen Lohn produzieren. Beides wird in der politischen Ökonomie als Tauschen aufgefasst. (zurück)
2) Die ökonomische Unterscheidung von Produktion und Konsumtion ruft nach einem re-entry, in welchem auf der Seite Produktion quasi konsumiert wird, was zuvor als Halbfabrikate oder Zwischenprodukte produziert wurde.
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3) Neben dem Handel hat auch die Manufaktur eine innerbetriebliche Arbeitsteilung hervorgebracht, in welcher viele Tätigkeit den CHarakter von Dienstleistungen haben, auch wenn die Manufaktur als Ganzes materielle Gegenstände produziert.
Eine sehr spezielle Dienstleistung besteht im Verleihen von Geld. (zurück)
4) Die Genmanipulation ist eine spezielle Art der Zucht. Dabei wird nicht Weizen verändert, sondern eine chemische Struktur, wodurch eine neue Pflanze hervorgebracht wird. (zurück)
5) Als Lebenswelt bezeichne ich - wie E. Husserl, aber mit gegenteiliger Perspektive -, was ich tätig - dia (in der oder durch die) Tätigkeit - erlebe und als Erfahrung noch vor jeder Erklärung zur Sprache bringe, wenn ich darüber spreche, was ich gemacht habe oder wo ich gewesen bin. Die Lebenswelt ist im Mesobereich zwischen Mirko- und Makrokosmos, im Mesobereich zwischen Geist (Bewusstsein) und Gesellschaft.
F. Heider hat in seiner Gestalttheorieeine Lebenswelt dadurch definiert, dass er verschiedene Spähren unterschieden hat. Als Mesospähre bezeichnet er die Welt der Gegenstände, die unserer Grössenordnung haben, in welcher Atome und Gestirne eine Rolle spielen. Zur Beschreibung der Mikro- und der Makrospähre haben wir sehr wenige - mathematisch-abstrakte - Begriffe. "Die kleinen Molekülsprünge sind in ihrer Eigenart für uns unwichtig. Was für uns wichtig ist, baut sich irgendwie über diese kleinen Teilchen auf, es sind grössere Einheiten. Und über diese grösseren Einheiten müssen wir noch etwas Näheres erfahren." (zurück)
6) Als Hervorbringen (auch schöpfen oder schaffen) bezeichne ich eine eigenwillige Hypostasierung von Prozessen, die ich nicht als Herstellen bezeichnen kann, weil deren Produkte keine Gegenstandsbedeutung haben.
Einen Baum oder ein Kind kann ich - entgegen einer Redeweise, die nicht immer als solche erkannt wird - nicht machen, also nicht herstellen. Ich kann auch keinen Lärm und keinen Strom machen. Ich kann etwas tun, dass Lärm entsteht oder Strom fliesst, so wie ich einen Baum pflanzen oder die gute Hoffnung begründen kann.
H. Maturana hat vorgeschlagen, von einer Autopoiese zu sprechen: Ein Lebewesen stellt sich selbst her. Dieser Vorschlag beruht auf einem Missverständnis der aristotelischen Poiesis. Oft ist auch von Selbstorganisation die Rede. (zurück)
7) Der Ausdruck Form wird - metaphorisch - sehr viel vielfältig verwendet. Oft wird Form auch für Struktur verwendet: Struktur erscheint dann als abstrakte, nichtsinnliche Form. Ein Signal hat kein Form, sondern nur Struktur, die sich etwa mit einem Oszilographen einer Form zuordnen lässt. Umgekehrt hat der Zeichenkörper eine Form, mit welcher ein Signal strukturiert wird.
Umgangssprachlich wird Form zur Bezeichnung von Varianten in Bezug auf spezifische Eigenschaften verwendet. Ich spreche etwa von Herrschaftsformen und meine damit, dass ich verschiedene Arten der Herrschaft unterscheide, und die je bezeichneten Arten, etwa Monarchie als Formen bezeichne. In diesem Sinne spreche ich auch von Wertformen oder mehr oder weniger höflichen Umgangsformen. (zurück)
8) Unter dem Gesichtspunkt von Material ist die ursprüngliche Bedeutung des Ausdruckes Holz interessant: Holz ist - pseudoetymologisch - abgeleitet vom indogermanischen *kel-, für schlagen‘: ‚Abgeschnittenes‘, ‚Gespaltenes‘, ‚schlagbares Holz‘, also von verwendetem Material.
Erst später wurde Holz für das harte Gewebe der Sprossachsen (Stamm, Äste und Zweige) von Bäumen und Sträuchern verwendet. (DWDS) (zurück)
9) Das ist eine verkürzte Redeweise für: Ich verwende den Stein beim Erfüllen einer Funktion. (zurück)
10) Funktion steht nicht für Aufgabe/Auftrag oder Ziel, sondern für eine Operation, im Beispiel für Wasser zuführen - egal wie und egal wozu. Von Funktion spreche ich, wenn ich die gemeinte Verknüpfung nicht konstruktiv als Operation beschreibe(n kann). Operationen kann ich maschinell ausführen. (zurück)
11) Umgangssprachlich bis tief in die Philosophie hinein wird Zweck und Funktion oft gleichgesetzt oder verwechselt. "... es laufen die Hasen umher, damit der Mensch, die Krone der Schöpfung, gespickten Hasenrücken mit Sahnesauce essen kann ..." "Was dem Zweckbegriff sprachlich zugrunde liegt, das ist immer der Widersinn der finalen Ursache, die menschliche Vorstellung von einem Ende, nach welchem der Anfang sich richtet." (F. Mauthner: Zweck) (zurück)
12) Inwiefern ich in einer Umwelt, in welcher noch keine Werkzeuge existieren, überhaupt überleben könnte, spielt hier keine Rolle. Ich kann in der hochentwickelten Gesellschaft, in welcher ich lebe, immer noch ganz leicht Steine und Lehm finden und so logisch-gentische Anfänge praktisch rekonstruieren. (zurück)
13) Darin, dass ich den Werkzeugen die zentrale Bedeutung zurechne, sehe ich eine Zweck-Mittel-Verschiebung, die ich in der ganzen Produktion erkenne. (zurück)
14) Ich bezeichne meinen Materialismus in Anlehnung an K. Marx als „historischen Materialismus“, in welchem ich als Subjekt und meine Tätigkeit im Zentrum steht. Mit historisch bezeichne ich dabei einerseits eine Abgrenzung zu einem naturwissenschaftlichen Materieverständnis und andrerseits, dass jede artefaktische Formgebung Teil eines Prozesses ist, der sich als Produktion historisch entwickelt. Den Produktionsprozess beschreibe ich einerseits als Entwicklung der Produktionsmittel und andrerseits als Differenzierung in Bezug auf mich als tätiges Subjekt. Schreiben als Textherstellung ist ein exemplarisches Thema dafür. (zurück)
15) Materie ist ein philosophisches Konzept, für welches die Philosophen auch Urstoff und Substanz verwenden, weil sie ohnehin nicht wissen, was sie bezeichnen. Wo Material auch kein Begriff ist, wird Materie oft auch synonym dazu verwendet. Schliesslich hat A. Einstein Materie in der Energie aufgehoben, aber natürlich ist auch das nur Philosophie. Im praktischen Leben und in diesem Text spielt Materie keine Rolle, ich brauche das Wort nicht. (zurück)
16) Farbe wurde auch sehr früh in Form von Schminke ausgesprochen sysmbolisch verwendet. Hier interessiert Schminke als Farbe, die als Symbol verwendet wird, worin ich ein Keimform von Tetxt erkenne. (zurück)
17) Das althochdeutsche Wort scriban wurde als Tätigkeitsbezeichnung eingeführt, als mit dem Griffel bereits ein Werkzeug benutzt wurde. Das sagt weniger über das Schreiben aus als darüber, wann eine bestimmte Tätigkeit als solche wahrgenommen wird. (zurück)
18) Unter funktionalen Gesichtspunkten entspricht beispielsweise die Ausdifferenzierung von pädagogischen Berufen einer Aufhebung von elterlichen Funktionen. Seit es Lehrer gibt, müssen die Eltern ihre Kinder in den entsprechenden Disziplinen nicht mehr belehren. (zurück)
19) Ich selbst habe mich beruflich eine Zeitlang mit der Konstruktion von Pulpern beschäftigt, das sind Maschinen, die in der Paierproduktion eingesetzt werden. (zurück)
20)
Papier wurde ursprünglich in China während der Han-Dynastie (um 105 v. Chr.) erfunden. Der Erfinder war Ts'ai Lun, ein hoher Beamter am chinesischen Kaiserhof. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem Fasern aus Hanf, Bast und Baumrinde gemischt und dann gekocht wurden, um ein faseriges Material zu erzeugen, das auf ein Sieb gelegt und getrocknet wurde. Es wurde in der Verwaltung verwendet, um Texte dauerhaft festzuhalten. Dies war eine bedeutende Verbesserung gegenüber früheren Schriftträgern wie Papyrus, Tierhäuten und Steinen, die teurer oder weniger praktisch waren.
Jenseits solcher Sagen ist auch die Herstellung von Filzen als Stoffe, lange bevor das Weben von Faden erfunden wurde.
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21) In den Geschichten der Produktivkraftentwicklung schreiben viele Autoren, dass die Entdeckung der Kohle als Brennstoff entscheidend war und die Dampfmaschine nur eine logische Folge davon. (zurück)
22) Im Hochmittelalter entwickelten Kunstmaler ihr Material (Übergang von Tempera- zur Ölmalerei) und im 19. Jhd. entwickelte sich die industrielle Chemie in der Farbproduktion für Konsumgüter (Lack) (zurück)
23) Das Motiv wird in vielen Erzählungen und Filmen verwendet. (zurück)
24) Das Graphitvorkommen, das 1564 in Borrowdale entdeckt und damals für Bleierz gehalten wurde, hatte an der Verbreitung des Bleistiftes massgeblichen Anteil. Auch in dieser Darstellung wird die Erfindung eines Werkzeuges aus die Entdeckung eines Stoffes zurückgeführt.
Der Erfolg des Bleistifts wird oft auch auf den Preiszerfall von Papier zurückgeführt, was zwar den Bleistift nicht direkt betrifft, aber auch einem Material den Vorragng gibt.. (zurück)
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