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Zentrum für
  sensitive
 Wahrnehmung

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Ich schreibe - mittlerweile seit ein paar Jahren - an einem Buch. Ich benutze dazu einen Blog.

Vordergründig geht es in diesem Text um eine Technikgeschichte am Beispiel der Textproduktion. Mich interessiert jedoch vor allem die Explikation einer Theorie, in welcher Schrift und Sprache im Kontext der Werkzeugherstellung stehen.

Hier steht der bisherige Text - nicht wie im Blog - in linearer Form, wie er als Buch erscheinen soll.

Das im Blog mitbehandelte Theorie-Buch wird ein eigenes Buch.

zum Blog

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Rolf Todesco

Schrift-Sprache

Erläuterungen im Blog (Klappentext)

https://schriftsprache.wordpress.com/2024/04/03/uber-diesen-blog-alte-version/
Dieses Blog-Vorwort gehört nicht zum gemeinten Buch, sondern betrifft den Blog. Das eigentliche Vorwort mag dann Aspekte dieser Erwägungen enthalten, aber vorderhand entwickle ich den Buchtext hier im Blog.
bildDieser Blog ist ein kleines Experiment ohne Hypothesen – ich versuche den Blog als Textsystem zu verwenden, um ein Buch zu schreiben, wobei ich (aktuell) noch keine Ahnung habe, wie das gehen soll. Die generelle Idee ist, dass geneigte Leser nicht erst das fertige Buch, sondern dessen Entstehung sehen könn(t)en – und was noch wichtiger ist, dass sie Einfluss nehmen könn(t)en – auch dazu weiss ich jetzt noch nicht, wie das im Blog aussehen soll. Mal sehen, ob das etwas werden kann …
bildZum Inhalt des Buches habe ich schon eine Ahnung, aber natürlich geht es um eine allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. Das Thema ist nicht die Schriftsprache, sondern Schrift und Sprache als Handlungszusammenhänge einer produktiven Aneignung.
bildIch habe aktuell keinen Plot und weiss deshalb nicht, wie sich die Darstellung entwickelt, es könnte chaotisch werden. Und vor allem weiss ich auch nicht, wie allfällige Textumstellungen in der vorliegenden Produktion sich auswirken – es ist für mich ein Experiment, das seinen Sinn in einer Öffentlichkeit hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich solcher Sinn einstellen würde. Ich ahne allerdings vor allem Komplikationen, weil ich auch thematisches Neuland betrete und dabei sehr subjektorientierte Theorien im Kopf habe. Ich kann mir aber vorstellen, dass das Thema in verschiedenen Blogs parallel bearbeitet wird. Im Dialog suche ich Vielfalt, nicht monologische Wirklichkeit.
bildIch weiss also nicht, wie das Ganze je aussehen soll, aber in Bezug auf die Form der Formulierung habe ich Vorstellungen, die ich als Dialogregeln bezeichne. Ich schreibe in “ich”-Form und lese – als Leser – wie es jeder Leser tun kann, das ich als “ich”, also nicht als Referenz auf einen Autor, der über sich spricht. Wenn ich als Leser das "ich" im hier gemeinten Sinne ernst nehme, erwäge ich, welche Aussagen ich mache und welche ich nicht mache, weil ich lieber andere Formulierungen verwende, was ich dann – vielleicht in einem anderen Blog ? – auch wirklich mache.
bildIch habe noch keine Vorstellung davon, wie diese Entstehungsgeschichte mitverfolgt werden könnte, weil ich sicher dann und wann bereits Geschriebenes umschreibe. Die Kapitel – sofern es welche geben wird – werden in der Reihenfolge sicher durch Links aufgehoben. Ich bezeichne so verlinkte Texte als Hyperbuch, ohne dazu klare Vorstellungen zu haben.
Ich versuche anhand einer Protokollierung etwas Geschichte zu dieser Geschichte zu schreiben. Vielleicht kommen ja auch Ideen von anderen Menschen, auch dazu, wie Kommentare zu verwalten wären. Schliesslich kann ich mir auch vorstellen, dass andere Autoren sich am Blog beteiligen, auch wenn ich auch dazu noch keine Vorstellungen habe.
bildAlle Leser sind herzlich eingeladen auf jede erdenkliche Weise zu kollaborieren, nicht nur in Bezug auf den Inhalt (oder die Inhalte), sondern auch in Bezug auf die Form und die Darstellung (oder die Formen und die Darstellungen).
Um eine minimale Übersicht zu halten, werde ich die einzelnen Seiten mit dem Update-Datum versehen, ich weiss nicht, ob das irgendwas helfen wird.
 


Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1
Prolog
Einleitung

Teil 1: Schreiben als herstellende Tätigkeit

1 Text herstellen 12
2 Textproduktionsmittel 19
   2.1 Produktion
   2.2 Textproduktion
   2.3 Schreibwerkzeug
   
3 Die Aufhebung des Handwerks
 
 
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Epilog (ein sehr persönliches Vorwort)
Literaturverzeichnis 44

Seitenzahlen sind hier als Grössenangaben gedacht, weil es hier ja keine Seiten gibt.
 



 

Vorwort   bild

Der vorliegende Text repräsentiert einen Teil eines dialogischen Projektes, in welchem es mir darum geht, mir mein Sprechen bewusst zu machen, indem ich reflektiere, wie ich welche Wörter verwende. Ich bezeichne das Verfahren als Hyperkommunikation. Nachdem ich einen exemplarischen Text über Geld geschrieben habe,(1) ist mir bewusst geworden, dass ich darin zwar ein paar Bemerkungen zur meiner Theorie gemacht habe, dass ich aber meine Theorie nie systematisch be(ob)achtet habe. Das will ich als Teil des Projektes nachholen.

Um die Selbstbezüglichkeit meines Sprechens über das Sprechen und das Schreiben etwas aufzubrechen, beschloss ich zwei Texte schreiben. Ich schreibe einen Text über das Schreiben, in welchem ich einerseits das Schreiben als Tätigkeit beobachte, und über die Entwicklung dieser Tätigkeit schreibe. Dieser hier vorliegende Text trägt den Titel „Schrift-Sprache“ und ist als konventionelles Sachbuch gedacht. Im zweiten – quasi komplementären – Text beobachte ich die Kategorien, die ich verwende, wenn ich – was ich hier tue – über das Schreiben schreibe. Diese dialogische Reflexion begreife ich als Theorie, die ihrerseits reflektiert werden kann. Ich bezeichne dieses Unterfangen als Theorietheorie, weil ich mir dabei meine Theorie als Theorie bewusst machen will. In dieser Perspektive erscheint dieses Schrift-Sprache-Buch als exemplarischer Text für meine (je) eigene Theorie, die ich in diesem Buch – was gewissermassen der Zweck dieses Buches ist – erkennen kann. Ich bezeichne letzteres als Beobachtung 2. Ordnung, weil ich dabei mein Beobachten beobachte. Natürlich ist jede Beobachtung 2. Ordnung auch eine Beschreibung einer Sache und in diesem Sinn eine Beobachtung 1. Ordnung. Darüber schreibe ich im anderen Text, der Theorie der Theorie heisst mehr.

Den vorliegenden Text habe ich in vielen Teilen in einem Internet-Blog geschrieben,(2) den ich anfangs 2015 als Experiment gestartet habe. Ich habe dabei meinen im Internet vernetzten Computer verwendet und den Text so an einem mir unbekannten Ort auf einen Harddisk kopiert, wo er durch die Blogsoftware von allen Internetbenutzern - immer noch - gesehen werden kann. Dieser Blog dient mir auch als Dokumentation meines Projektes, in welcher ich neben dem Buchtext auch Erläuterungen zum Text und dessen Ordnung festgehalten habe. Was hier als im Nachhinein geschriebenes Vorwort erscheint, ist dort als anfängliches Konzept zu lesen, das ich mehrfach aufgehoben habe. Schreiben erscheint dabei vor allem auch als ein Weglassen von Aufgehobenem.

In den damals geschriebenen "Vorworten" befasse ich mich neben der konzeptionellen Planung des Textaufbaues auch mit meinen Gründen und Motivationen. Einen Teil davon, der den Rahmen eines Vorwortes sprengt, füge ich als Epilog im Anhang an. Hier will ich nur einen Aspekt hervorheben, der mit dem speziellen Charakter dieses Buches zusammen hängt. Ich schreibe in diesem Buch nichts, was nicht jeder schon weiss. Man kann also - anders als in anderen Sachbüchern - über die Sache nichts lernen, ausser dass man diese Sache auch so darstellen oder beobachten kann. Ich schreibe das Buch dazu, dass ich mein Beobachten beobachten kann. Die gemeinte Sache, nämlich das Schreiben und die Kontexte des Schreibens kennt jeder, der dieses Buch lesen kann, aus eigener Erfahrung. Wer sich also nur für die Sache interessiert, wird dieses Buch kaum lesen (wollen).

Und wer sich nur für seine je eigene Theorie interessiert, müsste dieses Buch - dessen Sache er ja kennt - selbst schreiben, weil dieses Buch ja meiner je eigenen Theorie geschuldet ist. In diesem Buch beschreibe ich das Schreiben in einem materiellen Sinn als herstellende Tätigkeit. Dabei verletze ich wohl ein paar konventionelle Erwartungen, weil es mir um die gegenständliche Herstellung von Texten, also nicht um deren Inhalt geht.

Anmerkungen

(1) Todesco, Rolf: Geld. CreateSpace Independent Publishing Platform; (4. August 2016, Amazon), ISBN-10: 1535554452.   (zurück)

(2) Blog Schrift-Sprache. Ich danke an dieser Stelle meinen Blog-Kommentatoren, die dieses Buch in gewisser Weise mitgeschrieben haben, was im Buch unter dem Aspekt einer Kollaboration auch Thema sein wird.   (zurück)



 

Prolog   bild

In einem Buch von B. Brecht fragt ein Handwerker: „Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“(1)

Ich frage mich: Wer hat die Bücher von B. Brecht geschrieben? Hat B. Brecht Tinte und Papier selbst herbeigeschleppt? Hat er seine Manuskripte selbst abgetippt? Hat er den Bleisatz selbst gesetzt und die Bücher, auf welchen sein Name steht, selbst gebunden?(2)

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Anmerkungen

1) Brecht, Bertold: Fragen eines lesenden Arbeiters.   (zurück)

2) P. Weiss beschreibt in seinem Roman "Die Ästhetik des Widerstands" sehr ausführlich, wie B. Brecht andere Menschen quasi als Arbeiter in seiner literarischen Fabrik für sich recherchieren und texten liess. Aber auch dort geht es nicht um die hier gemeinte Herstellung von Text.   (zurück)
 

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Bildquelle: Wikipedia


 

Einleitung   bild

Dieses Buch lässt sich der Sache nach schwer in bestehende Genres einordnen. Es ist in gewisser Hinsicht ein Buch über Schrift und Sprache, aber es schliesst in keiner Weise an sprachwissenschaftliche oder sprachphilosophische Überlegungen an. Ich beobachte das Schreiben. Mich interessiert dabei aber weder wer warum was schreibt, noch irgendeine lern- oder motivationspsychologische Interpretation der Schreibenden oder des Geschriebenen, mich interessiert das Schreiben als materielle Produktion von Text, also die gegen­ständliche Herstellung von Text, deren Anfang ich als handwerkliches Tun begreife.

Gemeinhin wird Schreiben als Mitteilen, nicht als Herstellen von Gegenständen aufgefasst. N. Luhmann hat F. Kittler einmal vorgeworfen, dass er sich nicht für den Inhalt von Texten, sondern für deren Textsein interessiere. F. Kittler hat geantwortet, dass es ohne Texte auch keine Inhalte geben würde. Und ich füge an, dass es keine Texte geben würde, wenn sie nicht materiell hergestellt worden wären.

Wenn ich jemandem einen Brief schreibe, will ich ihm normalerweise etwas mitteilen. Wenn ich dagegen ein Computerprogramm schreibe, geht es mir primär darum, mit dem Text den Computer zu steuern und nur sekundär darum, dass der Text auch in einem konventionellen Sinn gelesen werden kann. Programmiersprachen sind keine Sprachen, mit einem Computer spreche ich nicht. Aber Programme sind hergestellte Texte, die einen Zweck haben.(1)

Wer beispielsweise eine Brücke baut, muss wissen, wie er sie bauen muss, damit sie ihren Zweck erfüllen kann. Und wer einen Text herstellt, muss wissen, wie er den Text herstellen muss. Brücken können sehr verschieden, mit sehr verschiedenen Materialien und Werkzeugen hergestellt werden. Texte auch. Wenn ich einen Text herstelle, muss ich Material und Werkzeug wählen. Ich kann beispielsweise mit einem Bleistift auf Papier schreiben, wenn ich schreiben kann und Papier und Bleistift habe. Es gibt aber auch entwickeltere Produktionsmittel als Papier und Bleistift.

J. Derrida schreibt in seinem Text „Maschinen Papier“, dass der Wortteil "tithemi" in "biblio-theke" auf das Setzen, Stellen, Legen hinweise, also darauf, etwas einer stabilisierenden Unbeweglichkeit anzuvertrauen, und dass "biblion" nicht nur oder zuerst Buch heisse, sondern die materielle Unterlage bezeichne, auf die geschrieben wird, also auch die Papyrusrolle. Der Textträger muss den Text tragen können, er muss hinreichen gross und hinreichend stabil sein. Aber natürlich braucht auch der Text selbst eine hinreichende Festigkeit, damit er auf ein Papier gesetzt werden kann.

Ich weiss nicht, ob Sie als Leser diesen Text in einem Buch oder auf dem Bildschirm eines e-books lesen. In beiden Fällen lesen Sie einen Text, der mit­tels viel Technik her- und vor Ihre Augen gestellt wurde. Wenn Sie ein Buch vor sich haben, wurde es mit komplizierten Maschinen gedruckt und gebunden. Wenn Ihr Text auf einem Bild­schirm erscheint, steht hinter dem Bildschirm ein Computer, also eine sehr komplizierte Maschine, und vielleicht sogar das Internet. In bei­den Fällen inte­ressieren Sie sich vielleicht nicht so sehr dafür, mit welcher Technik der Text vor Ihren Augen herge­stellt wurde, sondern mehr für das, was Sie le­sen. Der Text, den Sie hier lesen, behandelt die Her­stel­lung von Text, also auch die Herstellung des konkreten Textes vor Ihren Augen. Dabei geht es aber nicht um eine irgendwie gedankliche Her­stel­lung des Inhaltes, sondern um die Herstellung des materiellen Gegenstandes, den Sie beim Lesen sehen. Es geht um die Herstellung der Schriftzeichen.

Ich habe den vorliegenden Text ursprünglich in einem Internet-Blog geschrie­ben, also auch beim Schreiben im Vergleich zum Bleistift eine sehr hochent­wickelte Technik verwendet.(2) Normalerweise beschäftige ich mich auch beim Schreiben viel mehr damit, was ich schreibe, als damit, welche Werkzeuge ich dabei verwende. bild Dass ich beim Schreiben meistens einen Computer verwende, fällt mir kaum je auf, wenigstens so lange er funktioniert. Aber auch ein Bleistift in meiner Hand wird mir skriptornormalerweise erst richtig be­wusst, wenn beispielswei­se dessen Mine bricht. Technik wird mir in diesem Sinne meistens nur als kaputte oder als nicht wunsch­gemäss funktionie­rende Technik bewusst. Ich kann mich aber noch sehr gut daran erin­nern, wann und wo ich zum ersten Mal mit einem Computer geschrieben ha­be. Die damals für mich ganz neue Technik hat mich so sehr be­schäftigt, dass ich fast vergessen habe, was ich mittels dieser Technik schreiben wollte. Die Technik hat aber meine bewusste Auf­merk­sam­keit wieder verloren, so­bald ich damit umgehen konnte. So habe ich auch mein anfängliches Schreiben mit dem Bleistift in Erinnerung. Das Hand­haben des Bleistifts selbst machte mir sehr rasch viel weniger Kopf­zer­brechen als das richtige Her­stellen und An­ordnen der Schrift­zei­chen. Erst zurückbli­ckend erkenne ich, dass das eigentli­che Schreiben von Hand unter handwerkli­chen Ge­sichts­punkten an­spruchsvoller ist, als das Schrei­ben mit einer Maschi­ne. Umgekehrt aber muss ich natürlich sehr viel mehr wissen, wenn ich statt mit einem Bleistift mit einer Blogsoftware schreiben will. Und ich muss dazu nicht nur mehr wissen, sondern vor allem auch viel mehr besitzen. Ich brauche einen im Internet ver­netzten und stromversorgten Computer, also eine unglaublich mächtige Infrastruktur, in welcher ich die grösste Maschine der Welt erkenne.

Das Textherstellen ist eine Tätigkeit, die ich wie keine andere Tätigkeit sonst auf den verschiedenen Stufen ihrer technologischen Entwicklung selbst ausübe und deshalb in einem spezifischen Sinn erkenne. Ich be­nutze auch heute noch Bleistifte zum Schreiben, aber ich stelle auch Texte im Internet her, die ich manch­mal sogar zu Büchern mache. Dieses Herstellen und dessen technische Entwicklung werde ich in diesem Buch beschreiben. Der Text, den Sie jetzt lesend vor Ihren Augen haben, ist in jedem Fall ein maschinell her­ge­stellter Gegenstand. Wenn Sie den Text in einem eigentlichen Buch auf Papier lesen, ist er keine Kopie, sondern ein Warenexemplar, weil es bei sol­chen Texten kein Original gibt. Von einem gedruckten Buch gibt es so wenig ein Original wie etwa vom Fiat Panda oder vom IBM PC. Eine Kopie wäre der Text nur, wenn Sie eine Abschrift oder eine Fotokopie in den Händen hätten.

Wenn Sie diesen Text in einem Buch aus Papier lesen, habe ich den Text und das Buch in dem Sinne selbst hergestellt, als bei der Herstellung dieses Buches keine anderen Menschen Hand anlegen mussten. Ich habe bei der Herstellung des Textes und des Buches eine Maschinerie verwendet, die als Teil des Inter­nets – wo auch immer – in der Welt steht und die ich von meinem Computer aus fernbedient habe, ohne diese Ma­schine je gesehen zu haben. An diesem Buch haben keine Data­typistin, kein Schrift­setzer, kein Drucker und kein Buchbinder gearbeitet. Ich ha­be alles selbst ge­macht, ob­wohl ich dazu nur von ferne eine Ma­schi­nerie bedient habe, die nicht mir gehört und zu de­ren Herstellung ich gar nichts beige­tragen habe. Ich habe mit dieser Maschinerie den konkreten mate­riellen Text und den materiellen Textträger, den Sie aktu­ell als Buch in Ihren Händen haben, produziert.

Natürlich hätten Sie kein Buch in den Händen, wenn nicht viele Arbeitende Tinte, Papier und Leim herbeigeschleppt hätten, und wenn nicht davor jemand all das Material abgebaut und bearbeitet hätte, das in dem internetvernetzen Buch­herstellungsautomaten und all den auch automatischen Verpackungs- und Aus­lieferungswerkzeugen steckt. Und schliesslich mussten Sie das Buch selbst in Ihre Hän­de nehmen, um den Textes zu sehen. Dass Sie den Text jetzt lesen können, hat also sehr viele Voraussetzun­gen, die ich in gewisser Weise aus­blende, wenn ich sage, dass ich den Text in der Ihnen vorliegenden materiellen Version selbst hergestellt habe, während andere Menschen nur allerlei Maschi­nen und Materialien hergestellt haben, die ich beim Schreiben und Herstellen des Buches verwendet habe.

Ich werde in diesem Buch auch darüber schreiben, inwiefern diese Auffassung von Textherstellen auch für Texte am Bildschirm sinnvoll ist. Hier will ich noch­mals die sprachliche Differenz zwischen Text und Textinhalt hervorheben. Das, was ich herstelle, ist der materielle Zeichenkörper. Diese graphischen Artefakte sind nur Text, wenn ich sie in den Handlungszusammenhängen Schrift oder Sprache beobachte. Dass ich oder Sie in der Anordnung der Tinte Symbole erkennen, dass diese Zei­chen­körper als Symbole für etwas Gemeintes fungieren, kann ich nicht her­stel­len. Ich kann praktisch kaum beeinflussen, dass andere Menschen die Sym­bole als Symbole erkennen und wie sie diese inter­pretie­ren. Wenn ich hier von Textherstellen spreche, meine ich nicht den Inhalt des Tex­tes, sondern beispielsweise die auf Papier aufgetragenen Gegenstände aus Tinte, die in den Augen der geneigten Lesern Buchstaben und Wörter repräsen­tieren.

Die Buchstaben aber und mithin die so gemeinten Texte sind materielle Gegen­stände. Die Herstellung solcher Gegenstände unterliegt einer technolo­gischen Entwicklung, in welcher ursprüngliche Handarbeit durch Mechanisierung und Automatisierung aufgehoben wird. Geschrieben wird wohl seit es Menschen gibt, auch wenn Schrift oft als relativ junge Erfindung datiert wird. Ich kann nicht sehen, dass sich die Menschen bezüglich dem, wie sie beschreiben, wesentlich entwickelt haben. Ich kenne niemanden, der besser (be)schreibt als Homer. Aber die Werk­zeuge, die ich beim Herstellen von Text verwende, haben eine enorme Entwicklung hin­ter sich. Das kollaborative Herstellen von Büchern im Internet unter Verwendung von Maschinen wie ChatGPT sehe ich als aktuell letzte Stufe dieser Entwicklung, durch welche sich auch immer wie­der verändert hat, was ich überhaupt als Schrei­ben begreife und dem Prozess des Schrei­bens zurechne.

Die technologische Entwicklung betrifft nicht nur die Schreibwerkzeuge im en­geren Sinne, sondern insbesondere auch den Text als Artefakt, den Textträger und die Organisation der Textproduktion. Das Schreiben im Internet lässt mich das Umfeld des ursprünglichen Schreibens wie etwa den Briefver­sand oder Bibliotheken neu sehen. In diesem Sinn be­schrei­be ich die Evolution der Textproduktion durch die Kategorien, die ich anhand der modernen Technik entwickelt habe.(3) Der Ausdruck Schreiben, der ursprünglich wohl für das handwerkliche Herstellen von Text gestanden hat, hat durch diese Entwicklung sehr verschiedene Referenzobjekte bekommen. Als Schreiben bezeichne ich die Textproduktion, die von einer Bleistiftnotiz bis zur Herstellung von gebundenen Büchern oder Webseiten reicht.

Da ich den vorliegenden Text in einem Internet-Blog geschrieben habe, vervielfältigt sich der Text auf eine unüber­seh­bare Weise. Zunächst entsteht eine flüchtige Version des Textes im sogenannten Arbeitsspeicher meines Computers und ein Abbild davon auf meinen Bildschirm. Wenn ich den Button „Veröffentlichen“ anklicke, wird der Text auf den Blog-Server kopiert, von wo er dann auch via Internet auf die Bildschirme der Lesenden kopiert wird. Es gibt also während des Schreibens jeweils viele, teilweise flüchtige und teilweise stabiler gespeicherte Kopien des Textes, ohne dass ich sagen könnte, was ich als Original bezeichnen würde. Wenn ich Texte im Blog publiziert habe, mache ich sicherheitshalber auch eine Kopie auf dem Disk meines Computers, die ich dann als Quasi-Original betrachte, aber im Hinblick auf das schliesslich zu produzierende Buch bezeichne ich diesen Text metaphorisch auch als mein Manuskript, aus welchem das Original, das ich dann im gedruckten Buch wieder nicht sehe, erst entstehen soll. Mit dem Ausdruck Manuskript verweise ich darauf, dass ich mir Schreiben immer noch als Handarbeit vorstellen kann, obwohl ich die Blogsoftware und meinen Computer benutze.

Mit diesem Buch mache ich mir auch bewusst, was ich als Buch bezeichne. Eigentliche Bücher werden nicht ge­schrie­ben, sondern beispielsweise aus bedrucktem Papier gebunden. Was im Buch geschrieben steht, ist für dessen Buchsein unerheblich, beliebig und gleichgültig. Dass ich ein Buch in den Händen habe, sehe ich lange vor jedem Wort in diesem Buch. Wenn ich sage, dass ich ein Buch geschrieben habe, sage ich eigentlich, dass ich den Text eines Buches geschrieben habe. Als Text ist mein Werkstück zu jeder Zeit eine linear angeordnete Menge von Buchstaben, was mit einem Buch zunächst gar nichts zu tun hat. Das Herstellen des Textes besteht nicht nur im Anfügen weiterer Zeichen, sondern auch in einem fortgesetzten Umformen des bereits vorhandenen Textes. Solange ich an einem Text schreibe, verändert sich nicht nur dessen Länge, sondern auch dessen Struktur. Der einfachste Fall der nachträglichen Umformung besteht wohl darin, dass ich beim Wiederlesen einen Tippfehler korrigiere.

Natürlich kann man sich fragen, was in einem gegebenen Buch steht. Ich kann das Buch aber auch als Buch anschauen, ohne mich um dessen Inhalt zu kümmern. In einem entsprechenden Buch finde ich dann einen Text, der in einem bestimmten Zustand konserviert oder eingefroren ist. Im Buch ist das Schreiben als Tätigkeit aufgehoben. Ein Buch zu machen, heisst den Prozess des Schreibens abzubrechen. Solange ich am Schreiben bin, verändere ich den Text, ich füge weitere Zeichen an und setze Textteile ein, die ich auf meinem Computer bereits früher gespeichert habe. Den dabei entstehenden Text überarbeite ich laufend. Ich füge vieles ein, verändere die Position von Sätzen und Abschnitten und lasse auch vieles wieder weg. In diesem Überarbeiten von Text sehe ich einen wesentlichen Teil des Schreibens, den ich auch bei vielen anderen herstellenden Tätigkeiten erkennen kann. Es geht mir dabei um die allmähliche Verfertigung meiner Gedanken beim Schreiben, die sozusagen zunächst im Kopf stattfindet, wenn ich den ersten Entwurf herstelle, die danach aber vor meinen Augen passiert. Schreiben bedeutet in diesem Sinne den Text solange umzustellen, bis er mir passt. Jedes solche Passen ist situativ und je aktuell. Zu einem späteren Zeitpunkt würde ich den Text wieder verändern, weil ich ihn neu sehen würde, respektive weil sich mein Sehen weiterentwickelt hat, während der Text derselbe geblieben ist. Es gibt ja auch im Zeitpunkt des ersten Entstehens eines Textes bereits verschiedene Interpretationen. Dies zu erkennen fällt mir leichter, wenn ich meine Entwürfe im Blog schreibe, weil ich dann in den Kommentaren andere Interpretationen quasi noch beim Schreiben bekomme.

Die Produktion von Text passiert - nicht nur im Blog - als Produktion von Texten, die einen je bestimmten Umfang haben und so als relativ eigenständige Texte erscheinen, beispielsweise als Briefe eines Briefwechsels oder als Buch unter Büchern. Zu einem Buch mache ich einen Text in einem beliebigen Zeitpunkt, in welchem mir der Text hinreichend passt, obwohl ich weiss, dass ich ihn immer weiterschreiben könnte. Ich entscheide, wann ich das Weiterschreiben abbreche und in welcher Form ich den Text schliesslich aufbewahre.

Den Ausdruck Buch verwende ich aber mittlerweile immer öfter in dem Sinne metaphorisch, als ich dabei gar nicht an ein eigentliches Buch aus Papier denke, sondern an einen hinreichend langen Text, der nicht mehr verändert wird. Mit der Buch-Metapher bezeichne ich natürlich auch, dass der jeweilige Text konventionell als Buch veröffentlicht würde oder werden könnte. Es gibt ja sehr viele Texte, die nicht mehr verändert werden, aber zu keiner Zeit als Buch erscheinen oder auch nur dafür gedacht wären. Auch jeder Brief ist ein fertig hergestellter Text. Der hier vorliegende Buchtext ist in diesem Sinne ein als Buch bezeichneter Text, jenseits davon, ob er in einem Buch steht. Er kann auch in einem sogenannten e-Buch gelesen werden, wobei e-Buch eben genau dafür steht, dass der Text in einem Buch stehen könnte, aktuell aber unter dem Gesichtspunkt, dass er nicht mehr verändert wird, auf einem Internet-Server zum Download gespeichert ist. Er ist mit einer ISBN-Referenznummer versehen und kann so – wie ein Buch – zitiert, aber auch gekauft werden. Und weil sich nicht nur die Textwelt, sondern auch die Buchwelt entwickelt hat, kann der Text „on demand“ auch in einem eigentlichen Buch gelesen werden. Vielleicht ist das in Ihrem Fall sogar der Fall. So taucht das Buch wieder auf, wo es zunächst ersetzt wurde.

Lesen ist eine eigenartige Tätigkeit, sie scheint im Kopf oder hinter den Augen zu passieren. Vor den Augen habe ich den Text. Lesen, soweit es hinter meinen Augen geschieht, bezeichne ich als mentale Produktion von Vorstellungen. Mentale Produktionen sind relativ flüchtig, eine der wichtigsten mentalen Funktionen sehe ich im Vergessen von allem, was ich nicht brauchen kann. Was ich nicht vergessen will, schreibe ich auf und lege es so in ein "externes Gedächtnis". Meine Agenda zeigt mir, wie wenig ich, ohne es aufzuschreiben, zu erinnern vermag. Und mein Kopfrechnen zeigt mir, dass ich ohne zu schreiben nicht weit komme.

Beim Lesen kann ich mich fragen, ob ich das, was ich lese, auch schreiben würde. Diese Art zu lesen bezeichne ich als aktives Lesen, ich lerne dabei mich kennen. Denn ich weiss, was ich mit einem jeweilige Text meine oder verbinde, während ich nur interpretieren kann, was der jeweilige Autor damit meint. Ich frage mich beim aktiven Lesen nicht, ob ich das, was ich lese, auch geschrieben hätte, bevor ich es gelesen habe. Ich frage mich, ob mir die Formulierungen, unabhängig davon, ob sie mir neu erscheinen oder nicht, aktuell zu mir passen. Ich frage mich, unter welchen Bedingungen ich die Formulierungen auch verwenden würde.(4)

Wenn es Zufälle gibt, ist mir das Buch "Die Arbeit im modernen Produktionsprozess" von H. Braverman beim Schreiben dieses Textes wieder zugefallen. Es gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Es befasst sich mich mit der Aufhebung des Handwerks durch die industrielle Produktion. Ich beobachte hier diese Aufhebung anhand eines Handwerkes, das sich mir aufdrängt, weil ich es selbst kenne und von welchem ich auch dessen Aufhebung in der Mechanisierung und Automatisierung gut nachvollziehen kann. In gewisser Weise befasse ich mich mit einem eigenen Beispiel zum Text des Buches von H. Braverman, den ich mir so durch eine Art durch Selbstschreiben aneigne. Ich realisiere dabei, dass Schreiben über sich selbst hinausweist, was mir auch wichtig ist für meine Theorie, die ich nebenher beschreibe.

Anmerkungen

(1) Programmiersprachen wurden dazu entwickelt, Computerprogramm sekundär lesbar zu machen. Von naiver Metaphorik, in welcher ich dem Computer Befehle gebe, abgesehen, werden Programme hergestellt.   (zurück)

(2) Der Blog ist immer noch im Internet, wo ich auch sehr gerne weiterhin Kommentare zum Text lese und beantworte: Schrift-Sprache   (zurück)

(3) „Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutung auf Höheres in den untergeordneteren Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist.“ (Marx-Engels-Werke Band 42, S. 39). Was Schreiben ist, verstehe ich in diesem Sinne erst, wenn ich im Internet geschrieben habe.   (zurück)

(4) Dieses aktive Lesen ist ein wesentlicher Aspekt der Hyperkommunikation.   (zurück)
 



 

Teil 1: Schreiben als herstellende Tätigkeit   bild

Dass ich Schreiben als Herstellen von Text beobachte, ist eine willkürliche Entscheidung, die ich in meiner Theorie reflektiere, in welcher ich das Herstellen als primäre Kategorie verwende. Im vorliegenden Text verwende ich das Schreiben exemplarisch für herstellende Tätigkeiten.(1)

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Als Schreiben bezeichne ich das Herstellen von Text. Als Text bezeichne ich eine Zeichenkette, die einer Grammatik folgt. Als Grammatik bezeichne ich die Menge der Produktionsregeln, die die Syntax der möglichen Texte definieren, indem sie festlegen, welche Zeichenkörper des jeweiligen Alphabets, wie ver­wendet werden können. Als Texte sind sich in dieser Hinsicht ein Computerprogramm und ein Liebesbrief gleich. Wenn ich Text produziere, mag ich einen von Menschen interpretierbaren Verweis intendieren, aber ich stelle einen materiellen Gegenstand her. Wenn ich Text als ein von Menschen intentional hergestelltes Artefakt begreife, kann ich nach dessen Zweck fragen.

bildGleichgültig was ich schreibe und gleichgültig, wie ich schreibe, wenn ich schreibe, stelle ich schreibend einen Gegenstand her, den ich als Text bezeich­ne. Bei jedem her­ge­stellten Gegen­stand unter­scheide ich zwei As­pekte. Ich un­ter­scheide das Arte­fakt und dessen Zweck. Durch diese Un­terscheidung gese­hen, forme ich einen materiellen Gegen­stand so, dass er einen bestimm­ten Zweck erfüllt, den ich als Ge­gen­standsbe­deutung bezeichne.(2) Texte bestehen bei­spiels­weise aus geform­tem Graphit, wenn ich sie mit einem Blei­stift her­stelle. Ich arbeite dann wie etwa ein Maurer, der mit Backstei­nen eine Hausmauer baut, nur ver­wende ich an­stelle der Back­steine Graphitteilchen. Und wie jede Mauer braucht auch jeder Text ein Fundament. Mit dem Bleistift baue ich typi­scherweise auf Papier. Der Text ist als Arte­fakt, also jenseits seiner Bedeu­tung, ein dreidi­men­sionales materielles Pro­dukt, das handwerklich herge­stellt ist, wenn ich beim Schreiben einen Blei­stift ver­wende.

bildSo wie ich bei einer Mauer anstelle von Backsteinen auch zunächst flüssigen Beton ver­wenden kann, kann ich Text auch mit Tinte, die hinreichend rasch kri­stal­lisiert, herstel­len. Schreiben bleibt Schreiben, auch wenn ich keinen Blei­stift mehr ver­wende, sondern auf einer Schreibmaschine tippe. Als Schreiben bezeichne ich in diesem Buch das Her­stellen von Text jen­seits davon, was im Text zu lesen ist oder wozu er dienen soll. Ich weiss, dass das Wort schreiben im Alltag sehr oft anders verwendet wird.

bildDass ich Schreiben als Herstellen von Text beobachte, beruht darauf, dass ich das Herstellen als primäre Kategorie verwende, hier also nicht nach Funktionen des Schreibens frage. Als Herstellen bezeichne ich Tätigkeiten, durch welche ich Gegenstände herstelle, indem ich Material forme. Wenn ich schreibe, stelle ich ein Gegenstände her. Dass ich das Schreiben so beobachte, erlaubt mir, nach dem Zweck von Text zu fragen. Alltagssprachlich werden bei Vereinbarungen von Wortbedeutungen meistens funktionale Bestimmungen verwendet. Schreiben und Texte erfüllen dann die Funktion des Mitteilens von Informationen an nicht gerade anwesende Menschen. Texte gelten so als schriftliche Form von kommunikativen Handlungen. Hier geht es aber nicht um fiktive Funktionen des Schreibens, sondern darum, was ich beim Schreiben mache.(3)

Umgangssprachlich verwende ich den Ausdruck herstellen quasi synonym mit den Ausdrücken produzieren, arbeiten, erzeugen, hervorbringen, machen, erschaffen, fabrizieren, anfertigen, anbauen, kochen, usw. Herstellen fungiert dabei als menschliche Tätigkeit, bei der etwas hervorgebracht wird, schlechthin. Ich unterscheide Gegenstände für den Ver-Brauch und Gegenständen für den Ge-Brauch. Das, was Menschen machen, um den natürlichen Prozess der Aneignung aufrecht zu erhalten, bezeichne ich als Arbeit oder umgangssprachlich als "Herstellen" für Ver-Brauch. Das Herstellen dagegen, das im Ausdruck Homo faber anklingt, ist ein Herstellen für den Ge-Brauch. In der Umgangssprache sind viele Unterscheidungen aufgehoben. Nudeln und Brote sind hergestellte Gegenstände für den Verbrauch und viele Halbfabrikate, die als Waren gehandelt werden und in diesem Sinne Produkte sind, sind in gewisser Hinsicht zum Verbrauch bestimmt sind, weil sie im schliesslichen Herstellen aufgehoben werden. Ich brauche keine Ziegelsteine, ich brauche das Haus, das ich mit Ziegelsteinen herstelle. Hier beobachte ich Gegenstände, die nicht konsumiert oder weiterverarbeitet werden.

Als Tätigkeit bezeichne ich schrei­ben, wenn ich das Schreiben als solches mei­ne. Ich spreche dagegen von Handlungen, wenn ich einen Brief oder ein Buch schreibe. Als Tätigkeiten bezeichne ich Handlungsweisen. Als Tätigkeit bezeichne ich, was ich in Handlungen jenseits des jeweiligen Ziels mache. Ich schreibe eigentlich nie ohne Ziel, ich schreibe immer etwas. In der Volksschule habe ich schreiben quasi unabhängig davon gelernt, wozu ich es brauchen kann. Dort ging es um die Tätigkeit, aber in einem sehr spezifischen Sinn, der hier wieder erscheint. Es spielte keine Rolle, was geschrieben wurde. Dafür wurde aber auch der Umgang mit den Schreibwerkzeugen geübt, wobei auch die Grammatik keine Rolle spielte.

Die Tätigkeit hat im Unterschied zu einer Handlung weder Anfang noch Ende.

Durch bestimmte Tä­tigkeiten stelle ich materielle Gegenstände her, beispielsweise Brücken oder Texte. Bei diesen Tätigkeiten verwende ich normalerweise Werkzeuge. Diese her­stel­lenden Tätigkeiten beziehe ich auf die darin angelegte Gegenstandsbedeu­tung, die den hergestellten Gegenständen als Intention des Herstellers als Zweck inne­wohnt. Verschiedene Herstellungs­verfahren, die dieselbe Gegen­stands­be­deu­tung aus verschiedenen Materialien und mit verschiedenen Werk­zeugen herstellen, bezeichne ich als dieselbe Tätig­keit. Schreiben bleibt Text­herstellen, gleichgültig mit welchen Werkzeugen ich das tue. Lesen und Sprechen sind Tätigkeiten, durch welche nichts hergestellt wird.

Archäologen sprechen von Artefakten, wenn sie erkennen, dass beispielsweise ein ausgegrabener Gegenstand von Menschen hergestellt ist, sie aber nicht wissen, wozu er hergestellt wurde, also wenn sie dessen Gegenstandsbedeutung nicht er­kennen können. Ich bezeichne hergestellte Gegenstände als Artefakte, wenn ich von deren Bedeutung absehe, weil es mir um deren Beschaffenheit und um deren Herstellung geht.(4) Ich beobachte hier die Textherstellung also nicht unter dem Ge­sichtspunkt, was in den Texten gelesen oder verstanden werden kann, sondern unter dem Gesichts­punkt, wie der Text im engeren Sinne zu­nächst handwerk­lich und später in einem hochautomatisierten Produktions­prozess hergestellt wird. Gleichgültig auf welchem technologischen Niveau Text herge­stellt wird, es muss dabei immer einem ge­wählten Material eine gewählte Form gegeben wer­den. Am Anfang jeder technischen Entwicklungen steht das Hand­werk im Sinne einer Handarbeit.

Wenn ich ein Gegenstände herstelle, verfolge ich ein Ziel, das im Gegenstand als dessen Gegenstandsbedeutung erscheint. Ich stelle beispielsweise eine Brücke her, wenn ich mit weniger Aufwand auf die andere Seite des überbrückten Hinder­nisses kom­men will. Als Maurer kann ich beispielsweise Steine so anordnen, dass eine Brücke entsteht. Der Zweck der Brücke be­steht darin, ein Hindernis, etwa einen Fluss zu überbrücken. Sinn macht diese Brücke für mich, wenn ich über diesen Fluss gehen will. Verallge­meinert macht die Brücke für all jene Sinn, die auf die ande­re Seite des Flusses wollen. Und noch allgemeiner ma­chen Brücken über­haupt Sinn, wenn je­mand auf die je andere Seite will.

Der Gegenstand, das ich herstelle, muss den Zweck erfüllen. Eine Brücke muss bei­spielsweise stabil genug sein, dass sie nicht einstürzt, wenn sie benutzt wird. Ob die Brücke je benutzt wird oder warum jemand auf die andere Seite des Flus­ses will, ist für den Zweck der Brücke ohne Relevanz. Damit die Brücke ih­ren Zweck erfüllt, muss sie richtig konstruiert sein, sie muss unter anderem das ihr zuge­traute Gewicht tragen können. Wenn ich als Handwerker eine Brücke baue, kann ich die Backsteine nicht zu­fällig oder nach Belieben anordnen. Plato be­dauer­te Handwerker, weil sie nicht bauen können, wie sie wollen, sondern die Bedingungen des Gebrauchs erfül­len müs­sen. Ich glaube nicht, dass er das Schreiben als Handwerk begrif­fen hat, aber das Herstellen von Text unterliegt auch solchen Bedingungen. Viel­leicht hat der Sklavenhalter Plato ohnehin mehr diktiert als geschrieben – falls Plato nicht nur eine Erfindung jener Sklaven war, die so ihre Texte aufwerten wollten.

Wenn ich Text herstelle, stelle ich Zei­chenkörper her, die ich als Artefakt auffassen kann, ohne mich dafür zu interessie­ren, worauf der Text als Symbol verweisen soll. Wenn ich Text herstelle, ist mein Ziel unabhängig davon, was ich schreibe, dass der Text auch noch nach längerer Zeit gelesen werden kann - mithin als Artefakt seine Form behält.

Beim Lesen kommt nicht der Text in meine Augen, sondern durch den Text strukturiertes Licht, also etwa am Graphitpixelmuster gebroche­nes Licht einer Lampe. bildDas ist Grund dafür, dass ich im Dunklen oder etwa weissen Text auf weis­sem Hintergrund nicht lesen kann. Als Arte­fakt fungiert Text als Menge von Schaltstel­len, mit welchen ich Signale steuere, die ins Au­ge, respektive auf die Retina des geneigten Lesers kommen sollen. Als Leser eines Textes sehe ich aber nicht Lichtstrahlen, sondern den Text.

Natürlich sehe ich jeden hergestellten Gegenstand, weil er Licht bricht. Aber einen Hammer stelle ich nicht her, damit ich ihn sehen kann. Fensterglas stelle ich her, damit ich es nicht sehen kann, und einen Spiegel stelle ich her, dass das am Gegenstand gebrochne Licht nochmals gebrochen wird. Gegenstände, die dazu hergestellt werden, dass sie bei Bedarf gesehen werden können, sind Bilder, Zeichnungen und Zeichen. Da sie dem Gesehenwerden dienen, werden sie funktional als visuelle Medien bezeichnet. Wenn ich in einen aktiven Scheinwerfer schaue, sehe ich das Licht, nicht den Gegenstand. Ein Leuchtturm soll eigentlich auch nicht gesehen werden. Und schliesslich gibt es Text auf Bildschirmen, den ich auch im Dunklen sehen kann. Ich werde später darauf zurückkommen, hier geht es vorerst nur darum, dass Texte einen Zweck haben, der darin liegt, unterscheidbare Objekt - beispielsweise verschiedene Wörter - sichtbar zu machen.

Der gegenständliche Aspekt des Textes entzieht sich der oberflächlichen Wahrneh­mung, die sich nur auf den Inhalt der Texte konzentriert aus zwei Gründen. Zum einen erfüllen die Textartefakte ihre Funktion quasi flach oder zweidimen­sio­nal, weshalb ihre dritte Dimen­sion und damit ihre Materialität in der Wahrneh­mung normalerweise vernachlässigt werden. Text wird dann als etwas Imma­terielles beo­bachtet, was mit einer geis­tig-ideellen Kopfarbeit verbunden wird. Text er­scheint so als eine Infor­ma­tion, die weder Materie noch Energie sein soll. Kopfarbeiter neigen überdies dazu, geistige Aspekte der Textherstellung zu betonen und die mate­rielle Herstellung von Text als Banalität zu betrachten, die eben einer Sek­retärin oder schliesslich einer Ma­schine überlassen wer­den kann. V. Flusser etwa, der sieht, dass herstellende Arbeit, also die Pro­duk­tion von Artefakten darin besteht, dass Menschen „Materie“ in eine bestimm­te Form bringen, unterscheidet dabei eine erste Phase, in wel­cher die Form entwor­fen, und eine zweite Phase, in welcher diese Form dann nur noch auf die Materie angewandt werde.(5) Auch K. Marx schrieb, dass sich der menschli­che Baumeister von der Biene dadurch un­terscheide, dass er beim Bauen die Form vorab als Plan „im Kopf“ habe.(6) Aber jenseits davon, was im Kopf der Kopf­arbeiter passiert, erscheint die Form eines Artefaktes immer erst, wo Material geformt wird. Und auch die besten Kopfar­bei­ter schreiben Texte oder zeichnen Pläne, weil ihre Köpfe doch arg be­schränkt sind.

Die entwicklungsgeschichtlich erste Funktion von Text sehe ich ein einer Art Selbstmitteilung, bei welcher ich Text herstelle, der nicht andere, sondern mich selbst an etwas erinnern soll. Text fungiert dann als externes Gedächtnis. Dass ich kein brauchbares Gedächtnis im Kopf habe, kann ich mir leicht bewusst machen, wenn ich Kopfrechnen mit schriftlichem Rechnen vergleiche, etwa anhand einer Multiplikation von zwei dreistelligen Zahlen. Vor­derhand sehe ich nicht, wie der reine Geist der Kopf­arbeiter je etwas bewirken sollte. Was sich beim Schreiben von Texten im Kopf oder im Be­wusstsein des Schreibenden abspielt, kann mir auch die kogniti­vitsti­sche Hirn­physiologie nicht erklären. Aber dass mir Texte beim Erinnern und beim Denken dienen, weiss ich im Sinne eines Erfahrungswissens, auch wenn ich mir nicht erklären kann, was dabei im Kopf passiert. Die gegenständliche Qualität eines Textes zeigt sich in seiner nachhaltigen Les­bar­keit, also darin, dass Material und Form des Textes im Unterschied zu Gedanken später noch vorhanden sind.

Herstellende Tätigkeiten unterliegen einer Ent­wicklung der Technik und der Produktionsweisen. Technisch verändern sich diese Tätigkeiten durch neue Werkzeuge und Materialien, und auf einer anderen Ebene durch Me­chanisierun­gen und Automa­tisierungen, die auch die Werkzeuge betreffen. Die Werkzeuge entwickenl sich zu Maschinen und Automaten. Die Produktionsweise entwickelt sich vom Hand­werk über die Manufaktur zur Fabrik, wobei im Übergang zur Manufaktur hauptsächlich die Hand­werkstätigkeiten zerlegt wurden, und im Übergang zur Fabrik die Tätigkeiten zunehmend durch den vermehrten Einsatz von Maschinen bestimmt wurden.(7)

Gutenbergs revolutionärer Beitrag war, dass er das Textherstellen in eine Menge verschiedener Lohnarbeiten aufgeteilt hat. Bereits in den Skriptorien der Klöster hatten die Schreibenden keinen gewollten Einfluss auf den Inhalt der Texte, die sie nur durch mehr oder weniger bewusste Fehler veränderten. Gutenberg aber zerlegte das Handwerk jenseits von Inhalten.

Die Entwicklung der Maschinerie führte auch dazu, dass das Verlagswesen von Heimarbeit, das in der Zeit der Maufakturen verbreitet war, durch Fabriken ersetzt wurde. Die sogenannte Industriealisierung, die eigentlich das Einführen von Lohnarbeit bezeichnet, wurde durch die Fabriken nur sichtbarer, die innerbetriebliche Arbeitsteilung wurde in der Manufaktur eingeführt.(8)

Tätigkeiten, die als Lohnarbeit organisiert wurden, wurden durch die betriebliche Arbeitsteilung so zer­legt, dass zunächst verschiedene Teilarbeiten entstanden, die später durch die Automatisierung wieder aufge­hoben wurden. Der Text in einem herkömmlich gedruckten Buch beispielsweise wird ge­druckt, obwohl er wie ein von Hand geschriebener Text aus einer Art Tinte be­steht, die gemeinhin Dru­cker­schwärze genannt wird und die auch auf Papier aufge­tragen wird. Im manufakturellen Buch­druck wurde das Schreiben durch eine innerbe­triebliche Arbeitsteilung zerlegt. Die eigentliche Textherstel­lung wurde dabei Menschen übertragen, die nur mit den Händen und nur auf Geheiss arbeiten, und auf den Inhalt des Geschriebenen keinerlei Einfluss haben.(9)

Die Zerlegung der Tätigkeiten in der Manufaktur war ökonomisch motiviert, sie schuf aber auch eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Maschinen, indem sie Teiloperationen hervorbrachte, die einfacher, respektive durch einfachere Maschinen ersetzt werden konnten.

Diese industrielle Zerlegung des Schreibens in Teiltätigkeiten wie Setzen und Drucken führte zu einer sprachlich repräsentierten Vorstellung, wonach mit Schrei­ben eine Kopfarbeit bezeichnet wird, während die Text­herstellung im en­geren Sinne mit anderen Wörtern wie etwa Drucken bezeichnet wurde. Darin kann man einen Bedeutungswandel des Ausdruckes Schreiben sehen, weil in dieser Ideologie der vermeintlich Schreibende nicht mehr für die Textherstellung zuständig scheint. Gutenberg ist aber auch exemplarisch dafür, dass Kopfarbeit bei der Textherstellung keineswegs den Inhalt des Textes betreffen muss. Gu­tenberg hat ja seine Bibel nicht geschrieben, er hat als Kapitalist den Arbeitsprozess im Sinne einer abgetrennten Kopfarbeit organisiert. In die Textherstellung selbst war er in keiner Weise mehr involviert.

Als Handarbeit bezeichne ich eine konkrete Tätigkeit, während ich als Hand­werk viel mehr eine Epoche der Produktivkraftentwicklung bezeichne, in wel­cher vor allem Handarbeit geleistet wurde. Das so verstandene Handwerk wur­de un­ter arbeitsteili­gen Gesichtspunkten durch die Manufaktur aufgehoben. Da­bei wurden die handwerklichen Tätigkeiten zunehmend so zerlegt, dass Teilar­bei­ten entstan­den, bei wel­chen die Hände immer weniger an das herzustellen­de Produkt angelegt wurden. Die auf diese Weise entdeckte sehr geistige Kopfarbeit wird in vie­len betriebli­chen Ar­beitstei­lungen von Ingenieuren im Kon­struktionsbüro geleistet, wäh­rend in der Werkstatt mit den Händen dieser Ideologie zufolge nur noch nach vorgesetztem Plan ge­ar­bei­tet wird.

Beim Schreiben wird mir diese Ar­beits­teilung zwischen Hand- und so­genannter Kopfarbeit – wie sie etwa zwischen einem diktierenden Chef und sei­ner Sekretä­rin gegeben ist – beim Ab­schreiben sicht- oder erlebbar. Wenn ich abschreibe, muss ich nicht verstehen, was ich ab­schreibe, und ich kann das, was ich ab­schreibe auch nicht mehr oder weni­ger gut verstehbar machen. Mein Verstand hilft mir beim Abschreiben nicht. In dieser spezifischen Hinsicht brau­che ich den Kopf beim Abschreiben nicht.

Kopfar­beit trifft die Sache aber in zwei Hinsichten nur ungenau. Einerseits steu­re ich natürlich auch beim Abschreiben mei­ne Hand in einer gewis­sen Weise im “Kopf”, soweit ich meine beim Schreiben an­fallenden Hand- und Au­genbewe­gungen quasi in meinem Kopf koordiniere. Und andrerseits arbeiten Ingenieure vielleicht noch etwas mehr „im“ oder mit dem Kopf, als ich es beim Abschreiben tue, aber ihre Arbeitsprodukte sind als Konstruk­tionszeichnungen oder als Be­schreibungen doch wieder Artefakte, die als solche ausserhalb der Köpfe her­gestellt werden müssen. Ich habe als Maschinenzeichner oft gezeichnet, was sich Ingenieure ausgedacht haben.

Abschreiben ist ein ziemlich spezieller – und wohl auch ein nicht wesentlicher – Fall des Schreibens, obwohl ich – etwa zitierend – immer noch recht oft ab­schrei­ben muss. Auch beim Formular ausfüllen muss ich lesen und schreiben können, ich kann dabei aber auch nicht schreiben, was ich will, sondern muss dem Formular folgen. Ich lasse solche speziellen Fälle vorerst ausser Acht und beo­bachte ein quasi noch voll­ständiges Handwerk, wie es im Zunftwesen ge­meint war und konventio­nell einer einzelnen Person zugerechnet wird, weil die relativ ganzheitlichen Handarbeiten erst im Übergang zur Manufaktur zerlegt werden, während im Hand­werk die Gesellen noch dem Meister zudienen.

Beim Schreiben scheint in die­sem Sinne der Texthandarbeiter als Autor auch für den Inhalt des Textes zu­ständig, wobei oft ausser Acht gelassen wird, dass im Aus­druck “Au­tor” diese Zuständig­keit teilweise auf­gehoben ist. Der Ausdruck Au­tor verweist auf ein Autori­siert­sein, das zu schrei­ben, was geschrieben wer­den muss. Im exempla­rischen Fall schreibt ein Autor etwa in der Bibel Gottes Worte und in einem ver­gleich­baren Fall schreibt ein Wissenschaftler, wie die Welt wirk­lich ist, also auch nicht ein­fach etwas, was ihm gefällt. Der Autor ist umgekehrt auch nicht ver­ant­wort­lich, für das was er schreibt, er kann nichts dafür, dass die Welt ist, wie sie ist. U. Eco spielt mit der Variante, dass er auch als Schrift­steller Subjekt einer Ro­man­handlung ist, der er so ausgelie­fert fol­gen muss, wie ein Wissen­schaftler sei­ner Realität. Das metaphorische Handwerk betrifft in genau diesem Sinne, nicht was geschrieben wird, sondern wie es geschrieben wird.

Schreiben wird auch umgangssprachlich sehr oft als Handwerk bezeichnet, es gibt neben der Volksschule, die dieses Ziel auch verfolgt, ganz viele Kursange­bote, das Handwerk des Schreibens zu lernen. Mit Hand­werk wird in die­sen Re­de­wei­sen aber nicht die Herstellung eines materiellen Gegenstan­des gemeint. Es geht in dieser Art „Handwerk“ darum, verständ­licher, span­nender oder inte­res­santer zu schrei­ben. Es geht dabei nicht darum, das hand­werkliche Ab- oder Aufschreiben zu lernen oder zu verbessern, son­dern um ir­gendeine psychologi­sche Fähigkeit, von andern verstanden oder ger­ne gelesen zu werden. Der Aus­druck “Handwerk” dient dabei als Meta­pher für eine gute Arbeit, die einem einzelnen Menschen zugerechnet werden kann. Gutes Schreiben bezieht sich darin nicht auf einen Gegenstand, der etwa in einer Werkstatt von Hand herge­stellt wird, son­dern auf die psychologische Wirkung, die das Ge­schrie­bene er­zeugen soll. In den Kursen, die als “Handwerk des Schrei­bens” angeprie­sen werden, wird nor­malerweise vorausgesetzt, dass die Teilnehmenden bereits Text herstellen können. Gemeint ist eine verkürzte Rhe­torik, in welcher es um die Darstel­lungs­form von beliebigen Inhalten geht.(10) Diese Art guten Schrei­bens zeigt sich beispielsweise auch im Diktieren dessen, was dann die Sekretä­rin, die von diesem guten Schreiben gar nichts verstehen muss, mit ihren Hän­den wirklich nieder­schreibt. Aber jenseits dieser Metapher stellt, wer diktiert, keinen Text her, er lässt – wie Gutenberg – Text herstellen.

Diktieren kann auch jemand, der nicht schreiben kann. Im sogenannten Mittel­alter wurde wenig geschrieben und wer etwas zu sagen hatte, konnte im Nor­malfall gar nicht schreiben. Erst mit der Entstehung von Verfassungen und Ver­trägen, die das Mittelalter beendeten, wur­de zunehmend auf schriftliche Doku­mente gesetzt. Die schriftliche Dokumentation wurde insbesondere für Schuld- und Besitzver­einbarungen verwendet, die nicht viel „gutes Schreiben“ wie es etwa W. Shakespeare zugerechnet wird, erforder­ten. Das Herstellen von Tex­ten wurde lange Zeit an sogenannte Schreiber delegiert. Und wer – weil er zum Volk gehörte – nichts zu sagen hatte, aber trotzdem Mitteilungen machen wollte, kaufte das Schreiben als Dienstleistung bei solchen Schreibern ein.(11) In Ländern mit noch verbreite­tem Analphabetismus war zwangsläufig Sitte, sich Texte von Schreibkundi­gen (auf)schreiben zu lassen.

In der Volksschule, die ich besuchte, hiess das Schulfach, in welchem ich Schrei­ben lernte, Schreiben, und das Schulfach, in welchem ich das vermeintli­che Handwerk des guten Schreibens lernte, hiess dann sinnigerweise Deutsch, womit natürlich nicht das Lernen der deutschen Sprache gemeint war, die ich ja schon kannte, sondern viel mehr die Ideologie, welche Formulierungen, also Formgebungen gut angepasstes Schreiben ausmachen. Viele Menschen, die schreiben können, lassen sich Texte von anderen Men­schen schreiben, die das Handwerk des guten Schreibens beispielsweise als Ghost­writers oder Werbetexter auf dem Markt anbieten. Dieses meta­pho­risch gemeinte Handwerk des guten Schreibens betrifft den Inhalt, nicht das Schreiben. Darin erkenne ich eine Inversion des Falles, in welchem jemand meint, er könne gut schreiben, aber die eigentliche Textherstellung nicht selbst ausfüh­ren will und deswegen nur diktiert.

Die Entwicklung des Schreibens wiederholt sich ontogenetisch - im Sinne der haeckelschen Rekapitulation - im Schreiben heutiger Menschen. Die eigentliche Handarbeit, die ich in der Volksschule mit Griffel und Bleistift als Buchstaben zeichnen lernte, wurde durch die technische Entwicklung so aufgehoben, dass ich das Schreiben später nochmals neu lernen musste, als ich die erste Tastatur mit zehn Fin­gern benutzen soll­te. Und ich übe jetzt noch etwas unbeholfen mit einer Software, mit welcher ich Text hochautomatisiert herstellen kann. Das vorläufige Ende dieser Entwicklung ist aktuell ChatGPT.(12) Dass ich die Verinnerlichen der Handarbeitsfähigkeiten als automatisieren bezeichne, nimmt vorweg, dass diese Fähigkeiten später durch Textautomaten aufgehoben wurden.

In der Volksschule lernte ich nicht nur schreiben, sondern explizit auch schön schreiben.(13) Jedes Handwerk kennt den Unterschied zwischen kunstvollen Ge­genständen und solchen, die nur prakti­schen Bedürfnissen entsprechen. Die Kalligrafie kann man in diesem Sinne als Kunsthandwerk sehen.

Das schöne Schreiben ist allerdings an primitive Werkzeuge gebunden. Wenn ich mit einer Maschine schreibe, kann ich die Schönheit der Schriftzei­chen nicht mehr unmittelbar beeinflussen, sie ist dann meinem handwerklichen Geschick durch die Erfindung der Druckletter entzo­gen.(14) Schönschreiben geht in einem spezifi­schen Sinn nur als Handarbeit, bei wel­cher die Formgebung weitgehend durch die Hand bestimmt wird, was eben typi­scherweise beim Gebrauch von ei­gentlichen Werkzeugen, wie etwa dem Blei­stift, der Fall ist. Der Ge­brauch von Werkzeugen verlangt körperliche Fertigkei­ten, die sich dann in der re­lativen Schönheit der Produkte zeigen. Wenn ich Maschinen verwende, brauche ich natürlich auch Fertigkeiten, aber das Ausse­hen der Produkte wird stark durch die Maschine bestimmt.(15)

Beim Schreiben mit einer etwas entwickelten Maschine wird mir auch bewusst, dass es typographisch schöne Schriften gibt, dass ich also auch beim Schrei­ben von Hand eine schöne Schrift wählen und mich dann in dieser Schrift üben muss, wenn ich einen Text schön schreiben will.(16)

In der Volksschule lernte ich nicht nur schön zu schreiben, sondern vor allem auch richtig zu schreiben. Mit richtig schreiben ist dabei nicht vor allem das gu­te Handwerk der Rhetorik gemeint, sondern viel mehr, dass Texte keine Fehler enthalten dürfen. Jeder Handwerker muss seine Produkte hinreichend fehlerfrei herstellen. Teppichknüpfer, die von Hand arbeiten, machen der Legende nach bewusst unregelmässig Fehler in die Teppichmuster, damit sichtbar bleibt, dass die Teppiche Hand­arbeit sind. Aber natürlich muss dabei das Muster als sol­ches erhalten bleiben. Beim Schreiben kann ich beispielsweise einzelne Buch­staben vergessen, ohne dass der Sinn des Textes davon betroffen wäre – wenn es nicht zu oft geschieht. Solche Fehler kann ich beim Schreiben natürlich nur machen, wenn mir vorgegeben ist, welche Anordnungen welcher Buchstaben erlaubt und damit richtig sind.

Beim Schrei­ben eines gegebenen Textes unterscheide ich das Abschreiben et­wa im klösterli­chen Skrip­torium und das Aufschreiben etwa eines Dikta­tes durch eine Sekretärin­. Beides sind eintönige Tätigkeiten, die mich sehr an an­spruchslose Fliessbandtätigkeiten erinnern.

Beim Abschreiben muss ich die Regeln der Sprache nicht kennen. Ich unter­scheide dabei aber Abschreiben und Abzeichnen. Wenn ich abschreibe, erken­ne ich die Buchstaben als Schriftzeichen eines Alphabetes. Aber ich kann die Buchstaben natürlich auch als Zeichnungen sehen und sie dann eben abzeich­nen, ohne zu wissen, dass ich dabei Text herstelle. Ich stelle dann einfach eine Kopie des materiellen Gegenstandes her. Ich kann einen Buchstaben als Arte­fakt kopieren, ohne zu wissen, dass es sich um einen Buchstaben handelt. Wenn ich dagegen einen mir diktierten Text aufschreibe, muss ich natürlich die Orthographie kennen, weil durch das Diktat nur der Text gegeben ist, aber nicht die Schreibweise der einzelnen Wörter. Wenn ich nur aufschreibe, was andere diktieren, muss ich die Grammatik der Sprache, die die Satzbildung der Spra­che beschreibt, nicht kennen. Man mag einwenden, dass es kaum Menschen gibt, die die Orthographie beherrschen, ohne die Sprache zu sprechen. Aber jenseits der Menschen gibt es Wörterbücher, die nur die Orthografie behandeln und viele Computerprogramme haben mit dem Übersetzen und Rechtschreiben einzelner Wörter viel weniger Probleme als mit den Wortstellungen im Satz.

Wenn ich selbst schreibe, muss ich das ganze Handwerk der Textherstellung hin­reichend beherrschen. Ich muss dabei nicht nur mit einem Bleistift umgehen können, sondern auch wissen, was ich als Text bezeichne. Damit ich ein Arte­fakt als Text bezeichne, muss es bestimmten Produktionsre­geln, die ich als Grammatik der jeweiligen Sprache bezeichne, und bestimm­ten semantischen Bedin­gungen genügen. Die Produktionsregeln von hinreichend grossen Spra­chen be­wirken, dass ich mit endlich vielen Zeichen unendlich viele verschiede­ne Texte herstellen kann. Beim Schreiben muss ich die Regeln der jeweiligen Sprache kennen. Wenn ich schreiben lerne, nachdem ich die jeweil­ige Sprache bereits spreche, sind mir grosse Teile der Produktionsregeln be­reits bekannt. Ich weiss dann beispielsweise welche Sätze Sinn machen, wie ich die Wörter also sinnvoll anordnen kann. Dagegen beruhen viele Schriften auf ortho­graphi­schen Regeln, die ich beim Sprechen nicht kennen muss. Das Schreiben hat spezifische Produktionsregeln. Sie bestimmen auch oft, wie ich über mein Spre­chen nachdenke. Dass und welche Wörter ich unterscheide, scheint mir mehr eine Folge der Schrift, während ich beim Sprechen zwischen den Wörtern oft gar keine Pause mache und als Kind vielleicht Sätze oder Satzteile lernte, ohne zu merken, dass ich dabei einzelne Wörter verwendet habe.(17)

Die Tätigkeit des Schreibens stellt sehr viele sehr verschiedene Anforde­rungen, welchen ich auch auf der Stufe der Handarbeit weitgehend mit implizi­tem Wis­sen und Können begegnen kann. Implizit heisst, dass ich schreiben kann, ohne begrifflich zu verstehen, was ich dabei tue. Wenn ich statt einer Füllfeder ein Schreib­ma­schine verwenden will, muss ich zwar eine neue Handlungsweise ler­nen, aber ich muss mir dabei nicht bewusst machen, inwiefern das von Hand schrei­ben in der Maschine aufgehoben wird. Unter dem Gesichtspunkt der An­forde­run­gen kann ich jede Art des Schreibens als neue Tätigkeit betrachten, die dann auch neue Anforderungen stellt. Ich will mich aber nicht mit Anforderun­gen befassen, sondern das Schreiben als Produktionsprozess beobachten, der einer tech­nischen Entwicklung unterliegt.

Ich begreife dabei das Schreiben nicht als Erfindung, sondern als eine sich au­to­poietisch entwickelnde Verhaltensweise, die im Tier-Mensch-Übergangsfeld allmählich zu einer mit Werkzeugen produzierenden Tätigkeit wird. Autopoiese heisst evolutionär entstanden.(18) Wenn ich von einer Autopoiese spreche, be­zeichne ich in gewisser Hinsicht einen spezi­fischen Moment einer dort geteilten Entwicklung. Wenn ich bei­spielsweise von der Entwicklung des Menschen spre­che, unterscheide ich in diesem Sinne eine naturhistorische Entwicklung inner­halb des Tierreiches, die mit dem Auftreten des Menschen abgeschlossen ist, und eine sozialhistorisch Entwicklung des Menschen, die mit dem Auftreten des Menschen beginnt und in welcher sich nicht mehr der Mensch, sondern dessen Lebensverhältnisse als Kultur entwickeln. Wenn ich Menschen als werkzeug­herstellende Tiere sehe, beobachte ich eine Entwicklung im Tierreich hin zur Verwendung von Objekten, welche am Schluss den Menschen als Herstel­len­den hervorbringt, und eine zweite Entwicklung, in welcher sich die Menschen dadurch entwickeln, dass sie ih­re Werkzeuge entwickeln.(19)

In der Autopoiese des Schreibens unterscheide ich dessen quasi naturhistori­sche Entwicklung, die ich im Lesen von Spuren be­gründet sehe, und dessen sozialhistorische Entwicklung, die auf der Herstellung von Schriftzeichen beruht. Im Tier-Mensch-Übergangsfeld invertiert das Spuren lesen zum Spuren herstel­len, was etwas anderes ist, als Spuren hinterlassen. Wenn ein Tier sein Revier markiert, kann ich darin zwar eine instinktive Absicht erken­nen, aber nicht das Herstellen eines Zeichens, weil ich als eigentliches Zeichen einen hergestellten Gegenstand bezeichne, der im Prinzip arbiträr für ein konventionell vereinbartes Referenzobjekt steht. Das Markieren von Tieren braucht ja keine Vereinbarung darüber, was es bedeutet. Schriftzei­chen schliesslich implizieren einen sprachli­chen Handlungszusam­menhang, in welchem sie ihre inhaltliche „Bedeutung“ ent­falten. Als Artefakte aber sind sie wie alle Zeichen Gegenstände einer sich technisch ent­wi­ckelnden Pro­duktion.

Wo Menschen im Tier-Mensch-Übergangsfeld bereits bewusst Spuren legten, etwa durch Hinlegen von gefundenen Gegenständen oder durch Knicken von Ästen entlang des Weges, sehe ich Keimformen der späteren Zei­chen und Schriftzeichen, auch wenn solche Spuren noch sehr noch naturwüchsig und analog waren.(20)

Die Evolution des Schreibens verstehe ich in dem Sinne exemplarisch für die sozialhistorische Seite der menschliche Entwicklung, als ich das Schreiben als Tätigkeit sehe, für welche auch immer umfassendere Werkzeuge entwickelt werden. In dieser Entwicklung wird nicht nur das handwerkliche Schreiben zer­legt, sie integriert in einer Entdifferenzierung auch Funktionen, die zu­nächst nicht als Teile des Schreibens aufgefasst werden, wie etwa die Verwal­tung der Do­kumente und insbesondere das Verfügbarmachen der Texte im Inter­net. Als entwickelste Stufe des Schreibens sehe ich schliesslich das Hyperle­sen, bei welchem ich lesend durch das Anklicken von Hyperlinks den Text, den ich lese, in einem eigentlichen Sinne erst erzeuge – was durch die bislang höchstentwi­ckelten Textproduktionsmittel möglich wird.

Eine vollständige Aufhebung des Schreibens erkenne ich in der Textproduktion mittels Automaten, die wie etwa ChatGPT umgangssprachlich der KI zugerechnet werden, in welcher sogenannte neuronale Netzwerke und Sprachmodelle verwendet werden. Wenn ich solche Maschinen verwende, schreibe ich nicht, sondern wähle Texte aus, die ich - wie in einer Bibliothek - finden kann. Ich werde später darauf zurückkommen. Zunächst betrachte ich aber die Entwicklung der Textproduktion als spezifischen Fall der gesellschaftlichen Produktion.

Anmerkungen

1) Ich habe in der Einleitung bereits einige Bemerkungen zur Wahl meiner Kategorien gemacht, und darüber, wie sie diesen Text beeinflussen. Das ist natürlich vor allem Inhalt der Theorie, die ich parallel zu diesem Text in einem Theorie-Text entwickle. (zurück)

2) Ich bezeichne den Zweck in Anlehnung an K. Holzkamp als Gegenstandsbedeutung, weil Zweck oft mit Funktion und Sinn verwechselt wird. Ich werde darauf zurückkommen. (zurück)

3) Hergestellte Gegenständen haben einen Zweck, sie können aber ganz verschiedene Funktionen erfüllen. Umgangssprachlich - bis weit in die Philosophie hinein - werden Wortbedeutungen erläutert, indem typische "Funktionen" angegeben werden, wobei Funktion in diesem Zusammenhang für "Wofür verwende ich es" steht. Messer wird dabei definiert als Ding zum Schneiden, Text ist dann beispielsweise eine "schriftlich fixierte, im Wortlaut festgelegte Folge von Aussagen", weil ich Text zum Aussagen machen verwende.   (zurück)

4) Artefakt ist in vielen Disziplinen ein Modewort geworden, das sehr verschieden verwendet wird. Sehr oft wird Artefakt diffus für mentale Konstrukte, also für Vorstellungen oder geistige Gegenstände verwendet, ich meine aber ausschliesslich anfassbare, materielle Gegenstände, die hergestellt wurden. (zurück)

5) Nebenbei bemerkt meinte V. Flusser, dass er damit die Arbeits­wert­lehre von K. Marx widerlegt habe, weil dessen Proletarier, die nur mit den Hän­den arbei­ten, durch Maschinen ersetzt wür­den, wodurch dann jeder Wert vollständig im Kopf produziert werde (V. Flusser, Kommuniko­logie weiter denken; Frankfurt a.M. 2009, S. 142ff (zurück)

6) K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 183 (zurück)

7) Mit dem Frabrikwesen entwickelte sich auch die schriftliche Dokumentation durch Ingenieure und Buchhalter als eigenständige Tätigkeiten. (zurück)

8) Die Unterscheidung zwischen naturwüchsiger und innerbetrieblicher Arbeitsteilung hat H. Braverman als Babbage-Prinzip bezeichnet, weil C. Babbag in seiner Ökononie den Sinn innerbetrieblicher Arbeitsteilung beschrieben hat: Für Tätigkeiten, die weniger Qualifikationen verlangen, muss ein kleinerer Lohn bezahlt werden. Es ist also rentabel, wenn nicht jeder Arbeiter alles können muss. (Über die Ökonomie von Maschinerie und Manufaktur, 1832)  (zurück)

9) Manufaktur ist ein kapitalistischer Euphemismus, der das von „Hand hergestellt“ bezeichnet und das „auf Geheiss“ versteckt. (zurück)

10) Rhetorik heisst die Techne (Kunst) des Dialoges (von Aristoteles eingeteilt in Pathos, Ethos und Logos). Die Aufgabe der Rhetorik ist, die Möglichkeiten zu erforschen und die Mittel be­reitzustellen, die nötig sind, um eine Gemeinsamkeit zwischen Redner und Zuhörern herzu­stellen, auf deren Basis es ermöglicht wird, eine subjektive Überzeugung allgemein zu ma­chen (Persuasion). (zurück)

11) A. Wendehorst beschreibt in seinem Aufsatz „Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben“ wie sich das Schreiben durchsetzte, in einer Zeit, in welcher es keine Schulen gab, die das Schreiben unterrichteten. Vorab Kleriker übernahmen die Rolle des Schreibers, die sich zunehmend im Notariatswesen institutionalisierte. Die Vorstellung, wonach viele Menschen schreiben können sollten, entwickelte sich erst später, sozusagen als eine Revolution im Schulwesen. (zurück)

12) ChatGPT ist eine Maschine. Maschinen schreiben nicht, was hätten sie davon, wenn sie es tun würden? Ich schreibe, indem ich ChatGPT verwende. (zurück)

13) Schönschreiben wird mittlerweile an den Volksschulen nicht mehr unterrichtet. Dagegen gibt es Opposition, die den handarbeitlichen Aspekt der Bildung hervorhebt. (zurück)

14) Ich komme darauf zurück, wo ich am Computer eigene Schriften entwerfen kann. Aber auch das Verwenden von verschiedenen Schriftauszeichnungen (Zeichnung) wie kursiv, fett usw sind Gestaltungen, die bereits mit dem Kugelkopf möglich waren. (zurück)

15) V. Flusser hat diesen Übergang in Bezug auf Bilder mit dem Ausdruck Technobild charakterisiert. Er verwendet den Ausdruck in Abgrenzung zu Bildern, die mit einfachen Werkzeugen - wie beispielsweise dem Pinsel - hergestellt sind. Der Fotofilm wurde durch die sogenannte Digitalkamera praktisch vollständig verdrängt. "Vor-moderne Bilder [sind] Produkte des Handwerks (Kunstwerke), nach-moderne [sind] Produkte der Technik“. Von Technotext hat er meines Wissens nicht gesprochen, weil er Text mit Inhalten verbindet und LLM noch nicht kannte. (zurück)

16) Es gibt sehr viele Menschen, die beispielsweise die Sütterlinschrift als quasi kalligrafisches Hobby pflegen. (zurück)

17) Der Papagei der Sätze reproduziert muss ja auch keine Wörter kennen. (zurück)

18) Autopoiese ist ein Kunstwort, das quasietymologisch für „(sich) selbst-erzeugt“ (auto-poiesis) steht, das ursprünglich von H. Maturana zur Charakterisierung von Leben eingeführt wurde, aber in einem weiteren Sinn als Eigenname für spezielle Theorien der Selbstorganisation ver­wendet wird. (zurück)

19) In naturhistorischen Zeiträumen mag sich unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten natürlich auch der Mensch weiterentwickeln, aber im historischen Zeitraum kann ich keinerlei Entwicklung des Menschen als biologisches Wesen erkennen. Ich wüsste nicht, inwiefern ich „entwickelter“ sein sollte als beispielsweise die „alten Griechen“, deren Philosophen auch zeigen, dass nicht ernsthaft von einer geistigen Weiterentwicklung gesprochen werden kann. Was wir früheren Generationen voraus haben, sind Maschinen wie das Internet. (zurück)

20) Als Keimform bezeichne ich, was K. Holzkamp in der Grundlegung der Psychologie als Frühform bezeichnet hat. K. Holzkamp spricht auch von Vor-Form: "Wenn hier und im folgenden von »Vorformen« die Rede ist, so muß man sich vergegenwärtigen, daß den verschiedenen Erscheinungen ihr Charakter als »Vorform« nur rekonstruktiv, bei Kenntnis der jeweiligen (vorläufigen) »Endform«, zugesprochen werden kann. K. Marx spricht von einer Keim(form): "Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozess, und Franklin definiert daher den Menschen als "a toolmaking animal", ein Werkzeuge fabrizierendes Tier" (MEW 1867:194). (zurück)
 



 

2 Textproduktionsmittel   bild

Ich beobachte in diesem Kapitel die Entwicklung des Schreibens als eine Ent­wick­lung der Textproduktionsmittel, in welcher das Schreiben wie jedes gegenständliche Herstellen der Entwicklung der Produktionsmittel unterliegt und nach handwerlichem Anfang im­mer umfassender automatisiert wird.(1) Ich unterscheide dabei drei verschiedene Mittel der Textproduktion, die sich teilwei­se gegenseitig bedingen: Das ei­gentli­che Werkzeug, das Mate­rial des Textes und den Träger des Textes. Wenn ich mit einem Bleistift auf Pa­pier schreibe, ist der Bleistift das Werkzeug, das Gra­phit das Material des Tex­tes und das Papier der Textträger. Die wesentliche Entwicklung beobachte ich bei den Werkzeugen, weil mir die Werkzeuge zei­gen, was ich beim Schreiben quasi noch von Hand ma­chen muss, wenn ich die jeweils neueren Werkzeuge noch nicht zur Verfügung habe. So macht mir bei­spielsweise die elektrisch angetriebene Schreib­maschine bewusst, dass ich den Bleistift wie etwa einen Hammer mit meiner Körperkraft bewegen muss, was mir beim Schreiben mit dem Bleistift nicht ohne weiteres auffällt, weil ich dafür sehr wenig Kraft brauche.

Die Ent­wick­lung der Werkzeuge liefert mir die Kategorien, durch die ich meine Tätigkeit begreife. Materialien und Infrastrukturen sind naturwüchsige Voraussetzungen jeder Produktion, aber sie entwickeln sich in Abhängigkeit der Entwicklung der Werkzeuge.(2)

Alles, wofür ich noch kein Schreibwerkzeug habe, bezeichne ich als die noch nicht begriffenen Aspekte des Schreibens. Einen Aspekt des Schreibens will ich hier noch besonders hervorheben, weil er auch davon ablenkt, das Handwerk zu sehen. Die typischen Handwerker stellen viele Instanzen des­selben Objek­tes her. Ein Hufschmied etwa schmiedet immer Hufeisen, auch wenn sie jeweils sehr ver­schiedenen Pferdehufen angepasst werden müssen. Wenn ich als Hand­werker das Pro­dukt bereits viele Male hergestellt hätte, müsste ich wohl nicht mehr allzu viel denken, um ein weiteres Exemplar herzustellen. Tex­te sind in die­ser Hinsicht spezielle Produkte. Ich schreibe sehr selten zwei- oder mehr­mals den gleichen Text. Aber in einer bestimmten Hinsicht sehen natürlich mei­ne Texte doch sehr ähnlich aus, weil sie alle ein Reihenfolge aus einer be­grenz­ten Men­ge von Schriftzeichen sind.

Bevor ich mich den Produktionsmitteln zuwende, erläutere ich einige hier wichtige Aspekte der Produktion.

Anmerkungen

1) Eine umfassende Darstellung zur Entwicklung der Arbeit im modernen Produktionsprozess gibt der bereits erwähnte H. Braverman. (zurück)

2) "Unter den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesamtheit man das Knochen- und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheidendere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche als solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstandes dienen und deren Gesamtheit ganz allgemein als das Gefäßsystem der Produktion bezeichnet werden kann, wie z.B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge usw". [..] Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen."(Marx, K., MEW23, 194f) (zurück)
 

2.1 Produktion   bild

Als Produktion bezeichne ich einerseits den - ökonomisch gedachten - Handlungszusammenhang, in welchem ich bestimmte Tätigkeiten als tauschwertschaffende Arbeit beobachte. Ich verwende den Ausdruck Produktion im doppelten Sinne abstrakt, indem ich damit die Bedeutung der jeweiligen Produkte und die Produktionsverhältnisse, unter welchen sie hervorgebracht werden, ausser Acht lasse. Bevor Menschen Tauschwerte produzierten, arbeiteten sie für ihren je eigenen Lebensunterhalt, wie es Tiere auch tun, wenn sie jagen oder Nester bauen. Wenn ich von der Entwicklung der Produktion spreche, unterscheide ich in diesem Sinne eine naturhistorische und eine sozialhistorische Entwicklung, in welcher die Arbeit neu gesehen wird. Wenn ich im naturwüchsigen Sinne für mich arbeite, spielt keine Rolle, was andere Menschen tun. Wenn ich dagegen meine Arbeitsprodukte eintauschen will, wird zunehmend wichtiger, was insgesamt produziert wird. Dabei geht es nicht nur um Menge der Produkte, sondern auch darum, welche Produkte ich wo zu welchen Tauschverhältnissen eintauschen kann. Als Produktion bezeichne ich in diesem Sinne die Gesamtarbeit, die ich durch Tauschwert charakterisiere. Hier beobachte ich die Entwicklung der Produktion jenseits gesellschaftlicher Verhältnisse, also unabhängig davon, wer wie viel für wen produziert, weshalb die ökonomisch begründeten Unterscheidungen hier nicht interessieren. Hier interessiert mich, was Menschen tun.(1)

In der politische Ökonomie wird der Produktion eine Konsumtion gegenübergestellt. Was die Konsumenten mit den den Produkten machen, spielt in der Ökonomie keine Rolle, die Produkte müssen nur verkauft werden. Der Markt, auf welchem die Arbeitsprodukte getauscht werden, sorgt als unsichtbare Hand dafür, dass die Produktion der Konsumtion entspricht. Die ökonomische Konsumtion verbraucht, was produziert wurde, indem sie das Produkt vernichtet. Erdöl beispielsweise kann ich als Benzin verbrennen oder zur Herstellung von Kunststoff verwenden. In beiden Fällen habe ich danach der Erdöl nicht mehr, ich habe es konsumiert. Wenn ich Dienstleistungen konsumiere, vernichte ich das Recht, das ich mit dem Kauf der Dienstleistung erworben habe.

Dass ich beim Produzieren Produkte konsumiere, ist ein Resultat der Arbeitsteilung, in welcher Produkte gehandelt werden, die im Produktionsprozess eigentlich Zwischenstufen sind. Die naturwüchsige Arbeitsteilung, die sich in der betrieblichen Arbeitsteilung teilweise wiederholt, beruht hauptsächlich auf einer Differenzierung der Werkzeuge, wodurch verschiedene Berufe und damit verbunden verschiedene Produkte entstanden. Ökonomisch verbrauche ich Rohstoffe und Halbfabrikate, wenn ich daraus etwas herstelle.(2)

Durch die naturwüchsige Arbeitsteilung wird die Arbeit nicht so geteilt, wie wenn verschiedene Menschen eine bestimmte Arbeit gemeinsam erledigen und dabei dasselbe tun. Arbeitsteilung bezeichnet konventionell, dass Teiltätigkeiten aus einer noch ungeteilten ursprünglichen Gesamttätigkeit ausgegliedert werden. In Bezug auf diese Gesamttätigkeit erscheint die Arbeitsteilung als Differenzierung, und in Bezug auf die so gesehenen Teiltätigkeiten als Spezialisierung. Die Trennung von Jagen und Sammeln wird oft als historisch frühes Beispiel dafür angegeben.

Einen Teil der Produktionstätigkeiten, etwa jenes eines Arztes oder eines Busfahrers, bezeichne ich als Dienstleistungen, weil ich beim Tauschen kein anfassbares Produkt bekomme, sondern die unmittelbare Arbeitstätigkeit bezahle. Die historisch ersten Dienstleistungen waren wohl jene von Händlern, die nur den Tausch vermitteln und sich dafür bezahlen lassen.(3)

Der mich hier interessierende Teil der Produktion bringt anfassbare Produkte hervor. Dabei unterscheide ich verschiedene Stufen der Produktion. Im einfachsten Fall, den ich als Sammeln oder Abbauen bezeichne, verändert der Produzent das Produkt nicht. Der Bauer beispielsweise produziert Weizen, indem er ackert, sät und erntet, aber den Weizen verändert er nicht. Auch wenn er neue Weizensorten züchtet, macht er das nicht, indem er Weizen verändert.(4) Auf der nächsten Stufe verändert der Produzent, was zuvor hervorgebracht wurde, was ich als Zubereiten bezeichne. Der Müller - um im Beispiel zu bleiben - produziert Mehl, indem er Weizen mahlt. Der Müller ist ein Resultat einer Spezialisierung. Weizen wurde schon gemahlen, bevor es Müller gab. Auf der nächsten Stufe stellt der Produzent Gegenstände her. Der Bäcker produziert beispielsweise ein Brot oder einen Butterzopf. Mittlerweile gibt es auch Teigproduzenten, was auch einer produktiven Differenzierung entspricht, die beliebige Halbfabrikate oder Zwischenprodukte produziert, die ich in meiner Abstufung nicht berücksichtige. Bevor die Teigproduktion ein eigenes Geschäft wurde, gehörte sie zum Bäcker, nicht zum Müller, obwohl sie in Bezug auf gegenständliche Produkte wie Brot oder Teigwaren einer Zubereitung entspricht.

Als Hervorbringen bezeichne ich die Tätigkeit, durch die ich etwas Sicht- und Anfassbares in mein Sichtfeld bringe. Es geht hier also nicht um transzendente Sachen wie Gedanken und nicht um Sachen, die von einer sogenannten Natur hervorgebracht werden. Das Hervorbringen ist notwendiger Bestandteil jeder Produktion von anfassbaren Gütern. Das Hervorbringen besteht im einfachsten Fall - hervorholen, was schon da ist, aber noch nicht gesehen wurde - aus dem Finden und Auflesen, was ich als Sammeln bezeichne. Als Sammler bringe ich Produkte hervor, die ich unmittelbar konsumieren kann.

Was ich durch Jagen hervorbringe, muss ich dagegen vor dem Konsumieren zubereiten. Beim Jagen produziere ich nicht tote Tiere, sondern Fleisch und Felle. Wenn ich einem erlegten Tier das Fell abziehe, erkenne ich darin Zubereitung und in Fleisch und Fell erkenne ich Zwischenprodukte, auch wenn ich sie als Produkte verkaufen kann.

Holz beispielsweise bringe ich hervor, indem ich Bäume zerlege. Ein Baum ist kein Holz, sondern ein Baum. Holz muss ich durch eine Tätigkeit hervorbringen. Deshalb hat es eine eigene Bezeichnung. Teig bringe ich hervor, indem ich Mehl, also gemahlenes Getreide mit Wasser vermische. Getreide bringe ich hervor, indem ich es dort finde oder ernte, wo ich zuvor Samen verstreut habe. Natürlich kann ich weder Samen noch Getreide herstellen. Mehl produziere ich, indem ich die Form von Getreidekörner durch zermalmen auflöse. Kupfer kann ich in gediegenem Zustand finden. Im aufwendigeren Fall bringe ich Kupfer durch Ausgraben und Verhütten von Kupfererz hervor. Wenn ich Kupfererz verhütte und auftrenne, spreche ich von einer Zubereitung. Einer Geschichte nach haben die Urmenschen Kupfer zuerst in der Asche als glänzende Rückstände gefunden. Sie haben das Metall weder hergestellt noch erfunden, sie haben es - im Prinzip - reproduzierbar hervorgebracht. Dabei interessiert mich weder, welche kognitiven Fähigkeiten zum Erkennen von Metall nötig waren, noch wie das Metall in die Asche des Feuers gekommen ist. Ich kann Kupfer im flüssigen Zustand mit anderen Stoffen vermischen, beispielsweise mit flüssigem Zinn und so Bronze, also einen Stoff mit neuen Eigenschaften hervorbringen.

Das Zubereiten kann ich in vielen Fällen als Teil des Herstellens sehen. Wenn ich einen geeigneten Stein finde, kann ich ihn wie ein Werkzeug verwenden. Ich kann ihn aber auch so bearbeiten, dass er eine bestimmte Funktion besser erfüllt, worin ich eine Keimform des Herstellens erkenne. Als Herstellen bezeichne ich die Tätigkeit, durch welche ich Artefakte hervorbringe, die eine Gegenstandsbedeutung haben, weil sie für einen bestimmte Gebrauch gemacht sind. Halbfabrikate werden in dieser Hinsicht nicht hergestellt, sondern sind Zwischenstufen der Herstellung, die keine eigene Gegenstandsbedeutung haben, was in der (warenproduzierenden) Gesellschaft durch Handel mit Halbfabrikaten spezifisch aufgehoben wird. Kupfer oder Holz produziere ich nicht für eine bestimmte Verwendung.

Ich erläutere die damit gemeinte Entwicklung der Produktion nochmals anhand eines Beispiels: Ich trinke Wasser aus einem Bach, wobei ich kein Gefäss verwende. Ich sehe meinen Körper nicht instrumentell, also weder meine Hände noch mein Mund als Gefässe. Dann trinke ich Wasser aus einem - improvisierten - Gefäss, etwa aus einer "natürlich gegebenen Schale", beispielsweise aus einer Kokosnussschale, die ich als-ob verwende. Dann stelle ich ein Gefäss her ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, ich forme beispielsweise Lehm. Die Schüssel habe ich im Unterschied zur Kokosnussschale hergestellt. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen und sie hat einen Namen, der für ihre hergestellte Bedeutung steht: "Schüssel". Dann stelle ich ein Werkzeug her, etwa ein Steinmesser, ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, indem ich den Stein durch Abschleifen forme. Das Werkzeug ist dann Zweck der Herstellung. Dann stelle ich ein Gefäss her, wobei ich ein Werkzeug verwende, ich trinke dann Wasser aus beispielsweise einer aus Holz geschnitzten Schüssel. Das Werkzeug ist dann Mittel der Herstellung.

Was immer ich Anfassbares hervorbringe, bezeichne ich in einer bestimmten Hinsicht, die ich durch Eigenschaften charakterisiere, als Stoff und, wenn ich von allen Eigenschaften absehe, als Substanz. Als Stoff bezeichne ich alles, woraus Sachen, die in festem Aggregatzustand anfassbar sind, bestehen können. Den Ausdruck Stoff verwende ich dabei als Kollektivsingular. Es ist unerheblich, was Stoff jenseits davon ist. Mit Stoffbezeichnungen bezeichne ich Eigenschaften: "Metall" beispielsweise verwende ich für "glänzend, stromleitend, schwer, ...", "Silber" für "Metall und helle Farbe, nicht oxidierend, ...". Stoff hat keine Form, ich kann Stoff nicht zeichnen, aber ich kann jeder Stoffmenge eine Form geben. Dinge, wie etwa Steine oder Bäume, haben eine naturwüchsige Form, ich beobachte dabei aber Dinge, nicht Stoffe. Wenn ich etwas aus Holz oder Eisen herstelle, gebe ich dem Stoff eine konservative, feste Form. Fluide kann ich durch Gefässe abgrenzen, wodurch sie vorübergehend die Form des Gefässes annehmen. Das benutze ich beispielsweise beim Giessen.

In der Naturwissenschaft, die hier keine Rolle spielt, wird Stoff als je konkrete Materie aufgefasst. Stoffe bestehen in der dort gewählten Beobachtung aus Atomen und chemischen Verbindungen. In der politischen Ökonomie wird Stoff als Roh- oder als Werkstoff als Produkt behandelt. Hier interessiert mich Stoff nur als Träger von Eigenschaften, die ich in der Produktion hervorbringen will. Holz oder Eisen verwende ich in der Lebenswelt der anfassbaren Sachen jenseits von physikalischen Atomen und jenseits von ökonomischen Werten.(5) Ich verbrauche es beim Heizen und gebrauche es, wenn ich einen Tisch herstelle.

Das Produzieren von Artefakten bezeichne ich als Herstellen. In der politischen Ökonomie wird das Herstellen als Arbeit beobachtet. Ich unterscheide hier das Herstellen vom Arbeiten. Als Arbeiten bezeichne ich das Produzieren unter zwei sehr verschiedenen Gesichtspunkten: zum einen in einem gesellschaftlichen Sinn, wenn es - arbeitsteilig - zum Erreichung von Tauschwert geschieht. Zum andern, wenn ich es - jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen - als Teil der naturnotwendigen Aneignung der Lebensmitteln begreife. Als Arbeit bezeichne ich in diesem Sinn das Hervorbringen und Zubereiten von Produkten für den Verbrauch. Es ist ein naturwüchsig sich stetig wiederholender, zirkulärer Prozess ohne Anfang und Ende, dem auch Tiere unterworfen sind.(6)

Wenn ich etwas herstelle, habe ich einen Plan, der den Anfang und das Ende der Handlung bestimmt. Essen muss ich immer wieder, ein Artefakt herstellen muss ich nur einmal. In der arbeitsteiligen Gesellschaft werden ganz viele Artefakte seriell produziert, weil sie als Ware an möglichst viele Konsumenten verkauft werden. Aber ich brauche natürlich jedes Artefakt - von seiner allfällig begrenzten Lebenszeit abgesehen - nur einmal.

Das Herstellen tendiert überdies dazu, sich aufzuheben. In einer laxen Redeweise wird gesagt, dass einen Roboter Roboter "herstelle". Aber natürlich ist ein Roboter ein Werkzeug, das ich verwende. Ein Roboter stellt nichts her, er dient mir als Mittel beim Herstellen.

In diesem Text behandle ich die Textproduktion. Es ist sinnenklar, dass ich einen Text nur einmal schreibe, es ist ebenso klar, dass viele Texte durch Medien wie das Internet beliebig viele Instanzen haben. Ich werde darauf zurückkommen, mich aber vorerst weiter mit dem Herstellen befassen, bei welcher ich Material forme.

Als Form bezeichne ich im Kontext der Herstellung von Artefakten in einem operativen Sinn genau das, was ich zeichnen kann.(7) Jede Zeichnung repräsentiert eine perspektivische Form des gezeichneten Gegenstandes. Dreirissige Konstruktionszeichnungen sind in diesem Sinne idealtypische Zeichnungen der Form, während einfache Zeichnungen konventionell den Aufriss darstellen. Ein Kuchen hat die Form der Kuchenform. Die Kuchenform ist ein geformtes Blech. Der Kuchen besteht aus Kuchenteig. Das Kuchenblech besteht aus Metall. Die Zeichnung, die selbst ein hergestellter Gegenstand mit einer Form ist, zeigt das Material des gezeichneten Gegenstandes nicht, wohl aber, dass beim Herstellen ein Material gewählt wurde.

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Als Material bezeichne ich das, was ich bei der Herstellung von Gegenständen forme. Es wird mir zum Material, indem ich es bei der Herstellung eines Gegenstandes verwende. Ein Stein beispielsweise bezeichne ich nicht als Material, wenn ich ihn nicht forme. Ein Baum ist kein Material. Wenn ich beim Herstellen eines Gegenstandes Holz verwende, verwende ich Holz als Material. Wenn ein hergestellter Gegenstand aus Holz besteht, bezeichne ich das Holz als Material, weil es beim Herstellen verwendet wurde. Jenseits von Material verwende ich Holz - wie bereits erörtert - als Stoffbezeichnung.(8)

In den Geschichten über die Menschheit - die sich als Geschichte wähnen - sind die ersten Gegenstände, die hergestellt wurden, bearbeitete Steine gewesen. Hier interessiert mich nicht, ob Tiere Werkzeuge herstellen oder benutzen, und auch nicht, welche kognitiven Fähigkeiten das Bearbeiten von Steinen im Tier-Mensch-Übergangsfeld vorausgesetzt hat. Hier interessiert mich auch nicht, welche Werkzeuge den vermeintlich ersten Menschen in der konventionellen Geschichtsschreibung in welcher Reihenfolge und in welchen Zeiträumen zugeschrieben werden. Hier ist unerheblich, wann welche Homosapiens zum ersten Mal steinerne Faustkeile benutzt oder sogar hergestellt haben. Hier interessiert mich nur das Herstellen, und dessen logisch-genetische Entwicklung, deren Anfänge ich selbst tätig, in konkreten Handlungen nachvollziehen kann.

Gefundene Steine wurden wohl für allerlei Tätigkeiten benutzt, lange bevor sie bearbeitet wurden. Ich würde auch heute noch einen geeigneten Stein verwenden, wenn ich beispielsweise eine Nuss aufschlagen, etwas abschaben oder verkleinern müsste. Ich kann ohne weiteres erkennen, dass sich verschiedene Steine dabei verschieden gut eignen. Ich kann erkennen, dass die Form des jeweiligen Steines für die jeweilige Verwendung besser oder weniger gut geeignet ist, und ich kann auch erkennen, dass es unabhängig von der jeweiligen Form relativ weiche und relativ harte Steine gibt.

Wenn ich einen Stein verwende, um eine Nuss zu öffnen, erfüllt der Stein eine bestimmte Funktion.(9) Ich nehme aber nicht an, dass der Stein dafür gemacht wurde. Die Funktion ist vom Stein unabhängig. Ich kann die Nuss auf sehr viele verschiedene Weisen öffnen, unter anderem kann ich sie mit Stein aufschlagen. Wenn ich keinen passenden Stein finde, finde ich vielleicht ein Möglichkeit, die Nuss mit blossen Händen zu öffnen. Ich weiss aber auch, dass es heute Nussknacker gibt, die eigens zum Öffnen von Nüssen hergestellt wurden.

Wenn ich beispielsweise Wasser trinken will, kann ich das tun, indem ich das Wasser ohne Gefäss aus einem Bach trinke. Ich kann dabei mit meinen Hände ein Schale bilden. Ich kann das Wasser aus einem - improvisierten - Gefäss, etwa aus einer gefundenen Kokosnussschale trinken. Ich kann ein Gefäss herstellen ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, ich kann beispielsweise Lehm formen. Eine Schüssel ist im Unterschied zur Kokosnussschale, die ich als (ob) Schüssel verwende, hergestellt. Sie kann aus verschiedenen Materialien bestehen. Ich habe mit "Schüssel" ein Wort, das unabhängig von Form und Material für ihre hergestellte Bedeutung steht. Für hergestellte Gegenstände habe ich Bezeichnungen, mit welchen ich auf deren Bedeutung verweise.

Ich kann ein Werkzeug herstellen, etwa ein Steinmesser, ohne dabei ein hergestelltes Werkzeug zu verwenden, indem ich den Stein durch Abschleifen forme. Ich kann dann ein Gefäss herstellen, wobei ich dieses rohe Werkzeug verwenden kann. Ich trinke dann Wasser aus beispielsweise einer aus Holz geschnitzten Schüssel. Die Funktion bleibt in all diesen Fällen dieselbe, ich führe meine Körper Wasser zu, wozu ich hergestellte Gegenstände verwende kann, aber nicht muss. Die Funktion ist keine Eigenschaft des Gegenstandes.(10)

Hergestellte Gegenstände haben - umgangssprachlich - einen Zweck, sie können aber sehr verschiedene Funktionen erfüllen. Wenn ich einen Gegenstand verwende (gebrauche), erfüllt er immer eine Funktion, die mit dem Zweck des Gegenstandes in einem sehr losen Verhältnis steht. Ich kann beispielsweise einen Hammer als Briefbeschwerer verwenden. Dabei bleibt er ein Hammer, aber ich benutze ihn nicht als Hammer.(11) Natürlich kann ich einen hergestellten Gegenstand auch zweckmässig verwenden, ich kann einen Hammer als Hammer benutzen. Gefässe verwende ich normalerweise - ihrem Zweck entsprechend - zum Aufbewahren von Stoffmengen, die ich ausleeren kann, weil sie sich wie Flüssigkeiten verhalten. Ein typisches Beispiel für ein Gefäss ist eine Tasse, aus welcher ich trinke. In einer Schüssel kann ich auch Reis oder Kartoffeln aufbewahren. Wenn ich das Gefäss zum Schöpfen oder zum Transportieren verwende, ist das Aufbewahren relativ kurzfristig. Wenn ich mit einer Schaufel Schnee oder Sand wegräume, verwende ich das Gefäss, das aus dem Schaufelblatt besteht, als Teil eines Werkzeuges. In der durch Funktionen geprägten Alltagssprache wird deshalb eine Schaufel auch nicht als Gefäss bezeichnet, selbst dann nicht, wenn sie etwa als Baggerschaufel leicht als Gefäss erkennbar ist.

Gefässe, die aus Lehm oder Ton hergestellt wurden, bestehen aus Material, das relativ leicht zu finden ist und gut ohne Werkzeuge bearbeitet werden kann. Die elementarsten Herstellungstätigkeiten, die ich unter gegebenen Umständen ohne weiteres selbst ausführen kann, betreffen Gegenstände mit einfachen Formen und leicht vorfindbarem Material. Das Tongefäss ist Beispiel dafür.(12) In der konventionellen Geschichte der Menschheit werden sie auch als Produkte sehr früher Herstellungsverfahren zitiert. Ich führe sie hier als Beispiel an, weil sie einerseits das Formen exemplarisch repräsentieren und andrerseits, weil ich das Herstellen nicht auf Werkzeuge reduzieren will.

Im Werkzeug sehe ich nicht den Zweck, sondern ein Mittel der hier gemeinten Produktion. Was Menschen als Naturwesen brauchen, könn(t)en sie - wie Tiere - ohne Werkzeuge produzieren. Die Produktion entwickelt sich aber vor allem durch die Entwicklung der Werkzeuge.(13) Und weil Werkzeuge auch hergestellte Gegenstände sind, unterliegen sie selbst auch dieser Entwicklung. Auch Werkzeuge sind mittels Werkzeugen geformtes Material.

Die konventionelle Geschichtsschreibung orientiert sich nicht an der Entwicklung der Werkzeuge, sondern an Werkstoffen und Produktionsformen. Sie unterscheidet Stein-, Bronze- und Eisenzeiten und später Zunft, Manufaktur und Industrie. H. Arendt bezeichnet die Entdeckung der Kohle als wichtiger als die Erfindung der Dampfmaschine. Ich verwende den Ausdruck Material komplementär zu Form. Die herstellende Tätigkeit begreife ich als Formen. Egal, was ich herstelle, das dabei entstehende Artefakt hat eine durch das Herstellen bewirkte Form. Formen kann ich nicht überhaupt, ich forme immer etwas. Und das, was ich forme, bezeichne ich als Material. Was ich als Material bezeichne ist also gewissermassen die Kehrseite des Formens.

Der Ausdruck Material erscheint in der konventionell politischen Geschichtsschreibung hauptsächlich im Ausdruck Materialismus, wo mit Materialismus eine Weltanschauung bezeichnet wird.(14) Ich unterscheide sehr verschiedene Materialismen, in welchen dann auch den Ausdruck Material sehr verschiedene, aber immer metaphorische - Bedeutungen hat. Der mir geläufigste Materialismus bezeichnet eine Orientierung am Geld. Materialisten tun alles für Geld, ohne dabei Geld als Material zu sehen. Dann gibt es einen Materialismus, der die Materie ins Zentrum stellt. Diese Sichtweise beherrscht einen grossen Teil der Naturwissenschaften. Materie ist aber ein ganz anderes Wort als Material. Ich weiss nicht, was Materie ist, ausser dass sie aus Atomen besteht, wobei ich keine Ahnung von Atomen habe. F. Heider – der kein Materialist sein wollte – hat das Geformte als Ding bezeichnet und anstelle von Material den Ausdruck Medium verwendet. Das ist von vielen Sozial-wissen-schaftlern, die auch keine Materialisten sein wollen, übernommen worden. Differenz­theoretisch kann „Material“ durch die Differenz zwischen Material und Medium gesehen werden, wobei Medium für die nicht aktualisierte Form steht, also keine Eigenschaft hat, während Materialbezeichnung Eigen­schaf­ten benennen und auch eine konkrete Form implizieren.

Da ich Material beim Herstellen von Artefakten forme, muss es formbar und im festen Aggregatzustand anfassbar sein. Das Wort Material wird in der Philosophie oft synonym zu Stoff, Substanz oder Materie verwendet.(15) Es wurde schon in der antiken Philosophie oft als Träger von substanzlosen Eigenschaften bestimmt. Materialien wie etwa Bronze und Silber, oder allgemeiner wie Metalle sind in diesem Sinne Verdinglichungen (Hypostasierung) von Eigenschaften, die ich – quasi-ontologisch formuliert – am Material wahrnehme. Der Aggregatzustand ist keine Eigenschaft eines Stoffes, aber die Schmelztemperatur ist eine Eigenschaft. Ein Schwert ist nur ein Schwert, wenn die Temperatur des Materials stimmt.

Im festen Aggregatzustand hat Material immer eine Form. Das Referenzobjekt des Ausdruckes Bronze etwa kann als Barren, Klumpen, Ohrring oder Statue existieren. Ich kann beispielsweise Eisen flüssig machen, dann nimmt es die Form der Gussform an, aber eben nur insofern, als es beim Abkühlen diese Form behalten würde. Solange es flüssig ist, hat es keine Form.

Wenn ich beispielsweise beim Schreiben Tinte verwende, ist sie flüssig. Ich giesse sie aber nicht in eine Form, sondern benutze deren Eigenschaft, dass sie rasch trocknet und damit fest wird, wenn ich sie in kleinen Mengen auf Papier auftrage. Ein i-Punkt aus Tinte ist, gerade nachdem ich ihn geschrieben habe, ein noch flüssiger Tropfen auf einer Unterlage, der als abgegrenzte Menge bereits wie ein fester Körper, wie eine abgeflachte Halbkugel erscheint. Dabei verdampft die flüssigen Anteile der Tinte nicht, sie werden vom Papier aufgesogen werden. Das Beispiel zeigt, das es sehr verschiedene Übergange zwischen Aggregatszuständen gibt. Beim Herstellen von Artefakten verwende ich oft die Formbarkeit von Materialien in flüssiger oder weicher Form. Gusseisen-, Töpfereiartikel und feste Tintenkörper sind typische Beispiele dafür.

Wenn ich vom Material spreche, abstrahiere ich generell von dessen Form. Ich spreche auch von Material, wenn ich den vorübergehenden Zustand während des Formens ausser Acht lasse. Viele Materialien haben eine Verarbeitung hinter sich, sie wurden im Sinne einer Zubereitung produziert. Das ist für ihr Material-Sein aber unerheblich. Ich unterscheide einige Fälle. Metalle finde ich gemeinhin als Erze, die ich durch schmelzen trennen muss. Das getrennte oder reine Metall hat dann normalerweise eine Gussform, typischerweise als Barren. Tonerde kann ich direkt abbauen. Weil sie weich ist, kann ich sie formen und danach durch brennen, hart machen. Tinte beispielsweise ist ein hergestelltes Gemisch aus einer Flüssigkeit und Farbstoff, das selbst noch flüssig ist. In all diesen Fällen spreche ich von einem Material unter dem Gesichtspunkt, dass ich es zum Herstellen von Artefakten verwende. Wenn ich vom Herstellen abstrahiere, erscheinen mir Materialien als naturwüchsige Stoffe, die ich physikalisch oder chemisch beobachten kann, was hier aber nicht weiter interessiert.

Material, das aus einer Verarbeitung folgt, bezeichne ich als Werkstoff. Werkstoffe haben eine (Proto)-Form, die noch keinem bestimmten Gebrauch entspricht, weshalb ich auch von Halbfabrikaten spreche. Die Herstellung von Gebrauchsgegenständen ist oft in getrennte Operationen zerlegt. Das Abbauen von Erz, das Gewinnen von Metall und das Herstellen von Nadeln oder Schrauben sind zerlegte Operationen einer Herstellung von verschraubten Artefakten. Diese Protoformen, die als Werkstoffe oder Halbfabrikate verwendet werden, sind nicht „konstruiert“, sondern sozusagen materielle Urformen.

Von einem Medium spreche ich in diesem Sinn, wenn ich das Material nicht nur nicht von seiner Form unterscheide, sondern auch von dessen Materialeigenschaften abstrahiere. Wenn ich die Formseite der Unterscheidung markiere, repräsentiert die Form das Bestimmte, während das Medium das unspezifische Potential zur Formgebung darstellt. Die Form bestimmt Eigenschaften, die dem Material nicht zukommen. Wenn ich ein Messer forme, forme ich die Eigenschaft „schneidend“. Eisen schneidet nicht.

Wenn ich meinen Körper durch Diät, Bodybuilding oder Verstümmelung forme, ist der Körper Medium in verschiedenen Formen, aber dabei wird kein Material gewählt. Wenn dagegen der berühmte Genfer Arzt Frankenstein eine Kreatur herstellte, muss er sich überlegen, ob er das aus Lehm (Golem), Holz (à la Pinocchio), Puppenmaterial (im Sandmann) oder aus Teilen, die er Friedhof ausgräbt, verwenden soll. Er braucht also Material. Und wenn ich eine Prothese für ein Bein oder ein Herz herstelle, muss ich wählen unter Stahl, Plastik usw. also unter Materialien. Als Artefakte bezeichne ich Gegenstände, die auf einer Materialwahl beruhen – und ausserdem noch auffindbar sind, was bei Frankensteins Monster und dessen Variationen ja nicht der Fall zu sein scheint.


2.2 Textproduktion   bild

Der Arbeitsgegenstand der Textproduktion ist das Material, aus welchem der Text durch formen hergestellt wird. Ich beschreibe die Entwicklung der Formgebung anhand der jeweils verwendeten Werkzeuge, die die Wahl des Materials mitbestimmen und davon abhängig sind. Auf die Entwicklung der Materialien werde ich hier nicht näher eingehen, ich werde also beispielsweise über die Entwicklung der Tinte hier nichts schreiben, sondern die Materialien nur durch ihre Verwendung charakterisieren. Das Hervorbringen und Zubereiten von farbigen Materialien, wozu auch Tinte gehört, unterliegt einer relativ zu Text eigenständige Entwicklung, die beispielsweise bereits in der Höhlenmalerei eine wichtige Funktion erfüllt hat.(16)

Auch die Entwicklung anderer Arbeitsmittel wie etwa Papier werde ich hier nicht behandeln, obwohl sie für die Entwicklung der Textproduktion von grosser Bedeutung sind. Ohne die Erfindungen von Papier und Tinte hätte sich das Schreiben, wenn überhaupt, wohl ganz anders entwickelt. Mittlerweile ist aber anhand des papierlosen Büros und des Internet auch sichtbar geworden, dass ich zum Schreiben weder Papier noch Tinte brauche, was am Anfang des Schreibens ja auch noch nicht vorhanden war.

Beim Schreiben kann ich Werkzeuge verwenden. Viele Tätigkeiten wie etwa Schneiden oder Schweissen kann ich ohne Werkzeuge gar nicht ausüben, weil ich diese Tätigkeiten gerade durch den Gebrauch von jeweilig spezifischen Werkzeugen von anderen Tätig­keiten unterscheide. Schreiben kann ich zur Not auch ohne Werkzeug, obwohl das deutsche Wort quasi­etymo­logisch auf scriban zurückgeht, was auf das Schreiben mit einem Griffel verweist.(17)

Wo immer ich Werkzeuge verwende, entwickelt sich die Tätigkeit mit der Entwicklung der Werk­zeuge, die ich verwende. Die Entwicklung der Werkzeuge betrachte ich unter dem Gesichts­punkt einer Ausdifferenzierung, durch die bestimmte Aspekte der Tätigkeit aufgehoben werden. Jeder Differenzierung entspricht eine Entdifferenzierung.(18)

Da ich beim Schreiben ein Artefakt herstelle, brauche ich zwangsläufig ein Material, das ich formen kann und etwas weniger unmittelbar eine Unterlage, durch die das Artefakt getragen wird. In der noch ganz unent­wickel­ten Form ist die Unterscheidung zwischen Textmaterial und Textträger noch aufgehoben. Wenn ich bei­spielsweise mit meinem Finger in den Sand schreibe, kann ich Text und Träger nicht unterscheiden. Sand ist weich genug, dass ich ohne Werkzeug schreiben kann. Allerdings ist das nicht sehr nachhaltig, eine Welle am Strand oder etwas Wind lassen den Text wieder verschwinden. Wenn ich einen Meissel verwende, kann ich härteres Material wie Holz, Stein oder Fels ritzen, was mein Schreiben nachhaltiger macht. Was geschrie­ben wird, soll noch eine bestimmte Zeit sichtbar vorhanden sein. Ich könnte sagen, dass der Meissel beim Schreiben den Finger ersetze, ich neige eher dazu zu sagen, dass der Finger in der Not den Meissel ersetzt, weil bildbeim Schreiben für mich in der Nachhaltigkeit des Geschriebenen ein Sinn des Schreibens liegt. Wie auch immer, der Meissel ist ein Werk­zeug, wenn er nicht ein zufällig aufgelesener Stein mit einer scharfen Kante ist. Der Meissel zeigt in einer rohen Form, was ich auch beim Schreiben ohne Meissel mache. Ich mache Striche, die ich später wieder sehen will.

Ich kann sagen, dass ich Striche mache, die mich an etwas erinnern sollen. Dann spreche ich nicht nur darüber, was ich mache, sondern auch über eine Funktion der Striche, oder allgemeiner nicht nur darüber wie, sondern darüber, warum ich schreibe. Das will ich hier noch zurückstellen, weil es mir hier um die Werkzeuge geht.

Wenn ich mit einem Meissel statt mit dem Finger schreibe, muss ich weniger drauf achten, dass mein Text erhalten bleibt. So realisiere ich, dass ich beim Schreiben auch die implizite Aufgabe erfülle, den Text aufzubewahren, und dass ich das besser oder schlechter machen kann.

In einer etwas entwickelteren Form des Schreibens variiere und kombiniere ich die Striche, so dass verschiedene Zeichenkörper entstehen. Der Meissel wird dabei zunehmend unhandlich. Ich kann aber auch beobachten, dass die Verwendung von Farben die Ausdifferenzierung von verschiedenen Zeichenkörper besser zugelassen hat. Wenn ich mit Farbe schreibe, was ich in einem engeren Sinne wiederum von Hand, also mit dem Finger machen kann, brauche ich andere Werkzeuge als den Meissel. Zuerst aber brauche ich Farbe, mit welcher ich Gegenstände herstellen kann. Als Farbe bezeichne ich in diesem Zusammenhang ein farbiges Material, das ich gut auf einer geeigneten Unterlage auftragen kann. Solange die Farbe in einem Behälter ist, ist sie leicht als drei­dimen­sionales Material zu erkennen. Und wenn ich dieses Material in einer dünnen Schicht auf einen Träger auftrage, verliert es sein drei­dimen­sionales Materialsein natürlich nicht.

Den Ausdruck Farbe verwende ich für zwei ganz verschiedene Sachen. Einerseits bezeichne ich das Material und andrerseits die Farbe des Materials. Eine naturwüchsige Farbe, die sich zum Schreiben eignet, ist – rotes – Blut, eine hergestellte Farbe ist beispielsweise Tinte, die auch rot sein kann. Die Variation des Farbmaterials ist nicht nur in Bezug auf die Farbe enorm. Die verschiedenen Materialien verlangen auch verschiedene Werkzeuge, die ich vorerst ganz grob als Stift oder Pinsel bezeichne.

Wenn ich Farbe als Material eines Textes verwende, braucht der Text einen Träger. Ich trenne damit den Text von seinem Träger und unterscheide deshalb, ob ich vom einen oder dem andern spreche. Schreiben mit Farbe verlangt nicht unbedingt ein Werkzeug, aber es verlangt – tautologischerweise – ein Farbmaterial, das ich forme, und einen Textträger, den ich bei Schreiben nicht willentlich verforme.

Ziemlich alte Dokumente sind Höhlen- oder Felsmalereien, bei welchen durch farbige Oxide gefärbte Ton­erden verwendet wurden, die sozusagen als natürlich Farben gegeben waren. Als nachhaltige Träger solcher Artefakte erweisen sich beispielsweise die Wände der berühmten Höhle von Lascaux, die relativ trocken sind, da sie von einem Mergelhorizont gegen Wasserinfiltration abgedichtet sind, wodurch auch kein nen­nens­werter Kalzitüberzug entstehen kann. Dass diese „Texte“ nach mehr als tausend Jahren noch lesbar sind, ist nicht nur vom Material des Textes, sondern auch von der Beschaffenheit des Textträgers abhängig. Die Höhlenwände sind nicht hergestellt sondern naturwüchsige Textträger, die nur gewählt, nicht gemacht wurden. Die Beobachtung des Textträgers entwickelt sich, wo dieser als Kulturgut hergestellt wird, zunächst als Pergament oder Papier.

Wenn ich den Text an der Höhlenwand von Lascaux lesen will, muss ich diese Höhle besuchen. Wenn ich aber nur den Text, der dort geschrieben wurde, lesen will, kann ich auch eine Abschrift lesen. Auf diese Differenz komme ich später im Zusammenhang mit Buchdruck und Computer sehr ausführlich zurück. Zu­nächst will ich zwei Raumprobleme behandeln.

Das eine Raumproblem entsteht dadurch, dass der Text und der Textträger in vielen Fällen so verbunden sind, dass sie nicht getrennt werden können. In diesem Sinne ist der Textträger dann Teil einer chemischen Verbindung und damit natürlich auch verformt. In diesen Fällen kann ich den Text nur transportieren, wenn oder indem ich den Textträger transportiere. Das macht bestimmte Textträger, etwa Höhlenwände sehr unpraktisch, weil der Leser zum Text muss anstelle davon, dass der Text zum Leser kommt.

Ein zweites räumliches Problem, das ich nur erwähnen und auch später behandeln werde, besteht darin, dass ich beim Schreiben ein Textfeld erzeuge oder impliziere, in welchem ich den Text anordne. Wenn ich nur Striche an die Höhlenwand mache, muss ich sie später wieder finden, wozu ich mir deren Lage auf der Wand merken muss. Innerhalb eines Dokumentes gibt es auch Textfelder. Unter­schrift deute ich in diesem Sinne als Schrift, die unten, unterhalb anderer Schrift platziert wird. Schliesslich muss ich auch Bücher in meinem Büchergestell wiederfinden.

Wenn ich Text transportieren will, muss ich in vom Träger lösen oder den Textträger transportierbar machen. Der Stein von Rosette ist ein Beispiel für gemeisselten und doch transportierbaren Text, der überdies noch andere Textkriterien sichtbar macht. Eine Form des Textträgers, die grosse Verbreitung gefunden hat, ist in der entwickelten Form Papier, das zunächst als Tierhaut, Pergament oder als Papyrus naturnähere, aber auch schon mehr oder weniger bearbeitete Formen hatte. Papier ist auch ein Beispiel dafür, dass sich nicht nur der Textträger, sondern auch dessen Produktion entwickelt.

Während die Schreibwerkzeuge eine grosse Entwicklung durchlaufen haben, hat sich beim Textträger lange Zeit nur dessen Produktion entwickelt. Papier ist als Textträger erst auf der Stufe der Computertechnik, etwa in der Idee des papierlosen Büros, aber dann vor allem durch das Internet problematisiert worden. Aber die Papierherstellung hat eine enorme Entwicklung durchlaufen.Die Herstellung von Papier war zunächst ein Handwerk, das später indu­striell in Maschinen aufgehoben wurde.(19)

Papier erfüllt viele Funktionen. Ich verwende Papier unter anderem zum Einpacken von Geschenken oder Tabak und beim Anzünden von Feuern, meistens für beliebige Haushalts- oder Hygienetücher. Es scheint aber - der gängigen Sage nach - vom Chinesen Ts'ai Lunals als Textträger entwickelt worden zu sein.(20) Eine wichtige Text-Funktion erfüllt Papier als Lochkarte, wobei es natürlich nicht hauptsächlich als Trägermaterial dient. Darauf werde ich später zurückkommen.

Eine interessante Verwendung hat Papier in Bezug auf das Siegel, das eine Art Mischung zwischen Einritzen und Farbeauftragen ist, die für die weitere Entwicklung des Schreibens wichtig ist. Das Siegel, bei welchem die „Tinte“ in Form von Wachs ohne bewusst hergestellte Struktur auf das Papier aufgetragen wird, wird danach durch Prägung in eine Form gebracht , was in gewisser Weise dem Einritzen eines Musters entspricht. In dieser Kombination der beiden Verfahren Farbauftragen und Einritzen erkenne ich einen Übergang zu einer entwickelteren bildArt des Schreibens. Es wird dabei nicht das Trägermaterial bearbeitet, aber das Textmaterial wird noch so bearbeitet, wie es mit einem Meissel passiert.

Durchgesetzt hat sich aber die Verwendung von Tinte in verschiedenen Viskositäten, was im Wesentlichen auch durch die jeweiligen Schreibwerkzeuge bestimmt wird. Tinte durchläuft natürlich auch eine Entwicklung, die aber von Auge kaum erkennbar ist, weil sie nur die chemische Zusammensetzung betrifft. Auf einem Brief, den ich mit meinem PC-Drucker ausgedruckt habe, ist kaum zu sehen, ob ich einen Laser- oder einen Inkjet-Drucker benutze. Der Text erscheint als Tinte, auch wenn ganz verschiedene Verfahren und Materialien verwendet werden.

Papier – auch in den noch nicht entwickelten Formen – erlaubt nicht nur den Transport von Text, sondern auch eine Vereinfachung des Schreibens durch entsprechende Werkzeuge. Für Tinte als Textmaterial eignen sich Pinsel. Anfänglich scheinen auch Vogelfedern als Pinsel verwendet worden zu sein. Dann merkte wohl ein praktischer Schreiber, dass der Federkiel besser geeignet ist oder anstelle von Schilfrohr eingesetzt werden kann. Der Federkiel wurde dann durch eine hergestellte „Feder“ aus Metall ersetzt, die sinnigerweise auch Feder genannt wurde.

Tinte in flüssiger Form hat ein paar Nachteile, sie tropft und schmiert. Und sie muss in einem Behälter aufbewahrt werden. In festerer Form gibt es Kreide und Bleistift. Beides ist nicht so nachhaltig wie Tinte, weil sich das Material mit dem Papier weniger stark verbindet. Bleistiftgeschriebener Text kann dafür gut radiert werden. Es gibt eine Reihe von Eigenschaften, die auf dieser Stufe noch als Vor- oder Nachteile der verschiedenen Werkzeuge gesehen werden können, weshalb es auch verschiedene dieser Werkzeuge nebeneinander gibt. Die Entwicklung hat auch Füllfederhalter, Kugelschreiber und Filzstifte hervorgebracht. Ich betrachte im Folgenden die Entwicklung der Schreibwerkzeuge, wobei mich vor allem die Tätigkeit des Schreibens interessiert.


2.3 Schreibwerkzeug   bild

Ein paar Bemerkungen zu Schreibwerkzeugen habe ich bereits gemacht. Hier stelle ich die Entwicklung als Ganzes unter dem Gesichtspunkt dar, wie sich durch die Werkzeuge die Tätigikeit des Schreibens verändert.

Das einfachste Schreibwerkzeug ist ein Stab, mit welchem ich in leicht verformbaren Stoffen wie etwa Sand schreiben kann. Dazu muss der Stab eine bestimmte Grösse und eine bestimmte Festigkeit aufweisen. Ein typisches Beispiel für ist ein abgebrochener Zweig aus Holz. Hier interessiert mich nicht, inwiefern ein Stecken, den ich im Wald auf dem Boden gefunden habe, ein Werkzeug ist. Ich betrachte hier den Stab als hergestelltes Werkzeug, unabhängig davon, dass ich ihn funktional durch gefundene Sachen oder meinen Finger ersetzen kann.

Wenn ich ein Werkzeug verwende, muss ich es mit meiner Muskelkraft antreiben und so steuern, dass die gewollten Formen entstehen.

Wenn ich in härteren Stoffen schreiben will, muss das Werkzeug entsprechend härter sein. Ich kann etwa einen zugespitzen Stein verwenden, mit welchen ich im gewählten Stoff ritzen kann. Wenn der Stoff, in welchem ich schreibe entsprechend hart ist, kann ich das Werkzeug als Meisel verwenden, auf welchen ich mit einem zweiten Werkzeug schlage. Dieses zweite Werkzeug kann wieder ein aufgelesener Stein sein, ich spreche aber von einem hergestellten Hammer, gleichgültig wie viel ich den Hammer selbst geformt habe.

Wenn ich Meissel und Hammer verwende, kann ich von zwei Werkzeugen oder von einem zweiteiligen Werkzeug sprechen. Meine Tätigkeit verlangt nach einer zusätzlichen Koordination, weil ich mit dem Hammer den Meissel treffen muss. Ich muss beide Werkzeugteile durch Muskelkraft halten und steuern, auch wenn ich nur einen Teil des Werkzeuges antreibe. Der Meissel hat viele Formen und Namen, Beitel, Stecheisen oder Stichel. Darin zeigt sich einen Differenzierung, die ein Werkzeug betrifft. Die Hinzunahme eines Hammers zeigt eine Differenzierung, die die Verwendung des Werkzeuges betrifft. Die Entwicklung der Werkzeuge beruht zu einem grossen Teil darauf, dass verschiedene Werkzeuge kombiniert werden.

Im hier gemeinten einfachsten Fall des Schreibens mache ich einfache Markierungen, die eine bestimmte Zeit erhalten bleiben. Solche Markierungen kann ich auf naturwüchsig vorhandenen Stoffen wie Sand oder Fels anbringen. Diese Markierungen bestehen in bewusst angeordneten Vertiefungen, die ich als Striche erkenne. Ich stelle diese Markierungen her, indem ich den jeweilgen Stoff verforme und ihn so zu meinem Material mache, das ich bearbeite. Wenn ich im Sand am Strand eines Meeres Striche produziere, kann ich keinen Arbeitsgegenstand bezeichnen. Ich bearbeite dann gewissermassen die Erde als Ganzes oder den ganzen Sand des Strandes. Das Material bleibt gegenstandslos.

Dass ich hier das Herstellen von einfachsten Markierungen als Schreiben bezeichne, beruht auf der gewählten Perspektive, in welcher ich Keimformen beobachte. Von Keimformen spreche ich rekonstruktiv, von einer evolutiv späteren Stufe der Entwicklung her gesehen. Schreiben bedeutet auf allen Stufen Markierungen herzustellen. Ich werde im nächsten Kapitel ausführlicher darauf zurückkommen.

Ich weiss nicht, ob historisch Die das Gravieren von Schriftzeichen älter ist als das Verwenden von Farbe beim Herstellen der Zeichen. Das Gravieren ist logisch-genetisch oder entwicklungslogisch älter. Die Werkzeuge sind einfacher und das Material wird noch nicht in einem Gegenstand aufgehoben. Gravur schafft keinen eigenständigen Gegenstand.

In jedem Verwenden von Farbe erkenne ich eine Keimform des Schreibens. Mit Farbe stelle ich Markierungen her. Farbe wird als quasi naturwüchsiges Symbol wird hier später nochmals Thema. Wenn die Blätter der Bäume ihre Farbe ändern, kann ich das als AN-Zeichen erkennen. Wenn mein Gesicht oder das Gesicht meines Gegenübers seine Farbe aufgrund von Kälte oder Verlegenheit ändert, erkenne ich ein leicht deutbare Anzeichen. Wenn ich die Farben in meinem Gesicht mit Farbe betone, schaffe ich eine Keimform von Zeichen. Und wenn ich Farbe auf eine Höhlenwand auftrage, stelle ich Zeichen her, auch wenn ich damit noch nicht schreibe.

Das Verwenden von Farbe verlangt andere Werkezeuge als Hammer und Meissel. Ich brauche dazu Werkzeug, mit welchen ich nicht den Träger der Zeichen verforme, sondern das Farbmaterial, das ich auf den Träger auftrage, zu Zeichen forme. Weil Farbe ein Stoff ist, wird dabei ein materielle Gegenstand hergestellt, den ich im Prinzip vom Träger der Farbe unterscheiden kann. Das Verwenden von Farbe verlangt aber vor allem auch Farbe. Man kann annehmen, dass die Erfindung der Farbe gegenüber den Werkzeugen vorrangig sei(21), ich gehe davon aus, dass Farbe in ihrer naturwüchsigen Form entdeckt, nicht erfunden wurde. Aber sehr früh wurden Farben duch Mischen von verschiedenen Stoffen hergestellt. Die Farben, die ich aktuell beim Schreiben verwende, haben eine unermessliche Entwicklung hinter sich, auf die ich hier nicht eingehen will.(22)

Es gibt viele naturwüchsig farbige Stoffe, die ich auch ohne Werkzeug für Markierungen verwenden kann. Ich kann Blut mit meinem Finger auf beliegen Gegenständen auftragen.(23). Es gibt farbige Steine, die ich mosaikartig anordnen kann. Die Farben, die in der Höhlenmalerei verwendet wurden, scheinen auch weitgehend wie etwa Ocker naturwüchsig zuhanden gewesen sein. Es gibt Kalk, das sich als Kreide eignet, Kohle kann zum Zeichne verwendet werden.

Im einfachsten Fall eines Schreibwerkzeuges stelle ich einen handlichen Stift aus geeignetem Material her, etwa eine Schreibkreide. Kreide bezeichnet in diesem Fall nicht (nur oder nicht vor allem) das Material, sondern den hergestellten Gegegenstand, den ich beim Schreiben verwende. Wenn ich mit einer Kreide zeichne, hinterlässt sie kleine Partikel, die auf der beispielsweise verwendeten Schiefertafel haften bleiben und leicht wieder abgewischt werden können. Die Kreide ist ein Werkzeug, die aus dem Material bestehen, das ich mit ihr bearbeite. Mit der Kreide forme ich aber, anders als mit einem Meisel, einen Gegenstand, den ich vom Träger des Gegenstandes underscheide.

Die Kreide ist ein hergestellter Gegenstand. Andere Schreibgegenstände sind etwa Kohlestifte oder Stifte aus Blei. Die Zeichnenkohle besteht aus verkohlten Holzstäbchen, oder aus in Form eines Stiftes gepresstem Holzkohlepulver. Viele Schreibstifte wurden ursprünglich als zugespitzte Griffel aus echtem Blei verwendet. Bei Plinius dem Älteren ist überliefert, dass in der Antike auf Grund der günstigen Abriebeigenschaften des Metalls reine Bleigriffel (lateinisch stilus plumbeus) verwendet wurden.

Schreibwerkzeuge wie Kreide wurden oft mit einer Papierhülle versehen, die nicht den Zweck hatte, das Werkzeug stabiler zu machen, sondern lediglich dazu diente, die Hand vor dem Abfärben zu schützen.

Beim eigentlichen Bleistift dagegen ist das sich beim Gebrauch abnützende Material als separat hergestelte Graphitmine in einen Holzkörper gelegt, der als Werkzeug dient. Das Graphit bildet einen stiftförmigen Materialvorrat innerhalb des Werkzeuges. Das Material wird bei der Herstellung von Strichen, also dem jeweiligen Werkgegenstand verwendet.(24) Das Schreibwerkzeug, das eine Graphitmine enthält, wurde später als Minenschreiber mit einen wiederverwendbaren Mantel aus Metall und einem Mechanismus, der die Mine nachführt, stark weiterentwickelt. Dabei änderte sich aber nicht, dass das Werkzeug das Material mitgeliefert.

Die entwicklungslogisch nächste Stufe des Werkzeuges besteht in der Trennung von Material und Werkzeug, die in dr Bleistiftmine bereits angedeutet ist. Farbe wird mit einem Pinsel oder einem Spachtel aufgetragen, Tinte mit einer Feder. Das Material, das in diesen Fällen in flüssiger Form getrennt vom Werkzeug aufbewahrt wird, wird bei der Verwendung auf das Werkzeug geladen und in diesem Sinne wird das Werkzeug, mit welchem das Material geformt wird, auch für die Bereitstellung des Materials verwendet. Auch diese Werkzeuge unterliegen einer grossen Entwicklung. Beim Füllfederhalter ist der Tintenbehälter in das Werkzeug integriert, so dass die Funktionsweise in diesem Sinne dem Bleistift entspricht. Was zuerst getrennt wurde, wird wieder zusammengefügt. Durch die Praxis der Produktion wird Tinte und Farbe in vielen Variaten, etwa in Kugelschreibern oder Filzstiften in den Schreibwerkzeugen gespeichert.

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Die Feder als Pinsel, kiel usw


 

Anmerkungen

1) Die politische Ökonomie unterscheidet die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Als Arbeit gilt ihr, was für andere getan wird, was sich in zwei Arten der Bezahlung zeigt. Ich kann meine Produkte verkaufen oder sie gegen Lohn produzieren. Beides wird in der politischen Ökonomie als Tauschen aufgefasst.  (zurück)

2) Die ökonomische Unterscheidung von Produktion und Konsumtion ruft nach einem re-entry, in welchem auf der Seite Produktion quasi konsumiert wird, was zuvor als Halbfabrikate oder Zwischenprodukte produziert wurde.   (zurück)

3) Neben dem Handel hat auch die Manufaktur eine innerbetriebliche Arbeitsteilung hervorgebracht, in welcher viele Tätigkeit den CHarakter von Dienstleistungen haben, auch wenn die Manufaktur als Ganzes materielle Gegenstände produziert.
Eine sehr spezielle Dienstleistung besteht im Verleihen von Geld.  (zurück)

4) Die Genmanipulation ist eine spezielle Art der Zucht. Dabei wird nicht Weizen verändert, sondern eine chemische Struktur, wodurch eine neue Pflanze hervorgebracht wird.  (zurück)

5) Als Lebenswelt bezeichne ich - wie E. Husserl, aber mit gegenteiliger Perspektive -, was ich tätig - dia (in der oder durch die) Tätigkeit - erlebe und als Erfahrung noch vor jeder Erklärung zur Sprache bringe, wenn ich darüber spreche, was ich gemacht habe oder wo ich gewesen bin. Die Lebenswelt ist im Mesobereich zwischen Mirko- und Makrokosmos, im Mesobereich zwischen Geist (Bewusstsein) und Gesellschaft.
F. Heider hat in seiner Gestalttheorieeine Lebenswelt dadurch definiert, dass er verschiedene Spähren unterschieden hat. Als Mesospähre bezeichnet er die Welt der Gegenstände, die unserer Grössenordnung haben, in welcher Atome und Gestirne eine Rolle spielen. Zur Beschreibung der Mikro- und der Makrospähre haben wir sehr wenige - mathematisch-abstrakte - Begriffe. "Die kleinen Molekülsprünge sind in ihrer Eigenart für uns unwichtig. Was für uns wichtig ist, baut sich irgendwie über diese kleinen Teilchen auf, es sind grössere Einheiten. Und über diese grösseren Einheiten müssen wir noch etwas Näheres erfahren."  (zurück)

6) Als Hervorbringen (auch schöpfen oder schaffen) bezeichne ich eine eigenwillige Hypostasierung von Prozessen, die ich nicht als Herstellen bezeichnen kann, weil deren Produkte keine Gegenstandsbedeutung haben. Einen Baum oder ein Kind kann ich - entgegen einer Redeweise, die nicht immer als solche erkannt wird - nicht machen, also nicht herstellen. Ich kann auch keinen Lärm und keinen Strom machen. Ich kann etwas tun, dass Lärm entsteht oder Strom fliesst, so wie ich einen Baum pflanzen oder die gute Hoffnung begründen kann.
H. Maturana hat vorgeschlagen, von einer Autopoiese zu sprechen: Ein Lebewesen stellt sich selbst her. Dieser Vorschlag beruht auf einem Missverständnis der aristotelischen Poiesis. Oft ist auch von Selbstorganisation die Rede.  (zurück)

7) Der Ausdruck Form wird - metaphorisch - sehr viel vielfältig verwendet. Oft wird Form auch für Struktur verwendet: Struktur erscheint dann als abstrakte, nichtsinnliche Form. Ein Signal hat kein Form, sondern nur Struktur, die sich etwa mit einem Oszilographen einer Form zuordnen lässt. Umgekehrt hat der Zeichenkörper eine Form, mit welcher ein Signal strukturiert wird.
Umgangssprachlich wird Form zur Bezeichnung von Varianten in Bezug auf spezifische Eigenschaften verwendet. Ich spreche etwa von Herrschaftsformen und meine damit, dass ich verschiedene Arten der Herrschaft unterscheide, und die je bezeichneten Arten, etwa Monarchie als Formen bezeichne. In diesem Sinne spreche ich auch von Wertformen oder mehr oder weniger höflichen Umgangsformen.  (zurück)

8) Unter dem Gesichtspunkt von Material ist die ursprüngliche Bedeutung des Ausdruckes Holz interessant: Holz ist - pseudoetymologisch - abgeleitet vom indogermanischen *kel-, für schlagen‘: ‚Abgeschnittenes‘, ‚Gespaltenes‘, ‚schlagbares Holz‘, also von verwendetem Material.
Erst später wurde Holz für das harte Gewebe der Sprossachsen (Stamm, Äste und Zweige) von Bäumen und Sträuchern verwendet. (DWDS)  (zurück)

9) Das ist eine verkürzte Redeweise für: Ich verwende den Stein beim Erfüllen einer Funktion.  (zurück)

10) Funktion steht nicht für Aufgabe/Auftrag oder Ziel, sondern für eine Operation, im Beispiel für Wasser zuführen - egal wie und egal wozu. Von Funktion spreche ich, wenn ich die gemeinte Verknüpfung nicht konstruktiv als Operation beschreibe(n kann). Operationen kann ich maschinell ausführen.  (zurück)

11) Umgangssprachlich bis tief in die Philosophie hinein wird Zweck und Funktion oft gleichgesetzt oder verwechselt. "... es laufen die Hasen umher, damit der Mensch, die Krone der Schöpfung, gespickten Hasenrücken mit Sahnesauce essen kann ..." "Was dem Zweckbegriff sprachlich zugrunde liegt, das ist immer der Widersinn der finalen Ursache, die menschliche Vorstellung von einem Ende, nach welchem der Anfang sich richtet." (F. Mauthner: Zweck)  (zurück)

12) Inwiefern ich in einer Umwelt, in welcher noch keine Werkzeuge existieren, überhaupt überleben könnte, spielt hier keine Rolle. Ich kann in der hochentwickelten Gesellschaft, in welcher ich lebe, immer noch ganz leicht Steine und Lehm finden und so logisch-gentische Anfänge praktisch rekonstruieren.  (zurück)

13) Darin, dass ich den Werkzeugen die zentrale Bedeutung zurechne, sehe ich eine Zweck-Mittel-Verschiebung, die ich in der ganzen Produktion erkenne.  (zurück)

14) Ich bezeichne meinen Materialismus in Anlehnung an K. Marx als „historischen Materialismus“, in welchem ich als Subjekt und meine Tätigkeit im Zentrum steht. Mit historisch bezeichne ich dabei einerseits eine Abgrenzung zu einem naturwissenschaftlichen Materieverständnis und andrerseits, dass jede artefaktische Formgebung Teil eines Prozesses ist, der sich als Produktion historisch entwickelt. Den Produktionsprozess beschreibe ich einerseits als Entwicklung der Produktionsmittel und andrerseits als Differenzierung in Bezug auf mich als tätiges Subjekt. Schreiben als Textherstellung ist ein exemplarisches Thema dafür.  (zurück)

15) Materie ist ein philosophisches Konzept, für welches die Philosophen auch Urstoff und Substanz verwenden, weil sie ohnehin nicht wissen, was sie bezeichnen. Wo Material auch kein Begriff ist, wird Materie oft auch synonym dazu verwendet. Schliesslich hat A. Einstein Materie in der Energie aufgehoben, aber natürlich ist auch das nur Philosophie. Im praktischen Leben und in diesem Text spielt Materie keine Rolle, ich brauche das Wort nicht.  (zurück)

16) Farbe wurde auch sehr früh in Form von Schminke ausgesprochen sysmbolisch verwendet. Hier interessiert Schminke als Farbe, die als Symbol verwendet wird, worin ich ein Keimform von Tetxt erkenne.  (zurück)

17) Das althochdeutsche Wort scriban wurde als Tätig­keits­bezeich­nung eingeführt, als mit dem Griffel bereits ein Werkzeug benutzt wurde. Das sagt weniger über das Schrei­ben aus als darüber, wann eine bestimmte Tätigkeit als solche wahrgenommen wird.  (zurück)

18) Unter funktionalen Gesichtspunkten entspricht beispielsweise die Ausdifferenzierung von pädagogischen Berufen einer Aufhebung von elterlichen Funktionen. Seit es Lehrer gibt, müssen die Eltern ihre Kinder in den entsprechenden Disziplinen nicht mehr belehren.  (zurück)

19) Ich selbst habe mich beruflich eine Zeitlang mit der Konstruktion von Pulpern beschäftigt, das sind Maschinen, die in der Paierproduktion eingesetzt werden.  (zurück)

20) Papier wurde ursprünglich in China während der Han-Dynastie (um 105 v. Chr.) erfunden. Der Erfinder war Ts'ai Lun, ein hoher Beamter am chinesischen Kaiserhof. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem Fasern aus Hanf, Bast und Baumrinde gemischt und dann gekocht wurden, um ein faseriges Material zu erzeugen, das auf ein Sieb gelegt und getrocknet wurde. Es wurde in der Verwaltung verwendet, um Texte dauerhaft festzuhalten. Dies war eine bedeutende Verbesserung gegenüber früheren Schriftträgern wie Papyrus, Tierhäuten und Steinen, die teurer oder weniger praktisch waren.
Jenseits solcher Sagen ist auch die Herstellung von Filzen als Stoffe, lange bevor das Weben von Faden erfunden wurde.   (zurück)

21) In den Geschichten der Produktivkraftentwicklung schreiben viele Autoren, dass die Entdeckung der Kohle als Brennstoff entscheidend war und die Dampfmaschine nur eine logische Folge davon.  (zurück)

22) Im Hochmittelalter entwickelten Kunstmaler ihr Material (Übergang von Tempera- zur Ölmalerei) und im 19. Jhd. entwickelte sich die industrielle Chemie in der Farbproduktion für Konsumgüter (Lack)  (zurück)

23) Das Motiv wird in vielen Erzählungen und Filmen verwendet.  (zurück)

24) Das Graphitvorkommen, das 1564 in Borrowdale entdeckt und damals für Bleierz gehalten wurde, hatte an der Verbreitung des Bleistiftes massgeblichen Anteil. Auch in dieser Darstellung wird die Erfindung eines Werkzeuges aus die Entdeckung eines Stoffes zurückgeführt.
Der Erfolg des Bleistifts wird oft auch auf den Preiszerfall von Papier zurückgeführt, was zwar den Bleistift nicht direkt betrifft, aber auch einem Material den Vorragng gibt..  (zurück)

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