Vorwort
Dieses Buch lässt sich der Sache nach schwer in bestehende Genres einordnen; es ist in gewisser Hinsicht ein technisches Buch, in welchem technische Produkte, im wesentlichen Automaten, beschrieben werden. Es ist aber kein technisches Buch im engeren Sinne, weil diese Produkte nicht so dargestellt werden, dass man sie aufgrund der Beschreibung produzieren, reparieren oder wenigstens bedienen könnte. Die Automaten erscheinen hier nur als Träger einer bestimmten gesellschaftlichen Intention, deren Verwirklichung arbeitsteilig den Ingenieuren zugewiesen ist. In diesem Buch geht es um die Bedeutung der Produkte der Ingenieure.
Da die Ingenieure ihre Produkte tätig bestimmen, werden im Buch auch spezifische Tätigkeiten der Ingenieure, etwa das Programmieren, beschrieben. Allein auch dies geschieht nicht so, dass man diese Tätigkeiten aufgrund der Beschreibung auch nur teilweise erlernen könnte. Das Buch dient also auch nicht der technischen Ausbildung, es enthält kein Verfahren, durch welches die Ingenieure in ihrem Fach effizienter würden.
Das Buch dient dem Gespräch zwischen Ingenieuren und Nicht-Ingenieuren. Weil Ingenieure ihre Produkte konstruktiv unmittelbar, also relativ unabhängig davon verstehen, mit welcher Sprache sie über ihre Produkte sprechen, bringt die hier vorgeschlagene Sprache für Ingenieure - solange sie unter sich sind - kaum nennenswerte Vorteile. Wie nicht nur blindwütige Computer-Hacker zeigen, können Ingenieure bestimmte, ihnen gesellschaftlich zugewiesene Produktionsfunktionen - arbeitsteilig, also wenn andere den "Rest" denken - hervorragend erfüllen, auch wenn sie über ihre Technik nur in anthropomorphisierenden Metaphern sprechen können. Wer aber die Produkte der Ingenieure nicht ohne anthropomorphisierende Metaphern beschreiben kann, versteht sie nicht, auch wenn er noch so "intelligente" Computer baut. Er versteht insbesondere das gesellschaftliche Umfeld der Technik, das seine Metaphern begründet, und mithin die gesellschaftliche Funktion der Technik nicht.
Wer kein Ingenieur ist - und das sind wir anfänglich alle nicht - und
deshalb die technische Welt fast nur sprachlich vermittelt bekommt, ist auf begrifflich adäquate Beschreibungen dieser Welt angewiesen. Unvorstellbare und undurchschaubare Maschinen erzeugen die Ohnmacht der Vernunft, die sich beim einen als Technikfeindlichkeit zeigt, und den andern dazu verführt, die wichtigsten Entscheidungen dem virtuellen Verstand einer Maschine zu überlassen. Auch Technikideologien rächen sich.
Soweit in diesem Buch eine Terminologie vorgeschlagen wird, die ohne die "Anthropomorphisierungen" auskommt, die sich in der herkömmlichen Sprache über die Technik manifestieren, handelt es sich um ein ideologiekritisches Buch. In erster Linie werden aber in diesem Buch Produkte und Tätigkeiten der Ingenieure in einer Sprache beschrieben, die deren Begreifen in einem nicht nur technischen Sinne fördert.
Ich habe das Buch mit einem praktischen Anliegen geschrieben. Ich unterrichte seit einigen Jahren an der ETH Zürich Soziologie für Ingenieurstudenten der Abteilungen Elektrotechnik und Informatik. Meine Lehrveranstaltungen sind Bestandteil des für die Studenten obligatorischen Unterrichtszyklus "Mensch Technik Umwelt". Dieser Zyklus besteht aus mehreren im weiteren Sinne sozialwissenschaftlichen Veranstaltungen, die die Ingenieurstudenten befähigen sollen, das gesellschaftliche Umfeld der Technik besser zu begreifen. Das interdisziplinäre Gespräch über die Technik leidet dabei meiner Erfahrung nach zunächst hauptsächlich darunter, dass die Studenten der Ingenieurwissenschaften ihre eigene Disziplin nicht so begreifen, dass sie sich mit Nichtingenieuren darüber verständigen können. Sie sind bezüglich der eigenen Disziplin - auch wenn sie ihre Muttersprache sehr gut beherrschen - sprachlos. Sie lernen ihre Welt mit Formeln abzubilden, ohne in ihrer Muttersprache ausdrücken zu können, was sie dabei tun. Zwar sprechen die Ingenieure, und mithin auch die Studenten, auch mittels der Muttersprache über ihre Produkte und deren Funktionen, dann aber sprechen sie so, als ob sie keine Ingenieure mit entsprechend entwickeltem technischen Verständnis, sondern ganz normale, das heisst technisch nicht spezifisch gebildete Menschen wären. Die hier thematisierte Sprachlosigkeit der Ingenieurstudenten, die meistens älter wird als deren Studentendasein, beruht darauf, dass Ingenieure unter sich nur mathematisch exakt, und unter uns nur eine metaphorische Laiensprache sprechen.
In diesem Buch wird vordergründig eine Terminologie vorgeschlagen, in welcher "Anthropomorphisierungen" vermieden werden. Es geht dabei keineswegs darum, wie schon häufig vorgeschlagen wurde, Ausdrücke, die bereits nicht-technisch besetzt sind, in der technischen Sprache zu vermeiden. Homonyme, also Ausdrücke, die wie etwa "Bank" für verschiedene Dinge stehen, sind zwar kommunikativ unpraktisch, sie verhindern aber keineswegs, dass wir uns verstehen, wenn sie als solche erkannt werden. Die vorgeschlagene Terminologie betrifft nicht die Ausdrücke, sondern die Explikation dessen, was wir mit den Ausdrüken jeweils eigentlich bezeichnen. Damit verbunden sind einige nicht nur für Ingenieure spektakuläre Zumutungen, die auf einer Umkehrung von Sende- und Empfängergebiet von Metaphern wie "Information" und "Intelligenz" beruhen.
Die Terminologie wird in Form einer Entwicklungsgeschichte der Automaten, respektive der diesbezüglich spezifischen Tätigkeit der Ingenieure dargestellt. Den äusseren Rahmen dieser Darstellung bildet eine Interpretation des durch die Arbeits-Humanisierer berühmt-berüchtig gewordenen Taylorismus, nach welcher F.Taylor (1856-1915) in seiner Zergliederung der menschlichen Arbeit die Automaten "antizipierte", die C.Babbage (1791-1871) damals bereits beschrieben hatte. Unter den rückblickend verwendeten begrifflichen Kategorien der Informatik erhalten die Texte von C.Babbage und F.Taylor einen aufschlussreich neuen Sinn. Allerdings liest sich das Buch, da es eine Terminologie begründet, stellenweise eher wie ein Nachschlagewerk als wie eine Geschichte. Im Sinne des Buches wäre es, die Geschichte als solche zu lesen und die terminologisch gemeinten Begriffe - vielleicht in einer zweiten Phase - anhand der eigenen Begriffe zu kritisieren. Um es explizit zu sagen, ich schlage ein Leseverfahren vor, das ich "aktives Lesen" nenne, in welchem sich der Leser die wesentlichen Begriffe unabhängig vom vorliegenden Text selbst ausformuliert und die Formulierungen des Textes anhand der eigenen Definitionen kritisiert. Da ich mit vielen Vorschlägen Neuland betrete, wäre es verwunderlich, wenn nicht das meiste durch bessere Formulierungen ersetzt werden könnte.
Prolog: Der Ingenieur
Es war einmal ...
... ein ausserordentlich begabter Ingenieur, der sich jederzeit nach bestem Wissen und Gewissen einsetzte. Wir wollen diesen Mann Taylor nennen. Zu Beginn des amerikanisch-spanischen Krieges (1898) arbeitete er im amerikanischen Stahlwerk Bethlehem SteelCo. Zu dieser Zeit lagen dort
einige 80’000t Roheisen in kleinen Haufen auf einem offenen Platz, der an das Werk grenzte, aufgestapelt. Die Preise für Roheisen waren so gefallen, dass es nicht mit Nutzen abgesetzt werden konnte und deshalb eingelagert werden musste. Mit Ausbruch des Krieges stiegen die Preise wieder, und das gewaltige Eisenlager wurde verkauft.
Es musste verladen werden. Dazu wurde
ein Eisenbahngleis unmittelbar die Roheisenstapel entlang auf das Feld hinaus gebaut. Dicke Planken wurden an die Wagen angelegt, jeder Arbeiter nahm jeweils von dem Roheisenhaufen einen Barren im Gewicht von ungefähr 40kg, ging damit das Brett hinauf und warf ihn hinten im Wagen nieder.
Unser Taylor, der als Ingenieur selbst nicht Hand anlegen musste, war mit der durchschnittlichen Tagesleistung der Arbeiter unzufrieden und analysierte deshalb deren Arbeit. Er charakterisierte sie wie folgt:
Diese Arbeit ist vielleicht die roheste und einfachste Form von Arbeit, die man überhaupt von einem Arbeiter verlangt. Die Hände sind das einzige Werkzeug, das zur Anwendung kommt. Ein Roheisenverlader bückt sich, nimmt einen Eisenbarren von ungefähr 40kg auf, trägt ihn ein paar Schritte weit und wirft ihn dann auf den Boden oder stappelt ihn auf einen Haufen. Diese Arbeit ist gewiss einfach und elementar. Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgendein Mensch.
Unser Taylor stellte fest, dass jeder einzelne Arbeiter durchschnittlich ungefähr 12t pro Tag verlud; zu seiner Überraschung fand er aber bei eingehender Untersuchung, dass ein erstklassiger Roheisenverlader nicht 12t, sondern 47 bis 48t pro Tag verladen sollte. Dieses Pensum erschien selbst ihm so ausserordentlich gross, dass er sich verpflichtet fühlte, seine Berechnungen wiederholt zu kontrollieren, bevor er sich der Sache vollkommen sicher war. Einmal jedoch davon überzeugt, dass 48t eine angemessene Tagesleistung für einen erstklassigen Roheisenverlader bedeuteten, stand ihm klar vor Augen, was er als Arbeitsleiter nach bestem Wissen und Gewissen zu tun hatte. Er musste darauf sehen, dass jeder Mann pro Tag 48t verlud, anstatt der 12t wie bisher. Er wollte überdies, dass die Leute beim Verladen von täglich 48t freudiger und zufriedener wären als bei den 12t von früher.
Taylor nahm sich vor, die Arbeiter einzeln mit ihrer wirklichen Leistungsfähigkeit bekannt zu machen. Er suchte deshalb zu Beginn den rechten Mann um anzufangen. Taylor fand diesen Mann, indem er bei allen Arbeitern eingehende Untersuchungen bezüglich ihres Charakters, ihrer Gewohnheiten und ihres Ehrgeizes anstellte.
Lassen wir Taylor seine Geschichte selbst zu Ende erzählen:
Unserer Beobachtung nach, legte unser Mann, ein untersetzter Pennsylvanier deutscher Abstammung, ein sogenannter ,Pennsylvania Dutchman‘, nach Feierabend seinen ungefähr halbstündigen Heimweg ebenso frisch zurück wie morgens seinen Weg zur Arbeit. Bei einem Lohn von Doll.1.15 pro Tag war es ihm gelungen, ein kleines Stück Grund und Boden zu erwerben. Morgens bevor er zur Arbeit ging und abends nach seiner Heimkehr arbeitete er daran, die Mauern für sein Wohnhäuschen darauf aufzubauen. Er galt für ausserordentlich sparsam. Man sagte ihm nach, er messe dem Dollar eine Bedeutung bei, als ob er so gross wie ein Wagenrad wäre.
Diesen Mann wollen wir Schmidt nennen.
Unsere Aufgabe bestand nunmehr darin, Schmidt dazu zu bringen, 48t Roheisen pro Tag zu verladen, seine Lebensfreude jedoch nicht zu stören, ihn im Gegenteil froh und glücklich darüber zu machen. Dies geschah in folgender Weise. Schmidt wurde unter den andern Eisenverladern herausgerufen und etwa folgende Unterhaltung mit ihm geführt:
,Schmidt, sind Sie eine erste Kraft?‘
,Well, - ich verstehe Sie nicht.‘
[ ....]
1. Die Tätigkeit der Ingenieure
Vordergründig zeigt F.Taylors Geschichte zwei mögliche Methoden, wie die Arbeit von Schmidt, das Eisenverladen, verrichtet werden kann. Die eine Methode wird direkt beschrieben, während die Beschreibung der anderen Methode in einem Dialog zwischen Taylor und Schmidt aufgehoben ist. F.Taylors Text verweist im einen Fall direkt auf die Arbeit der Eisenverlader und im andern Fall auf ein Gespräch zwischen Taylor und Schmidt, in welchem Schmidts Arbeit in Form von Anweisungen beschrieben wird. Beim Lesen der Geschichte läuft man Gefahr zu übersehen, dass in beiden Fällen nur Schmidt Hand anlegt, während Taylor die Tätigkeit lediglich beschreibt. Da ist zunächst die direkt beschriebene, unstrukturierte und entsprechend ineffizientere Methode:
Die Hände sind das einzige Werkzeug, das zur Anwendung kommt. Ein Roheisenverlader bückt sich, nimmt einen Eisenbarren von ungefähr 40kg auf, trägt ihn ein paar Schritte weit und wirft ihn dann auf den Boden oder stapelt ihn auf einen Haufen. Diese Arbeit ist gewiss einfach und elementar. Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgendein Mensch.
und dann die in Form von Anweisungen, indirekt beschriebene Methode:
,Wenn Sie nun eine erste Kraft sind, dann werden Sie morgen genau das tun, was dieser Mann zu Ihnen sagt, und zwar von morgens bis abends. Wenn er sagt, Sie sollen einen Roheisenbarren aufheben und damit weitergehen, dann heben Sie ihn auf und gehen damit weiter! Wenn er sagt, Sie sollen sich niedersetzen und ausruhen, dann setzen Sie sich hin!‘
Schmidt begann zu arbeiten, und in regelmässigen Abständen wurde ihm von dem Mann, der bei ihm als Lehrer stand, gesagt: ,Jetzt heben Sie einen Barren auf und gehen Sie damit! Jetzt setzen Sie sich hin und ruhen sich aus! etc.‘ Er arbeitete, wenn ihm befohlen wurde zu arbeiten, und ruhte sich aus, wenn ihm befohlen wurde, sich auszuruhen, und um halb sechs Uhr nachmittags hatte er 48t auf den Wagen verladen.
Das Eisen wurde auch ohne Taylors Anweisungen verladen und es hätte
auch weiterhin ohne Taylors Anweisungen verladen werden können. Taylor hat überdies kein Stück des Eisens verladen, obwohl - oder vielleicht gerade weil - er mit seiner Methode 4 x schneller als Schmidt gewesen wäre.
Man mag einwenden, Schmidt habe zunächst offensichtlich sehr ineffizient gearbeitet und sei dann dank Taylor viel effizienter geworden. Taylor habe also keineswegs nur eine Beschreibung von Schmidts neuer Methode geliefert, sondern diese Methode erfunden. Gleichwohl wird man (hin)zugeben müssen, dass ausschliesslich Schmidt die Methode anwandte und Taylor sie eben nur beschrieben hat.
Wir könnten - nicht ganz unberechtigt - annehmen, dass Taylor ursprünglich selbst ein handanlegender Arbeiter war. Schon als Arbeiter machte er sich manchmal Gedanken über seine Arbeit. Er interessierte sich dafür, in seiner Arbeit effizienter zu werden. Eines Tages nun, als unser Taylor, statt zu arbeiten, gerade wieder einmal über seine Arbeit nachdachte, merkte er (in)genialerweise, dass sich das Nachdenken über die Arbeit lohnen könnte. Er begann also seine Arbeitskollegen zu beobachten und stellte fest, dass jeder einzelne Arbeiter durchschnittlich ungefähr 12t pro Tag verlud; zu seiner Überraschung fand er aber bei seinen eingehenden Untersuchungen, dass ein erstklassiger Roheisenverlader nicht 12 t, sondern 47 bis 48t pro Tag verladen sollte ... Einmal jedoch davon überzeugt, dass 48t eine angemessene Tagesleistung für einen erstklassigen Roheisenverlader bedeuteten, stand ihm klar vor Augen, was er zu tun hatte: Er eilte heim, entledigte sich seiner Arbeitskleider und kehrte wenig später - mit Diplom - in seinem besten Anzug zurück. Als Arbeitsleiter wollte er nach bestem Wissen und Gewissen darauf sehen, dass jeder Mann pro Tag 48t verlud, anstatt der 12t wie bisher. Er wollte überdies - was wir jetzt besser verstehen -, dass die Leute - die ja davor seine Kollegen waren - beim Verladen von täglich 48t freudiger und zufriedener wären als bei den 12t von früher.
Umgekehrt könnten wir aber - nicht weniger plausibel - auch annehmen, Schmidt selber hätte seine Arbeit analysiert und entdeckt, dass er nach dem Prinzip des bestimmten Pensums viel mehr leisten könnte. Er hätte seine Entdeckung nicht aufgeschrieben - wozu auch? -, sondern einfach angewendet. Taylor schliesslich hätte lediglich das Verfahren aufgeschrieben, nach welchem Schmidt intuitiv und nur halbbewusst ar-
beitete (1). Subjektiv mag - im Sinne eines Ehren-Patents - bedeutsam sein, wer entdeckte, dass regelmässige und regelmässig unterbrochene Arbeit am ertragreichsten ist. Objektiv bedeutsam ist das explizite, ausgesprochene und aufgeschriebene Wissen, wie eine Arbeit effizient erledigt wird (2).
1.1. Taylor als post-konventioneller Ingenieur
Die Geschichte von F.Taylor zeigt nur vordergründig beispielhaft, was und wie Schmidt arbeitet. F.Taylors eigentliches Anliegen ist zu zeigen, dass jede Arbeit verstanden sein will. Was für die einfache Arbeit von Schmidt gilt, gilt noch mehr für die Arbeit von ihm selbst, also für die Arbeit des Ingenieurs.
Psychologisierend könnte man sagen, Taylor plane, erfinde, organisiere, konzipiere, analysiere, usw. Der sichtbare, empirisch zugängliche Teil der Tätigkeit von Taylor besteht darin, dass er Schmidt Anweisungen gibt.
1. N. Wirth schreibt über grundlegende Texte von E. Dijkstra und C. Hoare, zwei Taylors der Informatik, die erkannt haben, dass Programmieren "wissenschaftlicher Behandlung und Darlegung zugänglich ist" und damit ein "Revolution" in der Programmierung bahnten: "Beide Artikel argumentieren überzeugend, dass viele Programmierfehler vermieden werden können, wenn man den Programmierern die Methoden und Techniken, die sie bisher intuitiv und oft unbewusst verwendeten, zur Kenntnis bringt" (Wirth, 1983, S. 7).
2 C. Thomsen kommentiert einen 20-jährigen Rechtsstreit über die Urheberschaft der sogenannten Computer-Chips, bei welchem nicht nur die Ehre auf dem Spiel stand: "Ob nun Gilbert Hyatt oder Ted Hoff das Erstgeburtsrecht besitzt: Die kommerziel erfolgreiche Verwertung dieser Idee präsentierte Intel 1970 mit seinem Mikroprozessor. Tatsächlich konnte dieser eine Chip (..) wie ein eigenständiger Computer funktionieren" (Thomsen, 1991, S. 21), was eben den pratischen Nutzen der Computer erheblich vergrösserte.
A. Speiser erläutert das Motiv der Erfinder-Ehre anhand eines 10-jährigen Patentstreites zwischen N. Noyce von Fairchild Semiconductor und J. Kilby von Texas Instruments um die Erfindung der intergierten Schaltung, der schliesslich zugunsten des ersteren entschieden wurde: Für IC's geben wir weltweit pro Jahr mehr als 50 Milliarden Franken aus (Speiser, S. 67, 1992).
Was sind Anweisungen? Fragen wir Ingenieure. Im Buch Pascal, einer systematischen Darstellung der Programmiersprache Pascal, in welchem bemerkenswerterweise das Wort "Befehl", welches von vielen Ingenieuren anstelle des Wortes "Anweisung" verwendet wird, durchwegs fehlt, steht: "Anweisungen beschreiben den algorithmischen Kern eines Problems" (Herschel/Pieper,1979,47). Anweisungen sind also Beschreibungen. Aber nicht alle Beschreibungen sind Anweisungen, Anweisungen bilden eine Teilmenge der Beschreibungen; sie sind in bestimmter Hinsicht auf eine Produktion bezogen. Im Alltag nennen wir Beschreibungen, die Befehlscharakter haben, Anweisungen und verwenden deshalb das Wort Anweisung häufig synonym mit dem Wort Befehl. Der Befehlscharakter der Anweisung von Taylor ist aber zufällig, das heisst er ist unwesentlich, lediglich eine Erscheinungsform davon, dass Anweisungen, wie Taylor sie gibt, in den bei uns üblichen Betriebshierarchien von Arbeitenden wie Schmidt als verbindliche Aufforderungen interpretiert werden. Unter einer entsprechend anderen sprachlichen Vereinbarung, wie sie etwa für Konstruktionspläne gilt, die von Schmidts Kollegen auch als Befehle aufgefasst werden, könnte Taylor seine Anweisung auch in einer nur beschreibenden Sprache geben. Taylor könnte dann mit derselben Wirkung statt ,Heben Sie das Eisen auf!‘, ,Schmidt hebt einen Eisenbarren auf‘ sagen. Wenn Taylor zu Schmidt sagt: "Heben Sie das Eisen auf!" beschreibt er in anweisender Form, dass Schmidt einen Eisenbarren aufhebt.
Die Tätigkeit der Ingenieure ist Beschreiben. Wenn man sagt, dass Ingenieure Beschreibungen herstellen, abstrahiert man nicht nur, dass sie planen, erfinden, organisieren usw., man abstrahiert auch, dass sie für die Produktion beschreiben, und dass ihre Beschreibungen anweisenden Charakter haben. Die abstrakte Bestimmung, dass Ingenieure beschreiben, erfüllt, was wir von einer Abstraktion wenigstens verlangen, sie gilt für die Ingenieure überhaupt, also für alle geschichtlichen Formen des eigentlichen Ingenieurs. Diese Gültigkeit könnten andere Abstraktionen natürlich auch beanspruchen, sicher ist auch für alle Ingenieure wahr, dass sie planen, erfinden, organisieren usw. Im Gegensatz zu solchen Abstraktionen ist das Beschreiben aber empirisch unmittelbar zugänglich, das heisst, man kann es unmittelbar wahrnehmen. Dass Ingenieure denken, wenn sie beschreiben, kann man - wie berechtigt auch immer -
lediglich unterstellen; das Denken selbst - abgesehen davon, dass niemand recht sagen kann, was Denken ist - kann man sinnlich nicht wahrnehmen.
Wenn man sagt, dass Ingenieure Beschreibungen herstellen, abstrahiert man nicht nur, dass sie anweisend beschreiben, man abstrahiert auch, was sie beschreiben. Konventionelle Ingenieure geben ihre Anweisungen in Form von Zeichnungen, also in Form von Konstruktions- oder Bauplänen. Damit beschreiben sie offensichtlich - herzustellende - Produkte. Natürlich impliziert eine sehr detaillierte Konstruktionszeichnung immer auch den Produktionsprozess. Den Schmidts, die nach Konstruktionszeichnungen arbeiten, ist weitgehend vorgegeben, was sie wann tun. Gleichwohl haben konventionelle Ingenieure in ihren Anweisungen das Produkt, nicht dessen Herstellung, im Auge. Sie werden deshalb auch in produktbezogene Unterkategorien, wie Maschinen-, Elektro- und Bauingenieure eingeteilt.
F.Taylor, der in seiner Karriere als Ingenieur auch erfolgreich Produkte, insbesondere optimale Drehstahlwerkzeuge beschrieben hatte, wobei er dem Verarbeitungsprozess allerdings immer auch grosse Aufmerksamkeit zukommen liess, beschrieb in den Beispielen, die ihn berühmt machten, nicht mehr das eigentliche Produkt, sondern eine Art Produktions"prozess". Wesentlich ist, dass er dabei das Produkt als Funktion eines Herstellungs-Prozesses begriffen hat. Der von F.Taylor explizit eingeführte Ingenieur-Typ beschreibt nicht mehr das unmittelbare Produkt, sondern Tätigkeitsaspekte, die zum Produkt führen. F.Taylor war in seinen Bemühungen keineswegs alleine. Die Erfinder der Manufaktur und der Produktions-Fliessbänder teilten und zerlegten ebenso wie Taylor die Tätigkeit der Arbeitenden. Die Manufaktur, wie sie vom berühmten Ökonomen A.Smith beschrieben wurde, mag naturwüchsig entstanden sein, die Fliessbänder aber, die Ford bei der Autoproduktion einsetzte, waren konstruierte Materialisierungen von ingeniösem Zerlegen der Arbeitertätigkeit. F.Taylor musste sich später, gerade weil er seine Erkenntnisse nicht nur im Betrieb umsetzte, sondern auch als Wissenschaft veröffentlichte - allerdings mehr von Psychologen, als von Ingenieuren - vorwerfen lassen, dass er die Menschen, indem er sie zu schlecht konstruierten
Einzweckmaschinen degradierte, schlecht genutzt (!) habe (3). Die psychologisch arbeitshumanisierten Versuche, die tayloristische Reduktion der arbeitenden Menschen zu überwinden, lassen sich jedoch, wie taylorhaft ehrliche Humanisierer selbst zeigen, kaum anders als Vervollständigungen des von den Humanisierern verteufelten Taylorismus verstehen (4).
Im praktischen Betrieb hatte Taylor auch in seiner Zeit, etwa im Vergleich mit Ford, eine recht beschränkte Bedeutung (5). Der von Taylor lancierte, neue tätigkeitsorientierte Ingenieur hat zwar den später auftretenden Betriebs- und Produktionsingenieur vorweggenommen, aber eben nicht so entwickelt, dass er sich schon damals durchsetzen konnte. Der tätigkeitsorientierte Ingenieur blieb vorderhand zu unbedeutend, um sich, wie später der Informatiker, mit einem eigenen Namen zu etablieren, weshalb er hier sprachlich vom "konventionellen Ingenieur" unterschieden werden muss.
Obwohl sich der neue Ingenieur vom hergebrachten darin unterscheidet, dass seine Anweisungen nicht mehr das Produkt, sondern dessen Produktion beschreiben, teilt er mit seinem älteren und zunächst dominant gebliebenen Kollegen, dass sich seine Anweisungen an Arbeiter richten und diese geistig entlasten und mittelbar entsprechend dequalifizieren. F.Taylor selbst sieht seine Arbeit darin, die Arbeit, die einer relativ globalen Anweisung entspricht, durch detailliertere Anweisungen zu beschreiben. Im Beispiel gibt er die Anweisungen mündlich oder lässt sie durch einen Stellvertreter mündlich geben. Aber natürlich sind auch Konstruktionspläne, wie sie herkömmliche Ingenieure herstellen, nichts anderes als sehr detaillierte Anweisungen, die den Arbeitern Schritt für Schritt aufzwingen, was sie wie zu tun haben. F.Taylor macht das sehr
3 ”Den Menschen zu benutzen als wäre er eine schlecht konstruierte Einzweckmaschine, heisst, ihn sehr schlecht und leistungsschwach zu nutzen” (P.Ducker, zit.in: Volpert,1977,XXX).
4 W.Volpert, selbst arbeitspsychologisch orientiert, hat 1977 die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung von F.Taylor zusammen mit R.Vahrenkamp neu herausgegeben und F.Taylor in einer Einführung gegen die gängigsten Angriffe verteidigt (Volpert,1977,IXff, in: Taylor,1977).
5 R.Vahrenkamp, Mitherausgeber der bereits zitierten Neuauflage von F.Taylors Buch, vertritt in seiner Einführung die These, F.Taylor habe die Fliessbandproduktion oder allgemeiner, die Mechanisierung der Arbeit zu wenig beachtet, und sei deshalb von der Praxis rasch überholt worden (Vahrenkamp,1977,LXXX).
bewusst, er argumentiert nämlich, dass selbst in der angeblich "rohesten und einfachsten Form von Arbeit", also "in dem richtigen Aufheben und Wegtragen von Roheisen eine solche Summe von weiser Gesetzmässigkeit, eine derartige Wissenschaft liege", dass es ohne (tayloristische) Wissenschaft auch dem fähigsten Arbeiter unmöglich sei, die Arbeit und deren Methoden zu verstehen.
Sowohl F.Taylor wie konventionelle Ingenieure beschreiben, was andere (er-)arbeiten. Wer weiss, ob F.Taylor, hätte er beim Eisenverladen selbst Hand anlegen müssen, mit der üblichen Tagesleistung von 12t Roheisen unzufrieden gewesen wäre. Ingenieure brauchen ihre Hände nur zum Beschreiben. Wer hier einwendet, dass Ingenieure beim Bau von Prototypen sehr wohl selbst Hand anlegen, rennt offene Türen ein. Nur, die gesellschaftlich massgebliche Arbeit, unter welcher sich der Ingenieur überhaupt erst entwickeln konnte, produziert Prototypen nur als Mittel. Wie man überdies weiss, ist dem konventionellen Ingenieur selbst das Beschreiben als solches, das Plänezeichnen noch zu hand-werklich, es ist längst an die Gattung der technischen Zeichner delegiert.
Der konventionelle Ingenieur ist in seiner Tätigkeit unbestritten, F.Taylor dagegen wurde und wird, obwohl sein praktischer Erfolg sehr gering war, von jenen, die sich für sogenannt humanere Arbeit(sbedingungen) einsetzen, lautstark bekämpft. Es waren aber konventionelle Ingenieure, die beispielsweise Fliessbänder wie andere Werkzeuge bauten, ohne sich um die Arbeitstätigkeiten zu kümmern, die sie damit festlegten. Werkzeuge wie Fliessbänder beruhen auf einer einseitigen Optimierung, die, obwohl sie die konkreten Arbeitstätigkeiten im Unterschied zu Taylors Strategie völlig ausser Acht lässt, dieselben konkreten Arbeitstätigkeiten hervorruft, wie sie F.Taylor für seine sehr unbeholfenen Menschen absichtlich suchte. F.Taylor wurde häufig dafür geschlagen, dass er vorgeschlagen hatte, was andere längstens machten. Natürlich weiss, wer ein Werkzeug herstellt, immer auch, wie man mit diesem Werkzeug arbeiten wird, was sich beispielsweise in verschiedenen Zwecken untergeordneten verschiedenen Hämmern zeigt. F.Taylors Anspruch aber war, nicht nur unbewusst zu wissen, was mit einem Werkzeug gemacht wird, sondern dieses Wissen in expliziten Anweisungen festzumachen. In seinem berühmtem Dialog mit dem Arbeiter Schmidt zeigt F.Taylor dieses Anliegen sehr deutlich. F.Taylor wurde oft verkannt, weil seine all-
zumenschliche Sozialarbeitermanier, jedem "gorilla-intelligenten" Menschen Arbeit und Lohn zu geben, nicht nur bei Humanisierern, die Herrschaftsverhältnisse gerne verschweigen, sondern auch bei Kritikern der Humanisierungswelle Emotionen weckten, die die Sicht auf den rationalen Kern des "Taylorismus" verstellten.
Taylors Geschichte zeigt nicht vor allem, was und wie Schmidt arbeitet, F.Taylor spricht hauptsächlich über seine eigene Arbeit als Ingenieur, über die Arbeit der technischen Intelligenz. Als Ingenieur gibt er detaillierte Anweisungen. Taylors Anweisungen zeigen exemplarisch, dass sie auf einer bestimmten Abstraktion davon, was sie beschreiben, beruhen. Mit seinem Schmidt-Gorilla-Vergleich zeigt F.Taylor unmissverständlich, dass er einen sehr abstrakten Schmidt vor Augen hat, auch wenn von seinen Rationalisierungsvorschlägen sehr konkrete Schmidts betroffen waren. Was F.Taylor nämlich mit Schmidt tut, wäre ohne weiteres als sinnvoll nachvollziehbar, wenn Schmidt kein Mensch, sondern ein Automat mit bestimmter Kompetenz wäre. Die Kompetenzen, die F.Taylor mit seinen Anweisungen unterstellt, verlangen zwar einen ziemlich aussergewöhnlichen Automaten, aber wer würde andrerseits - und das ist die Frage, die Taylors Gegner, nicht alle ohne Grund, nie gestellt haben - mit Taylors Worten über wirkliche Menschen sprechen? Hat man aber einen Automaten vor den Augen, machen Taylors Anliegen durchaus Sinn. Dann nämlich wird man F.Taylor zustimmen, wo er argumentiert, dass auch in der "rohesten und einfachsten Form von Arbeit", also beispielsweise im Hämmern oder im "richtigen Aufheben und Wegtragen von Roheisen eine solche Summe von weiser Gesetzmässigkeit (liegt), eine derartige Wissenschaft, dass es auch für den fähigsten ,Arbeiter‘ unmöglich ist, ohne die Hilfe eines Gebildeteren die Grundbegriffe dieser Wissenschaft zu verstehen (...)" (Taylor,1977, 43) und wirklich effizient zu arbeiten. Nicht ganz ohne Zufall stellen Handlangertätigkeiten äusserst hohe Ansprüche an Automatisierer. W.Volpert entdeckte, wenn auch nicht bewusst, dass in Taylors Vorschlägen ein Arbeitsprogramm für Automatisierer steckt: "Taylor versucht (...), das ,Faustregel‘-Können der Arbeiter zu eliminieren, und es durch eine ,Wissenschaft‘ zu ersetzen, die sich den Arbeitern als ihnen fremde Macht" - als nicht ihnen gehörende Automaten - "entgegenstellt. Es kommt nur noch darauf an, dass der Arbeiter bereit und imstande ist, die
Befehle dieser ,Wissenschaft‘ zu realisieren. Dies erfordert zwar eine durchaus langfristige Zurichtung des Arbeiters zu freiwilligem Dienen, nicht jedoch längere tätigkeitsbezogene Qualifikationsprozesse" (Volpert, 1977, XXXVf). R.Vahrenkamp wirft F.Taylor sogar vor, einen zwanghaften Charakter zu besitzen, weil dieser, was jedem automatenbeschreibenden Ingenieur das Selbstverständlichste ist, "nach der besten Organisation, auch jeder Kleinigkeit, und deren formalen Beschreibung" drängte (Vahrenkamp, 1977, LXXIII). Schliesslich wird F.Taylor von populär-marxistischer Seite, die auch durch W.Volpert vertreten wird, vorgeworfen, er reduziere den Menschen auf blosse, abstrakte Arbeitskraft. Wenn F.Taylor aber als Ingenieur weitsichtig - und deshalb etwas unklar - Automaten antizipierte, erhalten seine Anweisungen auch in dieser Hinsicht einen anderen Sinn. Automaten sind Werkzeuge, sie arbeiten nicht, sondern werden zum Arbeiten verwendet. Sie verrichten keine Tätigkeiten und besitzen - auch abstrakt - keine Arbeitskraft.
1.2. Taylor als ,prä‘-Informatiker
Die Informatik-Ingenieure verstehen sich selbst nicht als Nachfolger von Taylor, sie reklamieren für sich, nicht zuletzt davon abhängig, wie sie ihre Tätigkeit verstehen, eine andere geschichtliche Herkunft. Modernere Varianten ihrer Geschichten, die vom Homo sapiens zur Informatik führen, unterscheiden Software und Hardware mit je einer eigenen Geschichte, wohl deshalb, weil Computer und Programme industriell auch heute noch grossteils getrennt produziert und vermarktet werden.
Der Software werden in solchen Geschichten die ersten Zahlzeichen (3000v.Chr.) ... das Dezimalsystem (820n.Chr., AlChwarizmi bis 1518, AdamRiese) ... das Dualsystem (1673, Leibniz) ... gespeicherte Programme (1945, vonNeumann) ... Programmiersprachen, Betriebs- und Datenbanksysteme (1960-80) zugeordnet. Die Hardware durchläuft analog Rechensteinchen, Rechenbrett, Abakus, Rechenmaschine, Rechenautomat, Webstuhlsteuerung (1728,1805), Lochkarte (1890), Elektronenröhre, Transistor, Integrationstechnologien und DV-Systeme bis zum Personalcomputer. Hier lauten dann die Namen etwa Schickard, Pascal
Leibniz (17.Jh.), Falcon (18.Jh.), Jacquard, Babbage, Hollerith (19.Jh.), Zuse, Aiken, Eckert (20.Jh.), bis sich die Namen der grossen Männer in den Namen der schnellen und "very large integrated" Maschinen verlieren: Z3, Mark1, ENIAC, dann Univac, IBM 701, VAX usw. Solche Geschichten entsprechen unserer alltäglichen Auffassung, in welcher konkrete Erscheinungen einer Entwicklung auf einer Zeitachse abgearbeitet und mit den Namen wichtiger Männer geziert werden. Derartige zeitlich geordnete Darstellungen, wie sie nicht nur geschichteschreibende Ingenieure, sondern auch klassische Historiker veröffentlichen, heissen meist zurecht Geschichte(n).
Solche Geschichten beruhen auf anfänglichen, sinnlich gewonnenen statt auf entwickelten Kategorien. Sie werden wie sogenannte Spaghettiprogramme vorwärts, statt strukturiert geschrieben, was mehr unseren sinnlichen Erkenntnisprozess (unsere Wahrnehmung) als unser Denken widerspiegelt, und den Informatikern schon ästhetisch missfallen müsste. Solche Geschichten versäumen die Darstellung der Entwicklung, sie zeigen nur, dass, aber nicht wie spätere Stufen aus früheren hervorgehen. Strukturierte Entwicklungsgeschichten rekonstruieren dagegen frühere Entwicklungsstufen eines Prozesses mit Kategorien der jeweils höchsten Entwicklungsstufe. Das Verständnis früherer Epochen, um welches sich solche Geschichtsdarstellungen bemühen, dient dem Begreifen der je gegenwärtigen Situation in ihrer historischen Besonderheit, wobei für das Erfassen der Eigenart früherer Epochen immer schon der Erkenntnisstand einer entwickelteren Stufe vorausgesetzt wird. In der Anatomie des Menschen liegt der Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf höher Entwickeltes in untergeordneten Stufen können nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Nachdem Taylor Schmidt angewiesen hatte, wurde deutlich, was konventionelle Ingenieure mit ihren Konstruktionsplänen immer schon getan haben. Und entsprechend lassen sich Taylors Anweisungen mit den gedanklichen Kategorien der Informatik sinnvoll interpretieren. Die strukturalistische Analyse geschieht notwendigerweise auf der Basis und mit den Kategorien des Stadiums, von dem aus Geschichte als Gegenstand gesetzt wird, also der jeweils im doppelten Sinne letzten Entwicklungsstufe.
Die Entwicklung selbst muss dargestellt werden als etwas, das sich im Sinne des Wortes ent-wikelt, als etwas, das "eingewickelt" schon da
und eben "ent-wickelt" wurde. Der Informatiker steckte schon im konventionellen Ingenieur; dieser steckte bereits im Handwerker. Die in einem gewissen Sinne invertierende Darstellung - in welcher auf Entwicklungsentitäten zurückgegriffen wird, die erst am Ende der Entwicklung, in der Informatik, erscheinen - zeigt die ursprüngliche Arbeit des Handwerkes als primitiv-unentwickelte Arbeit, die jedoch ganzheitlich alle Aspekte enthielt, die in der späteren Entwicklung zutage treten. Die herkömmliche Arbeit wurde im unentwickelten Handwerk ganzheitlich geleistet, bevor sie in der Arbeitsteilung mit dem Ingenieur in Kopf- und Handarbeit zerlegt wurde. Der Ingenieur zeigt, was vorher unentwickelt im Handwerker war.
Die Entwicklung der Arbeit ist doppelt. Zum einen erkennt man mit jeder neuen Maschine, was vorher noch Arbeit war, es entwickelt sich also das begriffliche Wissen über die Arbeit. Zum andern verändert sich die Arbeit objektiv, indem sie durch jede Maschine neu zerlegt und angeordnet wird, und so neue Anforderungen stellt. Die Arbeit der Ingenieure zeigt sich rückblickend als vorübergehend abgetrennter Aspekt der im ursprünglichen Handwerk ganzheitlichen Arbeit. Der primitive Handwerker hat keinen Plan, er hat allenfalls die geistige Repräsentation eines Planes. Die Redeweise "einen Plan im Kopf haben" erhält erst Sinn durch wirklich vorhandene, produzierte Pläne. Der Handwerker, der nach einem Plan arbeitet, der also seine Arbeit zerlegt, indem er zunächst zeichnet, was er später ausführt, stellt eine entwickeltere Form des Arbeitenden dar, als der primitive, eben unentwickelte Handwerker, der den Plan nur im Kopf hat. Die entwickeltere Arbeit muss individuell keineswegs höhere Ansprüche stellen. Nicht nur auf der handwerklichen Produktionsstufe muss der primitivere Arbeiter häufig mehr können als seine Nachfolger. Auch die Wartung eines unstrukturierten Programmes ist viel schwieriger als die Wartung eines strukturierten. Dass aber die zunehmende Gliederung der Arbeit die einzelnen Arbeitstätigkeiten im allgemeinen vereinfacht, ist schon für A.Smith einer der wichtigsten Gründe für die gesellschaftliche Arbeitsteilung gewesen. Arbeitsteilung besteht - von F.Taylor nur ausformuliert - immer darin, die Arbeit so zu zerlegen, dass ein Teil der Arbeitenden möglichst wenig können muss - im tayloristisch metaphorischen Falle nicht mehr als ein Gorilla, im Idealfall aber vor allem nicht mehr als ein Automat. Wie die humane
Arbeitspsychologie mit Varianten des Job-enlargement gezeigt hat, stösst dieser Trend selbst bei Menschen wie Schmidt auf Motivationsgrenzen, die Automaten natürlich nicht kennen.
Die von der ursprünglichen Gesamttätigkeit des Handwerkers abgespaltene, planende Kopfarbeit verselbständigte sich im anweisenden Ingenieur. Solange der Handwerker seine Zeichnungen selbst gemacht hat, wird er diese kaum als Anweisung und schon gar nicht als Befehl interpretiert haben. Zur befehlenden Anweisung wurde der Plan erst, nachdem er von jemand anderem erstellt worden ist. Rückblickend kann der Handwerker aber auch in seinen eigenen Zeichnungen verbindlichen Zwang, und wenn er will, einen Befehl entdecken.
Schliesslich drückt die Redeweise "Taylor befiehlt, Schmidt arbeitet" auch viel weniger eine Arbeitsteilung zwischen Taylor und Schmidt aus, als dass der eine eigentlich arbeitet, während der andere die Arbeit nur beschreibt. Die Arbeit und deren Beschreibung erscheinen in dieser Redeweise als verschiedene Dinge. Im Kontext von Taylor und dem konventionellen Ingenieur kann das Abbilden vom Machen auch wirklich unterschieden werden. Die "Anweisungen", die der eine mündlich und der andere in Form von Planzeichnungen gibt, werden von Facharbeitern oder Handlangern wirklich ausgeführt. Wo der konventionelle Ingenieur eine Werkzeugmaschine konstruiert, finden sich Mechaniker, die diese Maschine wirklich bauen. Wie aber ist das bei den Informatikern? Wer macht wirklich, was sie beschreiben?
Informatiker beschreiben (E)DV-Lösungen. In ihrer Anwendung unterstützen EDV-Lösungen einen ihnen übergeordneten Zweck, wie das alle Werkzeuge tun. Diesen jeweiligen Zweck erfüllen EDV-Lösungen weder als Hardware allein, noch allein als sogenannte Software. Die Hardware wird industriell meistens als Endprodukt, das seinerseits auf Halbfabrikaten beruht, produziert. Funktionell ist aber auch die vollständige Hardware, selbst wenn sie unter einem Betriebssystem steht, nur ein Halbfabrikat, das, wie beispielsweise ein Rundprofil auf einer Drehbank, auf eine weitere Bearbeitung wartet. Wie aber wird aus Hardware ein Werkzeug?
Da ist zunächst wieder der anweisende Ingenieur, der jetzt Informatiker heisst und seine Anweisungen in Form eines Programmes gibt. Wie man weiss, haben auch die Informatiker, wie zuvor die konventionellen
Ingenieure, die hand-werklichen Aspekte ihrer Arbeit in Hilfsberufe, in sogenannte Programmcodierer, ausgelagert. Hier interessiert aber vor allem, wer die Anweisungen entgegennimmt und ausführt. Wer legt, nach den Programmierern, Hand an, um aus Hardware ein Werkzeug zu machen?
Niemand. Wenn der Programmierer mit seiner Beschreibung des schliesslichen Werkzeuges fertig ist, ist dieses Werkzeug auch fertig produziert. Wer die Anweisungen des Programmierers liest, weiss, was der Computer wie macht. Damit ist das Beschreiben des Computers mit einem Programm auch gleichzeitig das Herstellen eines Werkzeuges aus einem Halbfabrikat. Damit werden viele althergebrachte Formulierungen wie "Ingenieure bauen oder konstruieren Maschinen" in einem neuen Sinn adäquat. Die letzte Teil-Arbeit am entwickeltsten Werkzeug erscheint als Beschreibung, wobei auch der Ausdruck "Beschreibung" einen neuen Sinn erhält. Der ausgedruckte "Anweisungs-Plan" des Ingenieurs steht hier am Schluss der Produktion und erinnert an den Stadtplan, der auch nach der Stadt gezeichnet wird. Der Einwand, dass Programme normalerweise nicht in einer lauffähigen Version geschrieben werden, würde einen unwesentlich zufälligen Gesichtspunkt hervorheben, der Einwand aber, dass Programm-Anweisungen von einem Automaten "interpretiert" und "ausgeführt" werden müssen, beruht auf einer Vorstellung, die Automaten abstrakt mit befehlsausführenden Menschen gleichsetzt, also im verwerflichsten Sinne des Wortes tayloristisch ist.
Die Sprache, mit welcher die Informatiker über ihre Produkte sprechen, suggeriert die herkömmlichen Vorstellungen über das Verhältnis des Ingenieurs zu seiner Sache, die auch in den naiven Geschichten der Informatik zum Ausdruck kommen. Herkömmlich ist, dass der Ingenieur Anweisungen erteilt, und dass diese von Arbeitern, beispielsweise von Mechanikern ausgeführt werden. Der Ingenieur spricht - über Medien wie Konstruktionspläne - mit den Arbeitern, welche seine Anweisungen befolgen und das von ihm beschriebene Produkt herstellen. Für Menschen, die an dieser Vorstellung über den Ingenieur festhalten, muss im Falle des Informatikers der Computer - oder bildlicher, der Roboter (6)-
6 I.Asimov, durch dessen Science-fiction-Erzählungen der Roboter in den 40-er Jahren zur Welt kam, begründete die Gestalt, die er seinen ersten Robotern gegeben
die Rolle des Arbeiters übernehmen. Also spricht der Informatiker mit der Maschine (Programm-Sprache), er gibt ihr Anweisungen (in eben dieser Sprache). Er unterstellt dabei, dass die Maschine im Prinzip sprachfähig ist, und begründet das Gespräch in Vereinbarungen mit der Maschine darüber, was was bedeuten soll.
Hierbei stellt sich bei vielen Informatikern das Unbehagen ein, das Halbwahrheiten verursachen. Sie betonen dann beispielsweise, dass Mensch und Maschine sehr unterschiedlich arbeiten, und dass man daher solch irreführende Begriffe wie "Elektronengehirn" nicht benützen sollte (Bauknecht/Zehnder,1980,162). Aber weshalb sollte wohl gerade hier die in unserer Sprache sehr übliche Verwendung von Homonymen besonders problematisch sein? Problematisch ist nicht das Homonym, also die Verwendung desselben Wortes für zwei verschiedene Dinge; problematisch ist, wenn man die Verschiedenheit der gleichbezeichneten Dinge nicht erkennt. Dass "Hirn" und Elektronen"hirn" verschieden sind, kann man bislang problemlos sinnlich erkennen. Die Redeweise "Menschen und Maschinen arbeiten sehr unterschiedlich" dagegen, beruht auf dem nicht erkannten Homonym "arbeiten". Maschinen arbeiten nicht, sie fügen sich allenfalls einem physikalischen Konzept, das zufällig auch mit der Buchstabenkette "Arbeit" bezeichnet wird (7). Das Unbehagen, das durch Homonyme schimmert, die wie "Elektronenhirn" unproblematisch sind, rührt daher, dass mit Denkkategorien, die auf Mensch-Maschinen-
hatte, wie folgt: ”Wenn eine Maschine alles machen soll, was der Mensch tun kann, hat sie am besten auch die Gestalt eines Menschen” (Asimov,1982,266). Den Aus-druck ”Roboter” hatte der tschechische Schriftsteller K.Capek, der Satiren über den technischen Fortschritt schrieb, bereits 1920 in Rossum's Universal Robots geprägt.
7 F.Taylor zeigt auch in diesbezüglichen Bemerkungen, dass er bei seinen Ausführungen Maschinen, nicht Menschen vor Augen hat. Nachdem er feststellte, dass es ”einen Arbeiter ungefähr gleich viel (ermüdet), ob er mit einem Roheisenbarren von 40 kg in den Händen geht oder ruhig steht”, sagt er, dass der Arbeiter in einem Falle arbeite, im anderen aber nicht: ”Doch ein Mann, der mit seiner Last still dasteht, leistet keine Meterkilogramme. (Denn ,Arbeit ist‘ nach der Definition der Mechanik ,gleich Kraft‘ in Kilogramm, in diesem Falle das jeweilige Gewicht der Barren, ,multipliziert mit dem Weg‘ in Metern, auf dem sich die Kraft bewegt, also hier die Entfernung vom Stapel bis auf den Wagen (...))” (Taylor,1977,61). Diese Arbeitsdefinition macht ausschliesslich für Maschinen Sinn, denn wie schwer müssten sonst die Worte von F.Taylor wiegen, damit seine Tätigkeit unter dieser Definition ”Arbeit” wäre.
Analogien beruhen, Menschen und Maschinen mit zunehmender Entwicklung der Maschinen immer weniger unterschieden werden können, so dass die Unterschiede immer mehr beschworen werden müssen (8).
Schmidt interpretiert die Anweisungen, die er erhält als Befehle. Für ihn ist gleichgültig, dass Taylor ihn mit einem Automaten verwechselt, auch wenn er sich das bei einem so gebildeten Herrn sicher kaum vorstellen kann. Automaten können sich gar nicht vorstellen, von Ingenieuren mit Menschen verwechselt zu werden. Es ist ihnen aber völlig gleichgültig, wenn man mit ihnen spricht, als ob sie Menschen wären. Eliza, einer "Automatin", die einen Psychoanalytiker imitiert, ist es so gleichgültig als Mensch behandelt zu werden, dass der Informatiker J.Weizenbaum, der "sie" produziert hatte, sie sogar gefährlich findet. Aber auch J.Weizenbaum beklagt nicht die unentwickelte (primitive) Vorstellung, wonach Menschen mit Maschinen sprechen können, er beklagt nur, dass die meisten Menschen, "die mit ihr (mit Eliza) ein Gespräch führten (!), die höchst bemerkenswerte Illusion hatten, es (das Programm) sei mit Verständnis begabt (...)" (Weizenbaum,1978,134).
Seit die technische Intelligenz den Unterschied zwischen Abbilden und Herstellen im Prinzip aufgehoben hat, verfügen wir über jene begrifflich entwickelte Kategorien, die F.Taylor in seiner Darstellung der technischen Intelligenz nur geahnt hat. Die mangelnde begriffliche Adäquatheit von Taylors scharfsinniger Analyse, die in seiner Gleichsetzung von Menschen und Automaten zum Ausdruck kommt, begegnet uns umgekehrt in den herkömmlichen Vorstellungen über Computer, die ihren Niederschlag in der technischen Umgangssprache gefunden haben, unter welcher Maschinen sprechen und interpretieren können, (fast) als ob sie Menschen wären.
Mit seinen Anweisungen an Schmidt hat F.Taylor, alltagssprachlich und unstrukturiert, die modernsten Vertreter der technischen Intelligenz, die Informatiker, vorweggenommen. Hätte F.Taylor Automaten gekannt, hätte er in seinen "Programmen" nicht Schmidts Tätigkeiten als einen Quasi-Automaten beschrieben. Die entwickeltsten Ingenieure beschreiben
8 J.Weizenbaum hat ein weitverbreitetes Buch geschrieben, in dem eigenartigerweise ”nichts anderes behauptet wird, als dies: dass erstens der Mensch keine Maschine ist (...)” (Weizenbaum,1978,10).
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