Searle, John R. : Geist, Gehirn, Programm. In: Zimmerli, W.Ch. / Wolf, S. (Hrsg.): Künstliche Intelligenz
Der Aufsatz enthält das Chinesische Zimmer
das »Chinesische Zimmer«
Kein Computerprogramm ist von sich aus imstande, einem System Geist einzuhauchen.
Die Art und Weise, wie das Gehirn Geist hervorbringt, läßt sich nicht allein mit dem Durchlauf eines Computerprogramms erklären.
Alles andere, was Geist bewirkt, muß auf kausalen Kräften beruhen, die denen des Gehirns zumindest äquivalent sind.
Für alle Artefakte, die wir hervorbringen und denen geistige Zustände vorausgingen, welche menschlichen Bewußtseinszuständen äquivalent sind, reicht die Entwicklung eines Computerprogramms an sich noch nicht aus. Vielmehr setzt ein solches Artefakt Leistungen voraus, die denen des Gehirns äquivalent sind.
Searles Position
1. Denken besteht nicht allein aus dem syntaktischen
Hantieren von Symbolen, sondern auch und vor allem aus den semantischen
Inhalten, die mit diesen Symbolen verknüpft sind. Da Computeralgorithmen
auf einer rein syntaktischen Ebene arbeiten, d.h. nur Symbole miteinander
verknüpfen, können sie ergo nicht denken. Searle macht dies an
einem Gedankenexperiment klar (das Chinesisches
Zimmer). Dabei wird ein System konstruiert, das den Turing-Test
für das Verstehen von Sprache (Chinesisch) besteht. Dennoch, so Searle,
kommen wir, wenn wir die Konstruktion des Systems verstehen, zu dem Schluß,
daß dieses System tatsächlich kein Chinesisch verstehen kann,
jedenfalls nicht in unserem intuitiven Vorverständnis von "Sprachverstehen".
Damit wird die Rolle des Turing-Tests grundsätzlich in Frage gestellt.
2. Searle bezweifelt nicht, daß Computerprogramme die Ergebnisse von Denkvorgängen simulieren können. Das ist aber keineswegs gleichzusetzen mit einer Duplikation dieser Vorgänge. Searle führt die Begriff "starke" und "schwache" KI (Künstliche Intelligenz) zur Markierung dieses Unterschieds ein. Während in der schwachen KI der Computer bloß als Instrument zur Untersuchung geistiger Fähigkeiten (wie Sprachverstehen, Sprachproduktion, Bilder-Erkennen, Denken) benutzt wird, nehmen Vertreter der starken KI an, daß dabei tatsächlich "mentale Zustände" realisiert werden und daß ein geeignetes Programm tatsächlich Sprache versteht. In Searles eigenen Worten: ". . . according to strong AI, the computer is not merely a tool in the study of the mind; rather, the appropriately programmed computer really is a mind, in the sense that computers given the right programs can be literally said to understand and have other cognitve states. In strong AI, because the programmed computer has cognitive states, the programs are not mere tools that enable us to test psychological explanations; rather, the programs are themselves the explanations."
Das ist also die Grundidee des "Computer-Modell
des Geistes" (so wie es von Anhängern der starken KI vertreten
wird): der Geist ist das Programm und das Hirn ist die Hardware eines
computationalen Systems. Oder als Analogie formuliert: "Der
Geist verhält sich zum Computer wie das Programm zur Hardware."
Searle bezweifelt beide Seiten dieser Idee.
(A) Der Geist ist kein Computerprogramm. Am Geist ist jedenfalls mehr dran, als ein Computerprogramm jemals erfassen könnte. Starke KI ist im derzeitig vorherrschenden Paradigma der Symbolmanipulation ist also nicht möglich. Searles entscheidendes Argument ist das Chinesisches Zimmer. Denn da wird ein Programm vorgeführt, daß geistige Leistung bloß vortäuscht. Searle suggeriert nun, daß alle Programme geistige Leistungen bestenfalls vortäuschen. Und zwar deshalb, weil Programme im Paradigma der Symbolmanipulation rein syntaktischen Charakter besitzen und damit niemals zur Inhaltsebene vorstoßen können.
(B) Das Hirn ist kein digitaler Computer. Die Gegenthese nennt Searle Kognitivismus. Sie beruht darauf, das Hirn als eine universelle Turing-Maschine aufzufassen. Denken ist dann nichts weiter als Informationsverarbeitung. Wir werden auf den entsprechenden Teil der Searleschen Kritik, die vor allem in Searle (1996) niedergelegt ist, in der letzten Vorlesung zurückkommen, die sich mit dem Leib-Seele-Problem befaßt.
3. Prinzipiell sieht Searle jedoch die Möglichkeit gegeben, eines Tages Systeme (jedoch keine Computer im herkömmlichen Sinne) zu konstruieren, die denken können. Er wendet sich aber gegen die These, dass dieses durch hardwareunabhängige, rein syntaktisch arbeitende Algorithmen geschehen könne, da diese nur strukturierte Symbole manipulieren würden, während im menschlichen Gehirn eine semantische Ebene dazukommt, die möglicherweise durch die Selbstorganisation von neuronalen Aktivitätsmustern und deren Bezogenheit auf Sinneswahrnehmungen und Motorik (und damit die Außenwelt) gegeben ist.
Das
chinesische Zimmer
Man stelle sich vor, in einem Raum zu sitzen,
worin sich dicke Büchern mit Regeln, leere Blätter sowie genügend
Schreibutensilien befinden. Der Kontakt zur Außenwelt geschieht durch
zwei Wandschlitze, die Input und Output heißen. Gelegentlich
schiebt jemand Papierstücke mit chinesischen Schriftzeichen durch
den Input-Schlitz. Meine Aufgabe als Insasse im chinesischen Zimmer
ist nun, den Abschnitt in einem der Regelbücher zu finden, der mit
der Sequenz von Schriftzeichen auf dem eingesteckten Papierstück übereinstimmt.
Das Regelbuch sagt dann, welche Schriftzeichen auf ein leeres Blatt Papier
zu schreiben sind. (Man kann sich die Regelbücher auch gerne etwas
komplizierter denken, sodaß Zwischenergebnisse anfallen und Verweise
zu anderen Regelbüchern zulässig sind). Wenn alles aufgeschrieben
ist, muß das Papierstück durch den Output-Schlitz gesteckt
werden.
Der Insasse des chinesischen Zimmers versteht
natürlich kein Wort Chinesisch. Er braucht nicht einmal zu wissen,
daß die Symbole, die er manipuliert, überhaupt chinesische Schriftzeichen
sind.
Nun nehmen wir an, daß die empfangenen
Inputs
echte
auf Chinesisch gestellte Fragen über einen bestimmten Gegenstandsbereich
sind und die produzierten Outputs die angemessenen, ja als einsichtsvoll
zu charakterisierenden Antworten darauf darstellen. Für
den draußen vor dem Zimmer stehenden Betrachter, der die Fragen gestellt
hat, sollen die Antworten so gut ausfallen, daß er den Eindruck gewinnt,
daß sie nur von einem Sprecher des Chinesischen stammen können.
Dieses Gedankenexperiment, so Searle, beinhaltet eine wirkungsvolle Widerlegung der Rolle des Turing-Tests. Darüber hinaus glaubt Searle, daß sein chinesisches Zimmer eine wirkungsvolle Widerlegung der starken KI beinhaltet. Beiden Einstellungen wurde widersprochen. Ich gebe zwei Gegenargumente und verhehle nicht, daß sie mir wenig überzeugend erscheinen.
Die Systemantwort
"Es
ist offensichtlich wahr, daß die Person, die im chinesischen Zimmer
eingeschlossen ist, kein Chinesisch versteht. Tatsache ist jedoch, daß
sie bloß ein Teil des Systems ist. Das ganze System versteht Chinesisch.
Und dazu gehören die Regelbücher, Schmierzettel für Zwischenresultate,
evt. Datenbanken etc. Sprachverstehen wird nicht dem Individum zugeschrieben,
sondern dem ganzen System, von dem das Individuum nur ein Teil ist." (aus
Searle 1980)
Searles Erwiderung
"...Wir nehmen an, daß
das Individuum alle Elemente des Systems verinnerlicht. Es hat die entsprechenden
Anweisungen gelernt und kennt die Datenbanken mit den chinesischen Symbolen
auswendig. Und es ist fähig, alle Berechnungen im Kopf auszuführen.
Auf diese Weise sind die ursprünglich externen Komponenten vollständig
"verinnerlicht" worden. Dennoch würde keiner sagen, daß die
Person jetzt Chinesisch versteht, obwohl sie zu den richtigen Resultaten
gelangt." (aus Searle 1980)
Searles Erwiderung (gekürzt)
". . . the addition of such
"perceptual" and "motor" capacities adds nothing by way of understanding,
in particular, or intentionality, in general . . . the robot has no intentional
states at all; it is simply moving about as a result of its electrical
wiring and its program . . ." (aus Searle 1980)
Literatur: