Schäfer, Lothar: Das Bacon-Projekt, Suhrkamp, Frankfurt 1993, ISBN 3-518-58141-4, Fr.
Macht euch die Erde - mit durchhaltbarer Technik - untertan
Naturphilosophie gibt es seit die Menschen überhaupt philosophieren. Seit wir aber - in Form der sogenannten "ökologischen Krise" - die Umwelt als solche 'entdeckt' haben, hat die Philosophie in der Natur einen neuen Gegenstand gefunden: Wir sollen die Natur nicht mehr nur (naturwissenschaftlich) verstehen, wir sollen zur Umwelt Sorge tragen, auf dass die "ökologische Krise nicht zum Finale des Menschen gerät". Die ethische Frage allerdings ist, ob wir die Umwelt erhalten sollen, weil wir sie zum Leben brauchen, oder ob wir der Natur als solcher Verantwortung schuldig sind. Sollen wir etwa mit Urwaldrodungen aufhören, weil die Menschen, die dort leben, eine intakte Natur brauchen, oder sollen wir, wie unter anderen auch der deutsche Bundespräsident von Weizäcker im Aufruf zur "Welthungerhilfe" vorgeschlagen hat, den Urwald selbst so wichtig nehmen, dass wir ihn schützen, indem wir den bei den dort lebenden Menschen Entwicklungshilfe leisten? "Sollen wir den Hungernden helfen, weil sie ansonsten zuviel Naturschäden anrichten?" Die beiden Autoren Jonas und Anders, die durch ihre Werke 'Das Prinzip Verantwortung' und 'Der antiquierte Mensch' die schützenswerte Natur ins philosophische Bewusstsein brachten, plädierten angesichts der ökologischen und atomaren Bedrohung für eine neue Ethik: Wir sollten unsere anthropo- und egozentrische Haltung aufgeben und begreifen, dass die Natur insgesamt Anrecht darauf habe, dass wir sie mit unserer Immer-grösser-immer schneller-Technologie nicht zugrunde richten.
Aber genau dieses Recht einer wie auch immer gearteten Natur kann der deutsche Philosoph Lothar Schäfer nicht ausmachen. Deshalb schrieb auch er eine Ethik mit dem sinnig-verräterischen Titel "Das Bacon-Projekt". Zwar konstatiert Schäfer, dass Francis Bacon's Utopie vom technologisch begründeten Wohlstand bislang tatsächlich nur für wenige Menschen in der 1. Welt - und selbst für die nur scheinbar - wahr geworden ist. Das hat seiner Meinung nach aber mehr damit zu tun, dass wir unser technologisches Wissen nicht so einsetzen, wie wir es auch nach Bacon's Geboten sollten, nämlich zum langfristigen Wohle aller statt nach kurzfristigen Profitüberlegungen für Wenige. Gerade unsere Technologie mache uns wissen, welche Auswirkungen unser Verhalten habe. Die ökologische Krise sei eine echte Krise, ein Stadium der Entscheidung zwischen Leben und Tod. Dass wir die Krise aber als "ökologische" bezeichnen, gehört nach Schäfer mit zur Krise, weil damit das eigentliche Subjekt der Krise ausgeblendet wird: Nicht die Natur, sondern der Mensch wird zugrunde gehen, wenn sich die Krise nicht zum Guten wendet. In der Krise müssen sich - wie schlechte und gute Säfte im kranken Körper (Hyppokrates) - verantwortbare und unverwantwortbaren Nutzungen der Natur scheiden. Denn nutzen müssen wir die Natur, wenn wir als natürliche Wesen in ihr bleiben wollen.
Dass wir möglichst wenig Ressourcen verheizen sollten, ist ein Gemeinplatz geworden. Trefflich streiten lässt sich aber darüber, ob wir unsere Ziele durch Verzicht (auf Technik), oder mit noch mehr Technik zu erreichen versuchen sollen. Der sich durch Wissen mächtig wähnende Francis Bacon (1551-1626) wusste noch nichts von der ökologischen Krise, als er die bis ins ausgehende Mittelalter der reinen Erkenntnis verpflichteten Wissenschaften beschwor, sich in den Dienst der Technik zu stellen. Während Bacon sich (und uns) von der Entwicklung des naturwissenschaftlich-technischen Wissens noch Macht über die chaotisch-böse Natur und das Paradies auf Erden versprach, postuliert Schäfer, dass wir technologisches Wissen brauchen, um die Natur zu schonen. Zur technisch-wissenschaftlichen Entfaltung des Wissens sieht Schäfer prinzipiell keine Alternative, weshalb er an Bacon's Projekt - mit entsprechender Modifizierung zur Nachhaltigkeit - festhalten will. Gerade durch die ökologische Krise sei die Wissenschaft interdisziplinär geworden und habe aufgehört, nur selbstinduzierte Laborprobleme zu untersuchen. Die Technologie stehe bereits weitgehend im Dienste der Umwelt. Nur das, was wir mit unserer der Technik im Alltag tun, dient der Umwelt meistens nicht. Wir müssten den Willen haben, das heisst, wir sollten endlich wollen, dass unsere Umwelt erhalten bleibt.
Schäfers Anliegen ist zu zeigen, dass wir zwischenmenschliche, nicht ökologische Probleme habe. Für mich befremdend ist, dass jemand, der so scharfsinnig und sozial wie Schäfer denkt, heute noch eine explizite Ethik schreibt, also den andern sagen will, was sie sollen. Zumal in jeder akzeptablen Ethik von den andern genau das verlangt wird, was ohnehin jedermann will. Denn wer will - wenn man den Worten glauben darf - die Umwelt nicht erhalten? Das "ökologische" Problem besteht darin, dass wir in sehr vielen Fällen nicht beurteilen können, ob ein konkretes Verhalten der Natur gegenüber durchhaltbar ist oder nicht. Und genau darin haben uns alle Ethiken bisher wenig geholfen. Die von Schäfer in Bacon's Technologieverständnis geforderte Technikfolgenforschung oder Technikbewertung (Technology Assessment) bleibt - wo sie nicht ihrerseits zur technophilen Ideologie verkommt - angesichts der behandelten Komplexität zwangsläufig ein Programm von Meinungen und Spekulationen. Bisher hat die Technikforschung nicht einmal in Ansätzen gezeigt, dass sie angesichts der zu behandelnden Komplexität technologisches Wissen-schaffen könnte, aus welchem sich Verhaltensregeln für andere Menschen herleiten lassen.
Das reizvolle - und wohl auch intendierte - am "Bacon-Projekt" liegt in zwei elegant verwobenen Fäden: man liest eine unterhaltende Einführung in die Natur- und Technikphilosophie und findet sich in einer äusserst kritischen Reflexion durchsichtig grüner Argumente wieder. Schäfer klagt ein, dass inadäquate Naturkonzeptionen den Menschen und der Umwelt schaden, weil sie, wie bei Jonas, Hilflosigkeit im Umgang mit für die Ernährung der Weltbevölkerung notwendiger Naturbewältigung schaffen, und häufig Grundlage dafür seien, die wirklichen Probleme in Mediensensationen und Schlagzeilen verschwinden lassen. Wenn uns Greenpeace ölverklebtes Gefieder und serbelnde Wälder, lebend gehäutete Robbenbabies und im Packeis verirrte Wale medientauglich aufbereitet, sehen wir nämlich, dass etwas schief läuft, wir werden aber auf das Erkenntnisniveau des blossen Augenscheins zurück geworfen. Für die eigentlich gefährlichen Technikfolgen, wie etwa zuviel und zuwenig Ozon, haben wir aber kein augenscheinliches Sensorium entwickelt. Der in den Medien inszenierte, oberflächliche Augenschein liefert bei weitem nicht genug Wissen, um umzudenken - davon abgesehen, dass der unmittelbare Augenschein gerade von sich selbstsüchtig profilierenden Institutionen sehr selektiv und modebewusst eingesetzt wird.
Thesen zum Buch: Umwelt als Einigung der Wissenschaft: praktische statt selbstindizierte Laborprobleme (Buchaussage (ev unbewusst): Was ist Wissenschaft S.99ff/100)
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