Keil-Slawik, R.: KOSMOS. Ein Konstruktionsschema zur Modellierung offener Systeme als Hilfsmittel für eine ökologisch orientierte Softwaretechnik Papyrus-Druck GmbH, Technischen Universität Berlin, Dissertation, Berlin 1985
Übersicht über die Entwicklung der Hardware (6ff). Die logische Äquivalenz von Hardware und Software legt nahe, die Softwarelücke ebenfalls mit einer hardwareorientierten bzw.ingenieurmässigen Herangehensweise zu schliessen (10).
2.2. Der Mensch als Maschine (57).
2.2.1. Der Programmierer als Maschine (58ff).
Hierarchische Problemlösungsstrategie. Der Chef bestimmt dieSystemstruktur, die einzelnen Programmierer haben die Systemteile (Knoten) zu implementieren (62f).
2.2.2. Der Benutzer als Maschine (65ff).
Die Einordnung von Softwaretechnik als ingenieurwissenschaftliche Disziplin ist zwar aus der (...) geschilderten historischen Entwicklung begründbar, nicht jedoch die Tatsache, dass trotz der
offensichtlichen Unterschiedlichkeit menschlichen Verhaltens und maschineller Strukturen beides vermittels mathematischer, auf die Maschine bezogener Konzepte gleichgesetzt wird (70). Die Anwendung ingenieurwissenschaftlicher Methoden auf geistige Prozesse enthüllt den Menschen und menschlichen Gemeinschaften lediglich als geistige Maschinen, die weder etwas Neues hervorbringen können, noch die Fähigkeit besitzen, sich selbst weiterzuentwickeln bzw. überhaupt etwas zu entwickeln (ebd.).
3. Offene und geschlossene Systeme und ihr Bezug zur Informatik
3.1. Elemente der klassischen Naturwissenschaft
In seinem Buch 'Die Wiederverzauberung der Welt' beschreibt M.Bermann die Entwicklung des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes, dessen Realitätsauffassung sich aus der Verschmelzung zweier scheinbar widersprechender Strukturen ergibt, die ihren letztendlichen Ursprung bei Plato und Aristoteles haben. Bei Plato ist es die Sphäre der reinen Vernunft, in der Erkenntnisse den Gesetzen des Denkens entsprechend durch Ableitung gewonnen werden.
Sinnesdaten sind störend und werden als Ablenkung von Erkenntnis betrachtet. Bei Aristoteles besteht Erkenntnis im Wesentlichen in Verallgemeinerungen, die Informationen der äusseren Welt entstammen. Diese als Rationalismus und Empirismus bekannt gewordenen Modelle des menschlichen Denkens werden im 17. Jahrhundert durch Descartes und Bacon repräsentiert. Während Descartes zeigt, dass das verlässlichste Wissen die Mathematik als prägnanteste Form der
reinen Vernunft ist, besteht Bacons Vermächtnis in der technologischen Auffassung von der Naturbefragung unter Zwang. Die wissenschaftliche Revolution besteht darin, Empirismus und
Rationalismus miteinander zu verbinden: die Denkgesetze richten sich nach den Gesetzen der Materie, damit man aber weiss, welche Gedanken man denken soll, müssen die eigenen Gedanken an Daten überprüft werden (72).
Messbarkeit: Je mehr man von der Materie begreifen will, desto mehr
muss man nach Galilei 'messbar machen' (72).
Sinnesempfindungen wie Geruch, Gestalt, Farbe usw., als Eindrücke,
die nicht weiter zerleget werden können, sind nicht messbar und
wurden demzufolge auch nicht berücksichtigt, ebensowenig wie die
persönliche Erfahrung. (...) Die gesamte physikalische Forschung
basiert auf Orts- und Zeitmessungen (73).
Widerspruchsfreiheit: (75f).
'Wir können ohne zu übertreiben behaupten, dass die Atome
erfunden wurden, um den Widerspruch zwischen Wärmelehre und Mechanik
zu eliminieren' (Pietschmann) (75).
Kausalität: (77f).
Das Prinzip der Kausalität beinhaltet, verbunden mit einem
universellen Gültigkeitsanspruch, dass auch die Einmaligkeit des
Lebens reduziert werden kann auf die Eigenschaften und
Gesetzmässigkeiten der Bausteine der Materie und somit die
Rekonstruktion der Natur als geschlossenes System ermöglicht (78).
Geschlossene System: (79f).
Die klassische Naturwissenschaft kann als eine Wissenschaft der
geschlossenen Systeme bezeichnet werden. 'Bei einem geschlossenen
System übt jedes Element bzw. Teilsystem nur auf andere Elemente
bzw. Teilsysteme desselben Systems Wirkungen aus, und jede Wirkung,
die ein Element bzw. Teilsystem dieses Systems erleidet, wird von
einem anderen Element bzw. Teilsystem desselben Systems verursacht'
(79).
Unter der Vorherrschaft der klassischen naturwissenschaftlichen
Weltbildes wird nicht nur der Mensch als energieumwandelnder Motor
betrachtet, sondern - konsequenterweise - in der Weiterentwicklung
der Technik auch bezüglich seiner mentalen Aspekte als geistige
Maschine (80).
3.2 Die geistige Maschine (81ff).
Gedächtnis (97ff).
Der genetische Code im Zellkern mit seinen mehreren Milliarden
Kombinationsmöglichkeiten operiert in einer Hierarchie von Umwelten
(Zellkern, Zytoplasma, Zellkörper, Körperflüssigkeit, Gewebe, Organe
etc.). Zur Charakterisierung der enormen Komlexität der dabei
erfolgenden physikalisch-chemischen Reaktionen prägt Waddington den
Ausdruck 'epigenetische Landschaft' (...). Die sich entwickelnden
Zellen sammeln beim Durchstreifen dieser Landschaft Informationen,
die über den Zellkörper mit den Chromosomen rückgekoppelt werden und
so die Entwicklungsstrategie bestimmen (97). Vgl. dazu 'Genetische
Mosaike: Einblick in die Entwicklung von Lebewesen, NZZ Nr. 8,
11.01.95)!
Die epigenetische Landschaft stellt somit als Ergebnis eines
evolutionären Prozesses eine Art Gedächtnis dar, das den jeweiligen
Entwicklungsstand dokumentiert. In der kognitiven Psychologie
benutzt U. Neisser den Begriff der kognitiven Landkarte. Das ist ein
Schema, das 'eine aktive, Information aufzeichnende Struktur' (...)
darstellt. (...) Wahrnehmung ist immer eine Interaktion zwischen
einem besonderen Objekt oder Ereignis und einem allgemeineren
Schema.' (...) der Wahrnehmende strukturiert seine Umwelt mit Hilfe
des Schemas. Indem er so die Umwelt erschafft, nimmt er sie wahr.
Das Schema ist das Gedächtnis, das wiederum in eine Hierarchie von
Schemata eingebettet sowohl ein Ergebnis bisher erfolgter
Wahrnehmungserkundungen ist als auch zugleich die Antizipation der
zukünftigen (98).
Im handelnden Menschen, in seiner Bewegung verbinden sich Raum und
Zeit. 'Der Raum ist übrigens im Grunde nichts weiter als das Schema
der unbegrenzten Teilbarkeit. Ganz anders aber ist es mit der Dauer.
Die Teile unserer Dauer fallen mit den sukzessiven Momenten des
teilenden Aktes zusammen.' (... Anm/ot: Bergson, H.: Materie und
Gedächtnis, Frankfurt 1982). So ist Bewegung gedanklich nicht
nachvollziehbar, wie das die Aporien des Zenon verdeutlichen (99).
Nach Zenon kann ein Pfeil sein Ziel nie erreichen, weil er vor
Erreichen des Zieles den Mittelpunkt der gesamten Strecke vom
Abschuss- bis zum Zielpunkt durchfliegen muss. Dieser Punkt wird
wiederum Ausgangspunkt der Reststrecke, deren Mittelpunkt erst
erreicht werden muss. (...) Kontinuität kann nur erlebt, gefühlt
werden. Sobald man ein Kontinuum präzise beschreiben will, muss man
es zerlegen. Der Mathematiker R. Courant weist darauf hin, dass
zwischen der intuitiven Idee eines Kontinuums und einer
mathematischen Beschreibung immer einen Lücke klaffen wird. Den
Trick, diese Lücke mit Hilfe der Differentialrechnung zu schliessen,
beschreibt H. Pietschmann in Anlehnung an Zenon: 'Wenn der fliegende
Pfeil sein Ziel auch nicht erreichen kann, so kommt er ihm doch
beliebig nahe'. (...) Das Dilemma ergibt sich daraus, dass die
Bewegung eines Objektes mit seinem Weg vom Anfangs- bis Zielpuntk
gleichgesetzt wird. Der Weg ist teilbar, die Bewegung nicht. 'Die
Naturwissenschaft betrachtet in Wirklichkeit immer nur diesen Raum.
Was sie Bewegung nennt, ist nur die Aufeinanderfolge der räumlichen
Lage der Körper in ihm. Auch wo sie vorgibt, die Zeit zu messen,
misst sie in Wahrheit nur Veränderungen im Raume.' (...) Tatsächlich
kann aber ein Prozess nicht mit einem Ding zusammenfallen. Die
Bewegung existiert in dem Augenblick, in dem der Mensch sie mit
seinen Sinnen wahrnimmt; indem er selbst aktiv ist, ergreift er die
Realität der Bewegung, die in ihm als Veränderung des Zustandes oder
der Qualität erscheint. (... 'Qualität ist kein Ding, sondern ein
Ereignis.' Pirsig, (1981); S. 246). Bergson benutzt den Begriff des
motorischen Schema, um zu verdeutlichen, dass ein gedankliches
Schema nur eine Skizze ist und erst die wirklich und vollständig
erlebten Muskelempfindungen ihm Farbe und Leben geben. (...)
Gedächtnis ist die Wiederholung solcher Schemata, die Zerlegung und
Wiederzusammensetzung, die jedesmal die Aufmerksamkeit des Körpers
auf eine neue Einzelheit lenkt, die das Wesentlichen unterstreicht
und in der Gesamtbewegung Zug für Zug die Linien aufsucht, die ihre
innere Struktur bezeichnen. 'Der Geist entnimmt der Materie die
Wahrnehmungen, aus denen er seine Nahrung zieht, und gibt sie ihr
als Bewegung zurück, der er den Stempel seiner Freiheit aufgedrückt
hat.' (Bergson ...) (99f).
Für Bergson ist das menschliche Gedächtnis auf keinen Fall ein
Speicher für Erinnerungen oder Bilder. Vielmehr konserviert der
Körper motorische Gewohnheiten, die es ihm ermöglichen, die
Vergangenheit von neuem zu spielen, oder er kann druch die
Wiederholung von Gehirnvorgängen, die sich an frühere Wahrnehmung
anschliessen, einen Verbindung zur Gegenwart herstellen. Die
Erinnerung geht nicht aus einem Gehirnzustand hervor, sondern der
Gehirnzustand setzt die Erinnerung fort. Er verleiht ihr durch die
Materialität die Macht, auf die Gegenwart einzuwirken, und im
Wechselspiel mit der Wahrnehmung Bewusstheit zu erzeugen. Darüber
hinaus beansprucht jede 'eine gewisse Dichte der Dauer, setzt die
Vergangenheit in die Gegenwart fort und nimmt dadurch am Gedächtnis
teil.' (Bergson ...). Bewusstsein ist ein irreversibler Vorgang, der
auf solchen reproduktiven Gedächtnisleistungen beruht. (101)
Charakteristisch für solche kausalen Kreisläufe ist die Zeit, die
benötigt wird, bis die durch das Erkennen eines Unterschiedes
vermittelte Information über die Umwandlung auf das Verhalten
zurückwirkt. 'Es gibt daher selbst im einfachsten kybernetischen
Kreislauf eine Art bestimmendes Gedächtnis'. (...). Was aber im
Kreislauf übertragen wird, der Unterschied, der einen Unterschied
bewirkt, bezeichnet Bateson als Informationseinheit (101).
Identität: (102ff).
In seiner 'Theorie des kommunikativen Handelns' (...) führt
Habermas den Begriff der Lebenswelt ein, die als
Verständnishintergrund erst die Möglichkeit bietet im Rahmen des
kommunikativen Handelns, intersubjektiv anerkannte
Situationsdefinitionen zu erzielen (102). Deckt sich der Begriff
Lebenswelt mit dem externen Gedächtnis?
Die Augenbewegungen beim Betrachten eines Bildes unterscheiden sich
bei Kindern und Erwachsenen. Vergleichstests ergeben, dass die
Bewegungsmuster von Erwachsenen untereinander bei der Betachtung
desselben Bildes sehr viel änlicher sind, als die der Kinder
(103).
Das Ergebnis des Lernens besteht bei den Erwachsenen in einer
Standardisierung des Schemas, das dadurch eine optimale Wahrnehumg
ermöglicht, weil es bereits die Erfahrungen früherer Erkundungen
enthält, also z.B. Bewegungsmuster ausschliesst, die bisher keine
oder wenig neue Information gebracht haben. Die Aufmerksamkeit, die
für diese Erkundungen nicht mehr benötigt wird, kann jetzt für neue,
innengeleitete Erkundungen benutzt werden.
Die Entwicklung eines solchen Automatismus ist ein Ausdruck der
Bildung einer individual-bezogenen Identität im Verhältnis zur
Umwelt, jedoch zugleich auch Zeichen einer gemeinschafts-bezogenen
Identität, insofern aufgrund teilweise gleicher Voraussetzungen und
Umgebungsbedingungen die Schemata ähnlich sind (Kohärenz) (103).
Die Kohärenz, die sich aus der Standardiesierung von Aktivitäten
ergibt, ist somit ein Merkmal der Identitätsbildung nach innen als
Abgrenzung von der Umwelt wie nach aussen als Ausdruck von
Gemeinsamkeit (104).
3.4 Mensch und Maschine (107ff).
'ein Unterschied, der einen Unterschied ausmacht, ist eine Idee
oder eine Informationseinheit'. (... Bateson ...).
Wahrnehmung als menschliche Informationsverarbeitung ist eine
Aktivität, bei der aus den unendlich vielen Unterschieden in der
Umgebung eine begrenzte Anzahl als Information selektiert wird.
Information ist also ein Prozess, bei dem der Mensch durch seine
Aktivität einen Unterschied erzeugt, und dieser Unterschied kann
nach Bateson als 'kodierte Version' eines Unterschiedes in der
Umgebung bezeichnet werden (107).
Darüber hinaus ist aber ein Kontext nötig, der es ermöglicht, neu
von alt zu unterscheiden. Ein solcher Kontext, beipielsweise
repräsentiert durch den Begriff des Schemas, beinhaltet Kohärenz von
Phänomenen, die sich im Prozess einer evolutionären Entwicklung aus
einer Standardiesierung bzw. Optimierung ergibt.
Kontext bedeutet Klassifizierung, bedeutet einen Übergang von einem
Unterschied zu einer Klasse von Unterschieden. Mit dem Neuen, das
aber nicht zur Klasse gehört, entsteht auch einen neue Klasse, d.h.
ein neuer Unterschied, oder anders ausgedrück ein neuer Kontext.
Zwar ist der Kontext im Verhältnis stabiler, als die sich in seinem
Rahmen vollziehende Wechselwirkung, doch unterliegt auch er der
Veränderung, wie dies beispielsweise durch den Begriff des
Paradigmenwechsels verdeutlicht wird: 'Wenn auch die Welt mit dem
Wechsel eines Paradigmas nicht wechselt, so arbeitet doch der
Wissenschaftler danach in einer anderen Welt' (... Kuhn, 1979; S.
133 ...) (108).
Die mehrstufigen Hierarchien von Kontext und Unterschied, Schema
und Handlung, Paradigma und Experiment, Lebenswelt und Kommunikation
usw. entsprechen in ihrer zeitlichen Einbettung der Dialektik von
Struktur und Prozess. Sie entsprechen dem, was G. Bateson mit Geist
bezeichnet bzw. mit dem Begriff der Evolutionseinheit, die
charakterisiert ist durch die Beziehung von somatischen und
phylogenetischen Änderungen (...). Die materielle Entsprechung
findet sich im menschlichen Nervensytem. 'Der im Gehirn ablaufende
Vorgang schliesst die durch Erregung und Inhibierung vermittelte
Kommunikation zwischen einer Vielzahl von Nervenzellen sowie die
bewertende Filterung durch das hierarchisch geleitete Netzwerk ein,
bevor das Resultat, die Idee, sich als einheitliches Ganzes, das
mehr als die Summe seiner Teile ist, im Bewusstsein abbildet.'
(...) (108f).
Im Gegensatz dazu arbeitet der Rechner grundsätzlich in einer
zeitlich linearen Struktur, d.h. er führt eine Sequenz von
Instruktionen aus. Aufgrund dieser Sequentialität ist eine
hierarchische Struktur nicht gegeben. Diese würde beinhalten, dass,
ineinander verwoben, auf mehreren Hierarchiestufen gleichzeitig
Instruktionen ausgeführt werden müssten, wobei das Problem der
Rückbezüglichkeit dazu führen würde, dass Instruktionen mehrdeutig
sind und nur durch die Bezugnahme auf einen übergeordneten Kontext
eindeutig ausgeführt werden könnten (109).
Soweit die Entwicklung des Lebens sich aus der zeitlichen
Entfaltung im Rahmen der Evolution erschliesst, kann der Mensch zu
keinem Zeitpunkt ein vollkommenes Verständnis seiner selbst haben
und folglich auch nicht einen Rechner mit seinem vollständigen
Abbild programmieren. Mithin müsste ein Rechner, sollte er in der
Lage sein, Informationen zu verarbeiten, als autonomes,
selbstreproduzierendes System konzipiert werden, das in der Lage
wäre, alle Aspekte des menschlichen Körpers mit genügender Kohärenz
auszubilden. 'Information unterliegt keinem Erhaltungsgesetz.
Aufgrund der im Gehirn ablaufenden dynamischen Prozesse entsteht sie
selektiv, irreversibel und evolutiv' (...). Tatsächlich gibt es
keine Evolution der Computer; solange es sie nicht gibt, ist auch
nicht vorstellbar, was sie sein könnte (109).
Insofern der menschliche Körper die Grammatik des Geistes ist,
(... Habermas ...) d.h. der selbst wiederum veränderliche Kontext
der Beziehung von Mensch und Umwelt, nicht das Gehäuse für den
Geist, sondern als Stufe einer langen evolutionären Entwicklung, als
deren Ergebnis er sowohl Gedächtnis als auch Antizipation
zukünftiger Möglichkeiten ist, also mit all seinen Sinnen Geist
verkörpert, insofern ist der Mensch kein symbolverarbeitendes
System, dessen Grammatik vollständig, eindeutig und widerspruchsfrei
beschrieben oder konstruiert werden kann.
Den Unterschied zwischen menschlichen Handlungen und solchen, die
nur aufgrund der Anwendung von Regeln einer Grammatik erfolgen,
bezeichnet J. Habermas mit den Begriffen Handlung und Operation.
'Operativ erzeugte Gebilde können, für sich betrachtet, als mehr
oder weniger korrekt, regelkonform oder wohlgeformt beurteilt
werden; sie sind aber nicht wie Handlungen einer Kritik unter
Gesichtspunkten der Wahrheit, Wirksamkeit, Richtigkeit oder
Wahrhaftigkeit zugänglich; denn sie gewinnen nur als Infrastruktur
anderer Handlungen einen Bezug zur Welt. Operationen berühren die
Welt nicht.' (...)
Umgekehrt gilt, dass nur Operationen automatisiert werden können,
nicht aber sinnstiftende Einbettung in menschliches Handeln (111).
Dies wird im Rahmen der Anforderungsermittlung durch die
begriffliche Unterscheidung von Aufgaben und Tätigkeiten
unterstrichen. (...) Nur Tätigkeiten können automatisiert werden.
Aufgaben sind verbunden mit Merkmalen wie Verständnis, Motivation,
Erfolg, Pflicht usw.; sie bedürfen der atkiven Ausgestaltung durch
den Menschen. [Hier verwendet R. Keil die Begriffe ganz anders als ich, RT]
Die Automatisierung von tätigkeiten, d.h. ihre Übertagung auf
Operationsfolgen einer Maschine, bedeutet, dass nur durch die
Einbettung in menschliches Handeln diese Maschine einen Bezug zur
Welt erhält, unabhängig davon, wie kompliziert ihre innere Struktur
oder ihre möglichen Operationsfolgen auch sein mögen.
Dem menschlichen Arbeitshandeln angemessene Software zu entwickeln,
erfordert daher, Software als Teil eines umfassenden Kreislaufes zu
betrachten, als offenes System und nicht als geschlossenes
Regelwerk (111f).
KOSMOS (113ff).
Mit der Rekonstrukion der Begriffe Information und Verständigung
als offene Systeme wird deutlich, dass die wesentliche Funktion des
Gedächtnisses darin besteht, ein bezüglich der mentalen Prozesse
materielles Korrelat herzustellen, das als Ergebni solcher Prozesse
langlebiger ist, als der erzeugende Prozess. Im Hinblick auf die
Entwicklung von Software repräsentieren Daten, in welchem physischen
Kontext sie auch auftregen mögen (Schallwellen, Zeiger, Lochkarten,
Schaltkreise, Graphiken etc.), ein solches Gedächtnis bezüglich der
menschlichen Informationsverarbeitung (115). Impliziter Verweis
auf das externe Gedächtnis!
Daten liegen sowohl der menschlichen Informationsverarbeitung
zugrunde als auch der maschinellen Verarbeitung durch DV-Systeme.
Der qualitative Unterschied besteht darin, dass bei der maschinellen
Verarbeitung der Gebrauch eines Datums vollständig festgelegt,
standardisiert ist. (...) Demgegenüber können Daten bei der
Verabeitung durch den Menschen mehrdeutig sein, sie können zu
verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich interpretiert werden und
Handlungen auslösen oder beeinflussen, die nicht intendiert sind.
Darüberhinaus können nur im Rahmen des menschlichen Verhaltens neue
Daten erzeugt werden. Damit ist zugleich der Übergang zwischen Datum
und Information charakterisiert (116). Dass der Mensch
Informationen verarbeitet ist eine gewagte Annahme!
Daten verkörpern Sachverhalte oder Ideen zu dem Zweck, die
Weitergabe oder die Manipulation durch einen Verarbeitungsprozess zu
ermöglichen. Dabei kann ein Sachaverhhalt auf verschiedene Art und
Weise als Datum dargestellt werden. Die Eigenschaft, Datum zu sein,
ist gegeben, wenn ide Bedeutung oder Information durhc die
Darstellung des Sachverhaltes eindeutig erkannt werden kann und
somit eine Datenverarbeitung möglich ist. Ohne Kenntnis der dem
Bilden eines Datums zugrunde liegenden Regeln kann ein Datum weder
erkannt noch ordnungsgemäss verwendet werden, weil nur der Bezug zum
tatsächlichen Phänomen die Bedeutung von Operationen auf den Daten
erschliesst. (...) Dem Auftreten eines Datums gehen also immer
intersubjektive Regelvereinbarungen vor dem Hintergrund eines
sozialen oder kulturellen Kontextes voraus (119).
Ein KOSMOS besteht aus: einem dynamische Anteil (Aktivitäten) und
einem Gedächtnis (Daten/Objekte und Regeln) und dem Austausch
(Daten, Objekte) zwischen festgelegten Vorgängen (Operationen) sowie
Verknüpfungen der angegebene Symbole.
Metaregelen sind:
- Mit jeder Informationsverarbeitung - als Aktivität eines
Menschen - und mit jedem Verständigungsprozess - als Aktivität von
mindestens zwei Menschen - entsteht ein KOSMOS (...).
- Ein KOSMOS besteht im Austausch mit seiner Umgebung oder mit
mindestens einem anderen KOSMOS. In beiden Fällen erfolgt der
Austausch auf der Grundlage des Gedächtnisses eines umfassenden
KOSMOS (Umgebung bzw. Kontext).
- Der dynamische Anteil eines KOSMOS besteht aus Aktivitäten, die
wiederum einem KOSMOS oder aber einer Operation entsprechen können.
- Ein KOSMOS steht mit seiner Umwelt bzw. einem anderen KOSMOS im
Austausch, der durch die Aktivitäten und die ausgetauschten Daten
bzw. Objekte beschrieben wird.
- Es werden solange Verknüpfungen gebildet, bis der dynamische Teil
nur noch Operationen enthält.
- Enthält ein KOSMOS nur noch Operationen, gilt er als
abgeschlossen, eine weitere Modellierung findet nicht statt.
- Treten bei der Entstehung neuer Verknüpfungen Widersprüche auf,
müssen entweder die Verknüpfungen revidiert werden, oder aber die
Regeln des zugrunde liegenden Gedächtnisses. Dieser Vorgang
wiederholt sich, falls durch Regeländerungen neue Widersprüche
auftreten solange, bis wieder alle Verknüpfungen regelkonform sind.
- Ein KOSMOS hört auf zu bestehen, wenn keine neuen Verknüpfungen
mehr gebildet werden und keine Widersprüche mehr auszuräumen sind,
oder wenn die beteiligten Menschen das System verlassen.
- Jeder KOSMOS hinterlässt eine Spur in einem umfassenden
Gedächtnis (121f).
5. Schritte zu einer ökologisch orientierten Softwaretechnik
Methoden und Techniken der Softwareentwicklung orientierten sich
bisher an den Eigenschaften und Merkmalen der Maschine. Mit KOSMOS
sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, nicht nur die
maschinenbezogenen Aspekte zu behandeln, sondern auch die mit dem
Einsatz verbundenen Anforderungen (129).
Fallbeispiel: Entwicklung eines Bibliotheksystems das im Rahmen der
Fachbibliothek eines Unternehmens eingesetzt werden soll (144ff).
5.3 Entwurf und Implementierung
Regeln zur Problemlösung:
1. Alle Elemente eines Problems in schneller Folge mehrfach
betrachten solange, bis ein Muster entsteht, das alle diese Elemente
geleichzeitig umgibt.
2. Beurteilung aufschieben. Nicht zu Schlussfolgerungen springen
(191).
Das Problem ist beispielsweise durch die Aufgabe definiert, einen
Entwurf bzw. ein Programm zu erstellen. Betrachtet man das zu
erstellende Dokument als Spannungsfeld, dessen Grenzen durch die
Aufgabenstellung vorgegeben sind, so bildet es zusammen mit den
Sprachelementen und den Regeln zu seiner Abfassung und Überprüfung
das Gedächtnis bezüglich der Prozesse Entwurf bzw. Implementierung.
Regel 1 bezieht sich auf die Aktivitäten des Menschen, die durch
seine Kenntnisse und Vorlieben sowie seine individuelle Problemsicht
(vorstrukturiertes Wissen) geleitet sind. Auf welche Art das durch
die schnelle Exploration des Problems gefundene Muster zustande
kommt, ist dabei nicht kausal begründbar. Erst nachdem es entstanden
ist, wird es auf seine Verträglichkeit mit den Regeln und Elementen
des zugrunde gelegten Gedächtnisses überprüft (Beachten von Regel 2)
und gegebenenfalls erforderliche Revisionen vorgenommen (192).
Bezogen auf die Programmierung ist das Gedächtnis durch das
Programm bzw. die Programmteile verkörpert, die jeweils bereits
vorliegen. Ein KOSMOS wird repräsentiert durch den Menschen mit der
Problemstellung, der auf Grundlage der vorhandenen Programmteile im
schnellen Wechsel verschiedene Möglichkeiten, Alternativen und Wege
durchspielt oder andenkt, von denen dann einer selektiert wird.
Diese Sinnbewertung kann durch eine Vorliebe für bestimmte
Strukturen, durch vorhanden Kenntnisse, durch eine spezifische Sicht
des Problems oder auch durch äussere Einflüsse ausgelöst oder
beeinflusst werden. Diese neu entstandene Struktur wird
anschliessend daraufhin überprüft, inwieweit sie mit den bereits
vorhandenen Regeln bzw. Strukturteilen verträglich ist (193).
Um auf der Grundlage einer solchen Problemlösungsstrategie einen
flexible Verbindung von Problem und Programm zu ermöglichen, hat P.
Naur das Konzept der Aktionsbündel entwickelt. (...) Die Strategie
besteht darin, zu den globalen Anforderungen an ein Programm jeweils
Aktionsbündel zu entwickeln (Anweisungsfolgen), die sicherstellen,
dass die Anforderungen eingehalten werden. Aktionsbündel beziehen
sich in der Regel auf die Veränderung von Variablenwerten; sie
sollen ermöglichen, Regeln für die Veränderung von Werten zu
formulieren, die im gesamten Programm gültig sind (193).
P. Naur kommt zu dem Schluss, dass die Überlegungen während der
Programmentwicklung nicht mit dem Prinzip der stufenweisen
Verfeinerung beschreibbar sind, sondern sich detaillierte, lokale
Betrachtungen mit abstrakten, globalen Beschreibungen abwechseln,
Optimierungsgesichtspunkte mit Korrektheitsaspekten usw. (194).
Repräsentieren TOP und BOTTOM in der produktorientierten
Sichtweise zugleich auch Problem und Realisierung, so bilden sie in
der prozessorientierten Sichtweise eine Realisierungsfläche, die
beispielsweise mithilfe des Konzepts der Aktionsbündel stufenweise
strukturiert und durchdrungen wird. In welcher Reihenfolge dabei
welche Strukrurierungsmassnahmen unternommen werden, hängt dabei
wesentlich stärker vom Problemverständnis ab als von der
angestrebten Programmstruktur, stärker von den jeweilig bearbeiteten
Aspekten und Teilproblemen als von einer allgemeinen, universellen
Struktur, stärker vom Menschen als von der Maschine. (...)
Das Programm mit seiner Aufteilung in Aktionsbündel ist jeweils
bezogen auf einen Problemlösungsschritt das Gedächtnis, das bis zu
einem gewissen Grad den nächsten Lösungsschritt bestimmt, zugleich
aber selbst mit jedem Lösungsschritt auch verändert wird. In diser
Funktion entspricht das Gedächtnis einer Art kognitiver Landkarte
(...) (195).
Die Bedeutung eines Programms, d.h. die Einbettung in eine
Handlungsstruktur und nicht das rein symbolisch ablaufende
Maschinengeschehen, erschliesst sich nur in der zeitlichen Analyse
bzw. in der Partizipation am Prozess der Programmentwicklung; beides
entspricht der Aneignung stillschweigenden Wissens.
Programmstruktur und Entwicklungsstruktur sind dabei nicht
identisch. Dies gilt nicht nur für die Programmentwicklung, sondern
auch für das Verständnis von Programmen. D. Knuth kommt zum Schluss,
dass Programme die unter dem Gesichtspunkt geschrieben sind,
Menschen zu erklären, was man vom Computer erwartet, besser sind als
diejenigen, bei denen der Leitgedanke darin besteht, Anweisungen für
einen Rechner zu erstellen. (...) (195).
6. Zusammenfassung und Ausblick (200ff).
Ein Blick in die Entwicklung der klassischen Naturwissenschaft und
das daraus resultierende Weltbild zeigt die Übereinstimmung mit dem
Welbild der Softwaretechnik. Nur was widerspruchsfrei konstruierbar
ist, nur was mit den Mitteln der Logik ausgedrückt werden kann und
was unabhängig von äussern Einflüssen ist, nur das gehört zu diesem
Weltbild; es trägt die Zeit nicht in sich. Folglich wird alles was
zeitlich ist, irreversibel und nicht determiniert, als störend und
schlecht empfunden. Es wird abgespalten. Das Ergebnis dieser
Abspaltung kann als geistige Maschine charakterisiert werden, als
eine Begriffswelt, die das Lebendige wie auch das Schöpferische
ausklammert, das sie sich nur auf das beliebig oft Wiederholbare
konzentriert, wobei sich weder das Muster der Wiederholung verändert
noch der dadurch bewirkte Effekt. Der Wechsel von solchen
reversiblen Phänomenen zu den irreversieblen Prozessen des Lebens
bedeutet aber nicht, dass es keine sich wiederholende Muster gibt,
sondern, dass diesen einen andere Qualität innewohnt.
Sowohl in der Geschichte der Wissenschaft als auch in der Geschichte
des Lebens, sowohl in den irreversiblen Prozessen dissipativer
Strukturen als auch in den Vorgängen der menschlichen Wahrnehmung
finden sich gemeinsame Muster und Eigenschaften; als Merkmale des
Schöpferischen und des Lebendigen verkörpern sie die zeitliche
Einbettung alles Seienden.
Gegebenheiten, die ein solches Muster zeigen bzw. diese
Eigenschaften aufweisen, werden von G. Bateson als Geist und von A.
Köstler als Holon bezeichnet. Die andere Qualität dieser Muster
zeigt sich darin, dass sie als Grammatik des Lebens die Form
repräsentieren, ohne die die Enstehung der Neuen nicht möglich ist,
sie zugleich aber einer durch das Neue bedingten Veränderung
unterliegen. Gebilde oder Phänomene, denen diese Qualiät innewohnt,
können nicht als geschlossen, sondern nur als offene Systeme
angemessen charakterisiert werden.
(...) KOSMOS dient dazu, zeitbedingte Vorgänge zu charakterisieren,
die als schöpferisch oder selbstorganisierend bezeichnet werden
können. Eigenschaften solcher Vorgänge sind: irreversibel,
eingebettet, offen und ganzheitlich; Merkmale sind: Selektion,
Vielfalt und stillschweigendes Wissen.
Bezogen auf die Natur spiegeln diese Begriffe Eigenschaften
ökologischer Systeme wieder; sie sind zugleich die Merkmale
geistiger Prozesse.
Einsatz und Herstellung von Software können als geistige Prozesse betrachtet werden (201f).
Im Sinne von KOSMOS vollzieht sich das menschliche Arbeitshandeln
an Objekten bzw. Daten, deren Zustände und Beziehungen untereinander
als Gedächtnis von Handlungszyklen betrachtet werden können (203).
- Jedem Strukturierungshilfsmittel, das einen kreativen Vorgang
unterstätzen soll, muss eine Enthaltensein-Relation zugrunde liegen.
- Die Selbstorganisation eines kreativen Prozesses erfordert ein
Gedächtnis.
- Jeder kreative Vorgang kann nur durch die Analyse des Vorganges
selbst verbessert werden, nicht durch die Analyse des Produktes.
(208).
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