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Walter Kappacher: Silberpfeile. Roman. Deuticke-Verlag, Wien 2000. 223 S., Fr. 32.80.

Eine Rezension von Karl-Markus Gauss
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Feuilleton, 23. Dezember 2000, Nr.300, Seite 63

Dröhnende Stille
Walter Kappachers meisterlicher Roman «Silberpfeile»

Je mehr er gerühmt wird, umso weniger vermag er sich durchzusetzen. Walter Kappacher ist der Sonderfall eines Schriftstellers, den namhafte Kollegen bewundern und der doch kaum zur Kenntnis genommen wird. Martin Walser, der schon 1975 begeistert für den Erstling des Salzburger Autors, den Roman «Morgen», eintrat, hat diesem zum sechzigsten Geburtstag, 1998, ein eigenes Gedicht geschrieben, in dem es heisst: «Auch wenn er spricht / sieht er aus wie einer / der schweigt.» Erwin Chargaff erinnerte der durchsichtige, klare Stil des Autors an «das Trinkwasser meiner Jugend: es erquickte, es stillte den Durst, während man gar nicht daran dachte». Und der österreichische Schriftsteller Walter Klier, der nicht so leicht einen gelten lässt, schrieb gar: «Will man wissen, wie Österreich in den vergangenen Jahrzehnten wirklich funktioniert, sich angefühlt hat, liest man am besten bei Kappacher nach . . .»

Walter Kappacher ist ein literarischer Grossmeister der Zurückhaltung. Seine Romane und Erzählungen haben Titel wie «Werkstatt», «Morgen», «Rosina», «Irdische Liebe», «Ein Amateur» und handeln von unauffälligen Leuten, die auf wenig dramatische Weise am Leben leiden und durch unmerkliche Ereignisse an den Rand gedrängt werden, aus der Ordnung fallen. Die Zumutungen eines Betriebsausflugs, der Zwang zum Schunkeln und Mitsingen, die Irritationen im Büro, derlei reicht schon aus, dass Kappacher die stille, alltägliche Verzweiflung beklemmend erfahrbar macht. Aber er ist, anders als viele österreichische Routiniers der Weltverachtung, kein düsterer Autor; in ihrer stillen Verzweiflung hüten seine Helden eine Sehnsucht, die grösser, drängender wird und sie endlich auf- und ausbrechen lässt. So ist Kappacher auch ein präziser Chronist der alltäglichen Revolten, der kleinen Freuden, des heimlichen Triumphs über Gleichmass und Einerlei der verwalteten Existenz. Häufig hat er dabei das Motorrad als Symbol, ja als Medium der Freiheit beschworen, das Motorrad, an dem die Lehrlinge, die jungen Leute aus der Vorstadt wochenlang herumbasteln, bis sie es dann zur ersten, verbotenen Ausfahrt aus der Werkstatt schieben.

Die Liebe zur Maschine
Maschinenbauer, Bastler, Mechaniker, Konstrukteure treten in vielen Büchern Kappachers auf, aber noch nie hat er die Liebe zur Maschine, zum Apparat, so sehr in ihren abgründigen Dimensionen erfasst wie in dem neuen Roman «Silberpfeile». Ein nicht mehr ganz junger Journalist, der für eine Motorsportzeitung Rennberichte verfasst und dabei zu nicht viel mehr als zum Ersatz seiner Spesen kommt, entdeckt in Mantua, im Museo Tazio Nuvolari, das dem legendären Mantuaner Rennfahrer gewidmet ist, eine eigenartige Foto. Es zeigt die deutschen Rennsporthelden der dreissiger Jahre, Rudolf Caracciola, Manfred von Brauchitsch, Hans Stuck, Bernd Rosemeyer, wie sie stramm vor dem Führer stehen. Hitler hatte «damals die Wichtigkeit von Automobilrennen, mehr noch, der Motorisierung des Volkes früher als andere Politiker begriffen», und so hat er die Versuche der Konkurrenten Mercedes und Porsche, immer schnellere Motoren zu entwickeln, mit Interesse beobachtet. Einer, der dabei eine wichtige Rolle spielte, war der österreichische Konstrukteur Paul Windisch, ein unpolitischer Mann, dessen Obsession Motoren waren, an denen er schon als Jugendlicher bis in die Nacht herumwerkelte, und der für das Porschewerk an einem Auto baute, mit dem der Werksfahrer Rosemeyer den Geschwindigkeitsrekord auf über 430 Kilometer pro Stunde schrauben sollte.

Der Journalist beschäftigt sich schon lange mit den «Silberpfeilen», wie die Rennwagen hiessen, und insbesondere hat es ihm der plebejische Bernd Rosemeyer angetan, der im Alter von 29 Jahren tödlich verunglückte, woraus das Nazi-Regime, das auf dem Weg in den Weltkrieg war, einen Heldentod für Deutschland machte. Hitlers Telegramm an die Witwe - «Möge der Gedanke, dass Rosemeyer im Einsatz für Deutschland fiel, den Schmerz über den Verlust lindern» - deutet den Rennsport als kriegerische Disziplin in Friedenszeiten; Geschwindigkeitsrekorde gehörten zur Aufrüstung Grossdeutschlands, und die harmlosen Tüftler und Spintisierer, die ihr Leben in Werkstätten zubrachten und von immer schnelleren Autos träumten, waren Soldaten der Stirn, die dem deutschen Übermenschen die ihm gemässe Technik bereitstellen sollten.

In seiner hohen Kunst des Understatements bringt es Kappacher zuwege, den Zusammenhang zwischen Rennsport und autoritärer Gesellschaft, von Maschinenkult und faschistischer Ideologie sichtbar zu machen, ohne die Leidenschaft seiner Protagonisten zu denunzieren. Im Gegenteil, wer sich bei Autorennen schon immer gelangweilt hat, der kann die Faszination, der so viele unterliegen, vielleicht bei Kappacher verstehen lernen. Sein Ich-Erzähler, heimgekehrt aus Mantua, macht jedenfalls den Konstrukteur Windisch ausfindig. Der lebt, mittlerweile 85-jährig, einsam, hinfällig, verbittert in einem Salzburger Seniorenheim und verbringt seine Tage in einer Art von dauernder Empörung darüber, dass seine Existenz vom Pflegepersonal penibel reglementiert wird. Der Journalist ist sich nicht recht klar, ob er ein Buch über die Silberpfeile oder eine Biographie Bernd Rosemeyers schreiben solle; doch in den langen Gesprächen, die sie führen, wird daraus die Geschichte des Konstrukteurs Windisch selbst, die Geschichte jenes Mannes, der auf der Foto im Mantuaner Museum dem Führer ein technisches Detail erklärte und den seine Begabung am Ende ganz nahe an die nationalsozialistischen Verbrechen heranführte.

Im Rüstungswerk
Schon bald merkt der Journalist nämlich, dass ihm der alte Mann gar nicht von den Silberpfeilen erzählen möchte, sondern von etwas anderem. 1939 wurden die Autorennen eingestellt, und die Konstrukteure fanden sich in den Waffenlaboratorien wieder. Windisch kam während des Krieges nach Zipf, einem kleinen Ort in Oberösterreich, damals wie heute berühmt für das Bier, das dort hergestellt wird. Doch 1943 wird in den Stollen der Brauerei an anderem gearbeitet: Die besten Rüstungstechniker des Landes, die über ein Heer an Häftlingen aus dem nahe gelegenen KZ Mauthausen gebieten, sind mit der unterirdischen Entwicklung der V2-Rakete, der «Wunderwaffe» beschäftigt. Unter ihnen ist Windisch, der begnadete Mechaniker, der sich eigentlich immer nur für Autos interessiert hat, für Motoren und wie man sie verbessern könne.

Aus dem Buch über die Silberpfeile wird so unmerklich eines über die Geschichte des NS-Rüstungswerkes in der Brauerei Zipf, statt von Rennfahrern erfährt man jetzt von Wernher von Braun oder Hermann Oberth, den Pionieren der Raketentechnik, von standrechtlich erschossenen Häftlingen, schliesslich vom geglückten Sabotageakt, der die Wunderwaffe mitsamt der Fabrik in die Luft jagt, ehe sie einsatzfähig geworden wäre. Das Wunder der Technik zeigt einige seiner erschreckenden Geheimnisse, und der Maschinenkult von Stärke, Schnelligkeit, Ausdauer erweist sich als keineswegs so harmlos, wie all die Autonarren und Geschwindigkeitsfanatiker selber glauben mochten.

Der Roman um Motorsport und Rüstungspolitik erzählt nebenher auch die Geschichte zweier Verlierer, die sich näher kommen, den Ausbruch aus dem Altenheim wagen und doch keine Freunde werden. Der Journalist, den zu allem beruflichen Unglück auch noch die Freundin verlassen hat, gerät nach und nach in den Bann des Konstrukteurs, der sich einmal all seine Zweifel von der Seele reden möchte. Der Alte ist längst vergessen, der Junge, der in der Motorsport-Illustrierten keine Zukunft mehr sieht, ist durch die Begegnung mit Windisch verändert worden: «Etwas ist vorbei - aber was beginnt jetzt?», fragt er sich am Ende und beschliesst, anstatt ein Buch über die Silberpfeile zu schreiben, die Geschichte des Autokonstrukteurs, den es in die Rüstungsstollen verschlug, aufzuzeichnen.

Walter Kappacher hat ein Buch über dröhnende Motoren, ratternde Maschinen, über Autos und Raketen, über Rennstrecken und eine explodierende Waffenfabrik geschrieben. Wie macht er das nur, dass es wiederum ein Buch geworden ist, in dem man die Stille zu hören meint?

Anmerkungen von ...

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