Haug, Wolfgang Fritz: Philosophieren mit Brecht und Gramsci. 259 g. 168 S. 1996. Argument Kartoniert. SFr. 29.00 ISBN 3-88619-315-2
Vorwort
Wir wissen nicht, was von unserer Zeit bleibt. Oft wird gerade das Beste liegen gelassen. Bis Späteren aus der Vergangenheit etwas aufleuchtet wie Zukunft.
Um solche Zukunft in der Vergangenheit des Denkens geht es in den folgenden Versuchen. Und zwar soll die Anlage eines Denkens bei Brecht und Gramsci erkundet werden, dem letzterer den Namen einer Philosophie der Praxis gegeben hat. Begonnen wird bei der Philosophieauffassung und dem Verständnis von Handlungsfähigkeit, um nacheinander Fragen der theoretischen Philosophie, der Sprachphilosophie und der praktischen Philosophie durchzugehen.
Zu denken wagen - in der kurzen Geschichtszeit marxistischer Tradition hat es sich als nicht weniger gefährdet und selten herausgestellt als in der nach Jahrtausenden zählenden des Christentums oder des Islam. Brecht und Gramsci wagten zu denken, tasteten sich voran, erschlossen dem emanzipatorischen Denken und Handeln neue Räume und bildeten Elemente einer neuen Sprache. Ihr theoretisches Reflexionswerk blieb ihren Zeitgenossen mehr oder weniger verborgen. Gramscis Notizen, vom medizinischen Gutachter als pathologisches Dokument eingestuft, ruhten in der Asservatenkammer der Haftanstalt, später, durch Glücksumstände herausgekommen und außer Landes geschmuggelt, in einem Moskauer Archiv. Brecht verbarg den größten Teil seiner theoretischen Entwürfe und nahm für den veröffentlichten Teil die dichterische Lizenz in Anspruch, mit der traditionell eine Art politischer und theoretischer Unzurechnungsfähigkeit verbunden wird. Die selbst bei Brechts besten Schülern zu beobachtende Rückverwandlung des dichtenden Intellektuellen in die delphische Priesterin, den Seher und Weissager, der in einleuchtenden Rätseln und fremder Nähe spricht, lässt den unwahrscheinlichen Akt ahnen, in dem Brecht sich unfassbar machte durch - Verständlichkeit. Nachdem das, worum es bei dieser Verständlichkeit ging, vorerst gescheitert ist, trafen sie auf taube Ohren.
"In den Humanwissenschaften behauptet heute jeder von sich, Marxist zu sein", notierte Althusser 1968. Heute, nach dem Ende des "Kalten Krieges", in der postkommunistischen Situation, redet es sich nicht weniger gewiss vom "Tode des Marxismus". So redet es sich zumal auf deutsch. Der Zeitgeist brüstet sich seiner "Brecht-Müdigkeit", und selbst ein Habermas spricht vom "platten Materialismus" Brechts ...