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Feyerabend, Paul K.: Zeitverschwendung. Schwarzw. Fotos. 150 g. 149 S. 1997. Suhrkamp-Tb. (2722). Suhrkamp Taschenb. ISBN 3-518-39222-0

Zusammenfassung:
Paul Feyerabend hat dieses Buch 1993, im letzten Jahr seines Lebens, geschrieben. Fast ohne Dokumente, ausschließlich auf die Erinnerung geschützt, blickt der Propagandist des »anything goes« auf ein Leben zurück, das ihm - trotz der Turbulenz der äußeren Ereignisse - manchmal leer erscheint, indem er jedenfalls zu viel Zeit für unwichtige Dinge verschwendet hat. Die Geschichte eines Lebens jedoch, das ihn vom vorlauten Bücherwurm, Gesangsstudenten und Physiker zum Wissenschaftstheoretiker, philosophischen Dadaisten und Guru des postmodernen Pluralismus werden ließ. Mit seiner aufmüpfigen Autobiographie, die spannend ist wie ein Roman, blieb sich der unbequeme Denker gegen den Methodenzwang ein letztes Mal treu.

»Paul Feyerabends Autobiographie ist mehr als nur gelungen oder amüsant ... Zeitverschwendung ist eine ehrliche, stellenweise beunruhigende Selbstbefragung.« Sven Hannschek, Frankfurter Rundschau

Leseprobe:

Familie
Vor ein paar Jahren fing ich an, mich für meine Vorfahren und die ersten Jahre meines Lebens zu interessieren. Der unmittelbare Grund war der fünfzigste Jahrestag der Vereinigung Osterreichs mit Deutschland (1938). Ich beobachtete die Ereignisse von der Schweiz aus, wo ich damals gerade lehrte. Die Österreicher hatten Hitler mit überwältigendem Enthusiasmus begrüßt. Und jetzt hörte ich strenge Verurteilungen und ständige humanitäre Appelle. Nicht alle von ihnen waren unehrlich; allerdings erschienen sie mir reichlich nutzlos. Das lag wohl daran, daß sie so unbestimmt blieben, und ich dachte, daß ein persönlicher Bericht vielleicht eine bessere Art wäre, einen Blick auf die Geschichte zu werfen. Außerdem -war ich ziemlich neugierig. Nach vier Jahrzehnten an anglo-amerikanischen Universitäten hatte ich meine Jahre im Dritten Reich beinahe vergessen, die ich erst als Student, dann als Soldat in Frankreich, Jugoslawien, Rußland und Polen verbracht hatte. Sogar meine Eltern waren mir fremd geworden. Was waren das für Leute, die mich aufgezogen, mir eine Sprache beigebracht und mich zu dem nervösen Optimisten gemacht haben, der ich noch bin, und die heute noch gelegentlich in meinen Träumen auftauchen? Und wie kam es dazu, daß ich als eine Art Intellektueller endete, sogar als Professor, mit einem ansehnlichen Gehalt, einer zweifelhaften Reputation und einer wunderbaren Frau?

Es ist nicht leicht, diese Fragen zu beantworten. Ich habe niemals Tagebuch geführt, ich hebe keine Briefe auf, nicht einmal die von Nobelpreisträgern, und ich habe ein Familienalbum weggeworfen, um für Bücher Platz zu machen, die ich damals - für wichtiger hielt. Die einzigen Dokumente, die mehr aus Zufall denn aus Absicht überlebten,...