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Feldenkrais, M.: Der aufrechte Gang: Verhaltensphysiologie oder Erfahrungen am eigenen Leib mit zwölf exemplarischen Lektionen, Frankfurt am Mein 1968","Insel Verlag","erwähnt in:Tiwald, 1981","ETH-BIB 819 988","

"(...) denn er selbst misst seinen Wert nach seiner Stellung in der Gesellschaft. (...) denn es ist wichtig für ihn, dass er Gelegenheit habe, sich nach seinen eigenen, und das heisst: nach seinen organischen Neigungen zu entwickeln, und dass er sich ausdrücken könne, als der der er ist. Denn seine organischen Eigentümlichkeiten sind ihm biologisch vererbt, und dass er ihnen Ausdruck verschaffen könne, ist unerlässlich, wenn sein ganzer Organismus optimal funktionieren soll" (25).

"Der Hunger, von seinen Mitmenschen immer wieder bestätigt zu werden, ist so gross, dass die meisten ein - aber nicht ihr - ganzes Leben damit zubringen, ihre Masken zu verstärken. (...) Der Erfolg muss sichtbar sein, d.h. er muss Sprosse um Sprosse der gesellschaftlichen Leiter hinaufführen. Misslingt einem dies, so werden für ihn nicht nur die Lebensbedingungen schwieriger: es wird auch sein Wert in seinen eigenen Augen so sehr abnehmen, dass seine geistige und körperliche Gesundheit in Gefahr gerät. (...) Er kann seine Tätigkeiten und was ihn zu ihnen treibt nicht mehr entbehren: er braucht sie, um seine Maske, dieses Gesicht zu wahren; sonst gäbe er siche die Blösse, die er ist. Diese Tätigkeiten und was ihn zu ihnen treibt, entspringen keinem organischen Grundbedürfnis. Daher ist die Befriedigung, die solche Handlungen - und seien sie noch so vollkommen - verschaffen, selbst dann nicht organisch, wenn Erfolg um Erfolg sie entlohnt: sie ist äusserlich, regt nicht an, belebt nicht, sondern bleibt eine Medallie auf der Hand des Hinkenden, der einzig ihretwegen sich für einen Meister unter Läufern hält" (26f).

"Jede neue Funktion verändert das Bild. Wenn wir die Zellen farbig bezeichneten, welche die willkürlichen, d.h. dem Wollen gehorchenden Muskeln in einem Kind aktivieren, das schon gehen und schreiben gelernt hat, wir erhielten ein ganz anderes funktionelles Bild. Auch hier würden Lippen und Mund den grösseren Teil der Fläche einnehmen, denn zum vorigen Bild (bei einem ein Monat alten Kind, würde die Form herauskommen, die der Körpergestalt des Kindes ähnlich wäre /ot) ist inzwischen die Funktion des Sprechens hinzugekommen, an der Zunge Mund und Lippen beteiligt sind. Ausser diesem würde aber jetzt ein zweiter grosser Farbfleck auftauchen, und zwar in jenem Feld, dessen Zellen die Daumen aktivieren" (38). Vgl. auch Schurig, 1976, 278.

"Wenn wir ein solches Bild alle paar Jahre einzeichnen würden, sähe es jedesmal anders aus, und seine Entwicklung würde jedem einzelnen durchaus eigentümlich und damit von der jedes anderen deutlich verschieden sein. Bei einem der nicht schreiben lernt, werden die Farbflecken, welche die Daumen darstellen, klein bleiben (...). Bei einem, der gelernt hat ein Musikinstrument zu spielen, wird die Bildfläche für den Mittelfinger grösser sein als bei einem, der es nicht gelernt hat" (38).

Daraus leitet Feldenkrais ab, dass der einzelne Mensch nur ein Bruchteil des möglichen sogenannten 'Ich-Bildes' (Fläche der Zellgruppen, die einer tatsächlich benützt hat oder benützt) und somit der möglichen Fähigkeiten entwickelt.

"Kehrseite des Erreichens eines unmittelbaren Ziels. Dass wir lernen, Ziele zu erreichen, hat seine negative Kehrseite: wir hören für gewöhnlich zu lernen auf, sobald wir genügend Fertigkeiten erworben haben, um unseren unmittelbaren Zweck zu erreichen" (40).

"(...) um vom Standpunkt der Gesellschaft aus ein nützlich funktionierendes Glied zu sein, braucht ein Organismus - denn so ist unsere Gesellschaft beschaffen - seine Fähigkeiten gar nicht voll zu entwickeln" (43).

"(...) wer sein Ich-Bild so verbessern will, dass er selber es dann für besser halten wird, muss vorerst sich als Einzelmenschen schätzen lernen, und zwar selbst dann, wenn in seinen Augen seine Mängel als ein Glied der Gesellschaft seine Vorzüge überwiegen. Von verkrüppelt Geborenen (...) lässt sich lernen, wie einer sich, selbst bei so offensichtlichen Mängel, sehen kann. Wem unter ihnen es gelingt, sich soweit als Menschen seiner Eigenart zu sehen, dass seine Selbstachtung seinen tatsächlichen Fähigkeiten entspricht, der entwickelt sich organisch oft weiter (...) als normal Gesunde es jemals tun" (45).

"(...) um aber Besserung wirklich zu erreichen, muss einer von seinem Eigenwert absehen. Wer es nicht dahin bringt, dass sein Eigenwert aufhöhre seine Haupttriebkraft zu sein, der wird keine Besserung erzielen, die ihn befriedigte. Indem einer wächst und sich verbessert, wird ihm sein Tun und was er tut immer mehr zum Mittelpunkt seines Lebens, während der Täter - es selbst - ihm immer weniger wichtig wird" (45).

"Um ein vollständiges Ich-Bild zu haben, müsst sich einer der gesamten Oberfläche seines Körpers innesein: vorne, hinten, an den Seiten, zwischen den Beinen, usw., und aller Gelenke in seinem Skelett obendrein". (47f)

Feldenkrais unterscheidet drei Entwicklungsstadien (52f):

1. die natürliche Stufe: Jeder Mensch spricht, geht, schwimmt ... auf etwa gleich natürliche Weise

2. die indivduelle Stufe: Einer hat seine persönliche Art gefunden, sich auszudrücken, zu laufen, zu schwimmen

3. die methodische Stufe: Aus den vielen persönlichen Arten wird das Allgemeine abgeleitet und die Handlung

definiert, um sie allgemein zugänglich und zur Norm zu machen.

Die erlernte Methode verdrängt die 'natürlichen' Praktiken (54).

Je einfacher eine Tätigkeit ist, desto mehr verzögert sich ihre Entwicklung (55). ""Fürs Teppichweben, fürs Philosphieren, für Mathematik, Geometrie, usw. wurden schon vor Tausenden von Jahren Methoden entwickelt und als solche anerkannt. Das Gehen, das Stehen und andere fundamentalen Tätigkeiten gelangen erst heute in das dritte, systematische Stadium" (55).

"Viele verstehen sich nicht auf's Trommeln, aufs Diskuswerfen, auf Hoch- und Weitsprung, aufs Atmen, aufs Flötenspiel, aufs Zeichnen, Rätselraten und vielen anderen >>natürlichen<< Tätigkeiten, die früher nie anders als auf natürlichem Weg erlernt wurden. Nur heute wagt's einer kaum, sich derlei selber beizubringen, da es ja dafür anerkannte Methoden gibt. Solch einem scheint die Macht des Systems so gross, dass selbst das wenige, das er von solchen Dingen in seiner Kindheit erlernt hat, aus seinem Ich-Bild allmählich ausgeschieden wird: er kann dafür keine Aufmerksamkeit erübrigen und ist vor allem beschäftigt mit Tätigkeiten, die er systematisch und bewusst erlernt hat. Solche Menschen nützen zwar der Gesellschaft wie sie ist, aber es fehlt ihnen an Spontaneität, und auf Gebieten ausserhalb iheres beruflichen tun sie sich mit dem Leben schwer" (56).

"Die dritte Stufe, das systematische Stadium des Tuns ist (...) sehr wichtig. Durch systematisches Tun können wir Verhaltens- und Handlungsweisen finden, die unseren inneren und uns eigentümlichen Bedürfnissen entsprechen und die wir auf dem >>natürlichen<< Weg vielleicht nicht finden würden, weil Umstände und äusser Einflüsse uns in Bahnen gelenkt haben mögen, in denen weiterzukommen unmöglich ist. Systematik und Bewusstheit sollten einem jeden ein Mittel sein, sämtliche Gebiete menschlicher Tätigkeit prüfend zu überblicken und sich den Platz zu finen, der seiner Art entspricht und auf dem er frei atmen und handlen kann" (56f).

F unterscheidet neben dem Zustand des Wachens und des Schlafens, den des Gewahr- oder Inneseins (59). ""In diesem Zustand weiss einer deutlich, was er im Wachen tut, - so wie einer im Wachen manchmal weiss, was er schlafend geträumt hat"". Er grentzt diesen Zustand gegen die Bewusstheit ab. ""Demnach wäre sich einer inne, der bewusst bei Bewusstsein wäre, der seine Bewusstheit wahrnimmt, gewahrt (...)"" (59).

F unterscheidet vier 'Bestandteile' des Wachseins: Sinnesempfindung, Gefühl, Denken, Bewegung.

">>Sinnesempfindung<< bedeutet hier, ausser den fünf geläufigen, auch den kinästhetischen Sinn. Zu diesem gehören u.a. Schmerz, Orientierung im Raum, Vergehen der Zeit, Rhythmus.

Zu den >>Gefühlen<< werden wir, neben den geläufigen der Freude, des Zorns, des Kummers, auf die Gefühle der Selbsteinschätzung rechnen: Minderwertigkeit, Depression, Leidenschaften, Ehrgeiz, Gleichgültigkeit, Ungeduld, ▄berempfindlichkeit und noch andere bewusste und unbewusste Gefühle, die unserem Leben Farbe verleihen, gehören dazu.

Zum >>Denken<< zählen wir alle Funktionen des Verstandes, z.B. die Gegenüberstellung von Rechts und Links, Gut und Böse, Richtig und Falsch; das Verstehen; wissen, dass man versteht; das Klassifizieren, das Erkennen von Regeln und Gesetzmässigkeiten; die Einbildungs- oder Vorstellungskraft; wissen, was man empfindet und fühlt; das Erinnern all dieser; usw.

Zur >>Bewegung<< gehören sämtliche Veränderungen des Körpers als eines Ganzen oder in seinen Teilen in Raum und Zeit, in seinem Zustand wie auch in der Konfiguration seiner Teile, sowie Atmung, Essen und Trinken, Sprechen, Herzschlag, Blutkreislauf, Verdauung, usw." (60).

Die Zerlegung in Bestandteile ist eine Abstraktion. Die Behandlung einer dieser Bestandteile wird notwendig auch auf die andernen drei wirken und somit auf den ganzen Menschen.

"Korrektur von Bewegung ist der beste Weg"" (63).

"Das Nervensystem ist mit Bewegung mehr beschäftigt als mit irgendetwas sonst. Sinnesempf-ndung, Gefühl, Denken sind unmöglich ohne eine vielfältige und weitverzweigte Reihe von Vorgängen, die vom Nervensystem eingeleitet werden, um den Körper gegen den Zug der Schwerkraft zu halten. Ebensowenig sind sie möglich, ohne dass wir wüssten, wo und in welcher Lage oder Stellung wir sind. Um unsere Stellung zu erkennen im Schwerefeld und in Bezug auf andere Körper, die uns angehen, oder um unsere Stellung oder unseren Ort zu ändern, müssen wir unsere Sinne gebrauchen, unser Gefühl und unser Denkvermögen"" (63).

"Wir wissen viel mehr von Bewegung, als von Liebe, Zorn, Neid oder selbst vom Denken. Es ist also vergleichsweise leichter die Qualität einer Bewegung zu erkennen, als eines der anderen Faktoren"" (64).

"Viele Menschen unterscheiden nicht zwischen ▄berreizbarkeit und Empfindlichkeit und verurteilen daher Schwäche, was in Wirklichkeit hochentwickeltes Empfindungsvermögen ist"" (64).

"Dass einer sich bewegen könne, ist wichtig für seine Selbsteinschätzung. (...) Ein Kind, das an seinem Mund oder seinen Zähnen oder sonst in seinem Aussehen eine Unvollkommenheit gefunden hat, irgendetwas, wegen dessen es sich für anders hält, wird von dieser Entdeckung jahrelang betroffen sein, und sie wird sein ganzes Verhalten färben" (64f).

"Am Anfang jedes Tuns steht Muskeltätigkeit. Ohne Muskeltätigkeit kann einer keinen Laut von sich geben, kann er weder sehen noch hören. (Beim Hören reguliert ein Muskel die Spannung des Trommelfells entsprechend der Stärke des wahrgenommenen Lauts). Bei Bewegungen sind nicht nur ihre mechanische Koordination, ihre räumliche und zeitliche Genauigkeit wichtig, sondern auch ihre Intensität. Dauernde Entspannung verlangsamt die Muskeltätigkeit und macht sie schwach; dauernde Spannung führt zu ruckartigen, eckigen Bewegungen; beide zeigen deutlich bestimmte Geisteshaltungen oder Einstellungen und sind mit den Motiven der jeweiligen Tätigkeit verbunden" (65).

"Bewegungen spiegeln den Zustand des Nervensystems. (...) Wenn wir also von Muskelbewegungen sprechen, so meinen wir damit in Wirklichkeit die Impulse vom Nervensystem, welche die Muskeln betätigen" (66).

"Bewegung ist die Grundlage des Inneseins. Von dem was in einem vorgeht, bleibt ihm das meiste dumpf und verborgen, bis es die Muskeln erreicht. Was in ihm geschieht, erfährt er, sobald seine Gesichtsmuskeln, sein Herz oder seine Atmungsmuskulatur sich zu einer Gestalt organisieren, die wir als Furcht kennen, als Angst, als Lachen oder als sonst ein Gefühl. Obwohl es nur eine sehr kurze Zeit braucht, um die Muskeln zum Ausdruck der inneren Reaktion, des Gefühls zu organisieren, weiss doch jeder aus eigener Erfahrung, dass er sein Lachen unterdrücken kann, bevor es nach aussen hin bemerkbar wird. So ähnlich kann einer verhindern, dass Furcht oder andere Gefühle von ihm sichtbar ausgedrückt würden. Vorgänge in seinem Zentralnervensystem nimmt einer nicht wahr, solange er sich nicht der ─nderungen innewird, die sich in seiner Körperhaltung vollzogen haben; denn diese ─nderungen sind leichter spürbar als selbst die, welche in den Muskeln geschehen sind. Den vollständigen Muskelausdruck können wir darum verhindern, weil die Vorgänge in dem Teil des Gehirns, der mit Funktionen beschäftigt ist, die nur Menschen eigentümlich sind, viel langsamer sind, als die Vorgänge in den Teilen des Gehirns, die besorgen, was Mensch und Tiel gemeinsam ist. Gerade die Langsamkeit dieser Vorgänge ist es, die es einem ermöglicht zu erwägen und zu entscheiden, ob er handeln solle oder nicht. Das ganze System ist so angeordnet, dass es den Muskeln Bereichtschft befiehlt, eine Handlung auszuführen oder deren Ausführung zu verhindern. (...) Letztlich wird siche einer des meisten dessen was in ihm vorgeht inne, hauptsächlich durch seine Muskulatur. Ein kleinerer Teil dieser Information erreicht uns durch die Hülle, d.h. durch die Haut, die den ganzen Körper umhüllt, durch die Schleimhäute in den Verdauungswegen, durch die, welche in und um die Atmungsorgane sind, und durch die an den Innenflächen des Mundes, der Nase und des Afters" (67f).

"Unsere Atmung spiegelt jede Anstrengung des Gefühls oder des Körpers und jede Störung"" (68).

"(...) alles Verhalten besteht (...) aus vier miteinander untrennbar verbunden Teilen: mobilisierten Muskeln, Sinnesempfindung, Gefühl und Denken. (...) unter den vieren überwiegt die Rolle der Muskulatur so sehr, dass, wenn man sie aus den Konfigurationen oder: Schemen in der motorischen Region der Gehirnrinde tilgte, die übrigen Bestandteile dieser Konfiguration sich zersetzen und zerfallen würden" (69).

"Es ist ein Grundzug des Nervensystems, dass es nicht gleichzeitig eine Handlung und deren Gegenteil ausführen kann. In jedem gegebenen Augenblick erreicht daher das gesamte System eine Art allgemeiner Integration, die der Körper in jenem Augenblick ausdrücken wird. (...) Innerhalb jeder solchen Integration wird einer sich nur der Teile innewerden, in denen seine Muskeln und seine Hülle mitspielen. (...) innere Vorgänge kann einer nur an den ─nderugen merken, die sie in seinen Muskeln bewirken. (...) Dan nun die Strukturen im Gehirn, in denen Gefühle und Denken vor sich gehen, der motorischen Region der Gehirnrinde sehr nahe sind, und da im Gehirn Erregungen und Impulse dazu neigen, sich auszubreiten und auf benachbarte Gewebe überzugreifen, wird eine drastische Veränderung in der motorischen Region parallele Wirkungen aufs Denken und aufs Fühlen haben. Eine grundsätzliche ─nderung in der motorischen Grundlage jeder beliebigen Integrationsfigur wird daher den Zusammenhalt des Ganzen zerstören und dadurch dem Denken und dem Gefühl den Halt entziehen, den sie an den Konfigurationen oder Schemen ihrer einmal festgelegten Routine hatten. In diesem Zustand ist es viel leichter, ─nderungen im Denken und Fühlen herbeizuführen: die Muskulatur, durch die einer sich seines Denkens und Fühlens innewird, hat sich geändert und drückt nun nicht mehr die Ordnungsschemen aus, die ihm bis dahin geläufig waren. Gewohnheit hat ihre stärkste, die Stütze der Muskulatur verloren. Jetzt lässt sie sich ändern" (69ff).

F unterscheidet drei Systeme: das rhinische System: ""Es erfüllt die je-individuellen Bedürfnisse des Innern eines jeden lebenden Organismus""; das limbische System: ""Es befasst sich mit allem, was zur Bewegung im Schwerefeld gehört, mit der Befriedigung des inneren Drangs wie Hunger und Durst und mit der Ausscheidung ihrer Abfallprodukte""; das supralimbische System: ""(...) befasst sich mit den Tätigkeiten, die den Menschen vom Tier unterscheiden. (...) Es ist dieses System, das die Menschenhand zu einem Instrument macht, das musizieren kann, zeichnen, schreiben, usw. (...) Mit der gleichen Empfindlichkeit stattet das supralimbische System die Muskulatur des Mundes, der Kehle und der Atmungsorgane aus und erhöht hier auf ähnliche Weise die Anzahl der möglichen Kombinationen von Lauten: daher die Entstehung der ganzen Vielfalt von Sprachen, Dialekten und Mundarten und der vielen verschiedenen Arten zu pfeifen und zu singen"" (72ff).

"Wie einer auf seine Weise die Muttersprache ausspricht, davon wird die Entwicklung der Muskulatur seiner Zunge und seines Mundes, seines Gaumens und seiner Stimme weitgehend bestimmt werden. Seine erste Sprache wird die relative Stärke seiner Mundmuskeln und die Form seiner Mundhöle soweit beeinflussen, dass man an seinem Sprechen jeder Sprache, die er später dazulernen mag, die frühere wird erkennen können, denn seine Sprechorgane stellen sich nur mit Mühe für die neuen Lautbildungen um"" (75).

Auch unsere Begriffe leiten sich von unserer 'Struktur' ab. ""Da gewöhnlich die rechte Hand die geschicktere, >>bessere<< ist, drückt in vielen Sprachen das Wort >>recht<< Bedeutungen aus wie >>richtig, rechtens, Recht (...)"" (76).

"Aber Denken ohne Verbindung mit Gefühl ist auch ohne Verbindung mit der Wirklichkeit. Die Gehirntätigkeit selbst ist zwar neutral und kann auch einander widersprechende Gedanken in gleichem Masse verarbeiten. Um aber einen Gedanken auszuwählen, muss mindestens das Gefühl da sein, dass er >>richtig<< sei, d.h. dass er der Wirklichkeit entspreche. Die >>Richtigkeit<< ist in diesem Fall allerdings eines subjektive Wirklichkeit. Wenn >>richtig<< auch objektiv der Wirklichkeit entspricht, so wird der entsprechende Gedanke für Menschen allgemein gültig sein. Gehirnarbeit allein kann nicht entscheiden zwischen zwei Sätzen wie >> es ist möglich, auf den Mond zu gelangen<< und >>es ist nicht möglich auf den Mond zu gelangen<<, denn jeder dieser beiden Sätze hat für sich genommen Sinn und ist daher vertretbar. Nur Erfahrung der Wirklichkeit kann einem Gedanken >>Richtigkeit<< verleihen (...). Gehirnarbeit ohnen Verbindung mit der Wirklichkeit ist nicht Denken, wie auch zufällige Zusammenziehungen von Muskeln weder Handlung noch Bewegung sind" (77f).

"Die Nervenbahnen im dritten System sind länge und mehr ausgebaut als in den beiden älteren Systeme. Obwohl von dem dritten System aus Bahnen zu den ausführenden Mechanismen führen, durch die es direkt Kontrolle ausübern könnte, werden die meisten Tätigkeiten, die von ihm ausgehen, durch die ersten beiden Systeme ausgeführt. Das indirekte dieses Vorganges, dieser Umweg bewirkt einen Aufschub, eine Verzögerund der Handlung selbst. >>Erst denken, dann handlen<< ist nicht nur eine Redensart.

Zwischen dem, was im supralimbischen System geschieht und von ihm ausgeht, und dessen Ausführung durch den Körper liegt also eine Verzögerung, und diese Verzögerung zwischen dem Denkvorgang im dritten System und dessen Umsetzung in Handlung ist lang genug, um die Ausführung auch verhindern, hemmen zu können. Diese Fähigkeit das Bild einer Handlung zu entwerfen und seine Verwirklichung dann zu verzögern - sei's um sie aufzuschieben, sei's um sie überhaupt zu verhindern -, ist die Grundlage unseres Vorstellungsvermögens, der Einbildungskraft und des urteilenden Denkens.

Die meisten Tätigkeiten dieses Systems werden (...) durch die beiden älteren Systeme ausgeführt, von deren Geschwindigkeit sie abhängen. So ist es z.B. unmöglich den Sinn eines gedruckten Textes schneller aufzunehmen als das Auge lesend über die Seite gleiten kann. Ein Gedanke kann nicht schneller ausgedrückt werden, als man ihn in Wörtern aussprechen kann. Schnelleres Lesens und schnelleres Sprchen sind daher Mittel zu schnellerem Denken" (78f).

"Dass er sein Tun hinausschieben, d.h. die Zeitspanne zwischen der Absicht und deren Ausführung verlängern kann, macht es dem Menschen möglich, sich selber kennen zu lernen" (79).

"Dass einer etwas tut, beweist noch lange nicht, dass er auch nur oberflächlich wüsste, was er tut oder wie er es tut. Versucht er, sich seines Tuns innezuwerden, d.h. ihm in jeder Einzelheit aufmerksam zu folgen, so wird er bald merken, dass sogar die einfachsten und gewöhnlichsten Handlungen - wie z.B. das Aufstehen von einem Stuhl - ihm ein Rätsel sind und dass er keinen Ahnung hat wie er es zustandebring: sind es die Bauch- oder die Rückenmuskeln, die er zusammenzieht, spannt er zuerst die Beine oder beugt er zuerst den Oberkörper vor, was tun die Augen dabei und was der Kopf? Er kann sich leicht überzeugen, dass er nicht weiss was er tut; er kann sich soweit überzeugen, bis er überhaupt nicht mehr austehen kann. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig als zu der ihm gewohnten Methode zurückzukehren, nämlich sich zu befehlen, aufzustehen, und es den Spezialisten in ihm zu überlassen, die Handlung so auszuführen, wie es ihnen beliebt, und das heisst: wie er es gewöhnlich tut.

Was folgt daraus? Dass einer sich nicht kennen lernt ohne beträchtlich Mühe und dass das Kennenlernen die Ausführung von Handlungen sogar stören kann. Das Denken und der Intellekt, der erkennt und weiss, sind automatischem, gewohnheitsmässigem Handeln feind" (79f).

"Wessen Innesein nicht geweckt ist, der handelt so, wie ihn die ältern beiden Hirnsysteme handeln heissen, nämlich nach ihrer Art, obwohl die Absicht zu handeln vom höheren, dem dritten System ausgegangen war. Und nicht genug das; die Handlung erweist sich oft als das gerade Gegenteil der ursprünglichen Absicht. Das geschieht, wenn die Absicht zu handeln, die vom höheren System ausgeht, das mit den Gefühlen nur schwach verbunden ist, die niederen Systeme in Gang setzt, die mit den Gefühlen viel stärker verbunden sind: die stärkeren Gefühle tragen den Sieg davon, denn ihr Handeln ist schneller, die Verzögerung zwischen Absicht und Ausführung daher kürzer, und einer brennt sich mit einer Affekthandlung durch" (80).

"Das Innesein ein neues Zeitalter in der Evolution. Das obere System, das im Menschen höher als in allen anderen Tieren entwickelt ist, ermöglicht das Innesein. Das heisst: einer kann seine organischen Bedürfnisse erkennen und sich die Mittel wählen, um sie zu befriedigen. (...) Dass einer sich seiner organischen Bedürfnisse innesei, bildet die Grundlage, auf der er sich kennen lernt. Wird er sich der Beziehung inne, welche diese Triebe mit ihrem Ursprung in der Entstehung menschlicher Kultur verbindet, so bietet ihm dieses Innesein potentielle Mittel um sein Leben zu lenken (...)" (81).

"Ich glaube, wir leben in einer kurzne ▄bergangszeit, die das Heraufkommen des 'homo humanus', des wahrhaft ganzen Menschen ankündigt. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass wir ihn noch erleben" (82).

"Ein jeder hat zwei Welten: seine eigene und die, welche allen gemeinsam ist. In meiner eigenen gibt es die gemeinsame und alles, was in ihr ist, nur so lange ich lebe. Sie ist mit mir geboren und stirbt und verschwindet mit mir. In der anderen, der gemeinsamen Welt bin ich ein Tropfen Wasser im Meer, ein Sandkorn in der Wüste. in ihr sind mein Leben und mein Tod kaum zu spüren. (...)

Von einem Zweck der Menschheit wissen wir so gut wie nichts. Das einzige, was sich mit Grund annehmen lässt und von der Wissenschaft angenommen wird, ist, dass die Entwicklung aller Lebewesen eine Richtung hat und dass der Mensch auf der obersten Stufe dieser Entwicklung steht. Diese Richtung der Evolution kann auch als ihr Zweck verstanden werden" (83).

"Obwohl in unserem Sprachgebrauch die Grenzen nicht klar sind, besteht zwischen Bewusstsein und Innesein ein wesentlicher Unterschie. Ich kann bei vollem Bewusstsein die Treppe meines Hauses hinaufgehen und doch nicht wissen, wieviele Stufen ich hinaufgegangen bin. Um herauszufinden wieviele es sind, werde ich zum Beispiel ein zweites Mal über die Treppe gehen, meine Auferksamkeit dabei auf das lenken, wa ich tue, mir gleichsam zuhören und die Stufen zählen. Innesein ist Bewusstsein und das Erkennen dessen, was im Bewusstsein vor sich geht, oder dessen was in uns vor sich geht, während wir bei Bewusstsein sind" (84).

"Klares Denken entsteht nur, wo keine starken Gefühle sich einmischen, die sonst die Unbefangenheit und Sachlichkeit stören und zerstören. Die Entwicklung eines zweckmässigen Denkens verlangt daher ein ständiges Sich- Zurückziehen oder Abweisen von Gefühlen und propriozeptiven, d.h. Eigenempfindungen"" (86).

"Um in seinem Innesein einen winzigen Schritt weiterzukommen, so weit z.B., dass er Rechts und Links verstand, muss der Mensch einmal, während er sich bewegte, seine Aufmerksamkeit abwechselnd auf das gerichtet haben, was in ihm vorging, und auf die Vorgänge in der Welt um ihn herum. Dieses Hinundher des Aufmerkens zwischen innen und aussen erzeugt die Abstraktionen und Wörter, die das Hinundher, den Wechsel in der Stellung seiner eigenen Welt im Verhältnis zur Aussenwelt beschreiben" (88f).

"Die esoterischen Schulen kennen ein Gleichnis, das aus dem Tibet stammt. Es sagt, dass ein Mensch, der sich seiner nicht inne ist, einem Wagen gleiche, dessen Fahrgäste die Begierden, dessen Pferde die Muskeln sind und der Wagen selbst das Skelett. Das Innesein (oder eben nicht Innesein /Anm. ot) ist der schlafende Kutscher. Solange er schläft, wird der Wagen ziellos bald hierhin, bald dorthin gezerrt sein. Jeder Fahrgast will an ein anderes Ziel, jedes Pferd zieht in eine andere Richtung. Ist der Kutscher wach und hält die Zügel, so wird er Pferde und Wagen so lenken, dass jeder Fahrgast sein Ziel erreicht.

In dem Augenblick, da es dem Innesein gelingt, mit Gefühl, Sinnesempfindung, Bewegung und Denken gemeinsame Sache zu machen, wird der Wagen seine Strasse halten und auf ihr leicht und schnell vorankommen. Das sind die Augenblicke, in denen Entdeckungen gemacht werden, in denen einer erfindet, schöpft, Neues schafft, erkennt" (89f).

In zweiten Teil des Buches sind 12 Lektionen aufgeführt. ""Jede dieser Lektionen stellt eine ▄bung dar, an der der ganze Körper mit seinen wesentlichen Funktionen beteiligt ist"" (94). Als Beispiel ist die ▄bung 'Denken und Atem' im Lexikon unter dem Stichwort 'Atmen' vollständig aufgeführt.

"Umkehrbarkeit ist das Kennzeichen willkürlicher Bewegung" (135).

Die Geschichte von einem, der seine Heiserkeit loshaben wollte und dabei nicht nur sprechen gelernt, sondern seinen 'menschlichen' Körper entdeckt hat (138f).

"Wenn sich der Körper von einer Stelle in eine andere bewegt - z.B. vom Sitzen ins Stehen oder vom Liegen ins Sitzen -, so ist die ideale Bahn für das Skelett diejenige, die es durchmessen würde, wenn es überhaupt keine Muskeln hätte, sondern seine Knochen nur durch Bänder verbunden wären. Um also vom Boden aufzustehen oder vom Sitzen ins Stehen überzugehen, ist jede Bahn richtig, der das Skelett folgen würde, wenn man es am Kopf einfach in die erforderliche Richtung emporziehen würde - und das ist, nebenbei die kürzestmögliche Bahn" (141f).

"Wer seine Muskeln gebraucht ohne zu beobachten, zu unterscheiden und zu verstehen, handelt wie eine Maschine: seine Bewegungen haben einen Wert einzig darin, dass sie - mechanisch - geschehen; und solche Bewegungen vermag auch ein Tier oder eine wirkliche Maschine - und vermag sie besser obendrein. Zu solcher Arbeit bedarf es nicht des hochentwickelten Nervensystems des Menschen" (211).

"1. Ausgangstellung

Setzen Sie sich auf den Boden, die Knie auseinander, die Füsse mit ihrem äusseren Rand auf dem Boden vor Ihnen, die Arme zwischen den Beinen. Schieben Sie die rechte Hand unter die rechte Ferse so, dass die Ferse auf Ihrem Handteller ruht. Um dies zu tun, heben sie die Ferse ein wenig vom Boden und schieben Sie die Hand wie einen Keil zwischen Boden und Ferse. Spreizen Sie den Daumen nicht ab, sondern lassen Sie ihn bei den Fingern, die die Ferse greifen. Legen Sie die Finger Ihrer linken Hand auf die vier kleineren Zehen des rechten Fusses und stecken Sie dabei den linken Daumen zwischen der rechten grosssen Zehe und der nächsten Zehe hindurch. Schliesse Sie die linke Hand. Die vier Zehen werden jetzt im Griff der linken Hand gehalten sein.

2. Heben Sie den Fuss gegen Ihen Kopf hin.

Heben Sie Ihren rechten Fuss mit Hilfe beider Hände und stossen Sie ihn zugleich von Ihrem Körper weg. Ziehen Sie ihn dann mit einer wohlgerundeten Bewegung zu Ihrem Kopf hin und senken Sie ihn danach in seine ursprüngliche Stellung zurück. Wiederholen Sie die Bewegung und atmen Sie, während Sie das Bein heben, aus. Lassen Sie den Kopf so weit nach vorne fallen als es Ihnen bequem ist, damit Ihr Bein, das allmählich um einiges über Ihren Kopf gehoben werden wird, seine Bewegung zum Körper hin fliessend zu Ende führen könne, bevor es zum Boden zurückkehren wird.

Fahren Sie mit der Bewegung fort, aber ohne sich dabei anzustrengen, ohne Mühe aufzuwenden, ohne die Bewegung erzwingen zu wollen. Einfach die Bewegung wiederholen und sie jedesmal gleitender, leichter, fliessender machen, so dass sie sich von Mal zu Mal bequemer ausführen lasse. Beobachten Sie Ihre Brust, Ihre Schultern und Schulterblätter und hören Sie auf, sich Mühe zu geben oder etwas erreichen zu wollen: Zielstrebigkeit führt zu Anstrengung, und beides hindert die Bewegung daran, dass sie leichter und grösser werde. Hätten Sie ein Skelett ohne Muskeln, Sie würden nicht die geringste Schwierigkeit haben den Fuss hoch zu heben und sich ihn auf den Kopf zu legen. Die Muskeln selbst sind dieser Bewegung das Haupthindernis, da einige von ihnen gespannt und daher selbst im Zustand völliger Ruhens kürzer bleiben als sie es anatomisch sind" (210).

"Die Bewegung in Wörter zu denken, macht keine Mühe. Gesprochene Sprache hat - neben all ihren Vorteilen - den Nachteil, dass einer durch Wörter seiner eigenen, leibhaftigen Wirklichkeit (...) soweit entfremden kann, dass er mitunter irrtümlich glaubt sich etwas vorgestellt oder gedacht zu haben, wenn ihm in Wirklichkeit nur das passende Wort eingefallen ist. Das kann er sich leicht selber zeigen: versucht er sich eine Handlung genau vorzustellen, so stösst er dabei auf die gleichen Hindernisse wie wenn er diese Handlung auszuführen versucht.

Die Ausführun ist schwierig darum, weil die Befehle oder Impulse vom Nervensystem an die Muskeln nicht zu dieser bestimmten Handlung passen. Im vorliegenden Fall wird sich der Körper nicht genügend vorbeugen, weil die bewusste Anweisung, sich vorzubeugen, nicht ausgeführt werden kann, da die Antagonisten oder Gegenwirker - in diesem Fall: die Muskeln, welche den Rücken aufrichten - weiterhin zu viel Arbeit leisten, und zwar aus Gewohnheit, die von schlechter Haltung herrührt" (216).

"Wenn es zutrifft, dass unsere Instinkte ebenso durch Vererbung auf uns kommen wie unsere Fähigkeit zum Gewahr- und Innesein, so werden wir besser daran tun, dieses zu vervollkommnen, als das Tier in uns zu unterdrücken. Das Gewahrsein ist die heute höchstmögliche Stufe menschlicher Entwicklung. Wo es vollständig ist, übt es harmonische >>Herrschaft<< über die Tätigkeit des Körpers. Intensität, Umfang und Ausdauer seiner Leidenschaften, seiner Fähigkeiten und seiner Vitalität machen die Stärken des einzelnen aus; unterdrückt man eine, so wird seine gesamte Leistungsfähigkeit, sein Potential herabgemindert. (...) Auch in den letzten Jahrzehnten haben sich die jeweils jüngeren Generationen von den Sitten, Bräuchen und Spielregeln ihrer Vorfahrer befreit, am deutlichsten in der Moral (im weitesten Sinne), im Geschlechtsleben und in der ─sthetik. Nur auf wenigen Gebieten - wie z.B. denen der exakten Naturwissenschaften und der Erzeugung materieller Güter - kann auch die heutige junge Generation an die Arbeit iherer Vorgänger unmittelbar anknüpfen, ohne dadurch ihren eigenen Gefühlen zuwiderzuhandeln (...)" (273f).

"Viele wissen, was sie nicht wollen; einige, was sie möchten; die wenigsten, wie dies auch zu erreichen wär. Gewahr-, Innesein kann die Verwirrung lösen: in ihm scheint einem auf, was vonnöten ist und der Weg dahin. Damit setzt es die schöpferischen Kräfte frei" (274).

Budo, Feldenkrais, 1968

Anmerkungen von ...

Materialien

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