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Die Vorstellung, dass sich Texte einem Autoren und einem Entstehungs- oder Publikationszeitpunkt zuordnen lassen, ist naiv im engeren Sinne des Wortes. Wer ist Homer? Wer hat die Stücke von Shakespear geschrieben? Von wem stammt die Bibel? In der neueren Zeit wissen wir natürlich, wann ein Verlag ein Buch gedruckt hat, aber wir können nicht wissen, welche Textteile davon woher stammen und wie alt sie sind. Darwin etwa - um ein bekanntes Beispiel zu nennen - hat grosse Teile seiner Erfindung genau in dem Sinne geklaut, dass er Texte von Wallace umformuliert hat. Nun kann man halb zu recht sagen, dass der Text von Darwin ist. Weniger bekannt ist, dass Shakespeare eine lebende Strohpuppe seiner Königin Elisabeth I. war, so dass nicht einmal halb stimmt, dass er "seine" Stücke geschrieben hat.
Die gesamte Literatur lässt sich in diesem Sinne als selbstreferentieller Prozess verstehen, in welchem die Geschichten immer wieder geschrieben werden. Oft wird in den Titeln das Spiel zur Schau getragen. Plenzdorf etwa verrät ziemlich deutlich, wo er "Die neuen Leiden des jungen W." aufhebend abgeschrieben hat.
Ein geringeres, aber in gewisser Hinsicht doch ein grosses und teilweise unlösbares Problem, zeigt sich einerseits - wo es nur mehr um Ehre geht - in den Aufwendungen für kritische Ausgaben von Texten, die Angaben zu Textvarianten und Textgeschichte enthalten (vergleiche etwa die kritischen Ausgaben zu Kafka oder Mauthner). Und andrerseits - wo Geld noch eine Rolle spielt - zeigt sich das Problem darin, dass wir eine sogenannte Ethik und natürlich einen Rechtscode entwickelt haben: Man dürfte eigentlich nicht plagieren und wer die besseren Anwälte bezahlen kann, kann im Streitfall durchsetzen, dass ein Text von ihm stammt.
Noch geringere Probleme - die sich dafür in Praxis oft zeigen - bestehen darin, dass Bücher verschiedenen Auflagen und Uebersetzungen haben. Viele Bibliotheken haben natürlich von vielen Büchern nicht jede veränderte Auflage und schon gar nicht alle Uebersetzungen. Daher ist oft der Fall, dass ich ein bestimmtes Buch "nur ungefähr" bekomme.
Das eigentliche Problem besteht aber im impliziten Zitieren. Viele Autoren beziehen sich auf einen bestimmten Text, schreiben aber völlig unvereinbare Dinge. Wenn sie dann auch noch zitiert werden, geht jede Eindeutigkeit verloren.