Emergenzen im Dialog
Grundlagen für ein Gespräch im Autopoietischen Kreis der Universität
Zürich am 21. Januar 1998
von Marlen Karlen, Networking und PR-Agentur, Minervastrasse 51,
8032 Zürich, mkarlen@wb.unizh.ch
ESSAY - EIN VERSUCH
Die Metapher der Indianertrommel ( Harmonisierung der Herzschläge
zwischen den Gesprächspartnern). Das Indianermuseum in Zürich
hat kürzlich eine Ausstellung gestaltet zum Thema Kommunikation.
In der Mitte des Museums befand sich eine Trommel von ungefähr
1.5 Meter Durchmesser. Die Gesprächspartner versammelten sich
darum und harmonisierten ihren Puls vor dem Gespräch.
Wie das Thema sich in meine Wahrnehmung hineindefiniert:
Ich bitte vorerst um Aufnahme meines eigensinnigen Umganges mit
den Worten und Begriffen, der vorderhand vielleicht nicht zu besserem
Verständnis beizutragen vermag, ich sehe unser gemeinsames Sprechen
als aestethische Handlung die gewissermassen autopoietisch Sinn
erzeugt. Meine Herangehensweise an das Thema ist keine naturwissenschaftliche
sondern eher eine poetische, indem ich die Gestalt und Beziehungsstruktur
des Themas in meiner Wahrnehmung aufzeichne und im Sinne von Relevanz
und Bedeutsamkeit nach Komplementarität forsche. Das heisst, ich
versuche nicht die Erscheinungen der Wirklichkeit zu begreifen,
ich versuche vielmehr eine Gestalt wahrzunehmen, und lasse meinen
Blick fast unbeteiligt darüber hinwegschweifen. Im Sinne der neuen
Physik und bei Hans-Peter Dürr nachgelesen: Zitat ³Ich versuche nicht ³einzugreifen³ und zu analysieren, meine Haltung entspricht einer ³aufmerksamen Hingabe³ einem ³floating in alertness³.
David Bohm beschreibt in seinem Buch ³On Dialogue³, Routledge London seine Vision und Praxis von emergentem Dialog.
Dabei geht es nicht um Position und Gewinn, nicht um das Ping-Pong
der Meinungen, sondern um das Erkunden des Sinns. In Anlehnung
zur Physik sagt Bohm dazu:³ Wie bei den Elektronen müssen wir das Denken als ein systemisches
Phänomen betrachten, das von unseren wechselseitigen Interaktionen
und Diskursen hervorgerufen wird.³ Das Denken sei grösstenteils ein kollektives Phänomen und erst
die Ueberwindung der individuellen Inkohärenz des Denkens führt
zur Kohärenz kollektiven Denkens das sich letztlich als Ordnung,
Schönheit und Harmonie zeige.
Aus der alten Physik in der die Wirklichkeit in ihren Einzelteilchen
untersucht und gemessen wurde kommt der Begriff ³Fragmentation³. Diese wissenschaftliche Methode der Fragmentation hat sich auf
das Denken des Menschen ausgewirkt und auch auf die verschiedenen
Arten Gespräche zu führen.
Aus dem griechischen ³Dia³ was heisst ³Durch³ kann in einem Dialog eher von einem Fluss der Bedeutung durch
Leutedenken als von einem Austausch vor und zurück die Rede sein.
Mit anderen Worten, wir alle nehmen an diesem Dialog teil, er
gehört nicht einer besonderen Person. Eine Schwierigkeit und Folge
der Fragmentation führt dazu, dass jede Person aufgeteilt ist,
sie neigt dazu eine bestimmte Haltung innezuhaben und diese unbewusst
zu verteidigen. Da nun verschiedene Leute verschiedene Vorannahmen
haben, resultiert unweigerlich Differenz. Die schöpferische Kraft
wird in die Verteidigung der Differenz fliessen, in Reproduktion
von Vergangenheit und Emergenzen bleiben aus.
Die Fragmentation, einmal angefangen, muss bis ans Ende geführt
werden, das kann auch das Ende der Menschheit sein. In einem Dialog
ist es essentiell, dass man seine festgelegten Haltungen und Glaubenssätze
nicht verteidigt. Das bedeutet nicht, dass man die Position andrer
annimmt. Dies wäre genauso töricht wie sie zu verteidigen. Man
muss vielmehr zuhören. Man muss fähig sein, verschiedene Positionen
zu vertreten, sogar entgegengesetzte Positionen im Geist, ohne
sie zu verteidigen oder anzunehmen. Was den Dialog ausmacht, ist
das Aufzeigen der eigenen Annahmen. Die Individualität aufzeigen.
Bei Peter M. Senge ³Die fünfte Disziplin³, Klett-Cotta geht es im Dialog darum, gemeinsam komplexe Fragen
zu erforschen . Dabei erhält die Gruppe Zugang zu einem grösseren
Reservoir an gemeinsamen Sinn, der dem einzelnen nicht zugänglich
ist. (Ich erinnere hier an die morphe Resonanz der morphogenetischen
Felder nach Sheldrake) Man versucht nicht, die Einzelteile zu
einem Ganzen zusammenzuziehen, sondern das Ganze ordnet die Teile.
Eva Meyer beschreibt in ³Tischgesellschaft³ wie sich Menschen im Dialog um einen Tisch versammeln um sich
über ihn ins Bild von sich selbst zu setzen und davon abzusetzen,
denn es genüge nicht, sich an dem festzuhalten was war, wenn man
nicht nur eine Geschichte hinter sich hat, sondern auch eine vor
sich haben will. Ueber die gemeinsame Wirklichkeit zitiert sie
Hannah Arendt: Wiewohl die gemeinsame Welt den allen gemeinsamen
Versammlungsort bereitstellt, so nehmen doch alle, die hier zusammenkommen,
jeweils verschiedene Plätze in ihr ein. Eine wahrhafte Tischgesellschaft
also, in der das ³von Anderen Gesehen- und Gehörtwerden dadurch entsteht, dass ein
jeder von einer andern Position aus sieht und hört. Das ist Wirklichkeit,
die nicht mehr durch eine gemeinsame ³Natur³ garantiert ist, sondern überhaupt erst entsteht, wenn die ³Kultur³, dieses Bild des Menschen sich selbst zum Bild wird.
Das Postulat von Christina Thuermer-Rohr in ³Dialog und Dialogisches Denken³ zeigt die Notwendigkeit des Dialogs in der Annahme, dass ³der Mensch³ nicht ³eine mehr oder minder geglückte Wiederholung desselben³ darstellt. Im Dialog werden die Andern gegenwärtig, sie werden
zu ³relevante Andere³ und darin wird erlebbar was im Wort Interesse - Inter esse -
das unter den Menschen weilen enthalten ist. Im Dialog kommt die
Welt zum Vorschein. Zusammengesetzt von den Beteiligten und in
der Anerkennung der Verschiedenheit und Vielfalt gemeinsam ausgedrückt
im Begriff ³die Liebe zur Welt³. Diese Verschiedenheit anzuerkennen bedarf der ³Liebe zur Welt³.
Dies ein paar Namen von Personen, die mich zum Nachdenken über
dieses Thema motiviert haben. Dabei habe ich die Namen stellvertretend
für Gesprächspartner gesetzt im Sinne von Leutedenken wie oben
erwähnt, und um ein Stimmungsverständnis zu schaffen worüber heute
Abend die Rede sein kann. Ich will in diesem Kreis meinen persönlichen
Erlebnisbereich darlegen und Einblick gewähren wie in meiner Konstruktion
von Wirklichkeit und Wahrnehmung, Sinn entsteht.
Vor nicht allzulanger Zeit hat mir ein Freund eine Frage gestellt.
Die Frage selber muss nichts Besonderes gewesen sein, ich habe
sie vergessen. Berührt hat mich dass sie an mich gestellt war.
An mich. Meine Antwort, nicht eine Antwort. Das ist der Anfang
meines Dialogs. Ich setze mich an einen Tisch - an den Tisch der
Kontemporaneität und bringe Individualität zum Ausdruck um Vielfalt
zu schaffen. Im Erleben von Dialog trete ich in Beziehung nicht
zu einem Publikum, sondern zu ³jeder und jedem im Besonderen³.
Der Dialog kann diese Vieldimensionalität zum Ausdruck zu bringen.
Sinn des Dialogs ist nicht, dass Menschen ³sich³ zeigen wie ³sie³ sind, sondern dass Wirklichkeit sich manifestiert. Die Sichten
stehen nebeneinander, und gehen miteinander in Beziehung. Ich
kann hier verschiedene Arten der Bewegung sehen: Sie segeln sozusagen
mal hart am Wind, wenn Verständnis an den Kanten der Aussagen
möglich wird mal kreuzen sie breit und lassen eine umfassende
Perspektive frei.
Das Con-correre - Zusammen laufen. Aneinander Antrieb findend,
vorwärtstreibend und zu Pausen ruhend. Die Sichten schaukeln sich
gegenseitig in neue Bereiche. Wenn Vorannahmen und Hypothesen
sich gegenseitig hochheben, sich behutsam in der Schwebe haltend
und sich abwechslungsweise mit Schwung besetzen, wie geschlagener
Schaum, ihren Aggregatszustand verändernd und im Unvorhergesehenen
sich neu findend.
In dieser Suchbewegung der Einzelnen findet das Gesamte statt.
In meinem Erleben ist es ein in der Gleichzeitigkeit die Vorläufigkeit
erforschen, und im Zirkulären Gegenwart aneinanderreihen. Dialog
schafft die Umstände, um das virtuelle ³noch nicht³ stattfinden zu lassen. In diesem Zusammenhang passiert Uebersetzung:
vom Griff ins morphogenetische Feld - in ein universelles Wissen
- in Virtualität - zu Manifestation, zu Schöpfung.
Diese Zustandsveränderungen haben Naturvölker seit eh und je in
Form von Palaver geübt. Das ist eine uralte Form von kollektiver
Weisheit. Die Teilnehmer erzählen von Ahnungen, Träumen, inneren
Bildern, Glaubenssätzen und Vorannahmen. Im respektvollen Hinhorchen
und Aufnehmen, mit sich selbst Durchwirklichen, entwickelt sich
gleichsam etwas Neues und Anderes: Das Ganze ist mehr als die
Summe seiner Teile. Solche Zustandsveränderungen können in jeder
Form von Ritualen angestrebt werden.
Die grossen Alchemisten fanden die Quintessenz im Prozess des
solve ed coagula: Trennen - Erheben - Neu Zusammenfügen. Als Analogie
zum Dialog könnte das heissen: Benennen - Durchwirken (Wärmeprozess)
- Unvorhergesehenes (Emergenz).
Im Studiengang ³Lernende Organisationen³ der Universität Zürich stehen Fragen der Gesellschaftsentwicklung,
der Sinnbildung im Management, der Sozialethik im Vordergrund.
Die spekulative Feststellung, dass die ganz basilaren Ordnungsprinzipien
unserer Gesellschaft abdanken, kippen, an Relevanz und Verbindlichkeit
verlieren, dass die Informationsgesellschaft mit virtuellen Instrumenten
und in Netzwerken jede Form von politischen, rechtlichen und sozialen
Grenzen überschreiten können, dass bei Kevin KellyÎs neustem Tittel
³Ende der Kontrolle³ menschliche Kompetenzen in völlig neue Bereiche verschoben werden,
ermöglichen Neudenken und Neukonstruktion von kulturellem, sozialen
und wirtschaftlichen Menschsein. Die Auseinandersetzung darüber
ist ein dialogisches Prinzip der Vielfalt. Das Bedürfnis nach
der Entwicklung von neuen Formen menschlicher Kommunikation, dem
Aufbau von Verbindlichkeiten der Menschen untereinander jenseits
des ³Ende der Kontrolle³ stellt sich in den Raum.
Dass die heutige Wissenschaft transdisziplinär ist, basiert auf
dem dialogischen Prinzip an und für sich. Was als transdisziplinär
fassbar wird, was sich herauskristallisiert und in die Disziplinen
hineinverändert ist die Emergenz. Wenn der Physiker sagt: Die
Gesetze der Physik sind elegant. Erhebt er die Eleganz in die
Physik, die Kunst in die Naturwissenschaft, und die Naturwissenschaft
in die Kunst. Systemisch gesehen, ist weder die Kunst noch die
Wissenschaft die gleiche geblieben. Die Etablierung der Idee des
Feldes in der Quantenphysik erlaubt es nicht zuletzt den Dialog
in den Kontext der Vernetzung mit dem Ganzen zu stellen und meine
Gedanken gehen da in die Richtung: Unsere Gespräche sind in die
Welt gesetzt und wir können die Folgen, die Emergenzen ansehen
wie Schöpfung.
Nach dem Ende der Modelle, wie die Welt nicht mehr deterministisch
erklärbar ist und im Kontext systemischer Wechselwirkung der Aussage
auf die Aussagenden ist Dialog Mittel zur Erschaffung von Kultur
in der Wahrnehmung. Im Gedankengut des radikalen Konstruktivismus
in dem ich mich nicht auf eine fremdreferenzielle Wirklichkeit,
eine ausserhalb von mir existierende objektive Wirklichkeit beziehen
kann - wird Dialog somit zur Metapher für die Liebe zur Welt:
in der Welt und mit den Menschen sein. In einer Welt in der Ressourcenknappheit
und Migration und Hunger dringend nach neuen Sichtweisen rufen
bietet Dialog schöpferisches Potential zum ständig erneuerbaren
Bild des Menschen von sich und der Welt.
Die Veranstaltungen der Friedensuniversität von Berlin, die Friedensarbeit
der UNESCO, Friedensbestrebungen wie z.B. die Peace-Times-Massenmedien
von Lama Gangschen, verfolgen die Idee einer Verbindung der Menschen
durch den Frieden - und schaffen dazu Dialog - der Frieden ist
Emergenz. Emergenzen sind die erwirkte Verbindungen der Menschen
untereinander. Das Verbindliche was von einem Dialog für alle
übrigbleibt, - es ist nicht das individuell gesprochene, sondern
der schöpferische Teil - was neu in die Welt gekommen ist.
In der 1000 - fachen Wiederholung meinen Kindern gegenüber, sie
sollten die Schuhe am Eingang ausziehen und die Hände vor dem
Essen waschen ist keine neue Welt entstanden, aber abends, als
ich vor dem Feuer die Geschichten erzählte entstand Vision, Verbindlichkeit
und mehr als die Geschichte sagt.
Wir atmen alle dieselbe Luft und wir tun es nicht bloss um Sauerstoff
zu reduzieren. Der Austausch zwischen den Menschen über den Atem
ist ein fundamentaler und gewissermassen noch sehr unbewusster
Prozess ich möchte ihn einem Dialog gleichstellen - wortlos.
Gesprochenes!.... Ich möchte zuletzt dem Thema Dialog noch die
Ehre des Schweigens erweisen. In meinen Erfahrungen von bewusstem
Schweigen im Zusammensein mit anderen Menschen habe ich die Schwingung
der Emergenz gespürt, vorallem und auch dann, wenn nicht gesprochen
wird. Wenn der Gedanke sich nicht in ein Wort hineinreduzieren
muss.